Ukraine meldet 60 Tote und 100 Verwundete nach Explosionen auf der Krim

Anton Geraschenko, ein Berater des ukrainischen Innenministers, behauptete am Donnerstag, bei einer Reihe von Explosionen auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Saky auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim seien am Dienstag 60 Piloten und Techniker getötet und 100 Menschen verwundet worden. Der Luftwaffenstützpunkt war seit der Annektierung der Krim durch Russland im Jahr 2014 Standort des russischen 43. Unabhängigen Marine-Luftlandegeschwaders.

Bis zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels haben russische Regierungsvertreter die Behauptung nicht dementiert. Sie haben lediglich bestätigt, dass es einen Toten und 14 Verwundete gegeben hat. Während der Kreml bewusst versucht, die Bedeutung des Vorfalls herunterzuspielen, deuten immer neue Informationen darauf hin, dass er weitaus schwerwiegender war als die russischen Regierungsvertreter zugeben wollen.

Die Explosionen am Dienstag ereigneten sich in der Nähe eines Urlaubsortes, sodass tausende Touristen in Panik versetzt wurden und einige die Halbinsel sofort verlassen wollten. Ein Einwohner erklärte gegenüber Associated Press, er habe einen Knall gehört und aus seinem Fenster eine Pilzwolke gesehen, „dann fing alles an umherzufliegen und einzustürzen“.

Die Behörden der Krim haben eingeräumt, dass 62 Wohn- und 20 Geschäftsgebäude beschädigt wurden und mindestens 250 Menschen vorübergehend evakuiert werden mussten. Satellitenbilder zeigen scheinbar, dass etwa zwei Quadratkilometer Graslandschaft um den Luftwaffenstützpunkt verbrannt sind und zwei Gebäude zerstört wurden.

Diese Bilder deuten auch darauf hin, dass mindestens sieben russische Kampfflugzeuge zerstört und zwei weitere beschädigt wurden. Dies wäre der größte Verlust von russischen Militärflugzeugen an einem Tag seit dem Zweiten Weltkrieg. Laut den Satellitenbildern handelt es sich bei den zerstörten Flugzeugen um Kampfflugzeuge der Typen Su-24 und Su-30, die mehr als 24 Millionen Dollar pro Stück kosten.

Die Ukraine hat offiziell nicht zugegeben, dass sie die Krim angegriffen hat. Allerdings beanspruchte Oleksi Arestowitsch, ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, faktisch die Verantwortung der Ukraine für die Explosionen und erklärte, sie seien entweder durch ukrainische Langstreckenwaffen oder ukrainische Guerillagruppen auf der Krim verursacht worden. Selenskyj erwähnte die Explosionen am Dienstag zwar nicht ausdrücklich, erklärte aber: „Die Krim ist ukrainisch, und wir werden sie niemals aufgeben.“

Die Reaktion des Kremls auf die Explosionen auf der Krim erinnerte an seine Reaktion auf den demütigenden Verlust der Moskwa, des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte, im März. Die russische Regierung versucht offenbar, die Tatsache herunterzuspielen, dass sie einen schweren militärischen Rückschlag erlitten hat und eine potenziell schwere Eskalation des Kriegs droht. Deshalb bestritt sie vehement, dass die Explosionen auf einen ukrainischen Angriff zurückgehen und erklärte, sie seien durch die Explosion eines Munitionslagers verursacht worden. Die russischen Medien, die den Krieg nur als „militärische Spezialoperation“ bezeichnen dürfen, haben die Berichterstattung über den Vorfall praktisch vollständig eingestellt.

Der Luftwaffenstützpunkt Saky liegt mindestens 200 Kilometer von der nächstgelegenen ukrainischen Militärstellung entfernt, und keine der Waffen und Munition, die sich offiziell im Arsenal des ukrainischen Militärs befinden, können aus so großer Entfernung Ziele treffen. Die Munition für das amerikanische HIMARS-Raketensystem, das die USA offiziell seit Mai liefern, hat nur eine Reichweite von 80 Kilometern.

Laut dem Spiegel wurden die Explosionen möglicherweise von einer ukrainischen Kurzstreckenrakete des Typs Grim-2 verursacht, die sich seit 2003 in der Entwicklung befindet und Ziele in einer Entfernung von 280 Kilometern treffen kann. Alternativ könnte die Ukraine laut Spiegel auch eine modifizierte Neptun-Rakete eingesetzt haben, mit der auch die Moskwa versenkt wurde. In beiden Szenarien hätten die russischen Raketenabwehrsysteme auf der Krim nur durch amerikanische Anti-Radar-Raketen vom Typ AGM-88 umgangen werden können. Die Überreste einer solchen Rakete wurden vor kurzem auf ukrainischem Gebiet gefunden, obwohl die USA nicht bestätigt haben, dass AGM-88-Raketen zu den Waffen und der Munition gehören, die sie offiziell an die Ukraine geliefert haben.

Der Spiegel schrieb, dies könne bedeuten, dass Kiews wichtigste Partner der Ukraine heimlich noch andere Waffen geliefert haben, wie das MGM-140 Army Tactical Missile System (ATACMS). Das ATACMS kann von amerikanischen HIMARS- sowie von deutschen und britischen M-270-Mehrfachraketen-Systemen benutzt werden, die in den letzten Wochen in der Ukraine stationiert wurden und vor allem der russischen Logistik ernsthafte Probleme bereitet haben. Derzeit beträgt die Reichweite dieser Raketensysteme mit GMLRS-Raketen nur bis zu 80 Kilometer, mit ATACMS könnten sie jedoch bis zu 300 Kilometer erreichen, was Angriffe auf die Krim möglich machen würde.

Die Explosionen auf der Krim ereigneten sich vor dem Hintergrund immer aggressiverer Drohungen des ukrainischen Militärs und von Präsident Wolodymyr Selenskyj, man sei zur „Rückeroberung der Krim“ entschlossen. Dass die „Rückeroberung der Krim“ im März 2021 mit Unterstützung der USA als offizielle ukrainische Militärdoktrin verabschiedet wurde, war ein wichtiger Faktor dabei, Russland zur Invasion am 24. Februar zu provozieren. Russische Regierungsvertreter haben mehrfach gewarnt, sie könnten auf jeden Angriff auf die Krim mit Atomwaffen reagieren. Im Juli lehnte es ein Sprecher des Pentagon ausdrücklich ab, den Einsatz amerikanischer Raketen gegen die von Russland gebaute Krim-Brücke von Kertsch auszuschließen, die die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet.

David Ignatius veröffentlichte eine Kolumne in der Washington Post, in der er den mutmaßlichen ukrainischen Angriff auf die Krim als Beginn einer seit langem angekündigten „Süd-Offensive“ bezeichnete. Russische Truppen haben bisher etwa ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets besetzt, darunter den Großteil des Ostens und beträchtliche Teile des Südens. Es wird erwartet, dass der Kreml in diesen Gebieten in den kommenden Wochen Referenden über den Beitritt zu Russland durchführen wird. Eine ukrainische Offensive würde vor allem darauf abzielen, einer solchen Entwicklung zuvorzukommen.

Es steht außer Frage, dass jede Offensive und jeder Angriff auf die Krim nicht nur mit den Waffen und der Munition durchgeführt wurde, die Kiew von den imperialistischen Mächten erhalten hat, sondern auch im Vorfeld in engster Beratung mit Washington diskutiert und vorbereitet wurde. Nachdem die USA, Großbritannien, Deutschland und die anderen Nato-Mächte im Jahr 2014 in Kiew einen Putsch inszeniert hatten, um ein Nato-konformes Regime einzusetzen und das Land in eine Startrampe für einen Krieg gegen Russland zu verwandeln, haben sie alleine seit Februar Waffen und Munition im Wert von zweistelligen Milliardenbeträgen geliefert. Erst am Montag bewilligte die Biden-Regierung das größte einzelne Militärhilfepaket für die Ukraine im Wert von einer Milliarde Dollar, das u.a. Munition für das HIMARS-Raketensystem und 1.000 Javelin-Raketen enthält.

Nur eine Woche vor den Explosionen auf der Krim hatte der stellvertretende Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Wadim Skibitzki, in einem provokanten Interview mit dem britischen Telegraph zugegeben, dass jedem ukrainischen Angriff auf russische Ziele Diskussionen mit den USA vorausgingen. Dies würde es Washington „erlauben, alle potenziellen Angriffe zu stoppen, wenn sie mit dem beabsichtigten Ziel unzufrieden sind“. Skibitzki erklärte außerdem, die USA würden Echtzeitinformationen für Angriffe auf russische Ziele liefern.

Der imperialistische Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine hat bereits mehr als 5.000 Zivilisten das Leben gekostet, die Zahl der getöteten Soldaten auf beiden Seiten geht Schätzungen zufolge in die Zehntausende. Mehr als ein Viertel der ukrainischen Vorkriegsbevölkerung von unter 40 Millionen sind zu Flüchtlingen geworden. Eine Offensive im Süden und ein Versuch der Ukraine, die Krim „zurückzuerobern“, würde das Leben Tausender, wenn nicht gar Millionen weiterer Menschen direkt bedrohen, während der US-Imperialismus im Pazifik gleichzeitig seine Kriegsprovokationen gegen China über Taiwan eskaliert.

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