Junge chinesische Filmemacher und die gesellschaftliche Realität

Die hier besprochenen Filme wurden während des Chai Chinese Film Festival in Leipzig vom 25. bis 28. Mai 2022 gezeigt.

Im vergangenen Monat gab die chinesische Regierung bekannt, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zwischen April und Juni nur um 0,4 Prozent gewachsen sei. Die Arbeitslosenquote für städtische Jugendliche im Alter von 16 bis 24 Jahren lag im Juni bei 19,3 Prozent und weist seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2018 generell eine steigende Tendenz auf.

Eine seit langem befürchtete Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt, der seit der globalen Finanzkrise von 2008 eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums und der sozialen Stabilität spielt, wurde im vergangenen Jahr durch den Ausfall des Immobilienentwicklers Evergrande ausgelöst.

Die akute soziale Ungleichheit und die schwindenden Möglichkeiten für die jüngeren Generationen haben Filmemacher angeregt, die gegenwärtigen sozialen Bedingungen in China zu dokumentieren und zu hinterfragen.

Auf dem Festival wurden Filme über die Pandemie, existenzielle Kämpfe und deren Auswirkungen auf romantische und familiäre Beziehungen gezeigt. Das Fehlen einer politischen und historischen Perspektive bleibt jedoch ein ernsthaftes Hindernis.

“The Ark” von Dan Wei

Das war besonders in The Ark zu spüren, einem 101-minütigen Dokumentarfilm über den Tod der Großmutter des Regisseurs Wei Dan, der Anfang 2020 gedreht wurde. Es ist sein zweites Werk nach dem Spielfilm Warm House (2018).

Der Film beginnt mit einer schwarzen Leinwand und Zhangs Schmerzenslauten. Der Sterbeprozess wird bis ins kleinste Detail dokumentiert. Im Laufe des Films wird der Zuschauer Zeuge des Inhalts von Kolostomiebeuteln, der Details von Zhangs Operation und einer erschütternden Szene, in der sie desorientiert und schreiend nach Luft ringt.

Alles ist in schwarz-weiß und im Verhältnis 1:1 gedreht. Der Zuschauer muss sich den Kontext des Familiendramas aus den Gesprächen auf dem Bildschirm zusammensetzen, was manchmal verwirrend sein kann.

Obwohl der Dokumentarfilm sich stark auf subjektives Leiden fokussiert, erhalten wir einen Einblick in den breiteren gesellschaftlichen Kontext, in dem es stattfindet. Familienmitglieder besprechen, ob sie die Ärzte bestechen sollen, um eine bessere Behandlung zu ermöglichen. Die Ein-Kind-Politik wird ebenso erwähnt wie die Kosten, die heutzutage für die Kindererziehung anfallen, wobei ein männlicher Verwandter erklärt: „Diese Kinder werden dich umbringen... eine Frau zu bekommen, eine Wohnung zu kaufen...“.

„So ein krankes Land,“ fügt eine weibliche Verwandte hinzu.

Zhang Xiuhuas ältester Sohn kann kaum für die Behandlung aufkommen und ruft Bekannte an, um sich Geld zu leihen. Seine Frau und seine Schwester schämen sich, als sie davon erfahren, und schimpfen ihn aus. Das Geld, das eigentlich für die Ausbildung seiner Kinder gedacht war, wird in die aufwendige Behandlung der Großmutter investiert.

Irgendwann sagt er ins Leere: „Ich könnte meinen Job verlieren, die Epidemie ist immer noch außer Kontrolle… Was soll ich tun?“

Die Pandemie als solche ist in dem Dokumentarfilm kaum präsent. Wir sehen das Krankenhauspersonal, das die Flure säubert, Nachrichtensprecher im Fernsehen und ein Viertel, das unter Quarantäne steht.

Die Szenen, in denen Zhangs Familie sich liebevoll um ihre Bedürfnisse kümmert und gegenseitig in ihrer Trauer unterstützt, sind berührend, vor allem angesichts der unmenschlichen Politik der Regierungen in anderen Ländern der Welt, die den Tod älterer Menschen im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie normalisiert haben.

Kritiker haben Dans Film als „persönlich“ bezeichnet und seinen emotional ergreifenden Charakter hervorgehoben. Dan sagte, er habe gehofft, das Dilemma und den mentalen Zustand einer chinesischen Familie widerzuspiegeln und eine zwischenmenschliche Verbindung in Zeiten der Pandemie herzustellen.

Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem das ständige emotionale Aufrütteln des Zuschauers, das verbinden soll, nach hinten losgeht und ihn taub und frustriert zurücklässt. Wie kann man wirklich berührt sein oder etwas aus einem Werk gewinnen, das uns Leiden ohne wirklichen Kontext um die Ohren wirft? Hat dieser Film abseits der emotionalen Verarbeitung für den Regisseur einen Zweck?

Am Ende bleibt ein überwältigendes Gefühl der Depression und Hoffnungslosigkeit zurück und die Frage: „Gut aber wie ist es so gekommen?“ Dan hat nur Verweise auf die Bibel und insbesondere auf die Arche Noah zu bieten. Die Botschaft lautet offenbar, die einzige Hoffnung, den Leiden der Welt zu entkommen, liege im Jenseits.

“The Great Happiness” von Wang Yiao

The Great Happiness von Wang Yiao, eine Mischung aus Drama und Komödie, ist dagegen eine aufschlussreiche und fesselnde Darstellung der Generation des Regisseurs, die während der Ein-Kind-Politik geboren wurde.

Die Geschichte spielt in Xining in der Provinz Qinhai und handelt von drei Freunden, die versuchen, ihr Leben als Erwachsene zu beginnen und die kulturellen und sozialen Erwartungen der vergangenen Generationen zu erfüllen.

Der Film beginnt mit schwindelerregenden Aufnahmen von endlosen, identischen Hochhäusern und einem unsichtbaren Protagonisten, der erklärt: „Der Wert des chinesischen Individuums wird in Quadratmetern gemessen.“ „Warum haben sie so viele Gebäude gebaut? Leben da überhaupt Menschen drin?“, fragt er.

Wir lernen zunächst Xinings Eltern kennen, die auf einer Couch in einer Kinderwunschklinik sitzen. Sie erinnern sich an die goldenen Zeiten der 80er Jahre, als sie zu den ersten Familien gehörten, die sich dank einer Anstellung in einer Fabrik einen Fernseher und eine Waschmaschine leisten konnte. Als die Fabrik den ökonomischen Reformen zum Opfer fiel, wurde der Vater entlassen. Jetzt setzen sie all ihre Hoffnungen und Ersparnisse in die IVF-Behandlung für ihre Schwiegertochter. Xining scheint der am wenigsten beunruhigte und bodenständigste der drei Freunde zu sein und hat am Ende des Films sowohl im privaten als auch im beruflichen Leben Erfolg.

Li, der bald heiraten wird, möchte Bauunternehmer werden und ist auf das Geld seiner Eltern angewiesen, um die Projekte zu finanzieren, die er mit seinen Freunden Xining und Sua verwirklichen möchte. Er versucht, den Schein eines aufstrebenden Unternehmers mit grenzwertig kriminellen Tendenzen aufrechtzuerhalten. Er leiht sich einen BMW, trägt ein temporäres Tattoo, gibt Geld aus, das er nicht besitzt, und macht Geschäfte mit zwielichtigen Gestalten, die ihn offensichtlich einschüchtern. Auch wenn er die meiste Zeit einen unsympathischen und anmaßenden Eindruck macht, lassen einige Szenen vermuten, dass er nicht weniger unsicher und verletzlich ist als seine Freunde, was sein Ende umso tragischer macht.

Schließlich haben wir Sua, einen idealistischen und künstlerisch veranlagten Architekten, der vom seelenlosen Baustil der chinesischen Städte frustriert und mit seinem Liebesleben unzufrieden ist. Seine Verlobte Lisa, die einen strengen und kalten Eindruck macht, möchte vor der Heirat keinen Sex und kritisiert Suas Freundschaft mit Li, weil er angeblich „schmutzige Dinge von ihm lernt“.

Wie abzusehen, betrügt Sua sie, während sie nach Großbritannien verreist, was schließlich zum Ende ihrer Beziehung führt. Dennoch unterstützt ihn Lisa, als seine Mutter krank wird, und schlägt als erste vor, ihre neue gemeinsame Wohnung zu verkaufen, um die Behandlung zu finanzieren.

Suas geschäftliche Beziehung mit Li und Xining spitzt sich zu, als sie seine Originalentwürfe für die neuen Kindergärten ablehnen und ihm vorschlagen, Entwürfe von „Alibaba“ zu verwenden, die dem Geschmack der breiten Bevölkerung besser entsprechen. Wütend entfernt er die Bilder von Bill Gates und anderen berühmten „Selfmade“-Geschäftsmännern aus ihrem gemeinsamen Büro und stürmt davon. Als Li stirbt, steigt Sua aus dem Projekt aus und überlässt seine Anteile Xining.

Die Themen des Films kommen im heutigen chinesischen Kino häufiger vor.

Die Ein-Kind-Politik, die Ende der 1970er Jahre von Deng Xiaoping eingeführt wurde, war ein undemokratischer und fehlgeleiteter Versuch, die „wirtschaftliche Rückständigkeit“ Chinas zu bekämpfen. Deng machte dafür die „Überbevölkerung“ verantwortlich und nicht den Bankrott des stalinistischen Programms des „Sozialismus in einem Land“.

Das Scheitern dieses Programms veranlasste die Bürokratie, China auf kapitalistischer Grundlage wieder in den Weltmarkt zu integrieren, ein Prozess, der 1979 begann und die Öffnung für ausländische Investitionen, ein Ende der Wirtschaftsplanung und die Einführung privater Unternehmen umfasste. Im Jahr 1996 wurde eine Welle von Industriereformen zur Schließung großer Teile der staatlichen Industrie durchgeführt, mit dem Ziel, Massenarbeitslosigkeit zu verursachen und das System der lebenslangen Beschäftigung oder „eisernen Reisschüssel“ zu beenden.

Die Folgen dieser Entwicklungen werden in Great Happiness deutlich: der enorme Druck, der auf der in den 1980er und 1990er Jahren geborenen Generation lastet, von der erwartet wird, dass sie ihre Eltern und Großeltern in einer schrumpfenden Wirtschaft unterstützen; die Vergiftung romantischer Beziehungen durch das enorme Geschlechtergefälle und den familiären Druck sowie die Verarmung des intellektuellen und kulturellen Lebens in einer Gesellschaft, in der Geld im Mittelpunkt steht.

Die Figuren in Wangs Film werden ungeachtet ihrer Entscheidungen einfühlsam porträtiert. Es werden humorvolle Szenen eingestreut, von denen einige an Albernheit grenzen, die aber zu dem insgesamt absurden und entgeisterten Ton passen. Der Film vermittelt auch Gefühle von Einsamkeit und Entfremdung. Er hat eine beachtliche Laufzeit von 150 Minuten, was auf ein echtes Interesse am Erfassen und Verarbeiten der Realitäten zurückzuführen ist, mit denen die Figuren und die Generation des Regisseurs konfrontiert sind.

In einem Grußwort an das Publikum, das vor der Vorführung verlesen wurde, erklärte Wang Yiao, dass seine Eltern mit seiner Berufswahl unzufrieden seien und sich für ihn eine Karriere als Beamter wünschten. Er witzelte, dass der Preis für „bester erster Film“, den er vor kurzem erhalten habe, sie vielleicht höchstens drei Jahre lang ruhig halten werde. Wir hoffen, dass er sich als Filmemacher weiterentwickeln kann und freuen uns auf sein nächstes Projekt.

Loading