Neunter Vortrag: Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und der Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale

Diesen Vortrag, "Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und der Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale", hielt Peter Schwarz, Mitglied der internationalen Redaktion der WSWS, im Rahmen der Sommerschule der Socialist Equality Party/WSWS, die vom 14. bis 20. August in Ann Arbor, USA stattfand.

Frankfurter Schule und unverstandener Nationalsozialismus

Neben dem Aufstieg und Fall der Sowjetunion ist der Nationalsozialismus eine der großen unverstandenen Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit "unverstanden" meine ich nicht unbekannt. Im Gegenteil. Die Behandlung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs stehen weltweit - und vor allem in Deutschland - auf jedem Lehrplan. Unzählige historische Abhandlungen, Bücher und Artikel sind über das Thema verfasst, zahlreiche Aspekte des Dritten Reichs sind detailliert erforscht worden. Aber was die historischen Lehren aus diesen traumatischen Ereignissen betrifft, herrscht nach wie vor die größte Verwirrung.

Hitlers Machtübernahme und die schrecklichen Verbrechen seines Regimes, die in einem Angriffskrieg mit achtzig Millionen Toten und der systematischen Vernichtung von sechs Millionen Juden gipfelten, sind zweifellos die traumatischsten Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts. Dies umso mehr, als Deutschland als eine der führenden, wenn nicht als die führende Kulturnation der Welt galt. Sie hatte Denker wie Kant, Hegel und Marx, Musiker wie Bach, Beethoven und Brahms, Schriftsteller wie Goethe, Heine und Thomas Mann, sowie Wissenschaftler wie Röntgen, Planck und Einstein hervorgebracht, um nur einige zu nennen. Im Jahrzehnt vor Hitlers Machtübernahme war Berlin das europäische Kulturzentrum. Das künstlerische Leben blühte auf allen Gebieten: Musik, Theater, Malerei usw.

Wie konnte eine solche Kulturnation in die schlimmsten Formen der Barbarei zurückfallen? Warum hatte Hitler Erfolg? Warum wurde er nicht aufgehalten? Wer ist verantwortlich?

Sechzig Jahre nach Hitlers Fall hat die offizielle Ideologie keine befriedigende Antwort auf diese Fragen gegeben. Hinweise auf Auschwitz und den Holocaust dienen dazu, alles und jedes zu rechtfertigen, darunter nicht wenige neue historische Verbrechen: Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, den Jugoslawienkrieg und die Bombardierung Belgrads, den Irakkrieg und den Sturz Saddam Husseins, das Verbot von rechten und vor allem linken politischen Parteien in Deutschland.

Charakteristisch für die Konfusion, die über die Bedeutung des Nationalsozialismus herrscht, ist ein Dokument, das in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs verfasst und kurz nach seinem Ende veröffentlicht wurde: "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor Adorno. Die beiden führenden Vertreter der Frankfurter Schule hatten sich darin die Aufgabe gestellt, eine grundsätzliche Erklärung für den Nationalsozialismus zu liefern. "Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt," heißt es einleitend.

Diese Schrift sollte einen maßgeblichen Einfluss auf die Interpretation des Nationalsozialismus in Deutschland, aber auch international ausüben. Horkheimer und Adorno, die bald nach Kriegsende aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrten und Professuren an der Universität Frankfurt erhielten, wurden von der Regierung damit beauftragt, die Lehrpläne für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus an den deutschen Schulen zu erarbeiten. Später übte die Frankfurter Schule einen starken Einfluss auf die Studentenbewegung von 1968 aus. Man kann die Evolution der Grünen, die sich von den Erben der 68er Bewegung zu einer tragenden Säule des deutschen Staats entwickelt haben, nicht verstehen, ohne sich mit der Ideologie der Frankfurter Schule auseinander zu setzen.

Das erste, was bei der Lektüre der Schrift von Horkheimer und Adorno auffällt, ist das völlige Fehlen von jeglichem Hinweis auf konkrete historische, wirtschaftliche oder politische Ereignisse und auf die Rolle von gesellschaftlichen Klassen, politischen Parteien oder Perspektivfragen. Die Politik der SPD wird ebenso wenig untersucht wie die der KPD. Noch nicht einmal Hitler wird erwähnt. Stattdessen wird alles auf die Ebene des Denkens an sich gehoben, das als eigenständiges Subjekt daher kommt, völlig losgelöst von den denkenden Individuen, dem gesellschaftlichen Bewusstsein, dem Kampf von Klassen und Ideen. Horkheimer und Adorno bezeichnen dies als "Selbstbesinnung [des Denkens] über seine eigene Schuld".

Sie gelangen zum Schluss, dass der Keim für den gesellschaftlichen Rückschritt, der sich im Nationalsozialismus manifestierte, bereits in der Aufklärung beinhaltet war. Zentraler Gegenstand ihrer Arbeit, schreiben sie, sei die "Selbstzerstörung der Aufklärung". Und: "Wir hegen keinen Zweifel [...], dass die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist. Jedoch glauben wir, genauso deutlich erkannt zu haben, dass der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet."

Ein großer Teil ihrer Argumentation verläuft auf rein philosophischer Ebene und ist in einer nahezu unverständlichen, esoterischen Sprache geschrieben. Sehr eindeutig werden sie aber immer dann, wenn sie auf die Folgen des wirtschaftlichen und industriellen Fortschritts und dessen Auswirkungen auf die Massen eingehen.

Waren Marx und Engels der Auffassung, dass die durch den Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte in Konflikt mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen geraten, eine Epoche sozialer Revolution einleiten und die Grundlage für eine höhere, sozialistische Gesellschaftsform bilden, vertreten Horkheimer und Adorno den entgegengesetzten Standpunkt: Der Fortschritt der Produktivkräfte führt zur Verdummung der Massen, zum Niedergang der Kultur und schließlich zum Rückfall der Gesellschaft in die Barbarei.

Sie beklagen die "rätselhafte Bereitschaft der technologisch erzogenen Massen, in den Bann eines jeglichen Despotismus zu geraten" und deren "selbstzerstörerische Affinität zur völkischen Paranoia". [1] Später schreiben sie: "Die Menschheit, deren Geschicklichkeit und Kenntnis mit der Arbeitsteilung sich differenziert, wird zugleich auf anthropologisch primitivere Stufen zurückgezwungen, denn die Dauer der Herrschaft bedingt bei technischer Erleichterung des Daseins die Fixierung der Instinkte durch stärkere Unterdrückung. Die Phantasie verkümmert. [...] Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts ist die unaufhaltsame Regression."

Und: "Je komplizierter und feiner die gesellschaftliche, ökonomische und wissenschaftliche Apparatur, auf deren Bedienung das Produktionssystem den Leib längst abgestimmt hat, um so verarmter die Erlebnisse, deren er fähig ist. Die Eliminierung der Qualitäten, ihre Umrechnung in Funktionen überträgt sich von der Wissenschaft vermöge der rationalisierten Arbeitsweisen auf die Erfahrungswelt der Völker und ähnelt sich tendenziell wieder der der Lurche an. [...] Die Ohnmacht der Arbeiter ist nicht bloß eine Finte der Herrschenden, sondern die logische Konsequenz der Industriegesellschaft, ..."

Diese Passagen - und es gibt noch viele ähnliche in dem Buch - zeigen sehr deutlich, welche Schlussfolgerungen Horkheimer und Adorno aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus gezogen haben: Die marxistische Auffassung, dass der wesentliche Impuls für die Veränderung der Gesellschaft aus der dialektischen Wechselwirkung von Produktivkräften und gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen kommt, hat sich als falsch erweisen. Das Anwachsen der Produktivkräfte führt im Gegenteil zu einer Verfestigung der kapitalistischen Herrschaft und zum Rückfall der Gesellschaft in die Barbarei.

"Die Beherrschten", erklären sie, "nehmen die Entwicklung, die sie mit jeder dekretierten Steigerung der Lebenshaltung um einen Grad ohnmächtiger macht, als unantastbar notwendige hin. Nachdem man den Lebensunterhalt derer, die zur Bedienung der Maschinen überhaupt noch gebraucht werden, mit einem minimalen Teil der Arbeitszeit verfertigen kann, die den Herren der Gesellschaft zur Verfügung steht, wird jetzt der überflüssige Rest, die ungeheure Masse der Bevölkerung als zusätzliche Garde fürs System gedrillt, um dessen großen Plänen heute und morgen als Material zu dienen. Sie werden durchgefüttert als Armee der Arbeitslosen. Ihre Herabsetzung zu bloßen Objekten des Verwaltungswesens, die jede Sparte des modernen Lebens bis in Sprache und Wahrnehmung präformiert, spiegelt ihnen die objektive Notwendigkeit vor, gegen die sie nichts zu vermögen glauben."

Wo liegt der Ausweg aus dieser gesellschaftlichen Sackgasse?

Im kritischen Denken, antworten Horkheimer und Adorno. "Es ist der Knecht, dem der Herr nicht nach Belieben Einhalt tun kann", schreiben sie. Während sich die "Herrschaft" alles unterwirft, gewinnt das "Denken" einen hohen Grad von Selbstständigkeit: "Das Instrument gewinnt Selbständigkeit: die vermittelnde Instanz des Geistes mildert unabhängig vom Willen der Lenker die Unmittelbarkeit des ökonomischen Unrechts. Die Instrumente der Herrschaft, die alle erfassen sollen, Sprache, Waffen, schließlich Maschinen, müssen sich von allen erfassen lassen. So setzt sich in der Herrschaft das Moment der Rationalität als ein von ihr auch verschiedenes durch. Die Gegenständlichkeit des Mittels, die es universal verfügbar macht, seine ‚Objektivität’ für alle, impliziert bereits die Kritik von Herrschaft, als deren Mittel Denken erwuchs." [2]

Die Frankfurter Schule hat in ihren Entstehungsjahren viele Anleihen beim Marxismus gemacht und wird oft auch heute noch fälschlicherweise als eine Spielart des Marxismus bezeichnet. Die angeführten Passagen aus "Dialektik der Aufklärung" machen deutlich, dass der Gegensatz zwischen dem Marxismus und der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule nicht tiefer sein könnte.

Auch der Marxismus räumt dem kritischen Denken, dem Bewusstsein, einen hohen Stellenwert ein. Die Aufgabe von Marxisten besteht darin, sozialistisches Bewusstsein von außen in die Arbeiterklasse hineinzutragen, wie wir im Vortrag über Lenins "Was tun?" gesehen haben. Aber die Macht dieses sozialistischen Bewussteins ergibt sich daraus, dass es auf einem wissenschaftlichen Verständnis der gesetzmäßigen Entwicklung der Gesellschaft beruht. "Wir nennen unsere Dialektik materialistisch, weil ihre Wurzeln weder im Himmel noch in der Tiefe unseres ‚freien Willens’ liegen, sondern in der objektiven Wirklichkeit," schrieb Trotzki. [3]

Marxisten streben danach, die Praxis der Arbeiterklasse in Übereinstimmung mit den objektiven Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung zu bringen. Bei der Frankfurter Schule ist es umgekehrt: Hier führt das kritische Denken einen heroischen - und ziemlich aussichtslosen - Kampf gegen die objektiven Entwicklungstendenzen der Gesellschaft. Der wirtschaftliche und technologische Fortschritt, die zunehmende Arbeitsteilung zwingen die Menschheit "auf anthropologisch primitivere Stufen" zurück, gleichen ihre Erfahrungswelt "tendenziell wieder der der Lurche an" und führen zu einer "unaufhaltsamen Regression". Das kritische Denken kann sich dieser Entwicklung nur entgegenstemmen, indem es sich von den objektiven Entwicklungstendenzen der Gesellschaft abkoppelt und dieser als selbständiges Objekt entgegentritt.

Man könnte leicht einen oder mehrere Vorträge darauf verwenden, die politischen Implikationen dieser Auffassung nachzuvollziehen. Das hoffnungslose Unterfangen, sich einer feindlichen gesellschaftlichen Realität allein mit der Waffe des kritischen Gedankens entgegenzustellen, erinnert an Don Quichottes berühmten Kampf gegen Windmühlen. Es führt zu jener pessimistischen Grundstimmung, die die Frankfurter Schule und ihre Ableger wie ein roter Faden durchzieht. Der Kulturpessimismus des durch den Nationalsozialismus traumatisierten Bildungsbürgers paart sich hier mit einem tief sitzenden Misstrauen gegen jede Art von Massenbewegung. Besonders deutlich tritt dies in den Schriften Horkheimers und Adornos über die Massenkultur zutage: Kulturelle Neuerungen wie Film oder Jazz-Musik erfüllen sie mit hellem Entsetzen.

Auf die Studentenprotestbewegung von 1968 übten die Schriften der Frankfurter Schule eine große Anziehungskraft aus. Die 68er Generation, die kurz vor oder nach Kriegsende zur Welt gekommen war, bemühte sich intensiv um eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen des Faschismus, die in den zwei Nachkriegsjahrzehnten unterdrückt worden war. Sie war entsetzt über die Verbrechen, welche die Generation ihrer Väter begangen hatte. Das war eine der treibenden Kräfte der Protestbewegung in Deutschland, die ihr eine stark ausgeprägte antikapitalistische Stoßrichtung verlieh. Aber die Antworten der Frankfurter Schule führten in eine Sackgasse.

Die Frankfurter Schule kritisierte bestimmte Erscheinungsformen der bürgerlichen Gesellschaft scharf und geistreich. Aber sie war nicht in der Lage, die Widersprüche im kapitalistischen Fundament der Gesellschaft aufzudecken, die die Voraussetzungen für ihren Sturz und ihre Überwindung schufen. Die Arbeiterklasse wurde nicht als potentiell revolutionäres Subjekt, sondern als völlig angepasste, vom Konsumterror beherrschte Masse gesehen. Nach anfänglichem Protest, der im extremsten Fall bis zum individuellen Terrorismus reichte, floss die 68er Bewegung schließlich in das Bett der bürgerlichen Ordnung zurück, um schließlich dreißig Jahre später - mit dem Eintritt der Grünen in die Bundesregierung - die politische Verantwortung für sie zu übernehmen.

Man kann in der Programmatik und der Entwicklung der Grünen unschwer viele Themen wieder erkennen, die Horkheimer und Adorno in ihrer Schrift von 1944 anklingen ließen: Skepsis gegenüber technologischem und wissenschaftlichem Fortschritt, Misstrauen gegenüber den Massen, und vieles mehr. Der kritische Geist fand nach jahrzehntelangem Herumirren schließlich sein Zuhause im deutschen Staatsapparat. Die Grünen, lange Zeit Kritiker staatlicher Repression und pazifistische Gegner des Militarismus, verherrlichen jetzt den staatlichen Unterdrückungsapparat als Garant der Demokratie und die deutsche Armee als Wahrerin des internationalen Friedens und der Zivilisation. Doch das ist nicht Thema unseres heutigen Vortrags.

Eine Erwiderung auf Horkheimer und Adorno kann nicht bei allgemeinen theoretischen Überlegungen stehen bleiben. Sie muss vor allem das historische Ereignis analysieren, auf das sie sich beziehen: den Aufstieg des Nationalsozialismus. In dieser Hinsicht sind die Schriften von Leo Trotzki bis heute unübertroffen. Nichts zeigt deutlicher den abgrundtiefen Unterschied, der die Kritische Theorie der Frankfurter Schule vom Marxismus und historischen Materialismus trennt, als ein Vergleich von Trotzkis Analyse des Nationalsozialismus mit derjenigen von Horkheimer und Adorno.

Die Kritische Theorie läuft trotz ihres Namens auf eine platte Apologie heraus. Sie erklärt, weshalb es so kommen musste und nicht anders kommen konnte. Sie führt das "Versinken der Menschheit in eine neue Art Barbarei" auf allgemeine Mängel des aufgeklärten Denkens, auf eine Art Ursünde der Aufklärung zurück. Sie leitet die "Affinität der Massen (im allgemeinen) zur völkischen Paranoia" aus der Arbeitsteilung (im allgemeinen) und dem technischen Fortschritt (im allgemeinen) ab. Trotz der komplizierten Argumentation und den dialektisch anmutenden Redewendungen bleibt die Analyse oberflächlich, spekulativ, idealistisch, metaphysisch, im schlechten Sinne abstrakt - und zutiefst verlogen.

Ganz anders Trotzki. Ihm sind die platten Allgemeinheiten eines Horkheimer und Adorno vollkommen fremd. Er sucht die Ursachen für den Nationalsozialismus nicht in einem Fehler des aufgeklärten Denkens, im technischen Fortschritt oder im Kapitalismus im allgemeinen, sondern in den Widersprüchen eines bestimmten Kapitalismus unter bestimmten historischen Umständen - in der Ausweglosigkeit des deutschen Kapitalismus unter den Bedingungen des imperialistischen Niedergangs. Er spekuliert nicht über die Massen an sich, sondern untersucht sorgfältig die widersprüchliche Lage der verschiedenen Klassen, deren politische Entwicklung keineswegs unabänderlich vorherbestimmt war. Und er befasst sich vor allem intensiv mit der Rolle der politischen Parteien und ihrer Führer.

Trotzki verfasste seine zahlreichen Artikel und Broschüren zu Deutschland im Feuer der Ereignisse. Die in den siebziger Jahren erschienene deutsche Ausgabe seiner Schriften zum Nationalsozialismus enthält 76 Artikel, die zwischen 1929 und 1940 entstanden sind - die überwiegende Mehrheit in den Jahren 1932 und 33. Trotzki verfolgte das Ziel, den Kurs der Kommunistischen Partei zu ändern. Diese hätte mit einer korrekten Politik den Aufstieg des Nationalsozialismus aufhalten und Hitlers Sieg verhindern können.

Faschismus und Abeiterklasse

Seine gesellschaftliche Basis fand der Nationalsozialismus nicht in den Massen als solchen, wie Horkheimer und Adorno behaupten, und mit Sicherheit nicht in der Arbeiterklasse, deren Entwicklung untrennbar mit der modernen Industrie und Technologie verbunden ist. Er fand sie in jenen Schichten des Kleinbürgertums und des Lumpenproletariats, die der Kapitalismus ausgeschieden, ruiniert und vernichtet hatte oder die den sozialen Absturz fürchteten.

Es waren die Handwerker, Krämer und Angestellten, die vom Nachkriegschaos nicht weniger heftig als die Arbeiter getroffen wurden; es waren die von der Landwirtschaftskrise zugrunde gerichteten Bauern; es waren die Kleineigentümer, die aus dem Bankrott nicht herauskamen, ihre studierten Söhne ohne Stellung und Klienten, ihrer Töchter ohne Aussteuer und Freier; es war die untere und mittlere Offiziersschicht des alten Heeres - wie es Trotzki in seinem Artikel "Porträt des Nationalsozialismus" so unübertrefflich schildert.

Zusammenfassend schreibt er: "Das nationale ‚Erwachen’ stützte sich ganz und gar auf die Mittelklassen, den rückständigsten Teil der Nation, den schweren Ballast der Geschichte. Die politische Kunst bestand darin, das Kleinbürgertum durch Feindseligkeit gegen das Proletariat zusammenzuschweißen. Was wäre zu tun, damit alles besser werde? Vor allem die niederdrücken, die unten sind. Kraftlos vor den großen Wirtschaftsmächten hofft das Kleinbürgertum, durch die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen seine gesellschaftliche Würde wiederherzustellen." [4]

Aber während sich der Nationalsozialismus auf das Kleinbürgertum stützte und dieses gegen die Arbeiterklasse in Stellung brachte, entsprach seine Politik in keiner Weise den gesellschaftlichen Bedürfnissen des Kleinbürgertums. Einmal an der Macht, erhob sich Hitlers Partei über die Nation "als reinste Verkörperung des Imperialismus", wie Trotzki erklärt.

Er schreibt: "Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen über den Rücken des Kleinbürgertums an die Macht, das er in einen Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpresste. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums. Mussolini hat recht: Die Mittelklassen sind nicht fähig zu selbständiger Politik. In Perioden großer Krisen sind sie berufen, die Politik einer der beiden Hauptklassen bis zum Unsinn zu führen. Dem Faschismus gelang es, sie in den Dienst des Kapitals zu stellen." [5]

Um die Entwicklung des Faschismus zu verstehen, muss man die Krise des Weltimperialismus und ihre Auswirkungen auf den deutschen Imperialismus untersuchen - und nicht die Mängel des aufgeklärten Denkens oder die Auswirkungen der Massenkultur auf die Arbeiterklasse, wie dies Horkheimer und Adorno tun. Auch dies hat Trotzki brillant zusammengefasst:

"Der russische Kapitalismus erwies sich infolge seiner außerordentlichen Zurückgebliebenheit als schwächstes Glied der imperialistischen Kette. Der deutsche Kapitalismus offenbart sich aus dem entgegengesetzten Grunde in der gegenwärtigen Krise als das schwächste Glied: Er ist der fortgeschrittenste Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit. Je größer die den Produktivkräften Deutschlands innewohnende dynamische Kraft, umso mehr muss Europas Staatensystem an ihnen würgen, das dem Käfigsystem einer zusammengeschrumpften Provinzmenagerie gleicht. Jede Konjunkturschwankung stellt den deutschen Kapitalismus vor eben die Aufgaben, die er durch den Krieg zu lösen versucht hatte." [6]

Für die Bourgeoisie gab es nur einen Ausweg aus dieser Krise. Sie musste erreichen, was sie im Ersten Weltkrieg nicht erreicht hatte. Sie musste Europa mit militärischer Gewalt reorganisieren, es der deutschen Vorherrschaft unterwerfen und neuen "Lebensraum" im Osten erobern. Der Krieg war nicht das Ergebnis von Hitlers Größenwahn, sondern der objektiven Bedürfnisse des deutschen Imperialismus. Bevor sie den Krieg führen konnte, musste die imperialistische Bourgeoisie jedoch den "inneren Feind" besiegen - die mächtige und gut organisierte deutsche Arbeiterklasse.

Horkheimer und Adorno ignorieren einfach, dass die Arbeiterklasse den Faschismus in ihrer überwiegenden Mehrheit ablehnte. Das zeigt, wie unehrlich sie argumentieren. Ihre Auslassungen über die "Beherrschten" - die "Affinität" der "technologisch erzogenen Massen" zur "völkischen Paranoia", die Annäherung ihrer "Erfahrungswelt" an die "der Lurche" - haben mehr mit dem Bild des Nationalsozialismus gemein, das durch die Nazi-Propaganda (z.B. die Filme Leni Riefenstahls) erzeugt wurde, als mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit Deutschlands.

Es ist eine unwiderlegbare historische Tatsache, dass der Nationalsozialismus vor Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 kaum Unterstützung in der Arbeiterklasse fand. Bei den letzten halbwegs demokratischen Wahlen im November 1932 erhielten die beiden großen Arbeiterparteien, SPD und KPD, zusammen 13,2 Millionen Stimmen, mehr als die NSDAP mit 11,7 Millionen. Gerade die "technologisch erzogenen Massen", d.h. die Arbeiter in den großen Industriebetrieben, standen nahezu geschlossen hinter der SPD oder der KPD.

Die wichtigste politische Aufgabe des Faschismus bestand gerade darin, diese organisierte Abeiterklasse zu zerschlagen. Deshalb stellte sich, als sich die Krise in den dreißiger Jahren zuspitze, nahezu die gesamte politische und wirtschaftliche Elite hinter Hitler, der Anfangs von großen Teilen der Bourgeoisie eher misstrauisch beobachtet worden war: Die Großindustriellen, die Hitler im Januar 1932 in Düsseldorf ihre Unterstützung versprachen, und der Generalstab der Wehrmacht, der eine Schlüsselrolle bei seiner Ernennung zum Kanzler im Januar 1933 spielte.

Die ungeheure Brutalität, mit der die Nazis vorgingen, stand in proportionalem Verhältnis zur hervorragenden Organisation und zum hohen kulturellen Niveau der Arbeiterklasse. Es genügte nicht, die revolutionären Führer zu verhaften und einzusperren - das hätte eine Militär- oder Polizeidiktatur auch erledigen können. Man musste das Ergebnis der jahrzehntelangen marxistischen Bildungs-, Erziehungs- und Organisationsarbeit zerstören, welche die Arbeiterklasse in Deutschland geprägt hatte.

Es war kein Zufall, dass die Nazis die Werke von Heinrich Heine, Stefan Zweig, Heinrich Mann, Sigmund Freud und vielen anderen nicht nur verboten und aus den Bibliotheken verbannten, sondern öffentlich verbrannten. Sie mussten ein Fanal gegen die Kultur setzen, die sie instinktiv mit der Arbeiterklasse, gesellschaftlichem Fortschritt und Sozialismus in Zusammenhang brachten. In dieser Hinsicht verstanden Hitler und Goebbels den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Arbeiterklasse und Kultur weit besser als Horkheimer und Adorno.

Trotzki schrieb: "Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Hierzu ist die physische Ausrottung der revolutionären Arbeiterschicht nicht ausreichend. Es heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu vernichten und die Ergebnisse von einem dreiviertel Jahrhundert Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auszurotten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die Kommunistische Partei." [7]

Hauptopfer dieser Politik wurden am Ende die europäischen Juden. Im Anfangsstadium nutzten die Nazis den Antisemitismus, dessen historische Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen, um rückständige Bevölkerungsschichten zu mobilisieren und von den wachsenden Klassenspannungen abzulenken. Als Hitler an der Macht war, wurden immer dann antisemitische Pogrome veranstaltet, wenn der Druck der Bevölkerung auf das Regime zunahm. Mit dem Beginn des Krieges fielen dann alle Schranken für die extremsten Formen des Antisemitismus und diese entwickelten ihre eigene Logik.

Der Holocaust beruhte auf einer Kombination von irrationalen und völlig rationalen Motiven: Die Arisierung, die Enteignung wohlhabender Juden, lieferte beträchtliche Mittel zur Bereicherung der Nazis, anderer Teile der deutschen Bourgeoisie und der Staatskasse; die Vernichtung Millionen armer Juden im Osten war Bestandteil einer umfassenderen Strategie des Völkermords, die Raum für deutsche Siedler schaffen sollte.

Es handelt sich um eine komplexe Frage, die im Rahmen dieses Vortrags kaum untersucht werden kann. Eines ist aber offensichtlich: Das Schicksal der europäischen Juden war auf das Engste mit dem Schicksal der Arbeiterklasse verbunden. Nach der Niederlage der deutschen Arbeiterklasse gab es keine gesellschaftliche Kraft mehr, die die europäischen Juden gegen die völkermörderische Politik der Nazis hätte verteidigen können.

Kaum waren die Nazis an der Macht, zeigte sich der imperialistische Charakter ihrer Politik. Hitler missachtete die Bestimmungen des Versailler Vertrags und leitete ein massives Aufrüstungsprogramm ein. Er ließ ein Autobahnnetz bauen, dass es der deutschen Armee ermöglichte, sich in kürzester Zeit von einem Ende des Landes zum anderen zu bewegen. Die hohen Geldsummen, die in diese Projekte flossen, und die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen hatten eine zeitweilige Erholung der Wirtschaft zur Folge, die es Hitler ermöglichte, seine Diktatur zu konsolidieren. Aber langfristig unterhöhlten die massiven öffentlichen Ausgaben die Wirtschaft so sehr, dass nur noch ein Krieg ihren Zusammenbruch verhindern konnte.

Der Historiker Tim Mason schreibt dazu: "Die einzige ‚Lösung’ der strukturellen Spannungen und der durch Diktatur und Aufrüstung hervorgerufenen Krisen, die dem Regime zur Verfügung stand, waren mehr Diktatur und mehr Aufrüstung, dann Expansion, dann Krieg und Terror und schließlich Plünderung und Versklavung. Die stets präsente Alternative war Zusammenbruch und Chaos, und so waren alle Lösungen zeitweilige, hektische, kurzfristige und zunehmend barbarische Improvisationen über ein brutales Thema." [8]

Viele internationale Widersacher, allen voran der britische Premier Neville Chamberlain, schätzen Hitler in dieser Hinsicht völlig falsch ein. Sie dachten, er würde unter massivem ökonomischem Druck eher zu Kompromissen neigen. Nachdem er Hitler im Münchener Abkommen das Sudetenland und mit ihm die gesamten tschechoslowakischen Verteidigungsanlagen zugestanden hatte, glaubte Chamberlain, er habe einen dauerhaften Frieden gesichert. Das Gegenteil war der Fall. Für Hitler war die Übernahme des Sudetenlandes lediglich ein weiterer Schritt in Richtung Krieg. Durch die wirtschaftliche Krise in die Sackgasse getrieben, konnte er sein Regime nur retten, indem er immer aggressiver vorging.

Hier gibt es offensichtliche Parallelen zur heutigen Lage. Tim Masons Bemerkung über das Hitler-Regime könnte auch auf die Bush-Administration übertragen werden. Die einzige "Lösung" der strukturellen Spannungen und der durch den Krieg hervorgerufenen Krisen, die dem Regime zur Verfügung steht, ist mehr Krieg. Es wäre eine Illusion, glaubte man, die Bush-Administration - oder die amerikanische Elite als ganze - würden angesichts einer schweren Krise im Irak und einer unhaltbaren wirtschaftlichen Lage die Truppen einfach zurückziehen und zu normaleren Umständen zurückkehren. Das würde den US-Imperialismus nicht nur im Mittleren Osten und international untergraben, sondern auch im eigenen Land. So ist die einzige Lösung mehr Krieg und mehr Angriffe auf demokratische Rechte.

Es gibt auch bestimmte Parallelen zwischen der Krise, die Hitlers Machtübernahme voranging, und der gegenwärtigen Lage in Deutschland. Mit der Entscheidung für vorgezogene Neuwahlen hat Bundeskanzler Schröder auf eine politische und wirtschaftliche Sackgasse reagiert. In der Außenpolitik sind die deutschen Pläne, eine bedeutendere Rolle als Großmacht zu spielen, durch das Scheitern der EU-Verfassung und der Pläne für einen permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat durchkreuzt worden. Wirtschaftlich ist es trotz massiven Angriffen auf die Arbeiterklasse nicht gelungen, die Arbeitslosenzahl von fünf Millionen zu senken und die Wirtschaft zu beleben. Und an der inneren Front stoßen die Angriffe auf soziale Errungenschaften und Arbeiterrechte auf weit verbreitete Ablehnung.

Die vorgezogenen Neuwahlen sind als Befreiungsschlag gedacht. Sie sollen eine Regierung an die Macht zu bringen, die stark genug ist, unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Schröder hat zu diesem Zweck eine Verfassungsbestimmung verletzt, die verhindern soll, dass es zu politischer Instabilität wie am Ende der Weimarer Republik kommt - das Verbot einer Selbstauflösung des Parlaments.

Es ist aber jetzt schon klar, dass die Wahl unabhängig von ihrem Ausgang die politische Krise nicht lösen wird. Es ist gut möglich, dass weder die jetzige noch die Koalition von Union und Freidemokraten die Mehrheit bekommen wird. Die herrschende Elite ist sich zunehmend bewusst, dass ein Regierungswechsel an sich nicht ausreicht, um die drängenden, durch die internationale Lage gestellten politischen und ökonomischen Aufgaben zu lösen. Um die verbreitete und tief verwurzelte Opposition gegen soziale Ungleichheit und Sozialabbau zu brechen, sind neue Herrschaftsmethoden erforderlich, die in grundlegender Weise mit den auf sozialem und politischem Konsens beruhenden Nachkriegstraditionen brechen.

Weshalb die Nazis die Arbeiterklasse besiegen konnten

Weshalb konnte der Nationalsozialismus die Arbeiterklasse besiegen? Um diese Frage zu beantworten, muss man aus dem Bereich der Soziologie und der Ökonomie auf die Ebene der Politik übergehen. Der Nationalsozialismus hatte zwar tiefe ökonomische und gesellschaftliche Ursachen, aber das bedeutet keineswegs, dass sein Aufstieg und sein Sieg unvermeidlich waren. Sie waren das Ergebnis des Versagens der Arbeiterparteien, oder präziser: des Verrats ihrer Führer.

Ohne sich mit der Rolle der Sozialdemokratie und vor allem des Stalinismus auseinander zu setzen, ist es unmöglich, die Lehren aus dem Nationalsozialismus zu ziehen. Es ist bezeichnend, dass Horkheimer und Adorno mit keiner Silbe auf diese Frage eingehen und auch sonst in ihren Werken einen großen Bogen um den Stalinismus machen. Bei aller Betonung der Bedeutung von "Denken" und "Kritik" nehmen sie einen völlig objektivierenden Standpunkt ein, wenn es um die wirkliche Bedeutung des subjektiven Faktors geht.

Die SPD war bereits 1914 mit ihrer Entscheidung, im Ersten Weltkrieg die deutsche Regierung zu unterstützen, auf die Seite der herrschenden Ordnung übergegangen. Nach dem Krieg organisierte sie dann die Niederschlagung der proletarischen Revolution und den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sie wurde zur entscheidenden Stütze des bürgerlichen Staats in der Weimarer Republik. In deren Endstadium unterstützte sie das Regime des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning, der mit Notverordnungen gegen die Arbeiterklasse vorging. Für Trotzki gab es keinen Zweifel, dass die SPD auf der Seite der bürgerlichen Ordnung stand, die Hauptverantwortung für das Anwachsen des Faschismus trug und im Zweifelsfall eher eine faschistische Machtübernahme hinnehmen würde, als einen proletarischen Aufstand zu unterstützen.

Anders stand es mit der KPD. Sie war 1919 als Antwort auf den Verrat der SPD gegründet worden. In ihr fanden sich die revolutionärsten Elemente der Arbeiterklasse wieder. Und sie vertrat - zumindest in Worten - revolutionäre Ziele. Doch sie vertrat eine politische Linie und Perspektive, die die politische Lage völlig falsch einschätzte, die Arbeiterklasse desorientierte und lähmte und es Hitler schließlich ermöglichte, die Macht zu übernehmen, ohne auf organisierten Widerstand der Arbeiterklasse zu stoßen - und das obwohl Sozialdemokraten wie Kommunisten über eigene bewaffnete Abteilungen verfügten, die darauf brannten, gegen die Nazis zu kämpfen.

Das Versagen der KPD war eine Folge der stalinistischen Degeneration der Kommunistischen Internationale. Nachdem sie ihre herausragendste Führerin, Rosa Luxemburg, im Januar 1919 wenige Tage nach ihrem Gründungskongress verloren hatte, durchlebte die KPD während der revolutionären Erschütterungen der frühen zwanziger Jahre mehrere Krisen. Anschließend wurde ihre Führung wiederholt durch die Stalinfraktion in Moskau gesäubert. Anfang der dreißiger Jahre war dann die KPD-Führung unter Ernst Thälmann ein gefügiges Werkzeug in den Händen der Moskauer Bürokratie.

Stalin strebte nicht gezielt nach Hitlers Sieg und nach der Niederlage der KPD. Aber innerhalb der Kommunistischen Internationale wurde jede demokratische Auseinandersetzung unterdrückt. Ihre politische Linie wurde durch die engstirnigen Cliqueninteressen der stalinistischen Bürokratie motiviert und von der Theorie des "Sozialismus in einem Land" angeleitet.

Im Unterschied zu Großbritannien, wo sich die Kommunistische Partei auf die Seite der Gewerkschaftsbürokratie stellte, und zu China, wo sie die bürgerlich nationalistische Kuomintang unterstützte, nahm die Politik der KPD in Deutschland eine linke Form an. Die KPD weigerte sich, einen Unterschied zwischen SPD und NSDAP zu machen. Sie bezeichnete die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten und lehnte eine Politik der Einheitsfront ab, wie sie die ersten Kongresse der Komintern unter Lenins Führung erarbeitet hatten.

Trotzki wies nach, dass diese ultralinke Linie eine Form des bürokratischen Zentrismus war. Es handelte sich um eine mechanische Reproduktion des linken Kurses, den die Kommunistische Partei der Sowjetunion im Kampf gegen die Kulaken eingeschlagen hatte. Auf ihrem Sechsten Kongress im Sommer 1928 hatte die Kommunistische Internationale entschieden, dass eine "dritte Periode" begonnen habe, die in jedem Land der Welt den Kampf um die Macht auf die Tagesordnung setze. Taktiken wie die Einheitsfront, die von den ersten Kominternkongressen entwickelt worden waren, um die Mehrheit der Arbeiterklasse und insbesondere sozialdemokratische Arbeiter auf die Seite der Kommunistischen Parteien zu ziehen, wurden für unzulässig erklärt.

Die KPD schwenkte im Sommer 1929 auf diese ultralinken Linie ein. Die Sozialdemokraten wurden zu Sozialfaschisten erklärt und die KPD gründete ihre eigenen Gewerkschaften, getrennt von den sozialdemokratischen. In Wirklichkeit verbarg ihr radikales Geschrei und Geschimpfe über die Sozialdemokratie Pessimismus und Passivität. Am deutlichsten äußerte sich das in ihrer defätistischen Parole: "Nach Hitler kommen wir."

Den Kern der Linie der KPD bildete ihre Weigerung, zwischen Sozialdemokratie und Faschismus zu unterscheiden. Weil beide die bürgerliche Ordnung unterstützten, schlossen die Stalinisten, dass es keinen Unterschied zwischen ihnen gebe. Trotzi wies dies mit Nachdruck zurück:

"Der Sozialdemokratie die Verantwortung für Brünings Notverordnungssystem und die drohende faschistische Barbarei aufzuerlegen, ist vollkommen richtig. Die Sozialdemokratie mit dem Faschismus zu identifizieren, vollkommen unsinnig," schrieb er im Januar 1932. "Die Sozialdemokratie, jetzt Hauptvertreterin des parlamentarisch-bürgerlichen Regimes, stützt sich auf die Arbeiter. Der Faschismus auf das Kleinbürgertum. Die Sozialdemokratie kann ohne Arbeitermassenorganisationen keinen Einfluss ausüben, der Faschismus seine Macht nicht anders befestigen als durch Zerschlagung der Arbeiterorganisationen. Hauptarena der Sozialdemokratie ist das Parlament. Das System des Faschismus fußt auf der Vernichtung des Parlamentarismus. Für die monopolistische Bourgeoise stellen parlamentarisches und faschistisches System bloß verschiedene Werkzeuge ihrer Herrschaft dar. Sie nimmt in Abhängigkeit von den historischen Bedingungen zu diesem oder jenem Zuflucht. Jedoch für die Sozialdemokratie wie für den Faschismus ist die Wahl des einen oder des anderen Werkzeugs von selbständiger Bedeutung, noch mehr, die Frage ihres politischen Lebens oder Todes." [9]

Diesen Widerspruch galt es auszunutzen. In dem Artikel "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen" erklärte Trotzki: "Die Tausende und Abertausende von Noskes, Wels’, Hilferdings ziehen letzten Endes den Faschismus dem Kommunismus vor. Aber dazu müssen sie sich endgültig von den Arbeitern verabschieden. Heute ist dem noch nicht so. Heute gerät die Sozialdemokratie als Ganzes, bei all ihren inneren Widersprüchen, in scharfen Konflikt mit den Faschisten. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen Konflikt auszunützen, und nicht darin, die Widersacher gegen uns zu vereinigen. Die Front muss jetzt gegen den Faschismus gerichtet werden. Und diese für das ganze Proletariat gemeinsame Front des direkten Kampfs gegen den Faschismus muss man für den von der Flanke geführten, darum aber nicht minder wirksamen Kampf gegen die Sozialdemokratie ausnützen." [10]

Indem die KPD eine Einheitsfront ablehnte, der SPD immer neue Ultimaten stellte und in einigen Fällen sogar gemeinsame Sache mit den Faschisten machte, stieß sie die sozialdemokratischen Arbeiter in die Arme ihrer Führer zurück, lähmte die Arbeiterklasse und demoralisierte die eigenen Mitglieder.

Gleichzeitig stärkte sie damit die Faschisten. Wie Trotzki immer wieder aufzeigte, erfolgte der Übergang der radikalisierten Kleinbürger ins Lager der NSDAP keineswegs zwangsläufig. Hätte die KPD die Nazis mit einer entschlossenen und energischen Politik bekämpft, anstatt mit hohlen Phrasen, hätten sich viele ihr angeschlossen. In dem Artikel "Der einzige Weg" beschrieb Trotzki den Mechanismus, der das Kleinbürgertum in die Arme des Faschismus trieb.

Die Kleinbourgeoisie, schrieb er, "ist durchaus fähig, ihr Schicksal mit dem des Proletariats zu verknüpfen. Hierzu ist nur eines erforderlich: Das Kleinbürgertum muss den Glauben gewinnen an die Fähigkeit des Proletariats, die Gesellschaft auf eine neue Bahn hinauszuführen. Ihm diesen Glauben einzuflößen, vermag das Proletariat nur durch seine Kraft, durch die Sicherheit seiner Handlungen, durch geschickten Angriff auf die Feinde, durch die Erfolge seiner revolutionären Politik. ... Erweist sich aber die revolutionäre Partei trotz des ununterbrochen zunehmenden Klassenkampfs immer wieder von neuem als unfähig, die Arbeiterklasse um sich zu scharen, schwankt sie, ist sie verwirrt, widerspricht sie sich selbst, dann verliert das Kleinbürgertum die Geduld und beginnt in den revolutionären Arbeitern die Urheber seines eigenen Elends zu sehen." [11]

Trotzkis Kampf zielte darauf, die Linie der KPD und der Komintern zu ändern. Obwohl er selbst aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war und seine Anhänger von den Stalinisten brutal verfolgt wurden, betrachteten sich die Trotzkisten immer noch als Linke Opposition innerhalb der Kommunistischen Parteien. Den Befürwortern eines Bruchs mit der KPD antwortete Trotzki, dass man den Grad der Entartung einer revolutionären Partei nicht ausschließlich anhand von Symptomen messen kann. Der lebendige Nachweis durch die Ereignisse ist notwendig.

Die katastrophale Niederlage der deutschen Kommunistischen Partei war solch ein lebendiger Nachweis. Sie bewies, dass die KPD für revolutionär Zwecke tot war. Aber Trotzki zögerte noch, dasselbe auch über die Kommunistische Internationale zu sagen. Er wartete ab, ob eine Sektion auf die deutsche Katastrophe reagieren und die stalinistische Clique kritisieren würde. Doch das geschah nicht.

"Die Moskauer Leitung erklärte nicht nur die Politik, die Hitlers Sieg gesichert hatte, für fehlerfrei, sondern verbot, über das Geschehene zu diskutieren," schrieb Trotzki. "Und diese schmachvolle Verteidigung wurde weder zurückgewiesen, noch auch nur angegriffen. Kein nationaler Kongress, kein internationaler Kongress, keine Diskussion in den Parteiversammlungen, keine Polemik in der Presse! Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt dadurch, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird. Das offen und mit klarer Stimme zu sagen, ist eine wahrhafte Pflicht gegenüber dem Proletariat und seiner Zukunft. In unserer gesamten zukünftigen Arbeit müssen wir von dem historischen Zusammenbruch der offiziellen Kommunistischen Internationale ausgehen." [12]

Trotzki zog aus dem Zusammenbruch der Kommunistischen Internationale den Schluss, dass es notwendig sei, die Vierte Internationale aufzubauen, die 1938 gegründet wurde.

Quellen:

[1] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1988, alle bisherigen Zitate S. 1-3

[2] ebd., alle bisherigen Zitate S. 42-45. Hervorhebungen hinzugefügt.

[3] Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Berlin 1973, S. 79.

[4] Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, Essen 1999, S. 303.

[5] ebd., S. 307.

[6] Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, in ebd., S. 67.

[7] ebd., S. 69.

[8] Tim Mason, Nazism, fascism and the working class, Cambridge 1996 (aus dem Englischen)

[9] Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, in ebd., S. 70, 80-81.

[10] Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?, in ebd., S. 61.

[11] Der einzige Weg, in ebd. S. 214-15.

[12] Man muss von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen, in ebd. S. 311-312.

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