Erneut schwere Explosionen in russischer Militärbasis auf der Krim

Genau eine Woche, nachdem sechs Explosionen den russischen Luftwaffenstützpunkt Saky im Norden der Krim verwüstet hatten, erschütterte eine Serie schwerer Explosionen eine weitere Militärbasis in einer benachbarten Region der Schwarzmeerhalbinsel. Russland hat die Krim im März 2014 annektiert, nachdem die USA in Kiew einen rechtsextremen Putsch unterstützt hatten. 

Rauch steigt auf am 16. August 2022 in der Nähe des Dorfs Maiskoje auf der Krim (AP Photo)

Der Kreml hat zwar versucht, die Explosionen letzte Woche herunterzuspielen, doch laut ukrainischen Angaben wurden 60 Menschen getötet und 100 weitere verwundet. Satellitenbilder zeigen, dass scheinbar mindestens sieben russische Kampfjets der Typen Su-24 und Su-34 zerstört und zwei weitere schwer beschädigt wurden. Dies wäre der größte Verlust für die russischen Luftstreitkräfte an einem einzigen Tag seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die jüngsten Explosionen ereigneten sich am Dienstag um 6:15 Uhr morgens Ortszeit und trafen eine Militärbasis und ein Umspannwerk nahe der Dörfer Maiskoje und Dschankoiskoje. Ein großes Munitionslager explodierte, die örtliche Energieversorgung wurde unterbrochen und Wohngebäude beschädigt. Auch Teile des örtlichen Eisenbahnnetzes wurden beschädigt, auf dem Berichten zufolge militärische Ausrüstung für die in der Ukraine kämpfenden russischen Truppen transportiert wird. Die Bahn musste einen Großteil des Dienstags ihren Betrieb einstellen.

Laut den lokalen Behörden wurden mehr als 3.000 Menschen evakuiert – das sind mehr als zehnmal so viele wie nach den Explosionen in der vergangenen Woche. Über den Norden der Krim wurde der Ausnahmezustand verhängt und um den Ort der Explosionen eine Sicherheitszone mit einem Radius von fünf Kilometern eingerichtet. Offiziellen Angaben zufolge wurden nur zwei Menschen verwundet.

Genau wie bei den Explosionen letzte Woche beharrt der Kreml darauf, dass es sich um „Sabotageakte“ handelte. Die Regierung weigert sich, die Beteiligung der Ukraine zuzugeben. Wladimir Konstantinow, ein führendes Mitglied der Regierungspartei Einiges Russland und Vorsitzender des Staatsrats der Krim, widersprach auf seinem Telegram-Kanal scheinbar der Darstellung des Kreml: „Eins ist bereits klar: Eine Agentur des terroristischen Kiewer Regimes hat das Signal zum Losschlagen bekommen. Und weil sie keine großen Ziele in Angriff nehmen kann, versucht sie, in kleinerem Ausmaß Schaden anzurichten.“ Konstantinow rief dazu auf, die „Entscheidungszentren“ anzugreifen, da dies die „wirkungsvollste und zeitnahste Maßnahme“ sei.

Die Ukraine hat zwar noch nicht offiziell die Verantwortung für die Explosionen übernommen, doch führende Regierungsvertreter haben mit höhnischen Erklärungen faktisch zugegeben, dass die Ukraine dahintersteckt. Nur wenige Minuten nach Bekanntwerden der Explosionen schrieb der wichtigste Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem provokanten Tweet: „Die ukrainischen Streitkräfte setzen die filigrane Operation ,Entmilitarisierung‘ fort, um unser Land vollständig von den russischen Invasoren zu befreien. Unsere Soldaten sind die besten Sponsoren für gute Stimmung. Die Krim gehört der Ukraine.“ Selenskyj schrieb am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal, die Ukrainer sollten sich möglichst von den russischen Militärstützpunkten auf der Krim und in der Ostukraine fernhalten. Das ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass weitere Angriffe kommen werden.

Die amerikanische Presse, die letzte Woche ungewöhnlich zurückhaltend über die Explosionen berichtet hatte, äußerte sich jetzt fast triumphierend zu den neuen Explosionen. Die New York Times schrieb: „Ein hochrangiger ukrainischer Regierungsvertreter erklärte anonym zu der Operation von Dienstag, eine Eliteeinheit sei für die Explosionen verantwortlich.“ Die Times beschrieb die ukrainischen Angriffe als mutig und schrieb, sie seien trotz der Warnungen des ehemaligen russischen Präsidenten und stellvertretenden Chefs des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, durchgeführt worden, der im Falle eines ukrainischen Angriffs auf die Krim mit dem „Jüngsten Gericht“ gedroht hatte.

Die offensichtlichen Angriffe der Ukraine auf die Krim sind nur die extremsten in einer Reihe von gefährlichen Eskalationen des imperialistischen Stellvertreterkriegs gegen Russland auf dem Gebiet der Ukraine. Die Kämpfe um das Atomkraftwerk Saporoschija, das größte in Europa, dauern noch immer an. Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig vor, das Gelände zu beschießen. Experten warnen seit Wochen vor einer atomaren Katastrophe, doch die ukrainische Regierung hat sich Berichten zufolge geweigert, Vertretern der Internationalen Atomenergiebehörde auf anderem Wege als über die Frontlinien Zugang zu dem Gelände zu ermöglichen.

Auch zwischen Russland und dem Vereinigten Königreich, dem zweitgrößten Waffenlieferanten der Ukraine nach den USA, haben sich die Spannungen verschärft. Laut Vertretern des Kreml haben russische Kampfflugzeuge am Montag ein britisches Aufklärungsflugzeug vom Typ RC-135 abgefangen und zum Umdrehen gezwungen, das die russische Grenze überquert hatte. Am Dienstag warnte das russische Verteidigungsministerium Großbritannien vor einem weiteren geplanten Spionageflug, der teilweise russisches Gebiet überqueren sollte, und erklärte: „Wir betrachten diese Aktion als bewusste Provokation.“ Weiter hieß es, die russische Luftwaffe habe „die Aufgabe, die Verletzung der russischen Grenze zu verhindern“.

Der Krieg in der Ukraine ist der blutigste Konflikt in Europa seit mehreren Generationen. Schätzungen zufolge sind auf beiden Seiten bereits Zehntausende Soldaten und mehr als 5.000 Zivilisten umgekommen und zwölf Millionen Ukrainer zu Flüchtlingen geworden. Dennoch haben die imperialistischen Mächte, vor allem die USA und Großbritannien, das ukrainische Militär, zu dem auch große faschistische Bataillone und paramilitärische Einheiten gehören, weiterhin mit Waffen und Munition im Wert von Milliarden Dollar versorgt. Ihr Ziel ist es, Russland auszubluten und den Krieg zur Grundlage einer tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung und schließlich der Zerstückelung Russlands zu machen.

Das außergewöhnlich skrupellose Verhalten der ukrainischen Armee und Regierung ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Trotz extrem hoher Verluste und immenser Risiken kündigen Militär und Regierung der Ukraine seit Wochen an, eine Offensive im Süden vorzubereiten und entschlossen zu sein, die Krim „zurückzuerobern“ – ein Ziel, das seit März 2021 Kiews offizielle Militärdoktrin ist. Ein Sprecher des Pentagon schloss nicht aus, dass bei einem ukrainischen Angriff auf die von Russland gebaute Kertsch-Brücke, die die Krim mit dem russischen Festland verbindet, amerikanische Waffen zum Einsatz kommen. 

Die verzweifelten Bestrebungen des Kreml, die Explosionen auf der Krim zu verharmlosen – die aus Sicht des russischen Militärs demütigende Rückschläge und außergewöhnliche Provokationen sind –, zeigen die beträchtliche Nervosität und Zerstrittenheit innerhalb der russischen Oligarchie und des Staatsapparats.

Das Putin-Regime hat versucht, mit dem Überfall auf die Ukraine, den die imperialistischen Mächte provoziert hatten, dieselben Mächte an den Verhandlungstisch zu zwingen, vor allem die USA. Es hat darauf gehofft, dass Kriegsgewinne des russischen Militärs Moskaus Position bei Verhandlungen mit dem Imperialismus stärken würden. Viele Kreml-nahe Kommentatoren spekulierten auch, dass der Krieg schnell zu Zerwürfnissen zwischen den imperialistischen Mächten, vor allem zwischen Deutschland und den USA, führen würde, die Russland ausnutzen könnte.

Das Gegenteil ist eingetreten. Der US-Imperialismus hat eine Eskalation und Provokation nach der anderen inszeniert. Auch wenn die Differenzen zwischen den imperialistischen Mächten unter der Oberfläche weiter gären, haben sie alle den russischen Überfall als Vorwand benutzt, um massiv aufzurüsten und ihre Positionen in einer neuen imperialistischen Aufteilung der Welt zu konsolidieren.

Sergei Krylow, stellvertretender russischer Außenminister von 1993 bis 1996, schrieb für Russia in Global Affairs, dem Kreml-nahen Magazin einer Denkfabrik, der Krieg in der Ukraine sei eine „historische Tragödie“ und eine „grausame Schlacht“. Sein Artikel ermöglicht einen Einblick in die düsteren Diskussionen, die momentan in den herrschenden Kreisen Russlands geführt werden. Er spekulierte darüber, wie eine Aufteilung der Ukraine zwischen Russland und anderen osteuropäischen Ländern aussehen könnte, und betonte, die USA wären immer Russlands wichtigster Verhandlungspartner.

Gleichzeitig betonte Krylow, keines der möglichen Szenarien für ein Osteuropa mit neuen Staatsgrenzen wäre für den Kreml leicht zu handhaben oder vorteilhaft. Zudem gab er zu, dass es keine Aussicht auf ein schnelles Ende des Kriegs gibt, und erklärte offen: „Es gibt wenig Grund für Optimismus.“

Aus seiner Sicht sei das einzige potenziell positive Szenario, dass die USA ihre Aufmerksamkeit wieder auf einen Krieg gegen China richten, das mittlerweile Russlands wichtigster wirtschaftlicher und militärischer Partner ist: „So seltsam es klingen mag, der chinesische Faktor könnte uns in die Hände spielen. Die Amerikaner sind geradezu besessen davon, Peking in jeder Hinsicht entgegenzutreten, wirtschaftlich wie politisch. Und sie könnten am Ende etwas sehr Dummes tun, etwa die Unabhängigkeitserklärung Taiwans unterstützen.“ In diesem Fall, so Krylow weiter, würde es sofort zum Krieg mit China kommen. „Aber zwei derartige Konflikte gleichzeitig zu führen, übersteigt die Fähigkeiten der Amerikaner. Sie werden die Ukraine zurückstellen müssen.“

Es fällt schwer, sich eine vernichtendere Entlarvung des politischen Bankrotts und des reaktionären Charakters des russischen Regimes vorzustellen. Dieses Regime entstand aus der stalinistischen Konterrevolution gegen die Oktoberrevolution 1917 und der Auflösung der Sowjetunion. Konfrontiert mit der Einkesselung durch den Imperialismus und verwickelt in einen Stellvertreterkrieg mit der Nato hoffen die Nachkommen der stalinistischen Bürokratie darauf, dass ein Krieg zwischen den USA und China – der zu einem Weltkrieg eskalieren würde – den russischen Oligarchen „in die Hände spielen“ wird.

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