Ende letzter Woche am Black Friday, dem umsatzstärksten Tag des Jahres, beteiligten sich Tausende von Lagerarbeitern an Streiks und Protesten in ganz Europa gegen die brutalen Arbeitsbedingungen bei Amazon. In Logistikzentren in Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich legten Beschäftigte die Arbeit nieder, in Großbritannien veranstalteten sie Protestaktionen außerhalb der Arbeitszeit.
Mehrere nationale Gewerkschaften beteiligten sich an den Protesten. Ihre Forderungen zielten hauptsächlich darauf ab, von Amazon anerkannt zu werden. Deshalb hatten die Proteste und Streiks nur symbolischen Charakter; die meisten von ihnen waren nur von geringem Ausmaß. Das wirkliche Ziel der Gewerkschaften ist es, von Amazon als „Sozialpartner“ anerkannt zu werden, d.h. als Überwacher der Belegschaft. Der Generalsekretär der britischen Gewerkschaft GMB Tim Roache erklärte gegenüber dem Business Insider: „Wir wollen nur, dass Amazon an den Verhandlungstisch kommt.“
Laut dem internationalen Gewerkschaftsbund UNI Global, der an der Koordinierung des Ausstands beteiligt war, haben in Europa etwa 2.400 Beschäftigte an den Streiks teilgenommen, in anderen Berichten ist von viel höheren Zahlen die Rede. Die meisten Teilnehmer entfielen auf Deutschland und Spanien, laut ver.di beteiligten sich 1.000 Amazon-Beschäftigte, die spanischen Gewerkschaften sprachen von 1.600 Streikenden.
Die GMB schilderte in dem Infomaterial, das sie bei Protesten außerhalb der Logistikzentren in Rugeley, Swansea, Peterborough, Milton Keynes und Warrington verteilte, „ganz einfach unmenschliche“ Arbeitsbedingungen. Laut Dokumenten, die unter Berufung auf die Informationsfreiheit angefordert wurden, mussten bis Juni dieses Jahres 600-mal Krankenwagen zu den vierzehn Amazon-Lagerhäusern in Großbritannien ausrücken. Alleine im Amazon-Lager bei Rugely mussten ganze 115-mal Krankenwagen gerufen werden, u.a. wegen Stromschlägen, Blutungen, Brustschmerzen und schweren Traumata. Dreimal mussten Krankenwagen wegen Schwangerschaften oder Entbindungen gerufen werden.
Eine Arbeiterin erklärte in einem anonym von der GMB veröffentlichten Interview: „Ich bin schwanger, und sie haben mich zehn Stunden lang ohne Sitzgelegenheit lassen... Sie lassen mich hart arbeiten, obwohl sie wissen, dass ich schwanger bin. Ich fühle mich deprimiert, wenn ich bei der Arbeit bin.“ Ein anderer Arbeiter bezeichnete Amazon als „schrecklichen Arbeitsplatz“, wo die Leute „nicht atmen oder ihre Meinung sagen können“ und sich fühlen wie „ein gefangenes Tier, das keine Unterstützung und keinen Respekt bekommt.“
Roache erklärte gegenüber dem Business Insider: „Sie brechen sich Knochen, brechen zusammen und werden im Krankenwagen weggebracht.“ Die GMB veröffentlichte ein Video an den Amazon-Chef Jeff Bezos, auf dem Beschäftigte in fünf Sprachen sagten: „Wir sind keine Roboter“.
Ein Sprecher von Amazon antwortete darauf: „Alle unsere Niederlassungen sind sichere Arbeitsstätten. Gegenteilige Berichte sind einfach nur falsch.“
Bei der Protestveranstaltung vor dem Lager in Warrington verteilten GMB-Funktionäre Flugblätter. Ein Arbeiter erklärte vor Schichtbeginn gegenüber Reportern der World Socialist Web Site: „Ich bin aus Osteuropa und arbeite hier für 9,50 Pfund Stundenlohn. Hier arbeiten viele Einwanderer. Ich war bisher nur in Lagerhäusern beschäftigt. Das ist die einzige Arbeit, die es gibt. Sie ist schwer. Man muss körperlich fit sein, um sie zu schaffen.“
Ein anderer Arbeiter erklärte, er werde das Flugblatt International Amazon Workers Voice lesen, und sagte: „Ich muss jetzt anfangen, aber eins habe ich zu sagen. Ich würde wirklich gern gegen Amazon protestieren. Wirklich gern.“
In Spanien wurde der vierundzwanzigstündige Streik, zu dem die Gewerkschaft CCOO im Amazon-Lager in San Fernando de Henares bei Madrid aufgerufen hatte, am Samstag fortgesetzt. Während des Weihnachts- und Neujahrsgeschäfts sind weitere Streiks am 7., 9., 15. und 30. Dezember sowie am 3. und 4. Januar geplant. In Spanien beschäftigt Amazon etwa 2.000 Arbeiter. Die Berichte über die Zahl der Teilnehmer widersprechen sich stark, doch laut der Gewerkschaft nahmen 80 Prozent der ersten Schicht teil, sodass die Arbeit zum Erliegen kam. Die CCOO erklärte, sie lehnt den neuen Tarifvertrag ab, der in Barcelona bereits umgesetzt wurde. Dort gab es keine Streiks, sodass Amazon die Arbeit verlagern und die Folgen des Streiks in Madrid gering halten konnte.
In Frankreich riefen die Gewerkschaften CGT und SUD zu Protesten gegen den Black Friday und die mit solchen Stoßzeiten einhergehende extreme Ausbeutung der Arbeiter in dem Lager Lauwin-Planque in Lille auf.
In Deutschland kam es von Beginn der Nachtschicht am Donnerstag bis Freitagabend zu Arbeitsniederlegungen in den Niederlassungen in Bad Hersfeld (Hessen), dem größten Lager des Unternehmens, und im nordrhein-westfälischen Rheinberg. Diese waren Teil einer seit vier Jahren andauernden Kampagne von ver.di, ein Tarifabkommen für die etwa 12.000 Beschäftigten in Deutschland auszuhandeln, das eine Bezahlung nach den höheren Vergütungssätzen im Einzelhandel und bei der Post vorsieht.
Ein Amazon-Versandarbeiter aus Leipzig, der anonym bleiben wollte, erklärte gegenüber der WSWS das Dilemma seiner Kollegen: „Alle kritisieren die schlechten Arbeitsbedingungen und die niedrigen Löhne, und die meisten würden gern mitstreiken. Aber sie haben Angst, dass Amazon sie hinauswirft.“
„Vor allem sind die Kollegen völlig enttäuscht von ver.di. Niemand glaubt, dass die Gewerkschaften irgendetwas erreichen oder einen ernsthaften Kampf organisieren werden.“
Weiter sagte er: „Die Gewerkschaft gibt immer den Arbeitern die Schuld. Ich gebe der Gewerkschaft die Schuld. Es wird in Bad Hersfeld und Rheinberg gestreikt, aber in Leipzig merkt man davon gar nichts! Und in Polen, in Breslau, gleich um die Ecke, sollen die Arbeitsbedingungen sogar noch schlimmer sein. Also, warum wird nicht mit den Kollegen dort gemeinsam gestreikt?“
„Die Regelungen zu den Pausen sind eine absolute Frechheit. Ich arbeite bei Amazon insgesamt 8,5 Stunden, bezahlt werden aber nur 7,75 Stunden. Der Rest ist unbezahlte Pausenzeit, eine davon 20 Minuten, die andere 25 Minuten. Amazon betrachtet den Gang zu den Pausenräumen aber schon als Pause. Unterm Strich hast du also eine Pause von 10 Minuten, weil du ja auch wieder 5 Minuten für den Weg zurück brauchst!“
Er erklärte, die Beschäftigten werden „ständig mit Scannern und elektronischen Geräten überwacht, damit das Management genau weiß, wer was und wie lange macht“. Das Unternehmen „zeichnet jeden Schritt auf, sogar wenn man zu oft auf die Toilette geht“.
Weiter erzählte er: „Das Management versucht, die Arbeiter hier systematisch auszuquetschen und sie zu immer schnellerer Arbeit anzuhalten. „Bei Amazon gibt es Bonuswochen. Das heißt, dass du extra Geld bekommst, also mal 20 pro Tag mehr, wenn du eine ganze Woche durchweg auf Arbeit erscheinst. Bist du krank oder kommst du auch nur eine Minute zu spät, ist der Bonus für den Tag oder die Woche komplett weg. Wenn du das Geld brauchst, gehst du dann eben auch krank hin. Bei einer Weiterbildung zum sogenannten ‚ergonomischen Bewegen‘, beschwerte sich eine Kollegin völlig zu Recht über das Präsentationsvideo. Zu sehen waren Arbeiter, die bestimmte Bewegungen ausführten, damit sie zum Beispiel ihren Rücken schonen. Sie meinte, das sei ja alles schön und gut, aber völlig realitätsfern. Niemand hat die Zeit, sich so langsam zu bewegen. In der letzten Rush Hour wäre ihr beinahe ein Gabelstapler über die Füße gefahren.“