Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen den Großmächten und der weltweiten Verschärfung des Klassenkampfs, treibt die herrschende Klasse Deutschlands ihre Kampagne für Militarismus und Krieg aggressiv voran. Auf die Ankündigung der Trump-Administration, möglicherweise 9500 der knapp 35.000 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen und in andere europäische Staaten zu verlagern, reagieren Politik und Medien mit trotziger Kritik und Rufen nach einer unabhängigeren deutsch-europäischen Kriegspolitik.
„Die Pläne zeigen erneut, dass die Trump-Administration eine elementare Führungsaufgabe vernachlässigt: die Einbindung der Bündnispartner in Entscheidungsprozesse“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul. Alle profitierten „vom Zusammenhalt des Bündnisses, nur Russland und China von Zwist“, fügte er warnend hinzu. Die US-Pläne seien „ein weiterer Weckruf an uns Europäer, auch sicherheitspolitisch unser Schicksal selbst entschiedener in die Hand zu nehmen“.
Ähnlich äußerten sich Vertreter der SPD und der Oppositionsparteien. Laut dem verteidigungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der SPD, Fritz Felgentreu, unterstreicht Trumps Plan, „dass die Verlässlichkeit der USA als Partner und Ordnungsmacht in Europa nicht mehr in traditioneller Weise gegeben ist“. Es werde „eine Bewährungsprobe für die europäische Sicherheitspolitik, wie sie sich darauf einstellt“. Dies gelte insbesondere für den „Unruheherd Russland“.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Tobias Lindner, bezeichnete Trump gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung als „transatlantischen Geisterfahrer“. Auf Twitter drohte er, dass sich die USA „am Ende nicht wundern“ müssten, „wenn es international plötzlich sehr einsam wird...“. Lindner hatte bereits im vergangenen Jahr in einem Gastbeitrag für die FAZ unter dem Titel „Warum grüne Außenpolitik die Bundeswehr braucht“ für das „langfristige Ziel einer europäischen Armee“ geworben.
Am aggressivsten tritt die Linkspartei für eine von den USA unabhängige deutsch-europäische Verteidigungspolitik ein. In einem Eintrag auf ihrer Facebook-Seite bezeichnet die ehemalige Fraktionsvorsitzende und Galionsfigur der Linken, Sarah Wagenknecht, den geplanten Abzug der US-Truppen als „einen guten Anfang“.
Die Bundesregierung solle sich nun „für einen Abzug aller hier noch stationierten 34.500 US-Soldaten“ und der „in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen“ einsetzen. Deutschland könne „durch größere Unabhängigkeit international eine wichtigere und positive Rolle spielen“. Es sei „höchste Zeit, dass Deutschland und die EU eine eigenständige Außenpolitik entwickeln, die Völkerrecht und Demokratie respektiert und sich für diplomatische Lösungen und Abrüstung einsetzt!“
Das ist die bekannte Propaganda. In Wirklichkeit sind der deutsche und europäische Imperialismus keinen Deut besser als der amerikanische. Die europäischen Mächte beteiligen sich seit langem an den völkerrechtswidrigen Eroberungsfeldzügen der USA im Nahen und Mittleren Osten und begehen Kriegsverbrechen. Wenn sie nun nach mehr Unabhängigkeit streben, geht es nicht um Abrüstung oder gar Demokratie, sondern darum, ihre eigenen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen umso brutaler durchzusetzen.
Vor allem der deutsche Imperialismus zeigt 75 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs wieder sein wahres Gesicht. Die deutschen Eliten rüsten massiv auf, etablieren mit der AfD eine rechtsextreme Partei und nutzen jede Gelegenheit, um die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik voranzutreiben.
In dem Konjunkturpaket, das die Große Koalition letzte Woche verabschiedete, sind allein zehn Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr vorgesehen. In Punkt 10 des Programms heißt es, dass insbesondere „Sicherheitsprojekte sowie neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil, die noch in den Jahren 2020 und 2021 beginnen können, sofort umgesetzt werden. (Projektvolumen: 10 Mrd. Euro)“. Zuvor hatte der Bundestag trotz der Corona-Pandemie bereits zahlreiche Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert und ausgeweitet und die Beschaffung von 138 Kampfjets auf den Weg gebracht.
In seiner Rede anlässlich der Eröffnung der 18. deutschen Botschafterkonferenz Ende Mai erklärte Außenminister Heiko Maas, Deutschland müsse die Auswirkungen der Corona-Pandemie nutzen, um seine außenpolitische Offensive zu forcieren. „Nehmen wir die Frage, wer im geopolitischen Ringen dieser Tage als vermeintlicher Sieger vom Platz geht. Die meisten Wetten lauten auf China. Aber ist es so einfach?“, fragte er drohend. Manche sähen die „EU bereits im Überlebenskampf“, aber im Zuge seiner EU-Präsidentschaft werde Deutschland ab dem 1. Juli „besondere Verantwortung dafür tragen, diesem Narrativ klar entgegenzutreten und zwar in Worten und Taten“.
Was das bedeutet, ist klar. Berlin verfolgt das Ziel, Europa zu dominieren, um eine Rolle als Weltmacht zu spielen und den Hunger der exportabhängigen deutschen Industrie nach Absatzmärkten und Rohstoffen zu stillen.
Maas erklärte, dass der „europäische Imperativ“ von „allen Mitgliedsstaaten“ verlange, „europäische Interessen als nationale Interessen zu begreifen, nationale Interessen auch europäisch zu denken – und natürlich auch entsprechend zu handeln“. Unter dem „Stichwort europäische Souveränität“ müsse man „Abhängigkeiten in strategisch wichtigen Bereichen dringend verringern: im Gesundheitssektor, aber genauso bei Energie, Informationstechnik, Ernährung, Logistik und Rohstoffen wie Seltenen Erden“.
Auch die bürgerlichen Medien schärfen ihren Lesern ein, dass sich Deutschland und Europa für zukünftige Großmachtkonflikte wappnen müssen – notfalls auch mit den USA.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwischen den USA, Russland und China die West-Ost-Ost-Konkurrenz verschärft, ist groß“, schreibt der frühere Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Kurt Kister in einem Kommentar zu Trumps Abzugsplänen. Und die USA würden sich, „auch wenn Trump nicht wiedergewählt werden sollte, mehr von Europa und dem Nachkriegsbündnis distanzieren“. Darauf müssten „die europäischen Nato-Staaten eine gemeinsame Antwort finden – sei es durch eine Neuausrichtung der Nato, sei es durch eine europäische Sicherheitsallianz, die mutmaßlich nicht aus dem Konsensapparat der EU erwachsen könnte“.
Wenn also Trump „die US-Streitkräfte in Deutschland verringern“ wolle, „soll er dies tun“, schreibt Kister. „Die Stationierung von US-Truppen in Deutschland“ liege „heute sicherheitspolitisch in erster Linie im Interesse der USA und ihres mehr oder weniger starken Engagements im Orient, am Golf und in Afrika“. Für Deutschland hätten sie lediglich „eine gewisse ökonomische Bedeutung, weil die jetzt noch 36.000 Militärangehörigen und ihre Familien die Wirtschaft beleben“. Mit Verweis auf die in Deutschland lagernden US-Atomwaffen erklärt Kister, dass man „die sogenannte nukleare Teilhabe auch anders sichern kann, wenn man das will“.
Andere Sprachrohre der herrschenden Klasse befürchten, dass ein vorschneller Abzug der US-Truppen den deutschen Imperialismus eher schwächt. In einem wütenden Kommentar unter dem Titel „Wahnsinn ohne Methode“ erklärt der notorische Kriegstreiber und Herausgeber der Zeit, Joseph Joffe, dass sich die USA mit einem Abzug ihrer Truppen nicht nur ins „eigene Fleisch“ schneiden würden, sondern „die Klinge freilich auch in die deutsche Flanke“ ginge.
Deutschland sei aktuell nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen – das heißt eigenständig Kriege zu führen. Wer die „strittige Scheidung“ wolle, müsse deshalb „belastbare Alternativen und nicht schöne, aber ferne Träume anbieten“. Deutschland „müsste Risiken schultern und Opfer akzeptieren, von den Aufrüstungsmilliarden ganz zu schweigen“.
Den USA schärft Joffe als Mitglied zahlreicher pro-amerikanischer Thinktanks ein, nicht zu vergessen, dass Deutschland „als Bastion US-amerikanischer Sicherheitspolitik in Europa und weiter weg fungiert – in Mittelost und Afrika“. Von hier aus werde „der Nachschub organisiert“. Die Luftwaffenbasis Ramstein beherberge das europäische Hauptquartier der Air Force sowie das Oberkommando der Nato-Luftstreitkräfte, und „von hier aus führten die USA Drohnenkrieg in Pakistan, Afghanistan und Somalia. Ramstein überwacht den Luftraum vom Nordkap bis zur Antarktis.“
Auch in den USA selbst haben Trumps Pläne heftige Reaktionen ausgelöst. Am Dienstag schickten 22 Kongressabgeordnete von Trumps eigener Republikanischer Partei einen Brief ans Weiße Haus und forderten den Präsidenten auf, die Pläne zu überdenken. „Wir glauben, dass diese Schritte die nationale Sicherheit der USA signifikant schwächen würden und zugleich unsere Position gegenüber Russland schwächen würden“, so die Abgeordneten.
Zuvor hatte bereits der frühere Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte in Europa, Generalleutnant Ben Hodges, Trumps Pläne als „kolossalen Fehler“ bezeichnet. Gegenüber dem Spiegel bezeichnete er „die in Deutschland stationierten US-Truppen“ als „essentiell für die Sicherheit Amerikas“ – vor allem in Bezug auf die Offensive der Nato gegen die Nuklearmacht Russland.
Egal wie sich die US-Administration am Ende entscheidet und wie Deutschland darauf reagiert – laut Bundesregierung sei Berlin zwar offiziell über die Abzugspläne informiert worden, eine abschließende Entscheidung stehe jedoch noch aus –, die Kriegsgefahr wächst. 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung der Sowjetunion führen die gleichen Widersprüche des Kapitalismus, die bereits im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege ausgelöst haben, wieder zu extremem Militarismus und Krieg.
Gleichzeitig wächst die Opposition gegen kapitalistische Gewalt, was aktuell die globalen Massenproteste gegen den Polizeimord an George Floyd zeigen. Die internationale Arbeiterklasse muss den Aufrüstungsplänen der kapitalistischen Regierungen nach innen und außen ihre eigene, unabhängige Strategie entgegenstellen und eine sozialistische Bewegung gegen Krieg und kapitalistische Unterdrückung aufbauen. Dafür kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei gemeinsam mit allen anderen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale weltweit.