Googles Zensur von linken und progressiven Websites ist eng mit der deutschen Regierungspolitik abgestimmt. Am 5. April nahm Ben Gomes, Chefingenieur für die Suchmaschinen bei Google, an einem Treffen der Rundfunkkommission der Länder in Berlin teil, um Googles neuen Such- oder besser Zensur-Algorithmus mit hochrangigen deutschen Regierungsvertretern zu diskutieren.
Die Rundfunkkommission der Länder ist eines der höchsten Gremien zur Organisation und Kontrolle der Medien in Deutschland und umfasst Vertreter aller 16 Landesregierungen. Den Vorsitz der Kommission hat traditionell der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz inne, gegenwärtig die Sozialdemokratin Manu Dreyer.
Im Zentrum des sogenannten „Digital Lunch“, an dem Gomes teilnahm, stand die Zensur des Internets. „Wie funktioniert die Suche“ war der Titel der Veranstaltung, so die offizielle Website der Landesvertretung Rheinland-Pfalz. Gomes habe „den Vertretern der Rundfunkkommission der Länder Funktionsweise und Weiterentwicklung der Suchmaschine“ erklärt und sich „über diesen Austausch in Berlin sehr gefreut”.
Die Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz für Medien und Digitales, Staatssekretärin Heike Raab (SPD), erklärte ihrerseits nach dem Treffen: „Wir müssen die Geschäftsmodelle und die Funktionsweise von Intermediären verstehen, um angemessene Regulierungsansätze entwickeln zu können. Deshalb bin ich Herrn Gomes sehr dankbar für den Blick hinter die Kulissen.“
Worin dieser „Blick hinter die Kulissen“ bestand, ist bekannt. Drei Wochen später, am 25. April, veröffentlichte Gomes einen Blogeintrag mit dem orwell’schen Titel „Unsere jüngsten qualitativen Verbesserungen der Suchfunktion“. Darin legitimierte er Internetzensur als notwendige Reaktion auf „das Phänomen der ‚Fake News’, das heißt auf Inhalte im Web, die zur Verbreitung offen irreführender, qualitativ minderwertiger, offensiver oder einfach nur falscher Informationen beitragen“.
In Wirklichkeit dient der Begriff „Fake News“ dazu, politische Nachrichten und Ansichten, die der offiziellen politischen Linie der Regierung, des Militärs und der Geheimdienste widersprechen, zu unterdrücken und zu zensieren. Die World Socialist Web Site hat in einer Reihe von Artikeln darüber berichtet, wie Google mit seinem neuen Suchalgorithmus systematisch linke und progressive Webseiten zensiert. Das gleiche Ziel verfolgt die Bundesregierung mit dem sogenannten Netzwerkdurchsuchungsgesetz, das Ende Juni im Bundestag verabschiedet wurde.
Dass Teile der herrschenden Klasse in Deutschland seit langem danach trachten, das Internet zu zensieren und ganz konkret auch die World Socialist Web Site zu attackieren, ist bekannt. In den letzten Jahren hat die WSWS hunderte Artikel und Kommentare gegen die Rückkehr des deutschen Militarismus veröffentlicht, die zehntausende Leser erreichten. Vor allem die erfolgreiche Kampagne der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) und ihrer Jugendorganisation, der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), gegen den rechtsradikalen Humboldt-Professor Jörg Baberowski hat in der herrschenden Klasse eine regelrechte Hysterie ausgelöst.
Wie sein Kollege Herfried Münkler spielt Baberowski eine Schlüsselrolle bei der Rückkehr des deutschen Militarismus und verfügt über enge Verbindungen in höchste Regierungskreise und ins Militär. Die SGP und die IYSSE haben auf der WSWS systematisch aufgezeigt, wie Baberowski seine Stellung als Professor missbraucht, um auf politischen Veranstaltungen und in den Medien für völkerrechtswidrige Kriegsmethoden zu werben, gegen Flüchtlinge zu hetzen und nach einem Polizeistaat zu rufen.
Außerdem hat die WSWS auf Baberowskis Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen aufmerksam gemacht und sie scharf verurteilt. Baberowski ist u.a. ein Anhänger von Ernst Nolte, dem bekanntesten Nazi-Apologeten unter den deutschen Historikern der Nachkriegszeit. „Nolte wurde unrecht getan. Er hatte historisch recht“, erklärte er Anfang 2014 im Spiegel. Im gleichen Artikel behauptete Baberowski: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, das an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“
Nachdem Baberowski vor Gericht damit gescheitert war, Kritiker seiner rechten und militaristischen Standpunkte mundtot zu machen, nahm die Hetzkampagne gegen die WSWS und die SGP/IYSSE immer aggressivere Formen an. Kurz vor Gomes‘ Besuch in Berlin, am 27. März, warnte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem prominent platzierten Artikel davor, „wie wirkungsmächtig die trotzkistische Splittergruppe ist“, und verlangte offen die Zensur der WSWS. Da sie „von einem amerikanischen Server aus betrieben“ werde, sei sie „nach deutschem Presserecht“ jedoch „nicht zu belangen“, klagte das Blatt.
Am 17. April bezeichnete die Präsidentin der Humboldt-Universität und hochrangige SPD-Politikerin Sabine Kunst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Kritik der WSWS an den rechtsextremen Positionen Baberowskis als „Diffamierungen… aus einem Bereich, der keine Diskussionen zulässt“. Über „Blogs oder andere Plattformen im Internet“ würden „eine Behauptung“ oder „Fake News“ in „die Welt gesetzt und rasend schnell weiterverbreitet…, ohne dass man über Richtigkeit oder Lauterkeit reden könnte“.
Was konkret haben deutschen Regierungskreise und Gomes im April vereinbart? Eine Untersuchung der Web-Verkehrsdaten ergibt, dass Google die Suchergebnisse seitdem massiv manipuliert hat, um den Zugang zur deutschsprachigen Ausgabe der WSWS zu blockieren. Insgesamt ist die Zahl der Seitenzugriffe auf die deutsche WSWS über Google in den vergangenen drei Monaten um fast zwei Drittel gesunken. Google selbst gibt an, dass die Anzahl sogenannter „Impressions“, die zur WSWS leiten, zwischen Mai und Juni von 17.000 auf 5.500 gefallen ist.
„Impression“ ist ein technischer Begriff für einen Link, der bei Google als Ergebnis einer Suchanfrage erscheint. Eine genauere Analyse der einzelnen Suchbegriffe ergibt, dass vor allem Suchbegriffe zur sozialistischen Identität der WSWS und zu den zentralen Kampagnen der SGP und IYSSE von der Google-Zensur betroffen sind. So führte etwa die Suchanfrage „Sozialismus“ im Mai noch zu 590 Impressions der deutschsprachigen WSWS. Im Juli erhielt man mit dem gleichen Begriff keine einzige WSWS-Impression mehr.
Im Mai erbrachte eine Google-Suche nach dem Begriff „Krieg 2017“ 939 Impressions der WSWS, im Juli sank die Zahl der Impressions um mehr als 50 Prozent auf 421. Noch größer ist der Rückgang für den Suchbegriff „Baberowski“ selbst. Von 1036 Impressions im Mai fiel er um mehr als 80 Prozent auf 162 Impressions im Juli. Die Suchwörter „Verbrechen der Wehrmacht“, die Baberowski in seinen politischen Interviews und pseudo-wissenschaftlichen Texten verharmlost, ergaben im Mai 338 Impressions, im Juli war es keine einzige mehr.
Zynischerweise schreibt Gomes in seinem Blogeintrag vom 25. April, dass Google seinen Suchalgorithmus unter anderem deshalb verändere, um zu verhindern, dass Einträge von Rechtsextremen etwa zum Thema Holocaustleugnung die Google-Suche dominierten. Das war offensichtlich eine Lüge. Was tatsächlich stattfindet, ist die Zensur linker Kritik an den rechtsextremen Standpunkten Baberowskis in enger Zusammenarbeit mit deutschen Regierungskreisen.