Der Betrug mit dem Kurzarbeitergeld

„Die Koalition erhöht das Kurzarbeitergeld auf bis zu 87 Prozent“, lauteten vergangene Woche die Schlagzeilen. Kurzarbeiter erhielten zukünftig statt 60 (Kinderlose) und 67 (mit Kindern) Prozent des Nettoeinkommens 80 und 87 Prozent.

SPD und Gewerkschaften schrieben sich den „Erfolg“ gleichermaßen auf die Fahne. „Angesichts des massiven Widerstands der Union und der Arbeitgeber sind die Ergebnisse zur Anhebung des Kurzarbeitergeldes ein Erfolg“, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. „Respekt gebührt auch der SPD, die diesen Kompromiss ermöglicht hat.“

Verdi bedankte sich bei den Unterstützern einer Change.org-Petition, dass sie mit ihrer Unterschrift „mit dafür gesorgt haben, dass sich die große Koalition endlich bewegt” und eine weitere Aufstockung des Kurzarbeitergelds beschlossen habe.

Für Millionen Beschäftigte, die nicht wissen, wie sie in den nächsten Monaten über die Runden kommen sollen, wäre dies tatsächlich eine Erleichterung. Über 700.000 Betriebe in Deutschland haben inzwischen wegen den Auswirkungen der Coronakrise Kurzarbeit beantragt. Schätzungen gehen von vier Millionen und mehr betroffenen Arbeitern aus. Dies sind viel mehr als nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Damals waren bis zu 1,4 Millionen in Kurzarbeit.

Liest man allerdings das Kleingedruckte, wird klar, um welchen Betrug es sich dabei handelt!

Die Erhöhung des Kurzarbeitergelds erfolgt nämlich stufenweise. In den ersten drei Monaten bleibt das Kurzarbeitergeld auf dem bisherigen Satz von 60 bzw. 67 Prozent. Erst ab dem vierten Bezugsmonat erhöht es sich auf 70 bzw. 77 Prozent. Und die 80 bzw. 87 Prozent gibt es erst ab dem siebten Monat. Das Kurzarbeitergeld wird außerdem nur erhöht, wenn mindestens 50 Prozent der regulären Arbeitszeit ausfallen.

Doch das dicke Ende kommt noch: Die Neuregelung ist bis Ende dieses Jahres befristet. Das bedeutet, dass jemand, der ab Mai ununterbrochen Kurzarbeitergeld bezieht, die Erhöhung auf 80 bzw. 87 Prozent gerade für zwei Monate erhält!

Vergleicht man dieses Almosen, das vor allem der Beruhigung der Gemüter dient, mit den drei- und vierstelligen Milliardenbeträgen, die auf die Konten der Banken und Großkonzerne fließen, wird deutlich, wie die herrschende Klasse die Krise benutzt, um sich weiter zu bereichern.

Bereits im März hat die Bundesregierung ein Notpaket für die Wirtschaft im Umfang von 756 Milliarden Euro beschlossen, von dem 600 Milliarden Euro für die Unterstützung von Großunternehmen und den dahinter stehenden Banken vorgesehen sind. Inzwischen haben sich die Finanzpakete der Regierung auf über 1,2 Billionen Euro erhöht.

Die Gewerkschaften treten wie gewohnt als Lobbyisten für die Unternehmen auf. So rechtfertigte DGB-Chef Hoffmann Anfang April das Finanzpaket: „Es ist ja völlig richtig, dass Sicherheit und Liquidität für Unternehmen garantiert wird.”

Um von der eigenen Rolle abzulenken, forderten Hoffmann und andere Gewerkschaftsführer die Erhöhung des Kurzarbeitergelds um 20 Prozent. Für viele Gering- und Normalverdiener seien 40 Prozent Einkommensverlust nicht zu verkraften.

Tatsächlich ist es für die meisten Arbeiter und ihre Familien schwierig bis unmöglich, allen finanziellen Verpflichtungen wie Miete, Strom, Ratenzahlungen und anderen Ausgaben nachzukommen, wenn sie auf 40 Prozent ihres Einkommens verzichten müssen. Daran ändert die stufenweise Erhöhung des Kurzarbeitergeldes aber wenig. Es unterstreicht nur die Verlogenheit von SPD- und Gewerkschaftsvertretern.

Es sind auch die SPD und die Gewerkschaften, die mit der Einführung und Unterstützung der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010 der Schröder-/Fischer-Regierung die Verantwortung für die Entstehung eines riesigen Niedriglohnsektors in Deutschland tragen.

Laut den neuen gesetzlichen Regelungen sollen auch Leiharbeiter Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Die bitteren Erfahrungen der letzten Jahre zeigen aber, dass Leiharbeiter und befristet Beschäftigte immer unter den ersten sind, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

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