Omikron fegt durch die Betriebe

Die Omikron-Welle fegt durch die Betriebe, und die Arbeiter bezahlen einen hohen Preis. Die Corona-Todesfälle nähern sich in Deutschland der 120.000-Marke. Das sind 120.000 Menschen, die zu früh und unnötigerweise gestorben sind und Söhne und Töchter, Enkel, Partner, Freunde, Kollegen hinterlassen. Viele hunderttausend Weitere, die die Seuche überstehen, riskieren Spätfolgen wie Long Covid.

Seit Beginn der Pandemie sind die sogenannt „systemrelevanten“ Branchen – das Gesundheits- und Sozialwesen, die Schulen, die Verkehrsbetriebe und die Logistik – besonders stark von Infektionen betroffen. Seit November, d.h. mit Ausbruch der Omikron-Variante, registrieren die Krankenkassen immer stärkere Ausbrüche auch in Betrieben der Privatindustrie, im Autobau, der Fahrzeugtechnik, der Metallverarbeitung, der Kunststoff- und Kautschuk-Herstellung und in Maschinenbau und Betriebstechnik.

Seit Beginn der Pandemie dringen indes kaum Zahlen über Covid-19-Erkrankungen aus den Betrieben an die Öffentlichkeit. Die Wirtschaft soll laufen, damit die Profite weiter sprudeln. Deshalb werden auch die Schulen offengehalten, wo die Pandemie gerade ungehindert wütet. Aus den Betrieben dringen nur einzelne, jedoch typische Streiflichter, die Einblick ins Infektionsgeschehen erlauben.

Arbeiter in einem Schlachthof bei der Fleischverarbeitung (Wikipedia Commons)

Am 20. Januar, als die täglichen Neuinfektionen erstmals 100.000 überstiegen, publizierte das Handelsblatt eine Umfrage unter mehreren DAX-Konzernen und kleineren Unternehmen und zog den Schluss: „So gut wie überall bekommen Unternehmen den Anstieg bei den Infektionszahlen zu spüren – wenn auch in unterschiedlicher Intensität.“

So steige beispielsweise der Krankenstand bei MN Maschinenbau in Sachsen kontinuierlich an, und Ende Januar fehlten neun von 100 Beschäftigten. Der Triebwerkshersteller MTU notiere seit Jahresbeginn einen „deutlichen Anstieg der Infektionszahlen“, ähnlich sei die Lage beim Chiphersteller Infineon. Dem Bericht zufolge halten mehrere Betriebe Reservepersonal in Bereitschaft und heuern zusätzliche Leiharbeiter an, um Corona-Ausfälle aufzufangen. Dies sei beispielsweise bei BMW der Fall, wie auch bei dem Laserspezialisten Trumpf in Österreich und der Schweiz.

Auch Opel in Rüsselsheim ist gerade dabei, „eine mittlere dreistellige Zahl“ von Leiharbeitern über Adecco einzustellen, wie die WirtschaftsWoche berichtet hat. Der Autobauer, der heute zu Stellantis gehört, hat seit der Übernahme durch PSA mehrere tausend Stellen abgebaut; allein seit Anfang 2020 mussten 2100 Beschäftigte gehen. Jetzt jedoch werden Arbeiter eingestellt, damit „auch Ausfälle durch die Omikron-Welle“ kompensiert werden könnten, wie das Opel-Management erklärte. In Rüsselsheim haben sich seit der Omikron-Welle mehr Menschen mit Corona angesteckt als im ganzen letzten Jahr.

Bei VW in Wolfsburg erreichte am 8. Februar die Meldung die Öffentlichkeit, dass die Lackiererei in dieser Woche als Folge von gehäuften Corona-Krankmeldungen „erneute Schichtabsagen“ anordnen werde. Bei VW ist es besonders schwer, Einzelheiten über erkrankte Kollegen zu erfahren.

Alle Berichte deuten darauf hin, dass sich seit Jahresbeginn 2022 ungewöhnlich viele Beschäftigte mit SARS-CoV-2 angesteckt haben. Laut einer Studie der AOK hatten mehr als 130.000 oder 5,5 Prozent der 2,4 Millionen Beschäftigten, die bei der AOK Baden-Württemberg versichert sind, im Zeitraum von März 2020 bis November 2021 eine Krankschreibung wegen einer Covid-19-Diagnose. Davon erkrankten fast 20 Prozent allein im Monat November 2021! Sicher haben sich seither in den Monaten Dezember 2021 und Januar 2022 noch viel mehr Arbeiter angesteckt.

In der Energiewirtschaft erkranken gerade so viele Beschäftigte, dass das Management zusätzliches Personal schulen lässt und Mitarbeiter, die vor kurzem in Rente gingen, wieder zurückholt oder in Bereitschaft versetzt. Dies sagte ein Sprecher des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) dem News-Portal ntv.de.

Schlimm ist die Lage auf den Schlachthöfen. Die Corona-Neuinfektionen steigen seit Wochen, vor allem in der Tierzerlegung, wo die Arbeiter dicht an dicht sitzen. Dort hat das Virus ideale Bedingungen zur Ausbreitung, und Arbeiter können sich kaum schützen.

Auch hier werden die Ausbrüche nicht etwa durch alarmierte Gesundheitsämter oder die Gewerkschaft NGG bekannt, sondern durch das Jammern der Unternehmer, die um ihre Profite fürchten. So hat die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG) sich am 24. Januar beschwert, dass die Notierung für Schlachtschweine unter Druck geraten sei, denn „aufgrund der stark steigenden Corona-Neuinfektionen fehlten in den Schlachthöfen, vor allem in der Zerlegung, Mitarbeiter“.

Der Schlachthof Aalen (Baden-Württemberg) ist aufgrund einer nicht genannten Zahl von Corona-Infektionen seit Anfang Februar geschlossen. Auch im Schlachthof Bamberg und im Rinder-Schlachthof Danish Crown in Husum gibt es neue Corona-Ausbrüche. Wie am 1. Februar bekannt wurde, haben sich im Husumer Betrieb 120 Beschäftigte mit Corona infiziert.

Im ersten Pandemiesommer 2020 waren vor allem die Schlachthöfe von Tönnies im Kreis Gütersloh (NRW) als Corona-Hotspots berüchtigt. Über 1500 Beschäftigte infizierten sich dort mit dem Corona-Virus. Die SPD beschloss damals ein neues „Arbeitsschutzkontrollgesetz”, und sowohl der Inhaber Clemens Tönnies als auch die Kreis- und Landesregierungen versprachen, die miserablen Arbeits- und Wohnbedingungen abzustellen.

Das waren nichts als leere Worte. Heute gibt es erneut Berichte über Corona-Ausbrüche bei Tönnies. Davon, sowie über lebensgefährliche Verstöße gegen den Arbeitsschutz und illegale Kündigungen im Krankheitsfall, berichtete am 2. Februar das ZDF-Magazin „Frontal“.

Besonders schlimm wütet Omikron derzeit im öffentlichen Nahverkehr. Städte wie Berlin, Leipzig, Hamburg, Augsburg, Chemnitz, Frankfurt am Main und viele weitere müssen wegen des anhaltend hohen Krankenstands Fahrpläne ausdünnen und Strecken stilllegen.

In NRW haben dies in den letzten Tagen unter anderem die Städte Hamm, Remscheid, Mönchengladbach, Herne und Castrop-Rauxel getan, und Bielefeld hat zusätzlich den Nachtbus eingestellt. Im Rhein-Main-Gebiet wird seit Tagen der Nahverkehr in Wiesbaden und Frankfurt eingeschränkt. In Wiesbaden sind auch Schulbuslinien betroffen, was dazu führt, dass in den noch fahrenden Bussen das Gedränge – und die Corona-Gefahr – entsprechend hoch sind.

Am 7. Februar berichtete das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über eine „branchenübergreifende Blitzabfrage“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Von 370 Unternehmern bezeichnete jeder vierte seine aktuellen Personalausfälle als „erheblich“. Weitere 4 Prozent schätzten ihre personelle Unterbesetzung sogar als „kritisch“ für die Aufrechterhaltung ihrer Aufgaben ein. 31 Betriebe in der Gesundheitsversorgung gaben an, dass die Auswirkungen „erheblich“ seien, bei den Transport- und Logistik-Unternehmen waren es sogar 36 Prozent. Praktisch alle Betriebe rechnen damit, dass sich die Lage noch verschärfen werde.

Das RND leitete diese Informationen mit dem Satz ein: „Die deutsche Wirtschaft leidet unter den Folgen der aktuellen Corona-Welle.“ Dieses Unternehmer-Lamento war mit der Forderung an die Regierung nach Verkürzung der Quarantänezeiten verbunden. Das zeigt deutlich, dass nicht der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, sondern die Profitmaximierung im Zentrum der Erwägungen steht.

Wie es den Arbeitern dabei geht, danach fragt niemand. Mehr als elf Millionen Menschen haben sich nach offiziellen Zahlen bisher insgesamt mit SARS-CoV-2 infiziert, allein vier Millionen davon seit Jahresbeginn 2022. Im letzten Monat haben rund 5000 Menschen, 175 pro Tag, das Virus mit dem Tod bezahlt.

Dabei wäre alles ganz anders möglich. Hätte man gleich zu Beginn der Pandemie auf die Wissenschaft gehört und eine globale Strategie zur Eliminierung des Virus eingeschlagen, wie beispielsweise bei der Ausrottung der Masern und der Pocken, dann könnten weltweit mehrere Millionen Menschen heute noch leben.

China hat es vorgemacht: Im Gegensatz zu den meisten Regierungen verfolgt China eine Strategie, die das Virus mittels einer Kombination aus Impfen, systematischem Testen, Kontaktverfolgen und temporären Shutdowns immer wieder eliminiert. Das mit 1,4 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste Land der Welt hat bisher weniger als 5000 Todesfälle und knapp 100.000 Krankheitsfälle zu verzeichnen.

Auch heute wäre es immer noch möglich, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen und die tödliche Seuche international gemeinsam zu besiegen. Allerdings ist das nur im Kampf gegen die Ampel-Koalition in Berlin und ihre Gegenstücke in allen anderen Ländern möglich, die im Interesse des Kapitals dabei sind, die Schulen und die ganze Gesellschaft bewusst zu „durchseuchen“. Im Vordergrund steht nicht das Leben der Menschen, sondern der Profit der kapitalistischen Konzerne.

Auch die Gewerkschaften sind integraler Teil dieser Verschwörung, die Arbeiter unter lebensgefährlichen Pandemiebedingungen zur Arbeit zwingt. Auch sie verheimlichen systematisch die Corona-Ausbrüche in den Betrieben und verharmlosen die Folgen.

Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, hat erklärt, die Faktenlage spreche „nicht dafür, die Industrie stillzulegen, um die Zahl der Corona-Ansteckungen zu senken. […] Ein Runterfahren der Industrie hätte heftigste volkswirtschaftliche Konsequenzen.“

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ließ von Anfang an auf ihrer Website verlauten, es gehöre zum „allgemeinen Lebensrisiko“, sich anzustecken, auch am Arbeitsplatz. Und die Lehrergewerkschaft GEW hat sich dafür stark gemacht, die Schulen um jeden Preis offen zu halten.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und die World Socialist Web Site rufen die Arbeiter dazu auf, dies nicht hinzunehmen und sich unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees zu organisieren, um den Kampf gegen die Pandemie zu führen.

Auch an den Schulen entwickelt sich Widerstand gegen die Durchseuchungspolitik der Regierung. Die Jugendorganisation der Vierten Internationale, die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), ruft in einer Erklärung zum Aufbau unabhängiger Aktionskomitees auf.

In der Erklärung heißt es: „Ein Gesellschaftssystem, das für Profite über Leichen geht und die Gesundheit und die Zukunft ganzer Generationen zerstört, muss abgeschafft und durch ein System ersetzt werden, das dem Leben Vorrang vor Profiten gibt. Der Kampf gegen die Pandemie ist wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit und Krieg im Kern ein Kampf gegen den Kapitalismus und für Sozialismus.“

Wir rufen alle unsere Leser auf, an diesem Kampf teilzunehmen. Schreibt uns über eure Erfahrungen mit der Pandemie, damit wir auf der WSWS das wirkliche Ausmaß der Infektionen aufzeigen können.

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