Dies ist der zweite Teil eines zweiteiligen Berichts zu künstlerischen und kulturellen Problemen, den David Walsh im Rahmen einer erweiterten Redaktionskonferenz der World Socialist Web Site in Sydney vom 22. bis 27. Januar 2006 hielt. Walsh ist Mitglied der WSWS-Redaktion und ihr verantwortlicher Kulturredakteur.
Zu zahlreichen Anlässen haben wir darauf hingewiesen, welchen Werdegang Teile der 1968er-Generation genommen haben. Eine neue Gruppe von Parteigängern Bushs in den USA hat sich unangenehm bemerkbar gemacht - Leute wie Christopher Hitchens, Paul Berman, Todd Gitlin (der frühere SDS-Führer, der nach dem 11. September erklärte, dass "gelebter Patriotismus Opferbereitschaft verlangt") und verschiedene andere ehemalige Teilnehmer der Socialist Scholars Conferences. Das Aufgeben früherer Prinzipien, der Verrat an der eigenen Vergangenheit, der Verzicht auf die eigene Integrität bleibt nach wie vor ein florierendes Geschäft. Opportunismus und Feigheit gesellen sich in diesem Prozess zu Desorientiertheit und historisch-politischer Ignoranz.
Es handelt sich um ein weltweites Phänomen. In Anlehnung an Harold Pinters Nobelpreisrede beklagte kürzlich eine ägyptische Journalistin "einen kulturellen Apparat, der die [Kultur] nur als Ornament für das Establishment behandelt". Sie bezog sich auf ein Buch mit dem Titel "Intellektuelle im Angebot", das offenbar in Ägypten Furore gemacht hat. Der Autor war in den vergangenen 18 Jahren ein enger Berater des ägyptischen Kultusministers, bis er in Ungnade fiel.
Die Journalistin bemerkte, dass die "Geschichten über Korruption und, vielleicht noch wichtiger, die Geschichten über die vom Kulturministerium verwendeten Mechanismen zur Heranziehung und Gewinnung von Intellektuellen immer noch haarsträubend sind." Sie sprach von der "Zerstörung der Kultur, die in den letzten drei Jahrzehnten in Ägypten stattgefunden hat und ohne käufliche Intellektuelle nicht möglich gewesen wäre".
Überall hat sich ein bestimmter Teil der Intellektuellen zum Kauf angeboten.
Skeptizismus und Demoralisierung haben sowohl ein rechtes als auch ein "linkes" Gesicht. Zwei Figuren, mit denen wir uns wesentlich ernsthafter auseinandersetzen müssen - hier ist nicht der Platz für diese Auseinandersetzung, sondern nur für eine kurze Betrachtung - sind Terry Eagleton, der britische Kritiker, und Fredric Jameson, der amerikanische Akademiker, die beide ständig als "führende marxistische Kritiker" bezeichnet werden. Dies gelten als in der englischsprachigen Welt und vielleicht auch darüber hinaus als die führenden 'marxistischen' Kritiker. Beide sind mit revisionistischer Politik verbunden.
Eagleton wurde, nachdem er Mitte der 1970er die staatskapitalistische International Socialists Gruppe verlassen hatte, während seines Aufenthalts in Oxford Mitglied von Alan Thornetts Workers Socialist League - was keine unbedeutende Tatsache ist. Jameson stellt seine Analyse der postmodernen Kultur explizit in Zusammenhang mit Ernest Mandels Theorie des "Spätkapitalismus".
Eines von Eagletons jüngeren Werken heißt After Theory ("Nach der Theorie"), wobei der Autor mit "Theorie" das "goldene Zeitalter der Kulturtheorie" meint, das durch die Werke von Jacques Lacan, Claude Lévi-Strauss, Louis Althusser und Michel Foucault, sowie Raymond Williams, Pierre Bourdieu, Julia Kristeva, Jacques Derrida, Jürgen Habermas, Fredric Jameson und Edward Said geprägt wurde. Ohne diese Gruppe von Denkern pauschal abqualifizieren zu wollen, handelt es sich doch im Großen und Ganzen um einen Block von Antimarxisten. Sie waren zwar nicht ohne Einsichten, stellten jedoch ein Block von bewussten Antimarxisten dar - die Besten ihrer Art, die das späte 20 Jahrhundert gegen den dialektischen und historischen Materialismus aufzubieten hatte.
Eagleton erklärt zu Anfang seines Buches, dass das "goldene Zeitalter" der Kulturwissenschaften vorüber ist. Er fährt fort: "Es kann keine Rückkehr zu einer Zeit geben, in der es genügte, Keats für ergötzlich und Milton für einen tapferen Geist zu halten. Nicht, dass das ganze Projekt [der Kritischen Theorie] ein schrecklicher Fehler gewesen wäre, der nun von einer mitleidsvollen Seele bloßgestellt worden ist. [...] Wenn Theorie eine einigermaßen systematische Widerspiegelung der uns leitenden Annahmen ist, so bleibt sie unverzichtbar wie je."
Dass Eagleton die Idee vertritt, "Theorie" sei eine Widerspiegelung der "uns leitenden Annahmen" und nicht die Untersuchung und Kenntnis der äußeren Welt und ihrer Bewegungsgesetze, spricht Bände. (Und bringt tatsächlich Bände hervor, wie man sehen kann, wenn man eine beliebige Buchhandlung in einer größeren Metropole oder in der Nähe einer bedeutenden Universität besucht.)
Auch wenn seine Beschreibung der präpostmodernen Kulturkritik eine Karikatur ist - die ernsthafte bürgerliche Kulturkritik des 20. Jahrhunderts hat viel mehr vollbracht, als Keats für "ergötzlich" zu halten - müssen wir uns vor Augen führen, dass wir es mit einem selbsternannten Marxisten zu tun haben. Nimmt man ihn beim Wort, so scheint er zu argumentieren, dass vor Althusser und Lévi-Strauss und Derrida und Habermas keine ernstliche kritische Kulturtheorie existiert hat, sondern nur bürgerlicher Akademismus. Was ist mit der marxistischen Tradition? Dieses umfangreiche Werk verdient es nicht einmal, in diesem Zusammenhang angesprochen zu werden, so komplett identifiziert sich Eagleton mit den Strömungen, die er lose als strukturalistisch, poststrukturalistisch oder postmodern bezeichnet. Eagleton präsentiert sich selber als Kritiker dieser Tendenzen, doch seine Waffen sind stumpf.
Eagletons Buch hat in anderer Hinsicht einen gewissen Wert. Er vermittelt einen Einblick in die gegenwärtige Lage der "Kulturtheorie", und hier stammt sein Wissen trotz des selbstgefälligen Tons zweifelsohne aus erster Hand. "Strukturalismus, Marxismus, Poststrukturalismus und ähnliches sind nicht länger die attraktiven Themen, die sie waren. Was stattdessen anzieht, ist Sex. An den wilderen Gestaden des akademischen Lebens ist das Interesse an der französischen Philosophie der Faszination am französischen Kuss gewichen. In manchen kulturellen Zirkeln übt die Politik der Masturbation eine deutlich größere Faszination aus als die Politik des Nahen Ostens. Der Sozialismus hat das Feld an den Sadomasochismus verloren. Unter Studenten der Kulturwissenschaften ist der Körper ein ungeheuer modisches Thema, doch ist es der erotische Körper, nicht der ausgehungerte. Es gibt ein ausgeprägtes Interesse an kopulierenden Körpern, nicht an arbeitenden. Sanftmütige Mittelstandsstudenten drängen sich emsig in Bibliotheken, um über sensationelle Themen wie Vampirismus und Augenausstechen, Cyborgs und Pornofilmen zu arbeiten.
Das ist nur allzu verständlich. Über die Literatur zu Latex oder die politischen Implikationen des Nabelpiercings zu arbeiten, heißt die gute alte Devise wörtlich zu nehmen, dass das Studium Spaß machen sollte. Das ist ein wenig so, als würde man eine Diplomarbeit über die vergleichende Geschmacksforschung bei Malt-Whiskey schreiben oder über die Phänomenologie des Den-Tag-im-Bett-Verfaulenzens. Dies schafft eine nahtlose Verbindung zwischen dem Intellekt und dem täglichen Leben. Es hat seine Vorteile, eine Doktorarbeit schreiben zu können, ohne sich vom Fernseher weg bewegen zu müssen." Klingt wirklich verlockend.
Wie wir letzten Sommer kurz diskutiert haben, betrachtet Fredric Jameson den zeitgenössischen globalen Kapitalismus als ein durch und durch alptraumhaftes und überwältigendes Phänomen, in dem die Bevölkerung von einem gewaltigen Netz aus bürokratischer Kontrolle und Medienmanipulation beherrscht wird. Die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Erschütterung, geschweige denn "der endgültige Verfall, Zusammenbruch und Tod des Systems als solches", wird weitgehend ausgeschlossen.
1995 argumentierte Jameson, dass der globale Kapitalismus nie zuvor einen solchen Spielraum zum Manövrieren hatte. Er schrieb, dass "all die bedrohlich gegen ihn selbst gerichteten Kräfte, die er in der Vergangenheit hervorgebracht hat, [...] heute in einem Zustand kompletter Verwirrung zu sein scheinen, wenn sie nicht in der einen oder anderen Weise effektiv ausgeschaltet sind". Möglicherweise würde irgendwann in der Zukunft ein neues Proletariat entstehen, doch bis dahin "sind wir noch am Boden, und niemand kann sagen, wie lange wir dort liegen bleiben werden".
In seinem neuesten Werk liegen wir offenbar immer noch am Boden, vielleicht noch mehr als vorher. Jameson hat ein Buch geschrieben, dass die Vorzüge des Utopismus preist, eine Tendenz, über die wir bereits geschrieben und gesprochen haben.
"Utopia scheint seine Vitalität als politisches Schlagwort und politisch beflügelnde Perspektive wiedergewonnen zu haben. In der Tat hat eine ganze neue Generation der Postglobalisierungslinken [...] immer williger dieses Schlagwort aufgegriffen, in einer Situation, in der die Diskreditierung sowohl der kommunistischen als auch der sozialistischen Parteien sowie die Skepsis hinsichtlich überlieferter Revolutionsvorstellungen das diskursive Feld geklärt haben [...].
Lähmend ist nicht die Anwesenheit eines Feindes, sondern vielmehr der allgemeine Glaube, dass nicht nur diese Tendenz unumkehrbar ist sondern auch die historischen Alternativen zum Kapitalismus sich als nicht lebensfähig und undurchführbar erwiesen haben und kein anderes sozioökonomisches System denkbar, geschweige denn praktisch verfügbar ist. Die Utopisten offerieren nicht nur, sich solche alternativen Systeme vorzustellen, die utopische Form ist selbst eine begriffliche Meditation über radikale Differenz, radikale Andersartigkeit und über die systemische Natur der gesellschaftlichen Totalität, bis zu dem Grad, dass es unmöglich wird, sich einen grundlegenden Wandel in unserer gesellschaftlichen Existenz vorzustellen, der nicht so viele utopische Visionen abgeworfen hat wie ein Komet Sternschnuppen."
Das ist Jameson in Reinform, eine prätentiöse Anpassung an die bestehende Realität, eine Lobpreisung der fertigen Tatsache. In seiner Unfähigkeit, sich einen Kampf gegen die momentanen Schwierigkeiten vorzustellen, ist er ein Produkt des Radikalismus der 1970er, der - falls er es je hatte - schon vor langer Zeit jegliches Vertrauen in die revolutionäre Fähigkeit der Arbeiterklasse, vor allem der amerikanischen, aufgegeben hat.
Viele haben einen noch ausgeprägteren moralischen und intellektuellen Zersetzungsprozess durchlaufen.
Das französische Kunst- und Geistesleben offenbart einige dieser Tendenzen in der schärfsten Form - als vorübergehende, aber ernstzunehmende Schwindsucht des französischen Kinos und der Literatur. Ein Romanautor und Herausgeber behauptet kategorisch, dass "die französische Literatur zur Wüste geworden ist". In dieser Wüste finden wir, als einen der prominentesten französischen Autoren, Michel Houellebecq. Wir haben vor ein paar Jahren über ihn geschrieben (http://www.wsws.org/articles/2003/may2003/nov-m02.shtml).
In seinen Romanen wechseln sich Beschreibungen kalter, absichtlich geschmackloser sexueller Handlungen mit langen Passagen ab, in denen die lächerlichen Mätzchen beschrieben werden, mit denen sich Teile der französischen Mittelklasse spirituell über Wasser halten. Das alles ist ohne geschichtlichen Kontext oder menschliche Sympathie verfasst. Es sind öde Werke, die nur die Oberfläche des französischen Lebens streifen. Seine Charaktere oder der Erzähler mögen auf antiarabischen Rassismus anspielen; der Autor sagt, dass es sich nicht um seine Stimme handelt, aber die Werke sind so bar jeden kritischen Rahmens oder Abstands, dass man dies unmöglich bestimmen kann.
Die erniedrigenden Handlungen werden nicht kritisiert, der Autor schwelgt in ihnen. Es handelt sich um eine relativ unvermittelte Antwort auf den allgemeinen Niedergang des französischen Kapitalismus und speziell den Zerfall der Generation von 1968. Für all dies wird irgendwie die Bevölkerung selbst und ihre Fähigkeit zur Selbsttäuschung verantwortlich gemacht. Houellebecq wurde mit Louis-Ferdinand Céline, dem Autor von Reise ans Ende der Nacht, verglichen. Trotzki hat Céline in einem berühmten Essay als einen tief verwundeten Moralisten bezeichnet, der zwischen Licht und Dunkelheit wählen musste. Er entschied sich für Faschismus und Antisemitismus. Dies sollte Warnung genug sein, doch ist Houellebecq kein Céline. Hier findet man keine Dringlichkeit oder Ernsthaftigkeit, keinen Biss in der Satire, außer wenn es gegen die vergleichsweise Wehrlosen geht.
Ein paar Worte zu amerikanischen Romanen und Filmen. In den letzten Jahren gab es in den USA eine Art Renaissance des Gesellschaftsromans, verkörpert von Autoren wie Don DeLillo, Jonathan Franzen, Richard Powers und anderen. Ihre Bücher zeigen ein Bewusstsein für bestimmte gesellschaftliche Prozesse: die Existenz eines globalisierten, computerbestimmten Wirtschaftslebens, die Kriminalität von Großunternehmen und Regierungen, die geistige Entmündigung des amerikanischen Volkes, die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung, ihre Entfremdung, ihre moralische Vereinzelung und nicht selten Erbärmlichkeit.
In DeLillos letztem Buch Cosmopolis, einer Art schwarzer Komödie, schlängelt sich ein 28-jähriger milliardenschwerer Vermögensverwalter, der in einer 104 Millionen Dollar teuren Wohnung lebt, in seiner weißen Limousine inmitten des mittäglichen Verkehrsstaus durch Manhattan. Er geht seinen Geschäften nach, die an diesem Tag darin bestehen, gegen den Yen zu spekulieren (er verliert Hunderte Millionen Dollars im Verlauf des 200-seitigen Romans). Seine Arbeit bewerkstelligt er vom Rücksitz seiner Limousine aus mit Hilfe einer Reihe von Bildschirmen und Handhelds. Auf dem Weg trifft er sich mit seinen verschiedenen Beratern für Finanzen, Sicherheit, Gesundheit sowie mit seinem "Häuptling der Theorie". Er begegnet seiner 22-tägigen Ehefrau, die wie eine völlig fremde Person erscheint, hat Sex mit verschiedenen Personen, wenn auch nicht mit seiner Frau, und fällt am Ende einem Mordanschlag zum Opfer. Das alles passiert im Verlauf einer einzigen Fahrt durch die Stadt. Das Buch ist scharfsinnig, gelegentlich amüsant und doch ziemlich kühl.
Diese neuen amerikanischen Romane haben etwas im Grunde Unbefriedigendes an sich. Bei aller Brillanz sind sie ein wenig unmenschlich, fern von der Wirklichkeit des Alltagslebens, zuweilen gewollt komisch und übertrieben. Der Buchkritiker der Zeitschrift New Republic, James Wood, versuchte in einem Artikel nach dem 11. September, die Schwächen dieser Werke gegen sie zu verwenden. Laut Wood, einem der ernsthafteren Literaturkritiker in den USA, sollen die amerikanischen Romanautoren gar nicht erst versuchen, die gesellschaftliche Wirklichkeit aufzudecken. Er äußerte die Hoffnung, dass der 11. September "einen Raum schaffen könnte für das Ästhetische, Kontemplative, für Romane, die uns nicht erzählen, 'wie die Welt funktioniert', sondern 'wie jemand etwas empfindet' - ja, wie eine Menge verschiedener Menschen eine Menge verschiedener Dinge empfinden (so etwas nennt man gewöhnlich Romane über menschliche Wesen)."
Wood meinte, dass nach den Terrorangriffen "Romanautoren ihre Stimme nur argwöhnisch als Analytiker der Gesellschaft erheben werden, solange die Gesellschaft sich dagegen sträubt und so hilflos nach Schuldigen sucht. Mit Sicherheit werden sie bei ihren Verallgemeinerungen vorsichtig zu Werke gehen. Es ist heute sehr leicht, schnell alt auszusehen." Er stellte die Frage: "Wer würde wagen, jetzt über Sachkenntnissen in Fragen der Politik und Gesellschaft zu verfügen?"
Die angemessene Frage angesichts der Gräueltat des 11. September und seiner Verbindung zur internationalen Politik und Geschichte müsste lauten: "Wer würde es wagen, jetzt nicht über Sachkenntnissen in Fragen der Politik und Gesellschaft zu verfügen?"
Woods Gegenüberstellung von Romanen mit "menschlichem" und "gesellschaftlichem" Anspruch ist grundfalsch. Er will Romane über "individuelles Bewusstsein", wie er sagt. Auch wir wollen ernsthafte Bücher über menschliche Wesen, keine Schablonen oder Traktate.
Aber was ist Individualität? Wie Trotzki bemerkt, besteht sie in der besonderen Weise der Verbindung aus "Ererbtem, Nationalem, Klassenmäßigem, zeitlich Vorübergehendem, Alltäglichem" aus. Die einzigartige Weise, in der sich diese Elemente verbinden, macht die Individualität aus.
Der Leser besteht aus den gleichen wesentlichen Elementen wie der Künstler, wenn auch vielleicht in einer anderen Kombination. Aus diesem Grunde kann der Leser den Künstler verstehen - was als Brücke von einem menschlichen Wesen zum anderen dient, ist nicht das Einzigartige, sondern das Gemeinsame. Nur durch das Allgemeine wird das Einzigartige erkannt.
Wenn das Besondere nicht auf das Allgemeine zurückgeführt wäre, dann gäbe es keine Kommunikation und keine Kunst. Dieses gemeinsame Element setzt sich zusammen aus den tiefsten und dauerhaftesten Bedingungen des Lebens, der Erziehung, der Arbeit und so weiter. Die gesellschaftliche Bedingung ist, an allererster Stelle, die Bedingung der Klassenzugehörigkeit. Eine ernsthafte Beschäftigung mit der menschlichen Seele erfordert demnach eine ernsthafte Beschäftigung mit sozialen Klassen und mit Geschichte. Lyrischer Charakter und Gesellschaftsanalyse stehen nicht im Gegensatz zueinander, auch wenn der bürgerliche Spießer dies annimmt.
Wood irrt hinsichtlich der großen Fragen, aber er äußert berechtigte Kritik an dieser Schule amerikanischer Gesellschaftsromane, und diese hat nach meiner Ansicht auch Bedeutung für das Kino. "Heutzutage wird jeder, der einen Laptop besitzt, für den Scharfsinn in Bewegung gehalten. Man füllt die Romane mit kleinen Essays und großen Wissensdarlegungen. In der Tat ist das 'Bescheidwissen' zu einer der Qualifikationen des zeitgenössischen Romanautors geworden. [...] Das Ergebnis, wenigstens in Amerika, sind Romane von immenser Selbstbefangenheit, dabei ohne jedes Selbst, merkwürdig festgefahrene und sehr 'brillante' Bücher, die tausend Dinge und doch kein einziges menschliches Wesen kennen."
Er beschreibt, was er "hysterischen Realismus" nennt: "Diese Sorte Realismus ist eine sich unaufhörlich bewegende Maschinerie, die sich in der Geschwindigkeit verloren hat. Handlungen und Unterhandlungen sprießen auf jeder Seite. Es findet ein Jagen nach Lebendigkeit um jeden Preis statt." Dies sind berechtigte Vorwürfe gegen eine bestimmte Sorte linker Kunstwerke, die meiner Ansicht nach mit diversen postmodernen Ideen (ziemlich explizit im Fall von DeLillo, wie ich meine) und mit demoralisierten politischen Stimmungen eng zusammenhängen.
In der cineastischen Kunst finden wir den "Tour de force"-Film, so zum Beispiel fantastische historische Kulissen bei relativ dürftigem Inhalt. Alles ist möglich... doch fast nichts wird getan. Damit verbunden ist ein Hang zu Übertreibungen, überbetontem Spiel, Toleranzgrenzen überschreitenden komischen oder absurden Momenten, die einen Sinn für Proportion vermissen lassen.
Der Sinn für künstlerische Proportion geht verloren, wenn sich ein Künstler von den wirklichen Triebkräften im Leben und der Gesellschaft mehr oder weniger entfernt hat, wenn die wahre Schlachtordnung der gesellschaftlichen und psychologischen Kräfte unklar ist und es an Konkretheit mangelt. Ebenfalls häufig ist Skepsis in Bezug auf die Auffassungsgabe und Fähigkeiten des Menschen wie auch ein gehöriges Maß an Misanthropie gegeben.
Offensichtlich spielen objektive historische Probleme bei diesen Schwierigkeiten eine Rolle. Die Kunst kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen oder aus sich selbst heraus vollkommen Klarheit schaffen. Die gesellschaftliche Bewegung der Massen spielt eine entscheidende Rolle. Trotzki schreibt über "die emanzipatorische Bewegung der unterdrückten Klassen und Völker, [die] die Wolken der Skepsis und des Pessimismus verjagt, die heute den Horizont der Menschheit verdunkeln."
Wir müssen uns selber einen Sinn für Proportion und eine gewisse Geduld bewahren. Es macht keinen Sinn, einfach auf Individuen einzudreschen, wenn das Problem in den allgemeinen Rahmenbedingungen liegt. Nichtsdestoweniger müssen wir darauf bestehen, dass Veränderungen nötig sind und Anstrengungen erfordern, und auf eben diese Weise die Grundlage dafür schaffen.
Was Auerbach über Balzac, den großen französischen Romancier, schreibt, trifft denke ich den Punkt: "In der Tat sind seine Menschen und Atmosphären, so gegenwärtig sie sind, stets als aus den geschichtlichen Ereignissen und Kräften entsprossene Phänomene vorgestellt; [...] die Erfindung [schöpft] nicht aus der freien Einbildungskraft [...], sondern aus dem wirklichen Leben, wie es sich überall bietet. Nun besitzt Balzac gegenüber diesem mannigfaltigen, von Geschichte durchtränkten, rücksichtslos mit allem Alltäglichen, Praktischen und Häßlichen und Gemeinen dargestellten Leben eine Einstellung, wie sie ähnlich auch schon Stendhal besaß: er nimmt es in dieser wirklich-alltäglich-innergeschichtlichen Gestalt ernst, und sogar tragisch. [...] Die Neuartigkeit der Einstellung und die neue Art von Gegenständen, welche ernst, problematisch, tragisch behandelt wurden, bewirkten die allmähliche Entwicklung einer ganz neuen Art ernsten oder, wenn man will, hohen Stils [...]."
Nun denn: die ernste oder hohe, problematische und sogar tragische Behandlung des wirklichen Lebens, in seiner historischen und sozialen Konkretheit und Bewegung. Wir haben keine Schablonen oder Rezepte. Wir versuchen, kritisch den Weg zu beleuchten, wie Trotzki es ausdrückte, doch wir unterstützen eine solche Mischung aus künstlerischer Ernsthaftigkeit und alltäglichem Leben... Wie diese sich heutzutage darstellt, das wird nicht davon bestimmt, was französische Romanschriftsteller vor 150 oder 200 Jahren getan haben. Dennoch ist diese Art von wachsender Ernsthaftigkeit und hohem Stil in der Behandlung unseres gegenwärtigen Daseins ein wichtiger Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Kunst.
Während ihrer Debatte in den 1930ern warf Brecht dem pro-stalinistischen Kritiker Lukacs vor, er wolle "Balzac, nur modern". Dies ist nicht unsere Vorstellung. Unsere Wirklichkeit, die Wirklichkeit der gegenwärtigen Massengesellschaft, ist äußerst komplex. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich vieles verändert hat.
Das Leben zu behandeln, erfordert einen hohen Grad an künstlerischer Objektivität und tiefem Gefühl für die menschliche Natur. Wir streben nicht danach, irgendeine besondere Phase der Kulturgeschichte zu wiederholen. Das ist ohnehin gar nicht möglich. Doch wäre es meiner Ansicht nach leichtfertig, unter den gegebenen Umständen, wo ein echter Rückschritt stattgefunden hat und eine Menge verloren gegangen ist, die Ursprünge und die Entwicklung des modernen Realismus zu ignorieren.
Worin nun könnten einige der persönlichen Widersprüche bestehen, die durch die gegenwärtige Verschärfung der gesellschaftlichen Widersprüche hervorgerufen werden? Ganz offensichtlich brutale wirtschaftliche und soziale Umstände, heutige Arbeitsbedingungen, all die mit enormen Veränderungen und neuem Druck verbundenen psychologischen Dilemmas - die Fesseln, in denen sich die zwischen verschiedenen Anforderungen zerrissenen Menschen finden - der Einfluss auf Liebe, Freundschaft und persönliche Beziehungen, die durch schockierende Veränderungen und Umstände hervorgerufenen moralischen Widersprüche. Die Beziehungen zwischen allen gesellschaftlichen Schichten. Die Geschichte eines Geschäftsmannes kann etwas über das Leben offenbaren, was sonst verborgen bleibt. Es gibt keinen Mangel an dramatischen Stoffen in unserer Welt.
Wie ist dies darzustellen?
Es ist unmöglich, dies präzise vorauszusagen. Es mag ohne große formale Kunstfertigkeit oder Innovation geschehen. Dies mag für Künstler nicht die unmittelbare Herausforderung darstellen. Es könnte mit eher konservativen oder konventionellen Formen beginnen, die plötzlich explosive Probleme behandeln und dabei noch einige Altlasten mit sich herumschleppen.
Wir befürworten eine deutlich größere Aufmerksamkeit gegenüber den Problemen des Alltagslebens. Dabei grenzen wir uns aber von den Populisten, Stalinisten und diversen Radikalen ab, indem wir beharrlich den Standpunkt vertreten, dass die Wahrheit über diese Realität nur dann hervortreten kann, wenn sie auf im höchsten Maße kultivierte, erhaben-kunstvolle, "weltgeschichtliche" Weise behandelt wird, ohne Schablonen und ohne Beschönigungen.
"Das künstlerische Schaffen gehorcht seinen eigenen Gesetzen selbst dann, wenn es sich bewußt in den Dienst einer sozialen Bewegung stellt. [...] Die Kunst kann nur insoweit ein großer Bundesgenosse der Revolution sein, als sie sich selbst treu bleibt." (Trotzki, Kunst und Revolution, 1939) Und genau hieraus ergeben sich meiner Ansicht nach die Grenzen selbst der besten Nachkriegsschulen wie dem italienischen Neorealismus, dem iranischen Film und anderen: Sie haben sich selbst beschränkt und sich die Hände gebunden, und zwar aus populären Rücksichten, die im Großen und Ganzen eine klassische Erhabenheit und Ernsthaftigkeit ausschlossen. Naive, einfache oder vereinfachte Werke reichen nicht aus.
Zweifellos findet ein Stimmungsumschwung statt: Wir sehen das sogar an den populären Filmen in den USA, an den Filmen auf dem letzten Toronto Filmfestival. Pinters moralische Distanzierung vom Kapitalismus und seiner offiziellen Kultur ist ein Beispiel der jüngsten Zeit für die Umbrüche, die bevorstehen.
In seiner Nobelpreisrede griff Pinter die US-Politik scharf an und nannte ihre Verbrechen "systematisch, konstant, infam, unbarmherzig". Er beschrieb die Invasion des Iraks als einen "Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der eine absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte."
Er schloss mit den Worten: "Ich glaube, dass den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene, unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der Tat zwingend notwendig."
Eine derartige Stellungnahme ist nicht einfach eine Abirrung oder ein Ruf in der Wüste. Sie spiegelt eine zunehmende Stimmung unter denjenigen, die die Lage der Menschheit am aufmerksamsten und feinfühligsten beobachten. Und sie erwartet eine Resonanz, auf die sie auch gestoßen ist.
Wir haben die Bedeutung von München erwähnt - kein Meilenstein der Filmgeschichte, aber ein Werk, das sich in Gegensatz zur Brutalität und Gleichgültigkeit stellt, die der jüngeren Populärkultur so vielfach anhaftet, einschließlich der stupiden Brandstifter wie Tarantino.
Was brauchen wir selber? Eine gemeinschaftlichere und breiter angelegte internationale Anstrengung, die künstlerischen und geistigen Entwicklungen zu verfolgen, einen systematischeren und theoretischeren Ansatz. Wir können nicht einfach von einem zum nächsten Werk springen. Wir benötigen eine Theorie des zeitgenössischen Kunstschaffens und seiner Entwicklung, wir müssen uns durch Eagleton, Jameson und andere Autoren hindurcharbeiten und die bedeutenderen bürgerlichen Literaturkritiker verfolgen. Wir brauchen größere internationale Teilnahme und Zusammenarbeit - in den Vereinigten Staaten mehr Beachtung für insbesondere die Literatur und für die sie begleitenden Debatten, in Großbritannien und Deutschland müssen wir besonders dem Theater mehr Aufmerksamkeit schenken, in Asien ebenfalls dem Film und Roman, in Australien besonders der Literatur. Wir müssen allgemein mehr auf die bildenden Künste achten.
Unsere Arbeit hat eine objektive Geltung und Bedeutung, die nur weiter wächst. Was wir tun und was wir sagen, wird weithin verfolgt. Wir haben alles Recht, auf den Erfolg unserer Anstrengungen zu vertrauen.
Ende.