Vom 21. bis 27. März erprobten eine verstärkte Panzergrenadier- und eine Jägerkompanie in der Retortenstadt „Schnöggersburg“ Bürgerkriegssituationen.
Der Komplex nördlich von Magdeburg besteht aus mehr als 500 Gebäuden, 300 Hütten, Sportanlagen, Brücken, einem Industriegebiet, einer Altstadt mit Marktplatz, einem Regierungsviertel, einem Elendsviertel und einem Sakralbau. Außerdem beinhaltet er einen Flugplatz, eine Kanalisation, eine zweispurige Autobahn und mit 350 Metern Länge die einzige U-Bahn Sachsen-Anhalts. Die World Socialist Web Site berichtete bereits Ende Oktober über die Einweihung des Megakomplexes.
560 Soldaten übten auf dem Gelände des Gefechtsübungszentrums Heer (GÜZ) die Erstürmung von Wohnhäusern, die Zerstörung von Barrikaden und den Angriff auf Flugplatz und Tower. Mit ihren Ausbildern lieferten sie sich Häuserkämpfe und Straßenschlachten. Eine große Vielfalt von Kriegswaffen kam dabei zum Einsatz, neben dem im Nahen Osten gefürchteten Kampfpanzer Leopard 2 auch ein barrikadenbrechender Pionierpanzer sowie Rad- und Schützenpanzer.
Die Bundeswehr geht augenscheinlich davon aus, bei ihren imperialistischen Raubzügen in Mali, Afghanistan und vielen weiteren Ländern Situationen wie diese zu erzeugen. Sie legt dabei besonders viel Wert auf eine routinierte und reibungslose Durchführung. Oberstleutnant i.G. Frank Dieter Lindstedt, Dezernatsleiter im Amt für Heeresentwicklung, erläutert in seiner Presseerklärung die Bedeutung der Übung: „Diese Pilotübung ist enorm wichtig, um bewerten zu können, ob oder in welche Richtung wir unsere Einsatzgrundsätze und Übungsverfahren anpassen, weiterentwickeln und zukunftsorientierend ausrichten müssen.“
Doch die Übung erfüllt noch einen weiteren Zweck. „Ganz nah an der Realität“ (offizieller Bericht des Heers) bereitet sich die Bundeswehr auch auf Bürgerkriegszustände im Inneren Deutschlands und der EU vor. Spätestens seit den ersten gemeinsamen Übungen von Polizei und Bundeswehr ist das offensichtlich. Im März 2017 kamen im Rahmen der GETEX („Gemeinsame Terrorismusabwehr-Exercise“) neben 360 Soldaten der Bundeswehr auch Sondereinsatzkommandos der Polizei zum Einsatz, ausgerüstet mit Hubschraubern, besonders geschützten Fahrzeugen, Aufklärungsdrohnen und Sprengstoffentschärfungsrobotern.
Nun soll auch die für November dieses Jahres angekündigte LÜKEX („Länderübergreifende strategische Krisenmanagement-Exercise“) erstmals gemeinsam mit den Streitkräften stattfinden. Das Szenario der Übung ist bezeichnenderweise „ein großflächiger Ausfall der Gasversorgung im Winter“; eine Situation, die beispielsweise durch einen branchenweiten Streik im Energiesektor eintreten könnte.
Laut einem Bericht des Bundeswehr-Journals wird der Schwerpunkt von LÜKEX 18 in Baden-Württemberg und Bayern liegen, aber auch das Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind involviert. Zentrale Akteure auf Bundesebene werden neben dem Innenministerium Teile des Wirtschaftsministeriums, die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, das Bundespresseamt und das Auswärtige Amt sein.
Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren und die enge Vernetzung ziviler Strukturen mit Polizei und Militär sind Bestandteil einer umfassenden Aufrüstungsoffensive. Seit der Amtsübernahme der Großen Koalition vergeht kaum ein Tag, an dem die Pläne für den Aufbau eines Überwachungsstaates auf Bundes- und Länderebene nicht konkretisiert und vorangetrieben werden.
Nach Bayern hat nun auch das Bundesland Sachsen einen extrem weitreichenden Entwurf für ein neues Polizeigesetz vorgelegt. Den Plänen der schwarz-roten Landesregierung zufolge soll die Polizei in Sachsen unter anderem Handgranaten und Maschinengewehre erhalten. Geplant ist außerdem die Einführung von neuer Munition, die darauf abzielt, „den Betroffenen zu überwältigen, ohne ihn dabei tödlich zu verletzen“. Neben Video-Überwachung, Gesichtserkennung und der Einführung von Fußfesseln soll sogar das Überwachen von Journalisten möglich sein, wenn es für „den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist“.
Die Maßnahmen entsprechen den Plänen für ein sogenanntes „Musterpolizeigesetz“ auf Bundesebene, auf das sich SPD und CDU/CSU im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Die Großkoalitionäre fordern dort unter anderem eine „bessere Ausstattung für die Polizei“, die „Ausweitung der DNA-Analyse“, „die Videoüberwachung an Brennpunkten“ und die Stärkung und Zentralisierung der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in Deutschland und ganz Europa.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch auf den eigentlich grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr im Inneren haben sich SPD und CDU/CSU hinter den Kulissen verständigt. Im Koalitionsvertrag kündigen sie an, dass die im Weißbuch 2016 „festgelegten Entwicklungslinien“ der Bundeswehr „konsequent weiter verfolgt“ werden sollen. Das Weißbuch spricht sich explizit für den Einsatz der Armee auch im Inland aus. Im Abschnitt „Einsatz und Leistungen der Bundeswehr im Innern“ heißt es dort, dass „die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der wirksamen Bekämpfung des Unglücksfalls unter engen Voraussetzungen auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können“.
Die wirklichen Motive für diese monströsen Pläne werden in einem Dokument des Instituts für Sicherheitsstudien der Europäischen Union mit dem Titel „Perspektiven für die Europäische Verteidigung 2020“ bemerkenswert unumwunden ausformuliert. Das Papier sieht die Aufgabe künftiger Militäreinsätze unter anderem im „Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen“.
„Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen – mit entsprechenden Konsequenzen“, heißt es dort weiter. Durch die Technologie schrumpfe „die Welt zu einem globalen Dorf, das sich allerdings am Rande einer Revolution befindet. Während wir es mit einer immer stärker integrierten Oberschicht zu tun haben, sind wir gleichzeitig mit wachsenden explosiven Spannungen in den ärmsten Unterschichten konfrontiert.“
Seitdem das Papier im Jahr 2011 veröffentlicht wurde, hat die soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa weiter zugenommen. Während die große Mehrheit der Bevölkerung ums schiere Überleben kämpft, hortet eine kleine Oberschicht astronomische Vermögen. So ergab etwa eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass die 45 reichsten Haushalte in Deutschland 214 Milliarden Euro Vermögen besitzen und damit genauso viel wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung.
Die Inbetriebnahme von Schnöggersdorf ist eine Warnung. Vor 100 Jahren stützte sich die sozialdemokratische Regierung unter Reichspräsident Friedrich Ebert und Verteidigungsminister Gustav Noske auf das Militär, um die Novemberrevolution von 1918/19 niederzuschlagen und die revolutionären Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu ermorden. Heute bereitet sich die herrschende Klasse wieder darauf vor, die explosive Opposition in der Bevölkerung gegen Sozialabbau, Militarismus und Krieg auch mit militärischen Mitteln zu unterdrücken.