„Ich finde es schlimm, dass sofort der Generalverdacht entsteht, man würde sozusagen seine Seele verkaufen, wenn man nach dem Ende seiner politischen Laufbahn eine Aufgabe in der Wirtschaft wahrnimmt“, verteidigte der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seinen Einzug in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Er werde auch in Zukunft nicht anders denken und handeln als bisher,
Mit der letzten Bemerkung hat Gabriel zweifellos recht, allerdings nicht in dem Sinne, in dem er sie verstanden haben will. Denn schon während seiner politischen Laufbahn hat der inzwischen 60-Jährige die Interessen der Banken und Konzerne vertreten. Insofern muss er sein Handeln und Denken tatsächlich nicht ändern, wenn er jetzt in den Aufsichtsrat der mächtigsten deutschen Bank einzieht.
Während der letzten beiden Jahrzehnte, in denen Gabriel hohe Partei- und Regierungsämter ausübte, war die SPD in Deutschland die führende Partei des Sozialabbaus, des Militarismus und der Staatsaufrüstung. Die Regierung von Gerhard Schröder (SPD), die 1998 an die Macht kam, führte den ersten internationalen Kampfeinsatz der Bundeswehr durch, senkte die Steuern für Reiche und Unternehmen und schuf mit den Hartz-Gesetzen die Voraussetzungen für einen riesigen Niedriglohnsektor, der das Lohnniveau nachhaltig senkte.
Die drei Großen Koalitionen unter Angela Merkel (CDU), an denen die SPD beteiligt war, führten diese Arbeit fort. Sie strichen die Altersversorg zusammen, so dass zukünftig ein großer Teil Rentner in Armut leben wird. Sie retteten die Banken mit Milliardensummen und trieben die Militarisierung voran. Als Folge kehrten Millionen der SPD den Rücken: Der Wähleranteil sank von 41 Prozent bei der Bundestagswahl 1998 auf 13 Prozent in den jüngste Umfragen; die Mitgliederzahl fiel im selben Zeitraum von 735.000 auf 420.000.
Gabriel spielte dabei eine maßgebliche Rolle. Er hatte seine politische Laufbahn 1976 bei der SPD-nahen Jugendorganisation Die Falken begonnen und in der Kommunal- und Landespolitik Karriere gemacht. 1999 übernahm er die Nachfolge Gerhard Schröders als niedersächsischer Ministerpräsident, verlor aber das Amt wieder, als er sich 2003 erstmals zur Wahl stellen musste.
Nun ging er in die Bundespolitik, wo er in der ersten Großen Koalition unter Merkel Umweltminister wurde. Nachdem die SPD 2009 die Bundestagswahl verloren hatte und aus der Großen Koalition ausschied, wurde er zum Parteivorsitzenden gewählt. Als solcher war er 2013 maßgeblich an der Bildung der zweiten Großen Koalition beteiligt, in deren Mittelpunkt die Rückkehr zu Militarismus und Großmachtpolitik stand. Von 2013 bis 2017 war Gabriel Bundeswirtschaftminister und Vizekanzler, dann löste er Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident wurde, als Außenminister ab.
2017 gab Gabriel den SPD-Vorsitz an Martin Schulz ab, der nach dem desaströsen Ergebnis der Bundestagswahl ebenfalls zurücktrat. In der dritten Großen Koalition, die 2018 nach monatelangen Verhandlungen zustande kam, war Gabriel nicht mehr vertreten. Im November 2019 legte er auch sein Bundestagsmandat nieder, um die Kontakte und Beziehungen, die er als Politiker gesammelt hatte, in Bargeld umzumünzen.
Als einfaches Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank wird Gabriel mindestens 125.000 Euro im Jahr verdienen. Je nachdem in wie vielen Ausschüssen er tätig ist, kann das auf 300.000 bis 400.000 Euro steigen. Im Vergleich zu den Millionensummen, die Vorstandsmitglieder oder sein Parteifreund Gehard Schröder einstreichen, der nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt beim russischen Energieriesen Gazprom anheuerte, ist das zwar relativ wenig. Aber Aufsichtsratsmitglied ist nur ein Nebenjob.
Bereits jetzt verdient Gabriel als Gastautor der Holtzbrinck-Medien Handelsblatt, Tagesspiegel und Zeit zwischen 15.000 und 30.000 Euro im Monat. Er sitzt außerdem im Beirat des weltweit agierenden Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte mit einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro und arbeitet für die Eurasia Group, ein US-Unternehmen, das auf Politikberatung spezialisiert ist. Er ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke, Kuratoriumsmitglied der International Crisis Group (ICG), Mitglied der Trilateralen Kommission sowie des European Council on Foreign Relations. An den Universitäten Bonn und Harvard war er als Gastdozent tätig.
Es versteht sich von selbst, dass für die hohen Summen, die Gabriel verdient, eine Gegenleistung verlangt wird. Da der ausgebildete Lehrer über keine Fachkenntnisse als Banker verfügt, dürften für die Deutsche Bank vor allem die zahlreichen Kontakte von Interesse sein, die er als Politiker, Wirtschafts- und Außenminister gesammelt hat.
Für den Aufsichtsrat nominiert wurde er vom Herrscherhaus des Emirats Katar, das mit einem Anteil von rund acht Prozent größter Einzelaktionär der Deutschen Bank ist.
Gabriels Beziehungen zu Katar reichen bis in seine Zeit als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen zurück, das ebenso wie Katar Großaktionär beim Volkswagen-Konzern ist. 2017 sprang er als Außenminister dem Emirat als „Vermittler“ zur Seite, als es von Saudiarabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, zwei engen Verbündeten der USA, bedroht und isoliert wurde. Gabriel nutzte die Katar-Krise, um die deutsche Präsenz in der Region zu stärken. Er hatte seit langem gefordert, man müsse den angeblichen Rückzug der USA aus dem Nahen Osten als „Chance“ begreifen, selbst wieder Weltmachtpolitik zu betreiben. Die Krise in Katar nutzte er zu diesem Zweck.
Das Herrscherhaus von Katar hat Gabriel mit der Berufung in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank aber nicht nur einen Gefallen getan, es setzt auch Erwartungen in ihn. Als Großaktionär verlangt es vor allem, dass die Kasse wieder stimmt. Die Deutsche Bank steckt in einer tiefen Krise. Der Aktienkurs hat in den vergangenen fünf Jahren drei Viertel seines Werts verloren. Im vergangenen Jahr wies die Bank einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro aus.
In den Nullerjahren war die Deutsche Bank unter ihrem damaligen Chef Josef Ackermann tief in die kriminellen Machenschaften verstrickt, die 2008 zur globalen Finanzkrise führten. Sie manipulierte Zinsen, hinterzog mit Klima-Zertifikaten Steuern und spekulierte auf dem US-Immobilienmarkt, um die von Ackermann verkündete Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu erreichen. Sie stand „wie kaum ein anderes großes Unternehmen im Lande für einen ungezügelten Kapitalismus mit kriminellen Auswüchsen“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt.
Die Folge waren massive Verluste sowie Geldstrafen und Vergleichszahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe, was die Bank-Manager nicht davon abhielt, weiterhin märchenhafte Summen zu kassieren. Selbst im vergangenen Jahr zahlte die Bank trotz des Rekordverlusts noch 13 Millionen an Boni aus. 2018 verdienten laut einem Bericht der Bild-Zeitung 643 Beschäftigte der Bank mehr als eine Million Euro im Jahr.
Die Belegschaft soll nun dafür die Rechnung zahlen. Im vergangenen Sommer verkündete Konzernchef Christian Sewing einen Sanierungsplan, dem bis 2022 weltweit jeder fünfte Arbeitsplatz zum Opfer fällt, insgesamt 18.000. Gabriel soll mit seiner Regierungserfahrung und seinen guten Kontakten zu den Gewerkschaften mithelfen, dieses Arbeitsplatzmassaker durchzuführen. Er kann dabei mit dem ehemaligen Verdi-Chef Frank Bsirske zusammenarbeiten, der seit Jahren im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sitzt und sein Mandat auch beibehalten hat, nachdem er den Gewerkschaftsvorsitz aus Altersgründen abgegeben hat.
Neben den guten internationalen Kontakten aus seiner Zeit als Außenminister sei „der zweite Vorzug“ Gabriels für die Bank „sein Parteibuch“, kommentiert Spiegel Online. „Als früherer SPD-Vorsitzender kennt er nämlich Frank Bsirske bestens. Der Ex-Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist seit vielen Jahren Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und hat bislang noch bei jeder grundlegenden Entscheidung des Konzerns mitgewirkt – im Positiven wie Negativen.“
Die Chance, dass Gabriel „als Vertreter des größten Aktionärs … im Aufsichtsrat der Deutschen Bank plötzlich sein Herz für die Arbeitnehmer wiederentdeckt“, hält Spiegel Online für gering. „Wer die Katarer kennt, der weiß, dass sie Gefolgschaft verlangen. Gabriel wird sie ab sofort liefern müssen.“
Gabriel muss nicht fürchten, dass ihm die Öffentlichkeit dabei kritisch auf die Finger schaut. Die Sitzungen des Aufsichtsrats unterliegen nämlich nah Aktienrecht strikter Geheimhaltung.