Resolution des Sechsten Parteitags der SEP (USA)

Die globale Pandemie, der Klassenkampf und die Aufgaben der Socialist Equality Party (USA)

Diese programmatische Resolution wurde vom Sechsten Parteitag der Socialist Equality Party (USA), der vom 19. bis 24. Juli 2020 online stattfand, einstimmig verabschiedet.

1. Die Corona-Pandemie ist ein „auslösendes Ereignis“ der Weltgeschichte, das die bereits weit fortgeschrittene wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Systems beschleunigt. Sie schafft die Voraussetzungen für eine enorme Verschärfung des Klassenkampfs auf internationaler Ebene. Die Arbeiterklasse ist mit einer Krise konfrontiert, deren einzige fortschrittliche Lösung im revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus besteht. Dazu müssen die Arbeiter die Staatsmacht erobern, eine demokratische Kontrolle über die Wirtschaft errichten und die Anarchie des Marktes durch wissenschaftliche Planung ersetzen. Das reaktionäre System der Nationalstaaten muss durch eine globale sozialistische Gesellschaft ersetzt werden, die sich soziale Gleichheit und die Abschaffung von Armut und Diskriminierung, eine deutliche Erhöhung des Lebensstandards und des kulturellen Niveaus sowie den Schutz der Umwelt zum Ziel setzt.

2. Die World Socialist Web Site bezeichnete die Pandemie als „auslösendes Ereignis“ und zog damit einen Vergleich zu dem Attentat auf den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914. Dieses Ereignis löste eine Kettenreaktion aus, die im Ausbruch des Ersten Weltkriegs gipfelte. Die WSWS schrieb: „Ob es im August zum Krieg gekommen wäre, wenn das Attentat nicht stattgefunden hätte, darf bezweifelt werden. Aber früher oder später, vielleicht im Winter 1914 oder im folgenden Jahr, hätten die wirtschaftlichen und geopolitischen Widersprüche des europäischen und globalen Kapitalismus und Imperialismus zu einem militärischen Flächenbrand geführt. Das Attentat beschleunigte den historischen Prozess, aber es entfaltete seine Wirkung auf bereits bestehende, höchst explosive sozioökonomische und politische Gegebenheiten. Dasselbe gilt für die Pandemie.“ [1]

3. Die spezifischen Umstände, die zum Ausbruch des Coronavirus führten, waren zufälliger Art. Doch die Reaktion auf die Pandemie ist bestimmt von den Interessen der herrschenden Klasse und der bereits zuvor schwelenden Krise des kapitalistischen Systems. Die Bourgeoisie führt die parasitären Wirtschaftsbeziehungen und die Sozialpolitik aus der Zeit vor der Krise fort.

4. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gingen die beteiligten Mächte davon aus, dass die Gefechte relativ schnell vorbei sein würden. Doch der Konflikt zog sich über Jahre hin, weil die Millionen gefallener Arbeiter in den Augen der herrschenden Klasse ein akzeptabler Preis für ihre geostrategischen Interessen waren. Erst das Eingreifen der Arbeiterklasse in Form der Russischen Revolution 1917 sowie eine Welle revolutionärer Kämpfe in ganz Europa setzten dem Gemetzel ein Ende. In der heutigen Lage sind die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Bourgeoisie, die sich an der Krise bereichert, das größte Hindernis für eine effektive Reaktion auf die Pandemie. Die Finanzelite profitiert von den steigenden Aktienkursen in den Vereinigten Staaten und weltweit, die sich – parallel zur Zahl der Corona-Infektionen und der Todesopfer – einem Rekordniveau annähern. Noch bevor das Virus auch nur ansatzweise unter Kontrolle war, wurden die Arbeiter im Mai zurück an ihre Arbeitsplätze beordert, um die ungehinderte Ausbeutung im Profitinteresse der Konzern- und Finanzelite sicherzustellen.

5. Die derzeitige Lage ist sehr ernst und die Pandemie gerät zusehends außer Kontrolle. Weltweit gab es bis Mitte Juli mehr als 13 Millionen Infizierte, die Zahl der Todesopfer beträgt fast 700.000. Es werden immer neue, schlimmere Rekordmarken überschritten, und besonders in Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten und in Südasien steigen die Infektionszahlen rapide an.

6. Die Vereinigten Staaten sind das Epizentrum der Pandemie. Mehr als 4,5 Millionen US-Amerikaner haben sich mit dem Virus infiziert, es erkrankt also in etwa einer von hundert an Covid-19. Jeden Tag kommen mehr als 70.000 Neuinfektionen dazu. Die Krankenhäuser in Florida, Texas und Arizona haben bereits ihre Kapazitätsgrenzen erreicht oder stehen kurz davor, Krankenpflegern fehlt es an Schutzausrüstung. Bis zum Ende des Sommers wird die offizielle Zahl der Todesopfer in den USA zwischen 250.000 und 350.000 liegen – mehr als doppelt so viele wie die gefallenen amerikanischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, im Vietnamkrieg und im Korea-Krieg zusammengenommen.

7. Neben der Ausbreitung der Pandemie nimmt auch das Ausmaß der sozialen Krise zu. Weltweit sind laut Schätzungen der Vereinten Nationen 265 Millionen Menschen infolge des Coronavirus vom Hungertod bedroht. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) rechnet mit einem Einkommensverlust für Arbeiter in Höhe von bis zu 3,4 Billionen Dollar. In den Vereinigten Staaten sind trotz der Lockerungsmaßnahmen nach wie vor Dutzende Millionen ohne Arbeit, rund 100.000 Kleinunternehmen und mittelständische Betriebe mussten dauerhaft schließen.

8. Die vollkommen chaotische und menschenverachtende Reaktion der Trump-Regierung auf die Pandemie hat nicht nur deren Unfähigkeit und kriminellen Charakter offenbart, sondern auch den politischen und moralischen Bankrott des amerikanischen Kapitalismus und der herrschenden Elite, deren soziale Physiognomie geprägt wurde durch die extreme und schlicht krimelle Ausbreitung eines „System[s] des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel.“ [2] Das Ausmaß hätte selbst Karl Marx die Sprache verschlagen, doch es ist die Basis, auf der die herrschende Klasse in den letzten 40 Jahren eine massive Umverteilung des Vermögens von der Arbeiterklasse auf die Superreichen vorangetrieben hat.

9. Die gigantische Inflation auf dem Aktienmarkt, ausgelöst durch Spekulationen und die zunehmende Dominanz des Finanzsektors, haben ein beispielloses Ausmaß an sozialer Ungleichheit hervorgerufen.

10. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt stellen sich die Frage: „Wie lange wird es dauern, bis die Pandemie unter Kontrolle gebracht wird?“ Die übliche Antwort lautet, dass erst ein wirksamer Impfstoff gefunden werden muss. Dieser Fatalismus geht von der Annahme aus, dass die Corona-Krise vorrangig ein medizinisches Problem ist. Die soziale und die politische Dimension im Kampf gegen die Pandemie werden nicht berücksichtigt. Genau wie ein Aufstand der Arbeiterklasse nötig war, um den Ersten Weltkrieg zu beenden, müssen die Arbeiter auch heute bewusst den Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen, damit die Gesellschaft dem Virus etwas entgegensetzen kann. Selbst wenn in naher Zukunft ein Impfstoff entwickelt wird, der überdies langfristige Immunität bietet (was nicht garantiert ist), wird dessen Verteilung weiterhin den Profitinteressen der Großkonzerne und den geostrategischen Konflikten zwischen den Großmächten unterworfen sein. Überdies wird eine Eindämmung der Pandemie nicht das Ende der sozialen und wirtschaftlichen Krise bedeuten. Wie der Erste Weltkrieg wird auch die Pandemie tiefe Narben in der Gesellschaft hinterlassen und langanhaltende Folgen haben. Es wird keine Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem Ausbruch des Virus geben, die ohnehin schlecht genug waren. Die wirtschaftliche, soziale und politische Krise wird sich auf der Grundlage der Bedingungen weiterentwickeln, wie sie durch die Pandemie geschaffen wurden. Die Klassenkämpfe werden an Intensität zu- und nicht abnehmen.

11. Um die skrupellose Wiedereröffnung der Wirtschaft zu rechtfertigen, erklärten die Medienkonzerne, dass „das Heilmittel [gegen die Pandemie] nicht schlimmer sein darf als die Krankheit“. In Wirklichkeit ist die Pandemie nur ein Symptom, und die Krankheit ist der Kapitalismus. Die notwendige Behandlung ist der internationale Klassenkampf, das Heilmittel der Sozialismus.

12. Um die gegenwärtige Situation zu verstehen und einen Kurs für die Zukunft festzulegen, bedarf es einer Analyse der Krise in den Vereinigten Staaten, die zum globalen Zentrum der Pandemie geworden sind.

Dezember 2019 –27. März 2020: Der Ausbruch der Pandemie, die Unterdrückung von Informationen und die Rettung der Konzern- und Finanzelite

13. Die erste Phase begann im Dezember 2019 mit Ausbruch des Virus in China, der sich dann über Europa bis nach Nordamerika ausbreitete. Sie endete mit der Unterzeichnung des CARES-Gesetzes durch Präsident Donald Trump. Während dieser kritischen Monate trafen die Trump-Regierung und die Demokraten und Republikaner im Kongress katastrophale Entscheidungen. Im Auftrag der Konzern- und Finanzelite räumten sie der Rettung von Banken, Großkonzernen und mächtigen Investoren an der Wall Street Vorrang ein. Dies war für sie wichtiger, als Menschenleben zu schützen und die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen.

14. Anfang Januar 2020 erkannten die Epidemiologen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Centers for Disease Control (CDC), dass sich der Ausbruch des Coronavirus zu einer globalen Gesundheitskatastrophe entwickeln könnte. Die Daten, die während der Schweinegrippe und des Ebola-Ausbruch gesammelt worden waren, ließen wenig Zweifel an den Folgen einer Pandemie. Bereits 2005 warnte die Pandemie-Expertin Laurie Garrett in der Zeitschrift Foreign Affairs vor den Gefahren der Vogelgrippe H5N1:

Sollte das Virus, das sich fortwährend weiterentwickelt, von Mensch zu Mensch übertragbar werden, die Ansteckungsrate einer typischen Grippe entwickeln und seine hohe Virulenz konstant halten, steht der Menschheit eine beispiellose Pandemie bevor. [3]

Garrett beschrieb, wie furchtbar sich ein von Mensch zu Mensch übertragbarer Virus in einer Pandemie auf Amerika und die ganze Welt auswirken würde. In den USA, schrieb Garrett, „könnte es bis zu 16 Millionen Todesopfer und einen unvorstellbaren wirtschaftlicher Einbruch geben.“ [4] Und weiter:

Der gesamten Welt würde ein ähnliches Ausmaß an Todesfällen drohen, besonders in Gebieten, in denen Millionen Menschen leben, deren Immunsystem durch HIV geschwächt ist. Regierungen könnten Quarantänen erlassen, die höchst belastend, aber wirkungslos wären. Auch Grenzen oder Flughäfen könnten monatelang geschlossen werden. Der Handel, der Reiseverkehr und die Produktivität der Wirtschaft würden schwer beeinträchtigt. Es besteht kein Zweifel, dass die Aktienmärkte ins Schlingern geraten oder die Kurse womöglich stark einbrechen könnten. [5]

15. Die Regierung der Vereinigten Staaten und ihre Geheimdienste haben in den ersten Tagen des Jahres 2020 – höchstwahrscheinlich bereits Mitte Dezember 2019 – begriffen, dass die Welt am Rand einer Katastrophe im Gesundheitswesen steht. Wann immer die Trump-Regierung im Einzelnen Informationen beschaffte – ab Anfang Januar erschienen erste Presseberichte über die Gefahren des Corona-Virus. Die World Socialist Web Site veröffentlichte am 24. Januar 2020 ihren ersten ausführlichen Artikel zum Coronavirus. Nur vier Tage später hieß es auf der WSWS:

Während die Regierungen der Welt, insbesondere die der Vereinigten Staaten, im vergangenen Vierteljahrhundert detaillierte Pläne für einen groß angelegten Krieg ausarbeiteten, wurden nicht annähernd vergleichbare Mittel oder Vorkehrungen zur Bekämpfung der Epidemien aufgewendet, die den Planeten im gleichen Zeitraum heimsuchten. [6]

16. Trotz der extremen Gesundheitsgefahren, die von der Ausbreitung des Virus ausgehen, kümmerte sich die herrschende Klasse von Anfang an nahezu ausschließlich um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, also um die Folgen für den Aktienmarkt und das Privatvermögen der reichsten ein bis fünf Prozent der Gesellschaft. Die Finanzoligarchen befürchteten, dass eine klare öffentliche Aussage zu den Gefahren eine Panik am Markt auslösen würde, sodass dieser „ins Schlingern geraten oder die Kurse womöglich stark einbrechen“ könnten.

17. Diese Sorgen waren nicht unbegründet. Als Reaktion auf die globale Finanzkrise 2008–2009 hatte die Federal Reserve Bank der USA Banken und Investmentfirmen an der Wall Street mit Hunderten Milliarden Dollar überschwemmt. Diese Krise war ihrerseits das Ergebnis einer seit langem fortschreitenden Fäulnis des Kapitalismus, die ihren übelsten Ausdruck in der sogenannten Finanzialisierung fand. Darunter versteht man, dass die Anhäufung von Reichtum seitens der Konzern- und Finanzelite immer stärker von der Produktion abgekoppelt wird. Im Zuge der beispiellosen Rettungsaktion in Form der „quantitativen Lockerung“ erhielt die Konzern- und Finanzelite Kredite zu extrem niedrigen Zinsen – quasi „zum Nulltarif“. Mit diesem Geld wurden Unternehmensanteile zurückgekauft, um die Kurse von Aktien und spekulativen Wertpapieren in die Höhe zu treiben.

18. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie wurde immer deutlicher, dass die USA und die globale Wirtschaft auf einem Schuldenberg (aus fiktivem Kapital) sitzen, dessen Ausmaß die Kapazität der Realwirtschaft, Gewinne zu erzielen, bei weitem überstieg. Die Ausbreitung des Coronavirus drohte, mit einem Stillstand der Wirtschaft auch den Einnahmenfluss zu kappen, der zur Finanzierung der Schuldenberge nötig war. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich erklärte in einem Bericht vom April 2020:

Der Covid-19-Schock stellt eine enorme Belastung für die Liquiditätspuffer der Unternehmen dar. Aus den Jahresabschlüssen der Unternehmen für 2019 geht hervor, dass 50 Prozent nicht über genügend Barmittel verfügen, um den Schuldendienst im kommenden Jahr zu decken. [7]

19. Weiter hieß es darin:

Keine Rezession in der neueren Geschichte hat den Unternehmenssektor so schwer getroffen wie der Covid-19-Schock. Die Unternehmen sind mit beispiellosen Einnahmeverlusten konfrontiert, weil zum Schutz der öffentlichen Gesundheit überall auf der Welt Lockdowns verhängt werden. Ob die Unternehmen diesen außergewöhnlichen Umständen standhalten können, wird ausschlaggebend dafür sein, inwieweit die Covid-19-Rezession durch massenhafte Insolvenzen eine bleibende Narbe im Wirtschaftsleben hinterlassen wird. [8]

20. In dieser Situation standen die Interessen der Unternehmens- und Finanzelite in unvereinbarem Gegensatz zu öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen, die ihre Einnahmen schmälerten. Während hinter den Kulissen gigantische Rettungspakete für die Wall Street und die Konzerne vorbereitet wurden, behauptete die Trump-Regierung von Januar bis März wiederholt, dass die Pandemie wie durch ein Wunder verschwinden und nur geringe Folgen für die Menschen haben würde. Sowohl die Bundesregierung als auch die Regierungen der Bundesstaaten unter der Führung von Demokraten und Republikanern weigerten sich, die Stilllegung der nicht systemrelevanten Produktion anzuordnen.

21. Am 28. Februar rief das IKVI in einer Erklärung zu „global koordinierten Notfallmaßnahmen“ gegen die Pandemie auf und warnte angesichts der steigenden Corona-Fälle, die fast 100.000 erreicht hatten (heute sind es über 12 Millionen): „Die Bedrohung ist extrem.“ Das IKVI forderte eine globale Mobilisierung der Wissenschaftler, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die eine Heilung ermöglichen und das Virus eindämmen und schließlich ausmerzen; eine massive Zuweisung von Ressourcen für die Gesundheitsversorgung und Behandlung; und eine Umverteilung des Reichtums, um alle zu unterstützen, die vom Virus betroffen sind. [9]

22. Die WSWS bezeichnete die bewusste Passivität der Regierungen als „böswillige Untätigkeit“. [10] Die Regierungen nahmen diese gleichgültige Haltung ein, weil sie die Auswirkungen des Virus auf die Märkte fürchteten. Die herrschende Klasse war sich klar darüber, dass die wirtschaftlichen Folgen für die Unternehmen eine Rettungsaktion erfordern würden, die weit über diejenige im Gefolge der Finanzkrise von 2008 hinausging.

23. Statt Maßnahmen zu ergreifen, um das Virus zu stoppen und Leben zu retten, nutzte die herrschende Klasse die Monate Februar und März, um Rettungspakete im Umfang von mehreren Billionen Dollar für die Wall Street vorzubereiten und zu verabschieden. Die Höhe des Bailouts zeigte, wie verzweifelt die wirtschaftliche Lage war. Zwischen dem 19. Februar und dem 23. März 2020, als es unmöglich wurde, die Gefahr der Pandemie weiter vor der Öffentlichkeit zu verbergen, verlor der Aktienindex S&P 500 ein Drittel seines Werts.

24. Im Gegensatz zur Politik der „böswilligen Untätigkeit“ der herrschenden Klasse begann die Arbeiterklasse Maßnahmen zu ergreifen, um sich vor der Pandemie zu schützen. Arbeiter bei Instacart, Amazon und Whole Foods organisierten Streiks und Protestaktionen. Spontane Proteste von Autoarbeitern in den Vereinigten Staaten und Kanada fielen mit einer Welle von Streiks und Protesten in Europa zusammen. Artikel der WSWS und Erklärungen der SEP – darunter das Statement vom 14. März 2020: „Legt die Autoindustrie still, um die Ausbreitung des Coronavirus aufzuhalten!“ – wurden von Zehntausenden Arbeitern gelesen und geteilt. Unter dem wachsenden Druck der Arbeiterklasse und vor dem Hintergrund der laufenden Vorbereitungen der Rettungspakete sahen sich die Regierung und die Bundesstaaten gezwungen, einen Lockdown zu verhängen.

25. Ende März verabschiedete der Kongress nahezu einstimmig das CARES-Gesetz, mit dem Hunderte Milliarden für Unternehmen bereitgestellt und die Rettungsaktion der Federal Reserve für die Wall Street in Höhe von mehreren Billionen Dollar gebilligt wurde. Innerhalb weniger Wochen wuchs die Bilanzsumme der Fed von 4 Billionen auf mehr als 7 Billionen Dollar, weil sie Vermögenswerte und Schulden von Banken und Großkonzernen aufkaufte.

26. Mit der Verabschiedung des CARES-Gesetzes endete die erste Phase der Krise. In einem Brief vom 28. März an Nick Beams, ein führendes Mitglied der Socialist Equality Party in Australien, ordnete David North, der Vorsitzende der SEP, die Ereignisse der ersten drei Monate von 2020 in die historische Krise des kapitalistischen Systems ein.

Es überrascht nicht, dass die bürgerlichen Medien den schwindelerregenden Einbruch der Märkte weltweit ausschließlich auf die Pandemie zurückführen. Aber es ist mehr als das. Schon bevor sich das Coronavirus auszubreiten begann, war der ungezügelte Kursanstieg eindeutig bedenklich. Angeheizt wurde er durch den unbegrenzten Geldfluss infolge der quantitativen Lockerung und die historisch beispiellose Senkung der Zinssätze durch die Fed und die Zentralbanken in Europa. Es kam sogar zu negativen Zinssätzen. Der Berg an fiktivem Kapital ermöglichte die unzähligen Tricks (z. B. Aktienrückkäufe), mit denen die herrschende Klasse die Kurse immer höher trieb und sich bereicherte.

Das Auffälligste an der großen Verkaufswelle in den letzten drei Wochen (abgesehen von dem dreitägigen „Dead-Cat-Bounce") war ihre erstaunliche Geschwindigkeit. Innerhalb weniger Tage beliefen sich die Kursverluste auf Billionen – schneller als je zuvor in der modernen Geschichte. Dieser rasante Einbruch ergab sich aus dem irrealen Charakter des märchenhaften Kursanstiegs vor der Krise. Deshalb wurden sofort hysterische Forderungen nach einem Billionen schweren Rettungspaket laut. Mit der Verabschiedung des Bailouts – zusammen mit ein paar Almosen, um eine soziale Explosion für einige Monate aufzuhalten – wird weiter fiktives Kapital angehäuft, und zwar in einem noch gigantischeren Ausmaß. Die fiktiven Werte, die so herbeigezaubert werden, sind völlig losgelöst von der realen Produktion. Die Bourgeoisie weiß sehr wohl, dass dieses ungeheure Ponzi-System nicht von Dauer sein kann. Und aus diesem Grund wird die Pandemie zu einem echten Problem. Es ist eine Sache, die Verschuldung auszuweiten, wenn produziert wird, aber etwas ganz anderes, wenn die Produktion überall auf der Welt stillliegt. Das Missverhältnis zwischen der wachsenden Verschuldung und dem massiven Rückgang der Wertschöpfung im Arbeitsprozess (in allen Formen, in denen es sich manifestiert) lässt sich nicht verbergen. Daraus ergibt sich die Forderung Trumps und der Oligarchen nach einer raschen Wiederaufnahme der Arbeit. „Das Heilmittel für die Pandemie darf nicht schlimmer sein als die Krankheit.“

Wir nähern uns einer kritischen Phase in der historischen Krise des Kapitalismus. Die herrschende Klasse fordert, dass der Staat ihr Billionen Dollar zur Verfügung stellt, um den Bankrott abzuwenden, der ihr wegen des wirtschaftlichen Niedergangs in der Pandemie droht. Gleichzeitig bereitet sie sich darauf vor, denselben Staat einzusetzen, um brutale Angriffe auf die Arbeiterklasse durchzusetzen, sobald sie die notwendigen politischen und logistischen Vorbereitungen getroffen hat.

27. März – 31. Mai 2020: Die „Back-to-Work“-Kampagne und die Proteste gegen Polizeigewalt

27. Diese Analyse wurde durch die Ereignisse rasch bestätigt. Nachdem sie die Rettungspakete verabschiedet hatte, richtete die herrschende Klasse ihr Augenmerk auf die uneingeschränkte Wiederaufnahme der Produktion. Sie will die Arbeiterklasse zwingen, den Bailout zu bezahlen und die gigantischen Summen an fiktivem Kapital, die die Federal Reserve geschaffen hat, zu finanzieren.

28. Die Kampagne für ein Ende des Lockdowns und eine rasche Rückkehr zur Arbeit wurde von der New York Times initiiert und politisch legitimiert – dem wichtigsten Sprachrohr mächtiger Finanz- und Konzerninteressen im Bündnis mit der Demokratischen Partei. Am 22. März 2020, kurz bevor das CARES-Gesetz im Kongress verabschiedet wurde, schrieb Thomas Friedman eine Kolumne mit dem Titel „Ein Plan, um Amerika wieder zum Laufen zu bringen“ (A Plan to Get America Back to Work). Friedman behauptete, die Vereinigten Staaten seien in einen Lockdown „hineingestolpert“, und gab dann den Startschuss für eine massive Propagandakampagne gegen den Lockdown:

Aber nun, da so viele unserer Betriebe schließen und Millionen vorübergehend entlassen werden, beginnen einige Experten zu fragen: „Moment mal! Was zum Teufel tun wir uns an? Und unserer Wirtschaft? Und der nächsten Generation? „Ist dieses Heilmittel – und sei es nur für kurze Zeit – schlimmer als die Krankheit?“

29. Friedman bezeichnete „den Rat seriöser Epidemiologen“ sarkastisch als „Gruppendenken“ und propagierte dann die Politik der Herdenimmunität. Man solle nur „diejenigen unter uns isolieren, die am wahrscheinlichsten sterben oder unter langfristigen Schäden einer Corona-Infektion leiden würden ... während wir den Rest der Gesellschaft im Grunde so behandeln sollten, wie wir schon immer mit bekannten Bedrohungen wie der Grippe umgegangen sind.“ Mit seinem wissenschaftsfeindlichen Unsinn spielte Friedman die Gefahr der Pandemie in verantwortungsloser Weise herunter und erklärte: „Wie bei der Grippe wird die große Mehrheit innerhalb von Tagen darüber hinwegkommen, eine kleine Zahl wird ins Krankenhaus kommen und ein sehr kleiner Prozentsatz der am stärksten gefährdeten Personen wird tragischerweise sterben.“ Seit Friedman diese Worte schrieb, beläuft sich dieser „sehr kleine Prozentsatz“ in den Vereinigten Staaten auf über 130.000 Todesfälle.

30. Die Linie der „linksliberalen“ New York Times fand in den Medien ein breites Echo. Das Wall Street Journal erklärte: „Die Meute, die fordert, dass die Wirtschaft im Lockdown bleibt, bis es einen Impfstoff, eine Wundertherapie oder tägliche Tests für jeden gibt, bildet sich offenbar ein, dass der Staat die Privatwirtschaft ersetzen kann ... [D]as Virus wird uns noch lange begleiten, bis der Impfstoff kommt. Also müssen wir lernen, damit zu leben, und für eine funktionierende Wirtschaft sorgen.“ [11]

31. Die Trump-Regierung begleitete und rechtfertigte die erzwungene Wiedereröffnung der Wirtschaft durch Angriffe auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Centers for Disease Control (CDC), die für die Bekämpfung von Epidemien zuständig sind, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Pandemie selbst. Trumps bombastische und dumme Werbung für ungetestete Medikamente wie Hydroxychloriquin und Remdesivir erreichte einen gruseligen Höhepunkt, als er am 24. April 2020 empfahl, dass Menschen sich Desinfektionsmittel spritzen und ultraviolettes Licht in ihren Körper einführen sollten. Seine Aussage, dass man ohne Tests auch keine Fälle finden würde, ist Teil seiner Politik der Herdenimmunität und der Grundhaltung: „Lasst es krachen.“ Wenn Epidemiologen, Virologen und Mediziner vor den schrecklichen Folgen einer vorzeitigen Aufhebung der Corona-Maßnahmen warnten, wurden sie zurückgewiesen und lächerlich gemacht. Nichts sollte verhindern, dass die Arbeiter zurück in die Betriebe, Schulen und an ihre Arbeitsplätze getrieben werden.

32. Der unerbittliche Druck zur Wiedereröffnung der Wirtschaft, der dramatische Mangel an notwendiger Schutzausrüstung und einer kohärenten medizinischen Strategie, die schiere Inkompetenz der Regierung und die brutale Gleichgültigkeit der Großkonzerne gegenüber der Gesundheit und Sicherheit ihrer Belegschaften führten rasch zu einer Explosion der Infektions- und Todeszahlen. Trotz der wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung stieg die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordniveau, das seit der Großen Depression der 1930er Jahre nicht mehr erreicht worden war. Millionen Arbeiter waren nun auf Essensausgaben angewiesen. Hunderttausenden Kleinunternehmen wurde die ihnen versprochene finanzielle Unterstützung vorenthalten.

33. Für die Reichen hingegen war die Pandemie ein finanzieller Segen. Das CARES-Gesetz ermöglichte die rasanteste und bedeutendste Erholung der Börse in der Geschichte. Zwischen März und Mai stiegen die wichtigsten Marktindizes um 30 Prozent. Der Economist erklärte mit unverfrorener Offenheit die Kluft zwischen Wall Street und Main Street:

Ein großer Teil der verbesserten Stimmung ist auf die Fed zurückzuführen, die durchgreifender als andere Zentralbanken gehandelt und in ungeahntem Ausmaß Vermögenswerte aufgekauft hat. Sie hat sich verpflichtet, noch mehr Schuldtitel von Unternehmen zu kaufen, einschließlich hochverzinslicher „Schrott-Anleihen“. Der Markt für Neuemissionen von Unternehmensanleihen, der im Februar eingefroren war, wurde in spektakulärer Weise wieder geöffnet. Unternehmen haben in den vergangenen sechs Wochen Anleihen im Wert von 560 Milliarden Dollar ausgegeben, doppelt so viel wie üblich. Sogar gestrandete Kreuzfahrtgesellschaften waren in der Lage, Bargeld zu beschaffen, wenn auch zu einem hohen Preis. Eine Kaskade von Insolvenzen bei großen Firmen wurde verhindert. Die Zentralbank hat in der Tat den Cashflow der Amerika GmbH aufgefangen. Der Aktienmarkt hat den Wink verstanden und ist gestiegen. [12]

34. Im März und April warnten die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party in Dutzenden Artikeln und Erklärungen wiederholt vor den katastrophalen Folgen der „Back-to-Work“-Kampagne der herrschenden Klasse. In einer Antwort auf Friedmans Kolumne bezeichnete die WSWS die Politik der herrschenden Elite am 24. März 2020 als eine Form „der gesellschaftlich sanktionierten Euthanasie“. Sie erklärte: „Angesichts der größten Krise des amerikanischen Kapitalismus erweist sich die herrschende Klasse nicht nur als parasitär, sondern auch als mörderisch.“ [13] Am 11. April 2020 schrieb die SEP in einem Statement: „Das Ziel der herrschenden Klasse besteht darin, die Pandemie zum ‚Normalzustand‘ zu machen, d. h. die Bevölkerung an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Sterben auf absehbare Zeit weitergeht.“ Der Tod der Arbeiter gelte nur „als normaler Begleitumstand der Erwirtschaftung von Profiten. Wer dem Virus erliegt, kann ersetzt werden.“ [14]

35. Am 18. April machte die WSWS auf Kommentare in der New York Times und in der internationalen Presse aufmerksam, die sich gegen eine übertriebene Sorge um den Schutz des menschlichen Lebens aussprachen. Die Schweizer Neue Zürcher Zeitung kommentierte die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie so: „Wir wählen den wirtschaftlichen Suizid, um zu verhindern, dass einzelne betagte Menschen das Zeitliche einige Jahre früher segnen, als es unter normalen Umständen zu erwarten wäre.“ Der Spiegel argumentierte, das Stoppen der Pandemie verletze das Prinzip, dass „unser Leben ohne den Tod nicht denkbar ist“. Die WSWS betonte: „Dies sind Argumente, denen Adolf Hitler, der vor ziemlich genau 75 Jahren in seinem Bunker in Berlin Selbstmord beging, bereitwillig zugestimmt hätte.“ [15]

36. Mit ihrer Reaktion auf die Pandemie schürte die herrschende Klasse die sozialen Spannungen, und der Klassenkampf spitzte sich erheblich zu. Mehrere Fälle von Polizeigewalt lösten Massendemonstrationen aus. Am 13. März 2020 töteten Polizisten in Louisville (Kentucky) Breonna Taylor, nachdem sie in ihre Wohnung eingedrungen waren, während sie schlief. Anfang Mai wurden Aufnahmen einer Dashcam veröffentlicht, die zeigen, wie Ahmaud Arbery am 23. Februar in Brunswick, Georgia, von einem ehemaligen Polizeibeamten und Ermittler und dessen Sohn ermordet wird. Und am 25. Mai, dem Memorial Day, beteiligten sich vier Polizeibeamte an der brutalen Ermordung von George Floyd in Minneapolis, Minnesota. Millionen Menschen konnten diese grausame Szene verfolgen, die mit Smartphones aufgenommen wurde.

37. Der Mord an Floyd löste in jeder größeren Stadt der USA Demonstrationen aus, auch im traditionell konservativeren Süden. Diese Demonstrationen waren unabhängig von Herkunft und Hautfarbe und weiteten sich sofort auf Länder aller Kontinente aus. Nach Jahrzehnten, in denen der soziale Protest und der Klassenkampf mit der aktiven Beihilfe der Gewerkschaften unterdrückt worden waren, brachen sich Wut und Unmut nun Bahn. Zwar entzündeten sich die Proteste an Polizeigewalt, doch ihre Ursachen lagen in der Wut über den seit Jahren fallenden Lebensstandard, die niederschmetternde Verschuldung der Jugend und ihre desolaten Zukunftsaussichten, in der allgegenwärtigen sozialen Ungleichheit und ihren Folgen, den Angriffen auf demokratische Grundrechte und in der Unmöglichkeit, im Rahmen der politischen Strukturen des Zweiparteiensystems sinnvolle Veränderungen und Verbesserungen der sozialen Verhältnisse herbeizuführen.

38. Die Socialist Equality Party begrüßte und unterstützte diese Proteste. Am 30. Mai 2020 erklärte die SEP: „Diese Demonstrationen – die trotz ernster Risiken inmitten einer Pandemie stattfinden – sind der Ausdruck einer tief verwurzelten Bereitschaft, für demokratische Rechte zu kämpfen. Aus ihnen sprechen sowohl die Wut auf die faschistische Polizei und die Trump-Regierung als auch die Einheit der Arbeiterklasse.“ [16] Diese Demonstrationen bestätigten die Analyse der SEP, dass eine wirklich fortschrittliche Alternative zur Trump-Regierung nur auf der Grundlage einer Massenbewegung von unten entstehen kann – und nicht durch eine von oben angezettelte Palastrevolte, durchgeführt von der Demokratischen Partei im Bündnis mit Teilen des Militär- und Geheimdienstapparats, die über Trumps Politik gegenüber Russland und China verärgert sind. In einer Erklärung aus dem Jahr 2017 hatte die WSWS vorausgesagt:

In den USA stehen Massenkämpfe bevor. Protestveranstaltungen, Demonstrationen und Streiks werden zusehends einen allgemeinen, landesweiten Charakter annehmen. Aus dieser Analyse ergibt sich der politische Schluss, dass der Kampf der Arbeiterklasse gegen Trump und alles, was er repräsentiert, immer deutlicher zeigen wird, dass eine von Republikanern und Demokraten unabhängige Massenbewegung notwendig ist, die sich gegen beide Parteien, das kapitalistische System und seinen Staat richtet. [17]

39. Die Trump-Regierung ist sowohl für den Mord an Floyd verantwortlich als auch für die brutalen Versuche der Polizei, die Demonstrationen niederzuschlagen. Im Oktober letzten Jahres hielt Trump in Minneapolis eine Hetzrede gegen Sozialisten und die „radikale Linke“ und wurde dabei von Polizisten unterstützt, die Transparente mit der Aufschrift „Law & Order vote Trump“ („Gesetzeshüter wählen Trump“) schwenkten. Im Rahmen seiner Versuche, zur Unterstützung der Politik der Finanzoligarchie eine rechte, faschistische Basis aufzubauen, hat Trump wiederholt Polizeigewalt gefördert. In den Wochen vor Floyds Ermordung bewarb Trump rechtsextreme Demonstrationen, die forderten, Minnesota, Michigan, Virginia und andere Bundesstaaten von Auflagen zu „befreien“, die eine Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie eindämmen sollten.

40. Die Polizeigewalt ist im Kern jedoch ein Produkt der Klassenherrschaft. Sie fordert jedes Jahr über 1.000 Menschenleben von Arbeitern und Jugendlichen jeder Herkunft und Hautfarbe. Die Epidemie der Polizeimorde dauerte unter Obama an und ist in Staaten und Städten im ganzen Land verbreitet, unabhängig davon, ob sie von Republikanern oder – wie im Falle von Minneapolis – von Demokraten regiert werden. Unter Bedingungen wachsender sozialer Unruhen wird die Polizei, die mit dem Militär zunehmend verwoben ist, zur gewaltsamen Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden.

41. Die SEP folgerte, dass der Polizeigewalt nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die herrschende Klasse und ihren Staat entgegengetreten werden kann. „Der Kampf gegen Polizeigewalt muss mit der wachsenden Bewegung der Arbeiterklasse gegen unsichere Arbeitsbedingungen, Massenarbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und Massenarmut vereint werden. Es ist ein Kampf gegen das kapitalistische System und für den Sozialismus.“ [18]

42. Um die historische Bedeutung der Proteste gegen Polizeigewalt zu erläutern, verwies die SEP insbesondere auf den internationalen Charakter der Demonstrationen, in dem sich die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung und der revolutionären Veränderungen in der Kommunikation widerspiegelten, auf deren revolutionäre Folgen das IKVI bereits im Jahr 1988 hingewiesen hatte. In einer Erklärung vom 15. Juni 2020 schrieb die SEP:

Diese miteinander verbundenen Prozesse haben den tiefen Widerspruch zwischen dem verknöcherten Nationalstaatensystem und der realen Weltwirtschaft verschärft. Darüber hinaus hat der Globalisierungsprozess die Grundlage für eine einheitliche, internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus hervorgebracht. Die internationale Einheit der Arbeiterklasse ist kein utopisches Hirngespinst. Ihre konkrete Verwirklichung ergibt sich aus den bestehenden Bedingungen der globalen kapitalistischen Produktion … [19]

1. Juni–Juli 2020: Trumps Putsch und die Rassenpolitik der Demokratischen Partei

43. Die Antwort der Trump-Regierung bestand in dem Versuch, unter der Führung des Präsidenten einen Staatsstreich zu inszenieren, die Verfassung zu kippen und das Militär im ganzen Land einzusetzen. Am 1. Juni 2020 hielt Trump im Rosengarten des Weißen Hauses eine Pressekonferenz ab, in der er seine Absicht kundtat, den Widerstand gegen Polizeigewalt unter Berufung auf den Insurrection Act von 1807 als „Terrorismus im Innern“ zu brandmarken. Während die Bundespolizei mit Gewalt gegen Bürger vorging, die sich an friedlichen Protesten vor dem Weißen Haus beteiligten, verkündete Trump, er sei der Präsident von „Recht und Ordnung“. Wenn Städte oder Staaten keine Maßnahmen ergriffen, die das Weiße Haus für aggressiv genug erachte, so Trump, „werde ich das Militär der Vereinigten Staaten einsetzen und das Problem schnell für sie lösen“.

44. Trumps Schritte zur Außerkraftsetzung der Verfassung fielen mit der der aggressiven „Back-to-work“-Kampagne des Weißen Hauses zusammen. Floyd starb am „Memorial Day“, der als ein wichtiger Meilenstein für die Wiederöffnung der Wirtschaft galt. Vor seiner Rede im Rosengarten hatte Trump in einer Konferenzschaltung mit den Gouverneuren erklärt: „Dies ist eine Bewegung, und wenn sie nicht niedergeschlagen wird, wird sie immer schlimmer.“ Mit anderen Worten: Was als Protest gegen Polizeigewalt begann, könnte rasch zu einer breiteren Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus werden.

45. Die Demokraten überließen die Opposition gegen Trumps Umsturzkomplott vollständig der militärischen Führung und einigen pensionierten Generälen, die befürchteten, dass derartige Aktionen das Land sehr schnell in Richtung Bürgerkrieg führen würden. Kein einziger führender Demokrat gab eine größere Erklärung ab, die auf die weitreichenden Folgen für die demokratischen Rechte Bezug genommen hätte.

46. Die Reaktion von Joe Biden, dem voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, bestand aus einer Lobpreisung der„vier Stabschefs [dafür, dass] sie sich zu Wort gemeldet und Trump das Fell über die Ohren gezogen haben“. Sollte Trump sich im Falle einer Wahlniederlage weigern, sein Amt niederzulegen, so Biden, „dann verspreche ich Ihnen, ich bin absolut überzeugt, dass sie [das Militär] ihn schleunigst aus dem Weißen Haus geleiten werden.“ Die WSWS schrieb damals:

Wie Bidens Bemerkungen deutlich machen, halten die Demokraten das Militär für den ultimativen Schiedsrichter der Politik in den Vereinigten Staaten. Weder der Kongress noch die Demokratische Partei haben einen Finger gegen diese präsidiale Erklärung autoritärer Herrschaft gerührt. Nur aufgrund des Widerstands der Machthaber im Pentagon, die eine solche Militäraktion für schlecht vorbereitet und noch nicht notwendig hielten, zog Trump sich zurück. [20]

47. Nur die Socialist Equality Party warnte die Arbeiterklasse vor den Gefahren von Trumps Vorgehensweise. In dem Statement „Ein Aufruf an die Arbeiterklasse! Stoppt Trumps Staatsstreich!“ vom 5. Juni 2020, schrieb die SEP:

Die Verschwörung im Weißen Haus richtet sich gegen die Arbeiterklasse. Die Wirtschafts- und Finanzoligarchie fürchtet, dass der Ausbruch von Massendemonstrationen gegen die Polizeigewalt mit der enormen sozialen Wut unter den Arbeitern über die soziale Ungleichheit zusammentreffen wird, die durch die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Coronavirus-Pandemie sowie durch deren mörderische „Back to work“-Kampagne enorm verstärkt wurde.

Nichts könnte gefährlicher sein als der Glaube, die Krise sei vorüber. Sie hat vielmehr gerade erst begonnen. Die Arbeiterklasse muss in diese beispiellose Krise als unabhängige soziale und politische Kraft eingreifen. Sie muss der Verschwörung im Weißen Haus mit den Methoden des Klassenkampfs und der sozialistischen Revolution entgegentreten. [21]

48. Diese Warnungen wurden im Juli bestätigt, als die Trump-Regierung paramilitärische Bundestruppen nach Portlandt entsandte und ihren Einsatz in anderen Städten androhte – ein eklatanter Verstoß gegen die Verfassung und die Bill of Rights. Unidentifizierte Heimatschutz-Beamte in militärischen Kampfanzügen ergriffen unbewaffnete Demonstranten, warfen sie in nicht gekennzeichnete Fahrzeuge und verbrachten sie an unbekannte Orte.

49. Als Reaktion auf diesen beispiellosen Angriff unterzeichneten die Bürgermeister von Chicago, Washington D. C., Atlanta und Kansas City gemeinsam einen vom Bürgermeister von Portland verfassten Brief, in dem sie erklärten: „Der unilaterale Einsatz dieser paramilitärischen Kräfte in unseren Städten ist mit unserem demokratischen System und unseren grundlegendsten Werten völlig unvereinbar.“ In einem Interview mit dem faschistischen Fox-News-Kommentator Sean Hannity vom 23. Juli 2020 warnte Trump: „Wir werden in all diese Städte gehen, in jede dieser Städte. Wir sind einsatzbereit. Wir werden dort 50.000, 60.000 Mann einsetzen, die genau wissen, was sie tun. Und diese Leute sind stark. Sie greifen durch. Wir könnten diese Probleme blitzschnell lösen.“

50. Die diktatorischen Implikationen von Trumps Einsatz von Waffengewalt gegen politische Gegner finden einen expliziten Ausdruck in seinen öffentlichen Drohungen, unabhängig vom Ausgang der bevorstehenden Wahlen im Amt zu bleiben.

51. Nicht nur bei Trump lagen die Nerven aufgrund der Massenproteste blank. Die mit der Demokratischen Partei verbündeten Elemente der Kapitalistenklasse und der wohlhabenden Mittelschicht reagieren stets äußerst sensibel auf jedes Anzeichen von Militanz der Arbeiterklasse und den Einfluss sozialistischer Ideen. Nun griffen sie ein, um die Demonstrationen zu kapern und sie entlang rassistischer Linien in die Irre zu führen. Im Kampf gegen diese reaktionäre Tendenz warnte die SEP:

Das Ziel der Sektierer, die all diese Entwicklungen vom Standpunkt der Hautfarbe angehen, ist es, die Aufmerksamkeit von der Polizei als Instrument des kapitalistischen Staats und als Hüterin der Klassenherrschaft an vorderster Front abzulenken. Darüber hinaus stehen ihre Bemühungen, den Demonstrationen ein Rassismus-Narrativ aufzuzwingen, im Widerspruch zu ihrem offensichtlich multiethnischen und multinationalen Charakter. [22]

52. In ihrer Entschlossenheit, die Protestbewegung zu desorientieren und das Anwachsen des Klassenkampfs zu unterdrücken, intensivierte die New York Times ihre Kampagne gegen die amerikanische Revolution, den Bürgerkrieg und deren wichtigste Führer. Begonnnen hatte diese Kampagne im August 2019 mit der Veröffentlichung des „1619 Project“. Die zunächst legitime Forderung, Denkmäler führender Konföderierter zu entfernen, wurde zum Anlass genommen, Statuen zu verunstalten und zu zerstören, die an das Leben und Wirken von Washington, Jefferson, Lincoln, Grant und sogar eines prominenten Abolitionisten erinnern.

53. Die WSWS trat der Kampagne zur Demontage von Statuen der Führer der Amerikanischen Revolution und des Bürgerkriegs entgegen. Sie erklärte, dass Trumps Appell an die politisch desorientiertesten Elemente der amerikanischen Gesellschaft offen darauf abzielte, rassistische Feindseligkeiten zu schüren. Doch die Demokratische Partei

wendet eine andere Variante einer solchen Spaltungspolitik an, indem sie alle sozialen Probleme und Konflikte unter dem Aspekt der „Rasse“ und Hautfarbe bewertet und erklärt. Was auch immer das jeweilige Thema sein mag – Armut, Polizeibrutalität, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, Todesfälle durch die Pandemie –, es wird fast ausschließlich auf der Basis von „Rassenzugehörigkeit“ definiert. In dieser Phantasiewelt sind „Weiße“ mit einem angeborenen „Privileg“ ausgestattet, das sie von allen Leiden befreit.

Diese groteske Verzerrung der heutigen Realität erfordert eine nicht weniger groteske Verzerrung der Vergangenheit. Damit das heutige Amerika als Land der unerbittlichen Rassenkriege dargestellt werden kann, ist es notwendig, ein historisches Narrativ zu schaffen, das auf den gleichen Begriffen basiert. Anstelle des Klassenkampfs wird die gesamte Geschichte der Vereinigten Staaten als die Geschichte eines fortwährenden Rassenkonflikts dargestellt. [23]

54. Es gibt Rassismus, und er wird besonders unter denjenigen reaktionären Schichten gefördert, aus denen sich die Polizei rekrutiert. Wie alle Formen von Intoleranz und Diskriminierung wird der Rassismus geschürt, weil er ein Werkzeug der herrschenden Klasse ist. Doch die Vereinigten Staaten sind nicht in ein „weißes Amerika“ und ein „schwarzes Amerika“ mit gegensätzlichen Interessen geteilt. Ebenso wenig profitieren alle „Weißen“ von Polizeigewalt und Unterdrückung, wie von den Befürwortern der Rassenpolitik behauptet wird.

55. Trotz der Bemühungen, Herkunft und Hautfarbe zu den zentralen Achsen der amerikanischen Politik zu machen – Bestrebungen, die eng mit der reaktionären Forderung von Teilen der afroamerikanischen Bourgeoisie und der oberen Mittelschicht nach „Reparationen“ verbunden sind –, besteht die überwältigende soziale Realität der Vereinigten Staaten in der wirtschaftlichen Ungleichheit, die in der Klassenspaltung der Gesellschaft wurzelt. Eine aktuelle Studie der Vermögens- und Einkommensverteilung der bekannten Ökonomen Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman ergab

ein weites Auseinanderklaffen zwischen dem Wachstum der unteren 50 Prozent und dem der übrigen Wirtschaft. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der unteren 50 Prozent der Erwachsenen stagniert seit 1980 bei etwa 16.000 Dollar pro Kopf (bezogen auf den Dollar-Kurs von 2014, unter Verwendung des BIP-Deflators), während das Durchschnittseinkommen pro Kopf um 60 Prozent auf 64.500 Dollar im Jahr 2014 gestiegen ist. Infolgedessen ist der Einkommensanteil der unteren 50 Prozent von etwa 20% im Jahr 1980 auf 12% im Jahr 2014 gesunken. Zur gleichen Zeit stieg das durchschnittliche Bruttoeinkommen des obersten Prozents der Erwachsenen von 420.000 auf etwa 1,3 Millionen US-Dollar, und ihr Einkommensanteil stieg von rund 12% in den frühen 1980er Jahren auf 20% im Jahr 2014. Die beiden Einkommensgruppen haben ihre Anteile im Wesentlichen getauscht, wobei acht Prozentpunkte des Nationaleinkommens von den unteren 50 Prozent auf das oberste Prozent übertragen wurden. Der Einkommensanteil des obersten Prozents ist jetzt fast doppelt so groß wie derjenige der unteren 50 Prozent – eine Gruppe, die per Definition fünfzigmal so viele Menschen umfasst. Im Jahr 1980 verdienten die Mitglieder des obersten Prozents der Erwachsenen im Durchschnitt 27 Mal so viel wie die unteren 50 Prozent der Erwachsenen (vor Steuern), während sie heute 81 Mal so viel verdienen.

Sechs Monate Pandemie: Ergebnisse und Aussichten

56. Sechs Monate nach dem ersten Nachweis des Covid-19-Virus breitet es sich in den gesamten Vereinigten Staaten aus. Die ursprünglichen Überlegungen zu den potenziellen Gefahren einer zweiten Welle der Pandemie im Herbst sind der Erkenntnis gewichen, dass die erste Welle nicht unter Kontrolle gebracht wurde und noch immer im ganzen Land wütet. Selbst die Rundfunk- und Fernsehsender meiden mittlerweile eher die Standardphrasen, die im April und Mai so oft zu hören waren, z. B. „Hoffnungsschimmer“, „über den Berg sein“ und „Licht am Ende des Tunnels“. Die jüngste offizielle Schätzung besagt, dass bis November 225.000 Amerikaner an der Krankheit sterben werden – eine Zahl, die aller Wahrscheinlichkeit nach viel zu niedrig gegriffen ist.

57. Obwohl die herrschende Oligarchie alle Erwägungen der öffentlichen Gesundheit dem Schutz der Investoren an der Wall Street unterordnet, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage zusehends. Der spektakuläre Anstieg der Börsenkurse seit der Verabschiedung des CARES-Gesetzes im März ist Ergebnis von Spekulationsgeschäften und hat nichts mit einer Erholung der Realwirtschaft zu tun. In Finanzkreisen wird jedoch die Besorgnis geäußert, dass das Drucken von digitalem Geld durch die Federal Reserve nicht ewig weitergehen kann und dass ihre Maßnahmen immer weniger Wirkung zeigen. Die Financial Times warnte kürzlich vor „den Grenzen der Macht der Fed“:

Die außergewöhnlichen Maßnahmen dieses Frühjahrs haben der Wirtschaft zweifellos einen positiven Impuls verliehen. Aber es wird für die Fed äußerst schwierig sein, in absehbarer Zeit wieder einen ähnlichen Anstoß zu geben; wir befinden uns jetzt auf dem Gebiet der inkrementellen Maßnahmen. Und die Fed kann nicht die wachsenden Löcher in den Bilanzen insolventer Unternehmen stopfen, die verlorene Verbrauchernachfrage ersetzen oder den Arbeitsplatzabbau gänzlich rückgängig machen. Selbst Unterstützuung aus dem Staatshaushalt kann schmerzhafte Entwicklungen wohl nur hinauszögern, nicht verhindern.

Schauen Sie sich zur Veranschaulichung die Fluggesellschaften an. In diesem Frühjahr erhielten die US-Fluggesellschaften Unterstützung aus Staatsgeldern und verpflichteten sich im Gegenzug, bis zum 1. Oktober kein Personal abzubauen. Doch in den vergangenen zwei Wochen hat Delta den Abbau von 17.000 Stellen durch Vorruhestandsregelungen angekündigt, und United hat an 45 Prozent seiner US-Angestellten Beurlaubungsbescheide verschickt. [24]

58. Die erste Hälfte des Jahres stand ganz im Zeichen der Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie. In der zweiten Hälfte wird die Reaktion der Arbeiterklasse in den Vordergrund rücken. Die katastrophalen Folgen der Politik der herrschenden Klasse haben der Legitimität des kapitalistischen Systems einen schweren Schlag versetzt. Die Reaktion der Unternehmen auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch – Massenentlassungen, Lohnkürzungen, Forderungen nach einer weiteren Kürzung der Ausgaben für Medicare, Medicaid, soziale Sicherheit und andere wichtige und bereits unterfinanzierte Sozialprogramme – wird in der Arbeiterklasse auf wachsenden Widerstand stoßen. Der Widerstand gegen die Arbeit unter unsicheren Bedingungen und gegen die Wiedereröffnung von Schulen, die die Verbreitung des Coronavirus erleichtert, wird zunehmen. Es wird Widerstand gegen Zwangsräumungen und Zwangsvollstreckungen geben. Daher sieht die Socialist Equality Party eine enorme Zunahme des Kampfs der Arbeiterklasse voraus, der durch die Intervention der Partei einen klassenbewussten und antikapitalistischen Charakter annehmen wird.

Imperialismus und Kriegsgefahr

59. Die amerikanische herrschende Klasse erkennt die tödliche Gefahr, die von der zunehmenden Militanz und des wachsenden politischen Bewusstseins innerhalb der Arbeiterklasse ausgeht. Wie wir bereits erklärt haben, ist sie bereit, alle Mittel einzusetzen, die sie für notwendig erachtet, um der Bedrohung ihrer Herrschaft entgegenzuwirken: von Rassenpolitik zur Spaltung der Arbeiterklasse, der Intensivierung polizeistaatlicher Maßnahmen gegen fortschrittliche und vor allem sozialistische Opposition bis hin zum Bruch mit Verfassungsnormen und zu offener Diktatur.

60. Diese innenpolitischen Taktiken werden mit einer enormen Eskalation des imperialistischen Militarismus einhergehen. Wie in allen Bereichen der Wirtschafts-, Sozial- und strategischen Politik beschleunigt die Pandemie auch die Kriegsvorbereitungen des amerikanischen Imperialismus. Ganz zu Beginn des Jahres 2020, noch vor dem Ausbruch der Pandemie in den Vereinigten Staaten, erklärte die World Socialist Web Site eindringlich die Bedeutung der Ermordung des iranischen Generalmajors Qassem Suleimani durch die Trump-Regierung am 3. Januar 2020:

Das Jahr 2020 hat kaum begonnen, da droht mit der Ermordung des iranischen Generalmajors Qassem Suleimani auf Befehl von US-Präsident Donald Trump ein totaler Krieg zwischen den USA und dem Iran mit unabsehbaren Folgen. Dieser erneute gezielte Mord auf Anordnung eines amerikanischen Präsidenten, begleitet von blutrünstiger Prahlerei, zeugt vom Versinken der gesamten Führungselite in geistiger Umnachtung. [25]

61. Ungeachtet der taktischen Entscheidung, vorerst von weiteren Militärschlägen gegen den Iran abzusehen, warnte die WSWS: „Nichts von dem, was in den letzten zwei Tagen geschehen ist, hat an den militärischen Zielen der Vereinigten Staaten etwas geändert. Die gleichen geopolitischen Imperative, die die Krise von dieser Woche hervorgerufen haben, werden neue Krisen hervorbringen.“ [26]

62. Während der Pandemie hat die Kriegstreiberei der Vereinigten Staaten niemals nachgelassen. Im Mai unterstützte die Trump-Regierung den gescheiterten Putschversuch in Venezuela durch US-geführte Söldner. US-Außenminister Michael Pompeo reiste von einem Termin zum nächsten, um Unterstützung für die amerikanischen Drohungen gegen Russland und seinen wichtigsten geopolitischen Rivalen China zu fordern. Die Trump-Regierung hat versucht, Feindseligkeit zu erzeugen, indem sie ständig vom „Wuhan-Virus“ sprach und sich ohne jeden Beweis zu der Behauptung verstieg, dass China die amerikanische Bevölkerung infizieren wollte. Diese frei erfundene Anschuldigung wurde von der Washington Post und führenden Medienkommentatoren wie Fareed Zakharia unterstützt. Um in der Kriegshetze nicht ins Hintertreffen zu gearten, fabrizierte die New York Times einen Bericht, Russland habe Taliban-Kämpfer bezahlt, um amerikanische Soldaten in Afghanistan zu töten.

63. Letztendlich werden die Kriegsvorbereitungen des amerikanischen Imperialismus von seinen Bemühungen angetrieben, angesichts der wachsenden Herausforderung durch China seine Position als globaler Hegemon aufrechtzuerhalten. Die langfristige Erosion ihrer wirtschaftlichen Dominanz zwingt die Vereinigten Staaten, zunehmend auf militärische Stärke zu setzen. Diese Tendenz wurde durch die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie noch verstärkt. Die Entscheidung, Anfang Juli zwei Flugzeugträgerverbände in das Südchinesische Meer zu entsenden, zeugt von der Skrupellosigkeit auf den höchsten Ebenen der US-Regierung.

64. Die Gefahr eines Krieges darf nicht unterschätzt werden. Das 20. Jahrhundert ist reich an Beispielen dafür, wie krisengeschüttelte Regierungen – Hitler ist das berüchtigtste Beispiel – eine als verzweifelt empfundene Krise innerhalb des eigenen Landes durch Krieg zu lösen versuchen. Insbesondere die kriegerischen Angriffe der Trump-Administration auf China sind zu einem großen Teil auf das Bedürfnis zurückzuführen, enorme soziale Spannungen innerhalb der Vereinigten Staaten gegen einen äußeren Feind zu richten.

65. Die sich beschleunigende Krise des Weltkapitalismus schürt nicht nur die Kriegstreiberei der USA gegen China und Russland. Sie verschärft auch die Konflikte zwischen den USA und den imperialistischen Großmächten Europas, insbesondere Deutschland. Gleichzeitig haben die unaufhörlichen imperialistischen Kriege und Regimewechseloperationen im Nahen Osten und in Lateinamerika die beispiellose Flüchtlingskrise hervorgerufen, in der mehr als ein Prozent der Menschheit – fast 80 Millionen Menschen – gewaltsam vertrieben wurden. Für diese Migranten hat die Pandemie besonders katastrophale Auswirkungen.

66. Es gibt auf diese Gefahr keine andere Antwort als den Aufbau einer starken Antikriegsbewegung der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse.

Aufgaben der Socialist Equality Party

67. Die Arbeit der Partei wird von der unerschütterlichen Überzeugung geleitet, dass die Arbeiterklasse die grundlegende und führende revolutionäre Kraft in der Gesellschaft ist und dass die amerikanische Arbeiterklasse ungeachtet der immensen Herausforderungen, denen sie sich in der mächtigsten Bastion des Weltimperialismus gegenübersieht, ihren historischen Aufgaben gewachsen sein wird.

68. Seit der Gründung der Socialist Equality Party im Jahr 1995 ist nun ein Vierteljahrhundert vergangen. Zuvor waren die amerikanischen Gesinnungsgenossen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in der Workers League (Arbeiterbund, gegründet 1966) organisiert. Der Übergang von einem Bund zu einer Partei war eine Reaktion auf den Zusammenbruch all der alten nationalistischen und bürokratisch dominierten Massenparteien und Gewerkschaften in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Die frühere Taktik, Forderungen an die alten Organisationen zu stellen – in der Erwartung, dass das Wachstum der revolutionären Partei die Form einer Radikalisierung im Rahmen dieser Organisationen annehmen würde – war aufgrund objektiver Prozesse und Ereignisse überholt.

69. David North initiierte den Übergang von der Workers League zur Socialist Equality Party, indem er die notwendigen politischen Schlussfolgerungen aus der veränderten Situation zog:

Wenn es in der Arbeiterklasse eine Führung geben soll, dann muss sie von unserer Partei kommen. Wenn ein neuer Weg für die arbeitenden Massen eröffnet werden soll, dann muss er von unserer Organisation eröffnet werden. Das Problem der Führung kann nicht auf der Grundlage einer cleveren Taktik gelöst werden. Wir können die Krise der Führung der Arbeiterklasse nicht dadurch lösen, dass wir ‚fordern‘, dass andere diese Führung geben sollen. Wenn es eine neue Partei geben muss, dann müssen wir sie aufbauen. [27]

70. Als Ergebnis dieser Initiative, die von allen Sektionen des Internationalen Komitees umgesetzt wurde, konnte die Vierte Internationale ihren politischen Einfluss in der Arbeiterklasse beträchtlich ausweiten. Die Gründung der World Socialist Web Site im Februar 1998, die aus der Umwandlung der Bünde in Parteien hervorging, war ein entscheidender Faktor bei der Etablierung des IKVI als maßgeblicher Vertreter des Sozialismus. In den letzten 25 Jahren ist die reaktionäre Rolle kleinbürgerlicher Agenturen des Imperialismus wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und der Linkspartei in Deutschland, um nur einige zu nennen, gründlich entlarvt worden. Bernie Sanders‘ abgebrochener Präsidentschaftswahlkampf, in den sich die International Socialist Organization und zahllose andere kleinbürgerliche Tendenzen aufgelöst hatten, unterschied sich von diesen anderen Organisationen nur durch die amerikanischen Ausmaße seiner pragmatischen Einfältigkeit und seines programmatischen Bankrotts. Das Internationale Komitee kann die Worte Trotzkis im Gründungsprogramm der Vierten Internationale bekräftigen: „Außer diesen Kadern [des IKVI] gibt es auf unserem Planeten keine einzige revolutionäre Tendenz, die dieses Namens würdig wäre.“

71. Die Socialist Equality Party muss den revolutionären Implikationen der gegenwärtigen Krise entsprechend handeln. Der Widerstand gegen die Politik der herrschenden Klasse wächst. Noch während die Pandemie außer Kontrolle gerät, fordert die Trump-Administration mit Unterstützung der Demokratischen Partei eine Wiederöffnung der Schulen im Herbst und riskiert damit das Leben von Hunderttausenden von Lehrern und Schülern. Der Bundeszuschuss zum Arbeitslosengeld wird bis Ende dieses Monats gestrichen oder gekürzt, denn die Finanzoligarchen versuchen, die soziale Krise, die Millionen betrifft, zur wirtschaftlichen Erpressung zu nutzen.

72. Im November 2019, kurz vor dem Ausbruch der Pandemie, traf das Center for Strategic and International Studies, ein hochrangiger Think Tank, folgende Einschätzung der Weltlage:

Massenprotestbewegungen versetzen die Politik rund um den Globus in Aufruhr ... Die Protestierenden sind frustriert über das, was sie als Korruption und wirtschaftliche Ungleichheit wahrnehmen. Häufig handelt es sich bei den jungen, wütenden städtischen Protestierende nicht um eine organisierte Opposition, die ihre Partei oder Ideologie an die Stelle der bestehenden setzen möchte, sondern um eine führerlose Bewegung, die sich Gehör verschaffen will. In einigen Fällen sind die Forderungen der Protestierenden klar, häufiger sind sie verworren. Generell wünschen sich die Empörten Veränderungen in Systemen, die sie als veraltet, kaputt oder erstarrt empfinden. [28]

73. Am 3. Januar, noch vor den ersten Meldungen über die Ausbreitung des Coronavirus außerhalb Chinas, veröffentlichte die Socialist Equality Party eine Erklärung, in der sie die 2020er Jahre als „Jahrzehnt der sozialistischen Revolution“ definierte. Unter Hinweis auf die Massendemonstrationen und Streiks in Mexiko, Puerto Rico, Ecuador, Kolumbien, Chile, Frankreich, Spanien, Algerien, Großbritannien, Libanon, Hongkong, Irak, Iran, Sudan, Kenia, Südafrika, Indien und vielen anderen Ländern schrieb die SEP: „Die objektiven Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution werden durch die weltweite Krise des Kapitalismus geschaffen.“ [29]

74. Die Pandemie beschleunigt alle Elemente der kapitalistischen Krise und so auch das Wachstum der sozialen Opposition in der Arbeiterklasse in enormem Ausmaß. Doch so groß die Krise auch sein mag, sie führt nicht automatisch zum Sozialismus. In einer früheren Periode explosiver sozialer Konfkikte, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs 1935, erklärte Trotzki, „dass der Marxismus, die einzige wissenschaftliche Theorie von der proletarischen Revolution, nichts gemein hat mit fatalistischem Warten auf die ‚letzte‘ Krise. Der Marxismus ist seinem Wesen nach eine Anleitung zu revolutionärem Handeln. Der Marxismus ignoriert nicht Willen und Mut, sondern hilft ihnen auf den richtigen Weg.“ Er fuhr fort:

Es gibt keine Krise, die von selber für den Kapitalismus „tödlich“ werden könnte. Die Konjunkturschwankungen schaffen lediglich Situationen, in denen es dem Proletariat leichter oder schwerer fällt, den Kapitalismus zu stürzen. Der Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft hat zur Voraussetzung das Handeln lebender Menschen, die ihre eigene Geschichte gestalten. Dabei gehorchen sie nicht dem Zufall oder ihrer Lust, sondern dem Einfluss bestimmter objektiver Ursachen. Ihre eigenen Handlungen aber – ihre Initiative, Kühnheit, Aufopferung, oder umgekehrt Dummheit und Feigheit – bilden notwendige Glieder in der Kette der historischen Entwicklung. [30]

75. Trotzki kritisierte den bürokratischen Fatalismus der Stalinisten und fügte hinzu: „Aber die revolutionäre Situation fällt nicht vom Himmel, sie entsteht im Klassenkampf. Die Partei des Proletariats ist der wichtigste politische Faktor bei der Entstehung einer revolutionären Situation.“

76. Die Arbeit der Socialist Equality Party wird sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 unter Bedingungen einer eskalierenden politischen Krise entwickeln. Der bevorstehende Präsidentschaftswahlkampf wird einen weiteren Beweis für den politischen Bankrott der beiden großen kapitalistischen Parteien liefern, die im Dienst der Finanz- und Konzernoligarchie stehen. Wie bitter ihre taktischen Differenzen auch sein mögen, die Demokraten und Republikaner sind gleichermaßen der Verteidigung des kapitalistischen Systems verpflichtet. Unabhängig davon, welche Partei die Wahl gewinnt – und das setzt die fragwürdige Annahme voraus, dass die Wahl stattfinden wird – werden die üblen Tendenzen, die sich während der Trump-Administration zeigten, anhalten und sich verschlimmern. Es ist unbestreitbar, dass Trump ein faschistischer Gangster ist. Aber er ist nicht wie die sprichwörtliche Schlange in den Garten Eden Amerikas eingedrungen. Trump ist nichts weiter als die individuelle Personifizierung der parasitärsten, skrupellosesten und reaktionärsten herrschenden Klasse der Welt. Die Politik seiner Regierung ist weniger ein Bruch mit, als vielmehr die Fortführung der Politik von Reagan (1981–1989), Bush I (1989–1993), Clinton (1993–2001), Bush II (2001–2009) und Obama (2009–2017) unter Bedingungen einer vertieften Krise.

77. Die Demokratische Partei und ihre pseudolinken Agenten zeichnen die Wahl in existenziellen Begriffen und warnen vor der Katastrophe, die das Land im Falle einer Wiederwahl Trumps erwartet. Aber die Katastrophe ist bereits eingetroffen, und sie wird weitergehen, sollte Joseph Biden Präsident werden. Der Angriff auf die Arbeiterklasse wird nicht aufhören. In der Außenpolitik haben die Demokraten deutlich gemacht, dass sie die Konfrontation mit Russland und China eskalieren wollen.

78. Die Präsidentschaftskampagne der Socialist Equality Party beruht nicht auf Wahlkalkulationen, sondern auf der Logik des Klassenkampfs. Die Kandidaten der SEP, Joseph Kishore und Norissa Santa-Cruz, werden die Kampagne nutzen, um die unabhängige Militanz der Arbeiterklasse zu fördern, ihr politisches Bewusstsein und ihr Verständnis für die sozialistische Perspektive zu schärfen und Arbeiter und Jugendliche auf die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten, unabhängig davon, welche kapitalistische Partei die Wahl gewinnt. Vor allem wird die SEP die Kampagne nutzen, um den amerikanischen Arbeitern zu erklären, dass sie Teil einer internationalen Klasse sind und dass der Kampf gegen den Kapitalismus in den Vereinigten Staaten nur in dem Maße Erfolg verspricht, wie er auf der Grundlage einer internationalen Strategie geführt wird, die gegen alle Formen des Nationalismus gerichtet ist.

79. Die Größe und geografische Ausdehnung der Massendemonstrationen von 2019 widerspiegeln das Wachstum einer global integrierten internationalen Arbeiterklasse, die heute 3 Milliarden Menschen umfasst. In den letzten 30 Jahren kam es zu einer massiven Verlagerung weg von der landwirtschaftlichen Arbeit. Hunderte Millionen Bauern wanderten in die Städte ab und schlossen sich den Reihen der Arbeiterklasse an. Im Jahr 2007 lebte zum ersten Mal in der Weltgeschichte die Mehrheit der Menschheit in städtischen Gebieten. Die Arbeiterklasse ist in zunehmendem Maße durch die Technologie miteinander verbunden. Im Zeitraum 2014 bis 2019 erhielten über 2 Milliarden Menschen erstmals Zugang zum Internet.

80. Im Rahmen dieser internationalistischen Strategie muss der zentrale Schwerpunkt der Parteiaktivitäten darin bestehen, systematisch in den Klassenkampf einzugreifen und die politisch bewusstesten Arbeiter und Jugendlichen für die Partei zu gewinnen. Die Partei muss sich an den Worten Trotzkis orientieren: „Worin bestehen unsere Aufgaben? Die strategische Aufgabe besteht darin, den Massen zu helfen, ihre Mentalität politisch und psychologisch der objektiven Aufgabe anzupassen, die schädlichen Traditionen der amerikanischen Arbeiter zu überwinden und sie in Einklang mit dem objektiven Zustand der gesellschaftlichen Krise des gesamten Systems zu bringen.“ [31]

81. Im Gründungsprogramm der Vierten Internationale schrieb Trotzki: „Die strategische Aufgabe der Vierten Internationale besteht nicht in der Reformierung, sondern im Sturz des Kapitalismus. Ihr politisches Ziel ist die Machteroberung des Proletariats zwecks Enteignung der Bourgeoisie. Die Erfüllung dieser strategischen Aufgabe ist jedoch undenkbar, ohne allen Fragen der Taktik, selbst geringfügigen Teilfragen, die größte Aufmerksamkeit zu widmen. Alle Teile des Proletariats, alle seine Schichten, Berufe und Gruppen müssen in die revolutionäre Bewegung hineingezogen werden. Was die gegenwärige Epoche auszeichnet, ist nicht, dass sie die revolutionäre Partei von der Alltagsarbeit befreit, sondern dass sie es gestattet, diese Arbeit untrennbar mit den eigentlichen Aufgaben der Revolution zu verbinden.“ [32]

82. Bei dieser Arbeit stellt die SEP, wie von Trotzki angeraten, Übergangsforderungen auf – Forderungen und Initiativen, die die aus einer konkreten Situation entstehenden Fragen und Bedürfnisse mit der Strategie der sozialistischen Revolution verbinden. Im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie stellt die SEP folgende Forderungen auf und wird für sie kämpfen: ein Ende der skrupellosen und kriminellen Kampagne für die Rückkehr in die Betriebe, die Aufhebung der Rettungsaktion für Großunternehmen und die Wall Street, ein Notprogramm, um allen Arbeitslosen wirtschaftliche Sicherheit zu bieten und die Infrastruktur des Gesundheitswesens erheblich auszuweiten, die Enteignung des Reichtums der Unternehmens- und Finanzelite zur Bewältigung der dringenden sozialen Krise, mit der Dutzende Millionen Menschen konfrontiert sind, und demokratische Arbeiterkontrolle über die großen Banken und Unternehmen, die in das Eigentum der Arbeiterklasse übergehen müssen.

83. All diese Forderungen basieren auf der Überlegung, dass die Antwort auf die Pandemie davon ausgehen muss, was die Arbeitnehmer und die Gesellschaft als Ganzes brauchen, und nicht davon, was das kapitalistische System und die Finanzoligarchen zu geben bereit sind. Sie führen unausweichlich zu einer Schlussfolgerung: der Notwendigkeit, die Arbeitermacht zu etablieren und den Kapitalismus abzuschaffen.

84. Aus dieser Perspektive ergeben sich spezifische Aufgaben:

a. Die Intensivierung des Kampfs der Partei für den Aufbau eines Netzwerks von Sicherheitskomitees, die jeden Arbeitsplatz in Fabriken und Büros miteinander verbinden. Diese Komitees, die von den Arbeitern demokratisch kontrolliert werden, sollten Maßnahmen festlegen, durchführen und überwachen, um die Gesundheit und das Leben der Arbeiter, ihrer Familien und der Allgemeinheit zu schützen. Dies muss mit dem Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Führung in der Arbeiterklasse und dem Gewinnen von Arbeitern für die Partei verbunden werden.

b. Die Fortsetzung der Verteidigung des fortschrittlichen Inhalts der beiden amerikanischen Revolutionen, die untrennbar mit dem Kampf gegen die von Rassegedanken geleitete Politik der Demokratischen Partei und ihrer pseudolinken Agenturen in der Mittelklasse verbunden ist. Die Behauptung, dass die Vereinigten Staaten von Rassengegensätzen zerrissen und weiße Arbeiter an der Lage der schwarzen Arbeiter schuld sind, ist falsch und politisch reaktionär. Die SEP wendet sich gegen die Forderung nach Reparationen. Diese Forderung steht für eine kleinbürgerliche Politik, die darauf abzielt die Arbeiter zu spalten, und dient den kapitalistischen Ambitionen eines privilegierten Teils der afroamerikanischen Bourgeoisie und der oberen Mittelschicht, der einen größeren Anteil an dem vom oberen einen Prozent monopolisierten Reichtum beansprucht.

c. Eine breit angelegte und aktive Kampagne zum Aufbau der International Youth and Students for Social Equality an Universitäten und in Schulen und unter Arbeiterjugendlichen. Insbesondere muss die IYSSE in Zusammenarbeit mit Lehrern, Erziehern und der gesamten Arbeiterklasse den Widerstand der Jugend gegen die Wiederöffnung der Schulen unter unsicheren Bedingungen organisieren und anführen.

d. Die SEP und die IYSSE müssen eine unermüdliche Kampagne zur Verteidigung aller eingewanderten Arbeiter führen, die der unerbittlichen Verfolgung durch die ICE ausgesetzt sind. Die Partei und ihre Jugendorganisation fordern ein Ende der Abschiebungen. Wir fordern, dass Migranten willkommen geheißen werden und dass die Inhaftierten freigelassen werden. Wir fordern ein Ende der Familientrennung, menschenwürdigen Wohnraum und finanzielle Unterstützung für Asylsuchende und Flüchtlinge. Einwanderern muss jede Gelegenheit geboten werden, in den Vereinigten Staaten ein sicheres und produktives Leben mit vollen Bürgerrechten zu führen.

e. Die SEP muss ihre Kampagne gegen Krieg und Militarismus, die einen Dritten Weltkrieg auszulösen drohen, intensivieren. Alle Fraktionen der herrschenden Klasse sind den geostrategischen Interessen des amerikanischen Imperialismus verpflichtet. Der Kampf gegen Krieg muss von der Arbeiterklasse ausgehen; er muss antikapitalistisch und sozialistisch sein; er muss vollkommen unabhängig sein von allen politischen Parteien und Organisationen der Kapitalistenklasse und diese ablehnen; und vor allem muss er die enorme Kraft der Arbeiterklasse mobilisieren, um in einem vereinten internationalen Kampf den Kapitalismus und sein Nationalstaatensystem abzuschaffen und den Weltsozialismus herbeizuführen.

f. Der Kampf gegen staatliche Unterdrückung und Krieg ist untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen Internetzensur und mit der Verteidigung des Rechts von Journalisten, Staatsverbrechen aufzudecken. Die SEP und die IYSSE müssen sich weiterhin für die bedingungslose Freiheit von Julian Assange, für das Ende der Verfolgung von Chelsea Manning und gegen die Zensur der WSWS und anderer Websites von Linken, Kriegsgegnern und Sozialisten oder von Einzelpersonen durch Technologiegiganten wie Google und Facebook einsetzen.

85. Der politische Einfluss und die Wirksamkeit der Initiativen und Kampagnen der SEP hängen von der Rekrutierung von arbeitenden Menschen in die Partei ab. Revolutionäre Politik entfaltet sich nicht in vom Menschen abgehobenen geistigen Sphären. Selbst die günstigsten objektiven Bedingungen müssen von politisch bewussten Arbeitern, die von der Partei ausgebildet wurden, zum Handeln genutzt werden. Die Gründung von Sicherheitskomitees in Autowerken in Detroit, Toledo und anderen Teilen des Landes zeigt, welch wichtige Rolle die Partei bei der Entwicklung der Arbeiterklasse zu einer politisch und gesellschaftlich bewussten Kraft gespielt hat.

86. Die Partei muss Arbeitern und Jugendlichen geduldig das Wesen der Krise und die Strategie des Kampfs für den Sozialismus erklären. Aber die Notwendigkeit der geduldigen Aufklärung darf nicht zur Rechtfertigung einer passiven Kontemplation werden. Gelegenheiten, politisches Verständnis in praktisches Handeln umzusetzen, dürfen nicht verpasst werden. Das Ziel der Partei ist es, die Arbeiter im Kampf zu führen.

87. Die gesamte Arbeit der SEP wird in engster Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale durchgeführt. Es gibt keine nationale Lösung für die globale Pandemie, wie es auch keine nationale Lösung für irgendeines der großen Probleme gibt, mit denen die Arbeiterklasse konfrontiert ist – Ungleichheit, Ausbeutung, Krieg und Umweltzerstörung. Der Aufbau einer sozialistischen Massenbewegung in der amerikanischen Arbeiterklasse muss mit der Mobilisierung von Milliarden Arbeitern auf der ganzen Welt verbunden werden, d. h. der riesigen gesellschaftlichen Kraft, die der kapitalistischen Barbarei endlich ein Ende setzen und einen neuen Weg für die Menschheit aufzeigen kann.

88. Auf ihrer Sommerschule vor einem Jahr gelangte die Socialist Equality auf der Grundlage eines Rückblicks auf die Entwicklung der trotzkistischen Bewegung und der objektiven Lage zu dem Schluss, dass das IKVI in eine neue historische Phase eingetreten ist. Der Vorsitzende der SEP David North definierte diese Phase mit den Worten: „Dies ist die Phase, in der das IKVI als Weltpartei der Sozialistischen Revolution ein enormes Wachstum erleben wird“, und erklärte:

Die objektiven Prozesse der ökonomischen Globalisierung, die das Internationale Komitee vor mehr als 30 Jahren identifizierte, haben sich in riesigem Umfang weiterentwickelt. In Kombination mit dem Aufkommen neuer Technologien, die die Kommunikation revolutioniert haben, haben diese Prozesse den Klassenkampf in einem Maße internationalisiert, das selbst vor 25 Jahren noch kaum vorstellbar gewesen wäre. Der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse wird sich als eine zusammenhängende und vereinte Weltbewegung entwickeln. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale wird als bewusste politische Führung dieses objektiven sozioökonomischen Prozesses aufgebaut. Es wird der kapitalistischen Politik des imperialistischen Krieges die klassenbasierte Strategie der sozialistischen Weltrevolution entgegensetzen. Darin besteht die wesentliche historische Aufgabe des neuen Stadiums in der Geschichte der Vierten Internationale. [33]

89. Um ihrer enormen politischen Verantwortung gerecht zu werden, müssen die Partei und ihre Kader fest in den historischen Erfahrungen der marxistischen Bewegung verwurzelt und ausgebildet sein. Die lange Geschichte, die das IKVI verkörpert, muss in die entstehende Bewegung der Arbeiterklasse eingebracht werden. Das Zusammentreffen der objektiven Radikalisierung der Arbeiterklasse mit der Praxis der Partei wird die Voraussetzungen für den Sieg der Arbeiterklasse, die Abschaffung des Kapitalismus und die sozialistische Umgestaltung der Weltwirtschaft schaffen.

Endnoten

[1] „Die COVID-19-Pandemie: Ein auslösendes Ereignis in der Weltgeschichte“ von David North, World Socialist Web Site, 4. Mai 2020.

[2] Das Kapital von Karl Marx, Band III (London: 1974), S. 438.

[3] „The Next Pandemic?“ in Foreign Affairs, Vol. 84, Nr. 4 (Juli-August 2005), S. 3–4.

[4] Ebd., S. 4.

[5] Ebd.

[6] „Das Coronavirus von Wuhan und die globale Bedrohung durch Infektionskrankheiten“ von Bryan Dyne, World Socialist Web Site, 29. Januar 2020.

[7] „Covid-19 and corporate sector liquidity” von Ryan Niladri Banerjee, Anamaria Illes, Enisse Kharroubi and José María Serena Garralda, BIS Bulletin, Nr. 10, 28. April 2020, S. 1.

[8] Ebd.

[9] „Für global koordinierte Notfallmaßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie!“, Internationales Komitee der Vierten Internationale, World Socialist Web Site, 29. Februar 2020.

[10] „Böswillige Untätigkeit – die Reaktion der herrschenden Elite auf die Coronavirus-Pandemie“, von Alex Lantier und Andre Damon, World Socialist Web Site, 16. März 2020.

[11] „The Economic Lockdown Catastrophe“, Redaktion des Wall Street Journal, 8. Mai 2020.

[12] „The Market v the Real Economy“, Economist, 7. Mai 2020.

[13] „Die Botschaft der Großkonzerne zur Coronavirus-Pandemie: Rettet Profite, nicht Leben“, von Andre Damon, World Socialist Web Site, 25. März 2020.

[14] „Forderung nach Rückkehr zur Arbeit setzt Leben von Hunderttausenden aufs Spiel“, Sozialistische Gleichheitspartei, World Socialist Web Site, 13. April 2020.

[15] „Die Pandemie, das Profitstreben und die kapitalistische Rechtfertigung für Leid und Tod“ von David North, World Socialist Web Site, 20. April 2020.

[16] „USA: Hunderttausende vereint in Demonstrationen gegen Polizeigewalt“, Socialist Equality Party (US), World Socialist Web Site, 1. Juni 2020.

[17] Palastrevolte oder Klassenkampf: Die politische Krise in Washington und die Strategie der Arbeiterklasse“, World Socialist Web Site, 14. Juni 2017.

[18] „USA: Hunderttausende vereint in Demonstrationen gegen Polizeigewalt“, Socialist Equality Party (US), World Socialist Web Site, 1. Juni 2020.

[19] „Wie weiter im Kampf gegen Polizeigewalt?“, Erklärung der Socialist Equality Party (US), World Socialist Web Site, 16. Juni 2020.

[20] „Möchtegern-Führer Trump verstärkt Putschversuche“ von Patrick Martin, World Socialist Web Site, 13. Juni 2020.

[21] „Ein Aufruf an die Arbeiterklasse! Stoppt Trumps Staatsstreich!“, Erklärung der Socialist Equality Party (US), World Socialist Web Site, 5. Juni 2020.

[22] „Wie weiter im Kampf gegen Polizeigewalt?“, Erklärung der Socialist Equality Party (US), World Socialist Web Site, 16. Juni 2020.

[23] „Spaltungspolitik auf der Grundlage der „Rasse“ und die zweite Ermordung von Abraham Lincoln“, von Niles Niemuth und David North, World Socialist Web Site, 26. Juni 2020.

[24] „The US is having a bank-shaped recovery“ von Gillian Tett, Financial Times https://www.ft.com/content/26173096-7fe8-47e4-abeb-feafa3432901.

[25] „Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen“ von David North und Joseph Kishore, World Socialist Web Site, 4. Januar 2020.

[26] „Trump spielt auf Zeit, aber die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran gehen weiter“ von Bill Van Auken und David North, World Socialist Web Site, 10. Januar 2020.

[27] Die Workers League und die Gründung der Socialist Equality Party, Bericht von David North vom 25. Juni 1995 (Detroit: 1996), S. 30.

[28] „The Age of Leaderless Revolution“ von Samuel Brannen, 1. November 2019, https://www.csis.org/analysis/age-leaderless-revolution.

[29] „Das Jahrzehnt der sozialistischen Revolution ist angebrochen“ von David North und Joseph Kishore, World Socialist Web Site, 4. Januar 2020.

[30] Leo Trotzki, „Wohin geht Frankreich“ (28. März 1935), verfügbar unter https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1935/wohinfr2/01.htm#krig

[31] Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 50.

[32] Ebd., S. 87.

[33] „Die politischen Ursachen und Folgen der Spaltung von 1982–1986 im Internationalen Komitee der Vierten Internationale“, Sommerschulung der Socialist Equality Party (USA) am 21. Juli 2019.

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