Maaßen: Ein Rechtsextremer an der Spitze des Verfassungsschutzes

Die jüngste Entwicklung im Fall Maaßen zeigt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in den letzten sechseinhalb Jahren von einem überzeugten Rechtsextremisten geleitet wurde.

Hans-Georg Maaßen sollte eigentlich bereits vor zwei Monaten als Chef des Inlandsgeheimdiensts abgesetzt werden, weil er sich hinter den rechtsradikalen Aufmarsch in Chemnitz gestellt hatte. Die Bundesregierung hatte damals beschlossen, ihn mit einer anderen Aufgabe im Innenministerium zu betrauen. Doch er blieb in seinem bisherigen Amt. Nun hat ihn Innenminister Horst Seehofer in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Am Sonntag war bekannt geworden, dass Maaßen seine Stellung als Verfassungsschutzchef benutzt hatte, um den Neonazi-Aufmarsch in Chemnitz weiterhin zu verteidigen und vermeintliche Kritiker in der Bundesregierung als „linksradikal“ zu denunzieren. In einer Abschiedsrede, die er am 18. Oktober in Warschau vor den versammelten Chefs der europäischen Inlandsgeheimdienste hielt, bezeichnete er sich als Opfer einer Verschwörung „linksradikaler Kräfte“ in der SPD. Die Rede wurde anschließend für die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in dessen Intranet gestellt.

Obwohl inzwischen Dutzende Videos und Zeugenaussagen belegen, dass während der rechtsextremen Aufmärsche, die Ende August Chemnitz erschütterten, Migranten durch die Straßen gejagt, der Hitlergruß gezeigt und ein jüdisches Restaurant angegriffen wurde, bestritt Maaßen dies in Warschau vehement.

Dass es in Chemnitz „Hetzjagden“ gegeben habe, sei „frei erfunden“, behauptete er, und zog einen Vergleich zu angeblichen russischen Desinformationskampagnen: „Ich habe bereits viel an deutscher Medienmanipulation und russischer Desinformation erlebt. Dass aber Politiker und Medien ‚Hetzjagden‘ frei erfinden oder zumindest ungeprüft diese Falschinformation verbreiten, war für mich eine neue Qualität von Falschberichterstattung in Deutschland.“

Gegenüber den zuständigen Parlamentsausschüssen habe er klagestellt, „dass ein Kampf gegen Rechtsextremismus es nicht rechtfertigt, rechtsextremistische Straftaten zu erfinden“, brüstete sich Maaßen. Darauf hätten „die Medien sowie grüne und linke Politiker“ seine Entlassung gefordert, weil sie „sich durch mich bei ihrer Falschberichterstattung ertappt fühlten“.

Für „linksradikale Kräfte in der SPD“, so der Geheimdienstchef, sei dies der willkommene Anlass gewesen, „um einen Bruch dieser Regierungskoalition zu provozieren“. Er sei von seinen politischen Gegnern und einigen Medien auch deshalb aus dem Amt gedrängt worden, weil er „in Deutschland als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik bekannt“ sei.

Am Montagnachmittag versetzte Innenminister Horst Seehofer den Verfassungsschutzchef, den er bisher verteidigt hatte, mit sofortiger Wirkung in den einstweiligen Ruhestand – nicht ohne ihm vorher „für seine geleistete Arbeit“ gedankt zu haben. Maaßen erhält damit drei Jahre lang 72 Prozent und bis zum Rest seines Lebens mindestens 35 Prozent seines bisherigen Gehalts. Seehofer hätte ihn aufgrund einer schwerer Pflichtverletzung auch entlassen können.

Maaßens Ablösung und die gespielte Empörung, mit der einige Politiker aus dem Regierungs- und Oppositionslager auf seine jüngsten Äußerungen reagiert haben, dienen vor allem dazu, die Spuren zu verwischen. Maaßens rechte Ansichten waren nicht nur bestens bekannt, sondern auch erwünscht. Er hatte die Aufgabe, der rechten Politik der AfD den Boden zu bereiten, um die unsoziale und militaristische Politik der Regierung gegen den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend durchzusetzen. Maaßen war Teil einer politischen Verschwörung, mit der die herrschenden Eliten eine höchst unpopuläre Politik umsetzen.

Das zeigt besonders deutlich der Verfassungsschutzbericht 2017, den Maaßen in diesem Sommer gemeinsam mit Innenminister Seehofer vorstellte. Die AfD und ihr rechtsextremes Umfeld kommen in dem Bericht nicht vor, dagegen wird jede Kritik am Kapitalismus als „linksextremistisch“ gebrandmarkt.

Die „ideologische Grundlage“ von „Linksextremisten“, heißt es darin, sei „die Ablehnung des kapitalisti­schen Systems als Ganzes“. Insbesondere wirft der Bericht „Linksextremisten“ vor, dass sie den Kapitalismus für „gesell­schaftliche und politische Missstände wie soziale Ungerechtig­keit, ‚Zerstörung‘ von Wohnraum, Kriege, Rechtsextremismus und Rassismus sowie für Umweltkatastrophen“ verantwortlich machen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) wird in dem Bericht erstmals als „linksextremistische Partei“ und „Beobachtungsobjekt“ aufgeführt, weil sie „gegen die EU, gegen ver­meintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“ kämpft.

Außer der SGP protestierte niemand gegen diesen Bericht, der jede Opposition gegen den Kapitalismus und seine Folgen – Krieg, soziale Ungleichheit, Rechtsextremismus, Nationalismus, Flüchtlingshetze, usw. – ins Zwielicht der „Verfassungsfeindlichkeit“ stellt und mit Verbot bedroht. Doch jetzt ist klar, dass Maaßen, der sich mit führenden Vertreten der AfD getroffen und den Bericht mit ihnen abgestimmt hatte, selbst die politischen Standpunkte der AfD vertritt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass er nun auch die SPD als „linksextremistisch“ bezeichnet, die den Inlandsgeheimdienst und seine antidemokratischen Methoden stets vehement verteidigt und den Verfassungsschutz auch viele Jahre selbst geführt hat.

Maaßen arbeitet seit 1991 für das Innenministerium und zählte zu den engsten Mitarbeitern von Otto Schily (SPD), der das Ressort von 1998 bis 2005 leitete. Unter Schily sorgte Maaßen unter anderem 2002 dafür, dass der in Bremen aufgewachsene Murat Kurnaz drei Jahre länger als nötig völlig unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo bleiben musste.

Aber auch die Grünen und die Linkspartei haben Maaßen unterstützt. So lud ihn letztere bereits 2013 zu einer öffentlichen Versammlung ein, auf der Linken-Politiker auf einem Sofa gemütlich mit dem Verfassungsschutzchef plauderten.

Eine rechte Figur wie Maaßen konnte sich nur sechseinhalb Jahre lang an der Spitze des Verfassungsschutzes halten, weil er sowohl im Geheimdienst selbst als auch in der Politik breite Unterstützung hatte. Auch jetzt fordert keine Partei, dass der Verfassungsschutz aufgelöst oder wenigstens gründlich ausgemistet wird, obwohl nicht nur Maaßen, sondern auch viele seiner Mitarbeiter der AfD politisch nahstehen und der Verfassungsschutz die Neonazi-Szene über V-Leute steuert und finanziert.

Stattdessen sind alle Parteien darauf bedacht, die Kontinuität zu wahren und Maaßens Kurs auch ohne diesen fortzusetzen. Zu seinem Nachfolger wurde der bisherige Vizechef Thomas Haldenwang berufen, der reibungslos mit Maaßen zusammengearbeitet hat.

Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz lobte Haldenwang in den höchsten Tönen. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit“, sagte er. „Ich wünsche dem neuen Präsidenten eine gute Hand, die Dinge entschlossen anzugehen und verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen.“

Aus der Versammlung der europäischen Geheimdienstchefs in Warschau ist wenig nach außen gedrungen. Aber Maaßens Worten ist zu entnehmen, dass sein rechtsextremer Kurs auch dort Unterstützung fand. Er habe „diesem Kreis sehr gerne angehört“ und „ein hohes Maß an Kollegialität und an Solidarität“ erfahren, sagte er. „Ich habe festgestellt, dass wir die gleichen Ziele haben, die gleichen Werte teilen und gegen die gleichen Gegner von Freiheit und Demokratie kämpfen.“

Maaßen deutete in dem illustren Kreis führender Geheimdienstlern auch an, dass er überlegt, selbst in die Politik zu gehen. Für welche Partei, sagte er nicht. Aber die AfD zeigte sich begeistert. „Er ist ein Spitzenbeamter, der hohem Arbeitsethos verpflichtet ist und der den Mut hat, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen“, lobte ihn AfD-Chef Jörg Meuthen. „Wenn er ein Interesse daran haben sollte, uns beizutreten, wäre er uns natürlich herzlich willkommen.“

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