"Die Festung Deutschland fällt", "Das Ende des Rheinischen Kapitalismus" und "Götterdämmerung der so genannten Deutschland AG" lauteten die Schlagzeilen, mit denen die Presse die Übernahme des Düsseldorfer Mannesmann-Konzerns durch das britische Mobilfunkunternehmen Vodafone kommentierte.
Die Übernahme des deutschen Traditionsunternehmens ist in der Tat nicht nur die größte und wohl auch teuerste Firmenfusion der bisherigen Wirtschaftsgeschichte, sie hat auch weitgehende gesellschaftliche Konsequenzen. Sie schlägt eine Bresche für jene Form des Kapitalismus, in der traditionell gewachsene Strukturen, sozialpartnerschaftliche Absprachen und langfristige Strategien den kurzfristigen Interessen der Aktionäre weichen müssen.
"Der rheinische Kapitalismus wird angelsächsischer, also ungemütlicher," fasste die Süddeutsche Zeitung das Ergebnis zusammen. "Die Unternehmen werden weniger von Aufsichtsräten und Banken kontrolliert, sondern vom Kapitalmarkt, die Stimme von Politikern und Betriebräten wird leiser, die von Fondsmanagern und Analysten lauter. Für Unternehmensvorstände brechen hektische Zeiten an."
Die Übernahme wurde am vergangenen Freitag besiegelt, als Vorstand und Aufsichtsrat von Mannesmann nach einer zweimonatigen Abwehrschlacht kapitulierten und den Aktionären rieten, ihre Anteile gegen Vodafone-Aktien einzutauschen. Vodafone finanziert die Übernahme von Mannesmann durch eigene Aktien im Gesamtwert von rund 370 Milliarden Mark - ein internationaler Rekord. Das fusionierte Unternehmen wird einen Gesamtwert von 700 Milliarden Mark haben und hinter den US-Konzernen Microsoft, General Electric und Cisco der viertgrößte Konzern der Welt sein.
Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf die Börsenbewertung, die sich bekanntlich schnell ändern kann. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten (knapp 27.000, wenn Mannesmann den Metall- und Autobereich wie geplant abgestoßen hat), am Umsatz (20 Milliarden DM) und am Gewinn (4 Milliarden DM) gibt es zahlreiche Konzerne, die wesentlich größer sind. Der Chemiekonzern Bayer z.B. beschäftigt weltweit fast fünf Mal so viele Mitarbeiter, erzielt den dreifachen Umsatz und den eineinhalbfachen Gewinn, ist aber an der Börse mit 60 Milliarden Mark noch nicht einmal ein Zehntel wert.
Während der Übernahmeschlacht sind die Aktienkurse beider Unternehmen derart gestiegen, dass ein Anleger mehrere hundert Jahre warten müsste, um bei dem gegenwärtigen Gewinnanteil den Kaufpreis der Aktien zu finanzieren. Der hohe Börsenwert beruht ausschließlich auf der Erwartung, dass der Aktienkurs weiter ansteigen wird. Das setzt voraus, dass das fusionierte Untenehmen weiter expandiert. Experten gehen denn auch davon aus, dass weitere Übernahmen folgen und auch Vodafones Konkurrenten weiter fusionieren werden. Es wird erwartet, dass der lukrative und stark expandierende Telekommunikationsmarkt in wenigen Jahren weltweit von nur noch fünf bis zehn Unternehmen beherrscht wird.
Mannesmann und Vodafone zusammen haben Schätzungen zufolge während der Übernahmeschlacht knapp zwei Milliarden Mark für Werbung und Beratung ausgegeben. Diese Summe entspricht etwa dem, was die 280.000 Sozialhilfeempfänger der Großstadt Berlin in einem halben Jahr an öffentlicher Unterstützung erhalten. Auch die umstrittenen zehn Milliarden Mark für den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter, die zudem noch größtenteils aus Steuermitteln aufgebracht werden, nehmen sich angesichts dieser Summe lächerlich gering aus.
Auf den ersten Blick erscheint dieser gewaltige Werbeaufwand unsinnig, da letztlich die Großanleger- Investmentfonds, Finanzhäuser und Pensionsverwalter - über das Zustandekommen der Übernahme entscheiden. Diese orientieren sich an ökonomischen Daten und nicht an nichtssagenden Werbesprüchen, Bildern von Yuppies, Säuglingen und nackten Busen, wie sie Tag für Tag seitenfüllend die Zeitungen zierten.
Dass sich Mannesmann-Chef Klaus Esser und Vodafone-Chef Chris Gent, unter Thatcher Vorsitzender der britischen Jung-Konservativen, dennoch für diese aufwendige Kampagne entschieden haben, zeigt, dass sie sich ihrer politischen Vorreiterrolle durchaus bewusst sind. Es ging darum, den in der deutschen Öffentlichkeit weitverbreiteten Widerstand gegen den Shareholder-Kapitalismus amerikanischer Prägung zu überwinden.
Als Vodafone im November seine Absicht bekundete, Mannesmann zu übernehmen, war es noch zu politischen Protesten gekommen. Neben anderen hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement ihre Beunruhigung über die Methoden von Vodafone bekundet. Diese Proteste sind inzwischen verstummt. Sowohl Schröder wie auch Clement haben die Einigung zwischen den beiden Kontrahenten ausdrücklich begrüßt.
Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, weiteren derartigen Übernahmen und Fusionen den Weg zu ebnen, was schließlich zu einer völligen Umwälzung der deutschen Industrielandschaft führen wird. Vor allem die von Finanzminister Eichel angekündigte Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen von Kapitalgesellschaften hat in Wirtschaftskreisen Jubel ausgelöst und deren kühnste Erwartungen übertroffen.
So hat Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle, einer der einflussreichsten deutschen Manager, kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erklärt, der Versicherungskonzern werde nun mit einer "aktiven Umschichtung" seines milliardenschweren Beteiligungsbesitzes beginnen. Versicherungen und Banken hätten seit Jahren an Beteiligungen festgehalten, weil der Verkauf zu hohen Steuerforderungen geführt hätte. Nach der Steuerbefreiung könne nun "ausschließlich nach unternehmerischen Gesichtspunkten entschieden werden".
Auch die Gewerkschaft IG Metall, die Anfangs noch Demonstrationen gegen die Übernahme von Mannesmann organisierte, ist schnell eingeknickt. Sie gibt sich mit der Versicherung von Vodafone-Chef Gent zufrieden, dass es bei Mannesmann keinen Stellenabbau geben werde. Gent hat ihr im Gegenzug eine "konstruktive Haltung" bescheinigt.
Außer nationalistisch gefärbten Parolen hat die IG Metall keine Antwort auf die sozialen Folgen der Globalisierung. Solange sich Mannesmann bemühte, die Übernahme durch Vodafone abzuwehren, hat sie sich voll hinter Konzernchef Esser gestellt und die berechtigte Angst der Beschäftigten auf die Mühlen des deutschen Konzernvorstands gelenkt. Nachdem Esser nachgegeben hat, fügt sie sich - wie immer - in die neue Lage. Die Auswirkungen der Globalisierung entziehen den Methoden der Sozialpartnerschaft, mit denen die Gewerkschaften bisher den sozialen Ausgleich organisiert haben, vollkommen den Boden.