700 Schulen in Griechenland besetzt: „Schulen sind Zeitbomben für die öffentliche Gesundheit!“

Die griechischen Schüler haben ihre Proteste gegen die unsichere Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts verschärft. Am Dienstag waren über 700 Schulen in 35 Städten von Schülern besetzt.

Nach den Protesten und Kundgebungen der letzten Woche werden die Proteste am heutigen Donnerstag in der Hauptstadt Athen, der zweitgrößten Stadt Thessaloniki und anderen Städten weitergehen. Auch auf den griechischen Inseln wie Kreta und Rhodos finden Demonstrationen statt.

Die Schulbesetzungen dauern schon seit mehr als einer Woche an. Letzten Freitag überschritt die Zahl der besetzten Schulen die 200er-Marke. Alleine in Attika, der bevölkerungsreichsten Region Griechenlands, sind es jetzt 250. Mehr als ein Fünftel der 3.168 Oberschulen Griechenlands sind betroffen.

Ein Transparent von protestierenden Schülern in Athen. In der linken Spalte ist zu sehen, wofür „Geld da ist“ – Panzer, Kampfflugzeuge, U-Boote und Bomben. Die rechte Spalte zeigt, wofür „kein Geld da ist“ – Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel und Frieden. (Quelle: Keep Talking Greece)

Am Dienstag meldete Griechenland mit 416 neuen Corona-Fällen und fünf Todesopfern den zweitgrößten täglichen Anstieg seit Beginn der Pandemie. Das Coronavirus breitet sich wie ein Lauffeuer im Bildungssystem aus, seit die rechtskonservative Nea Dimokratia-Regierung die Wirtschaft und Tourismusbranche sowie seit dem 14. September auch die Schulen und Universitäten wieder geöffnet hat. Bis zum Dienstag mussten 150 Schulen wegen Infektionen teilweise oder vollständig geschlossen werden.

An den Schulen wurden nahezu keine Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um Infektionen von Schülern und Personal zu vermeiden. Bis zum 23. September – nur acht Tage nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts – wurden bereits 50 Schüler, 16 Lehrer und ein Schulangestellter positiv getestet. Die tatsächliche Zahl ist vermutlich noch deutlich höher.

Die Besetzer fordern die Begrenzung der Klassengröße auf 15 Schüler, die Einstellung von zusätzlichen Lehrkräften und mehr Reinigungspersonal. Während des Sparkurses der letzten zehn Jahre wurden 20.000 Arbeitsplätze im Bildungswesen gestrichen und der Bildungsetat um 27 Prozent gekürzt. Die Schüler wollen außerdem verhindern, dass die Regierung unter dem Vorwand des E-Learning Kameras in den Schulen installiert.

Ein Athener Grundschüler umarmt seine Mutter, bevor er zu Beginn des neuen Schuljahres am 14. September in den Unterricht geht. (Quelle: AP Photo/Thanassis Stavrakis, Pool)

Im Rahmen ihrer Proteste fordern die Schüler, dass die Regierung die Militärausgaben kürzt und das eingesparte Geld für Schulen und das Gesundheitswesen einsetzt.

Im Aufruf des Koordinationskomitees der Athener Schüler zu den Besetzungen heißt es: „Wir als Schüler haben durch unser Handeln gezeigt, dass der Grund für unsere Mobilisierung ernst ist. Wir haben die Probleme, mit denen wir an unseren Schulen konfrontiert sind, überall bekannt gemacht! Wir sind den Verleumdungen und Falschdarstellungen unseres Kampfs als ‚Bewegung für nichts‘ oder ‚Maskenverweigernde Schüler‘ entgegengetreten. Sie haben gesagt: ‚Die wollen nur die Schule schwänzen‘ und all die üblichen Dinge. Jetzt behaupten sie, unsere Protestaktionen seien Zeitbomben für die öffentliche Gesundheit. SCHULEN SIND ZEITBOMBEN FÜR DIE ÖFFENTLICHE GESUNDHEIT! Wir kämpfen dafür, DASS SIE ES NICHT SIND, indem wir unsere Masken tragen und soziale Distanzierung einhalten... Und das treibt uns auf die Straße.

Diese Woche hat sie [die Regierung] den Fernsehsendern zwei Millionen Euro gezahlt, damit sie Fernsehspots über die Pandemie produzieren. Warum sagen sie uns dann, sie könnten nicht einmal eine zusätzliche Reinigungskraft in jeder Schule einstellen? Warum bekommen wir keinen einzigen Euro?

Sie waren genervt, als wir ihnen sagten, dass wir nicht wollen, dass die Steuergelder unserer Eltern für Waffen, statt Bildung ausgegeben werden! Sie fragten, woher wir das wissen. Was wollen sie? Dass Schüler es gut finden, wenn sich ihr Land an Kriegen beteiligt, in denen Kinder getötet werden?“

Am Tor eines besetzten Lyzeums in der ländlichen Kleinstadt Rizomata in der nordgriechischen Präfektur Imathia hängt ein Transparent der Schüler mit der Aufschrift „Besetzt“ und darunter: „Man hat auf dem Mars Wasser gefunden, während unsere Schule einen Monat lang einen Physiklehrer suchte.“

In den sozialen Netzwerken stoßen die Besetzungen auf große Unterstützung. Die Facebook-Seite „Covid-19 Solidarity“ (Menoume Energoi – Wir bleiben aktiv) unterstützte die Besetzungen mit einem Post. Die Gruppe befasst sich mit Themen rund um die Ausbreitung von Covid-19 und kämpft gegen den Mangel an Schutzausrüstung. Sie übermittelte Grüße an die Schüler, die in der ländlichen Kleinstadt Rizomata in der nordgriechischen Präfektur Imathia das Lyzeum besetzt haben. Auf einem Transparent am Zaun der besetzten Schule steht: „Man hat auf dem Mars Wasser gefunden, während unsere Schule einen Monat lang einen Physiklehrer suchte.“

Menoume Energoi erklärt: „[D]ie Schüler dieses Lyzeums fordern die Einstellung eines Physik- und eines Englischlehrers und die Bereitstellung kostenloser Covid-19-Tests. Da der Ehemann einer Lehrerin positiv auf das Virus getestet wurde, ist es möglich, dass auch sie sich infiziert hat.“

Die Regierung von Kyriakos Mitsotakis hat die Besetzungen scharf verurteilt. Letzte Woche hatte sie bereits Polizeieinheiten in mehrere Schulen geschickt, an einer wurden sogar Schüler verhaftet. Auch die Lehrer und Eltern, die sie unterstützt haben, wurden bedroht. Die Generalsekretärin des Bildungsministeriums Anastasia Gika verurteilte die Besetzungen mit den Worten: „Die Besetzung eines öffentlichen Gebäudes ist illegal. Es ist das Schlimmste, was man tun kann, da die Schulen bereits in den letzten Monaten wegen des Coronavirus geschlossen waren.“

Der ND-Abgeordnete Konstantinos Bodganos, der wiederholt rechtsextreme Standpunkte vertreten hat, bezeichnete die Schulbesetzer in einem Twitter-Post als „Schlangen“ und stellte sie provokant als Affen dar.

Mit Bezug zu den landesweiten Schulbesetzungen in den 1990er Jahren erklärte er: „Die Verantwortlichen für die Schulbesetzungen in meiner Generation haben eine neue nationale Spaltung verursacht, unsere Schulden um 100 Milliarden Euro erhöht, unserer Nation eine Niederlage in der Frage Mazedoniens eingebracht, die Ansiedlung von Migranten erzwungen und bei Protesten ungestraft randaliert. Es tut mir leid, aber wir haben scheinbar nicht verstanden, was für Schlangen wir im Herzen unserer Schulen dulden.“

Am Dienstag legte Bodganos in einem Interview mit Mega Channel nach und warf den Schülern vor: „Besetzungen zerstören die Schulinfrastruktur und verfestigen eine Kultur der Straflosigkeit, der Einschüchterung und der Gesetzlosigkeit.“ Besetzungen seien nach dem Strafrecht illegal, so Bogdanos. „Die Regierung hat gezögert.“ Er forderte: „Die Besetzungen müssen notfalls mit juristischen Mitteln gebrochen werden.“

Bildungsministerin Niki Kerameus erklärte am Montag gegenüber dem Fernsehsender ANT1, ihre Regierung erwäge zwar Verhandlungen mit den Schülern. Sie betonte aber: „Die Verhandlungen werden nur stattfinden, wenn die Schulen offen sind. Niemand darf anderen das Recht auf Unterricht verweigern und den Bildungsprozess stören.“

Die Proteste am heutigen Donnerstag werden von der Lehrergewerkschaft OLME unterstützt, die zu einem Teilstreik von 11 bis 14 Uhr aufgerufen hat, damit ihre Mitglieder an den Protesten teilnehmen können. Der Präsident von OLME ist ein Vertreter des Gewerkschaftsflügels von Nea Dimokratia, der Demokratischen Unabhängigen Arbeiterbewegung (DAKE).

Die Unterstützung von OLME für die Proteste wurde notwendig, weil unter Lehrern und Schulbeschäftigten der Widerstand wächst. Doch in Wirklichkeit vertritt OLME die Position, dass die Schulen geöffnet bleiben müssen. Letzte Woche hatten Ärzte und Transportarbeiter gestreikt; die Beteiligung der Lehrer verdeutlicht, dass sich der soziale Widerstand unter den Arbeitern ausbreitet, die durch jahrzehntelange Sparmaßnahmen ins Elend getrieben wurden.

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