Im Mehring Verlag ist die überarbeitete Neuauflage von Felix Morrows Werk »Revolution und Konterrevolution in Spanien« erschienen. Diese herausragende marxistische Analyse des Spanischen Bürgerkriegs entstand unter dem Eindruck der Ereignisse zwischen 1936 und 1939 und ist von brennender Aktualität. Das Buch ist hier als Hardcover und E-Book erhältlich. Der Mehring Verlag bietet außerdem die Option eines Geschenkgutscheins an. Wir veröffentlichen an dieser Stelle das Vorwort zur deutschen Neuausgabe von Peter Schwarz, Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und Chefredakteur der deutschen Ausgabe der World Socialist Web Site.
Vorwort
Der Spanische Bürgerkrieg, der 1936 mit der faschistischen Erhebung General Francos begann und 1939 mit der Kapitulation Barcelonas endete, zählt zu den wichtigsten strategischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse. Der Sieg Francos, dessen Diktatur erst mit seinem Tod im Jahr 1975 endete, war alles andere als unvermeidlich. Die spanische Arbeiterklasse bewies im Kampf gegen Franco enorme Opferbereitschaft und außerordentlichen Heldenmut. Sie wurde von tausenden internationalen Freiwilligen unterstützt, die nach Spanien reisten, weil sie dem Aufstieg des Faschismus nach der Machtübernahme Mussolinis in Italien und Hitlers in Deutschland Einhalt gebieten und den sich anbahnenden Zweiten Weltkrieg verhindern wollten. Franco siegte nicht aufgrund der Schwäche seiner Gegner in der Arbeiterklasse, sondern aufgrund des Versagens und des Verrats ihrer Führer.
Stalinisten, Sozialdemokraten, Anarcho-Syndikalisten und Zentristen – sie alle wurden getestet und versagten. Jede dieser politischen Tendenzen spielte eine wichtige Rolle dabei, die revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse zu lähmen und den Triumph der faschistischen Reaktion zu ermöglichen. Das Werkzeug, dessen sie sich dabei bedienten, nannte sich »Volksfront«. Im Namen der »Einheit gegen Franco« verbündeten sich einflussreiche Arbeiterparteien mit ohnmächtigen bürgerlichen »Republikanern«, die einen proletarischen Aufstand weit mehr fürchteten als Francos Diktatur. Um die bürgerlichen Verbündeten nicht »abzuschrecken«, unterdrückten sie alle Bemühungen von Arbeitern, revolutionäre Initiativen zu ergreifen und für sozialistische Ziele zu kämpfen. Volksfront bedeutete Koalition mit der liberalen Bourgeoisie auf Kosten der Bauern- und Arbeitermassen – oder besser, wie Leo Trotzki bemerkte, Koalition mit dem »Schatten der Bourgeoisie«; denn die Bourgeoisie selbst war längst geschlossen ins Lager Francos übergewechselt.
Die führende Rolle in der Volksfront spielten die Sozialisten und die Stalinisten. Die Sozialisten, eine sozialdemokratische Partei, stellten während des gesamten Bürgerkriegs den Regierungschef und verteidigten konsequent das kapitalistische Fundament der Republik. Die Stalinisten erledigten die Drecksarbeit.
Stalin festigte in dieser Zeit seine Diktatur in der Sowjetunion mittels eines politischen Völkermords. Fast alle noch lebenden Führer der Oktoberrevolution 1917 wurden in den Moskauer Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Hunderttausende Anhänger der Linken Opposition, revolutionäre Arbeiter, Offiziere der Roten Armee und herausragende Intellektuelle erlitten in Stalins Kerkern und Lagern dasselbe Schicksal. Stalin sicherte so die Herrschaft der privilegierten Bürokratenkaste, die die Macht in der Sowjetunion an sich gerissen hatte. Diese betrachtete jede revolutionäre Regung der internationalen Arbeiterklasse als Bedrohung ihrer eigenen Machtposition. Ihre Außenpolitik stützte sie auf Bündnisse mit »demokratischen« imperialistischen Mächten und nicht auf die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution.
Das bestimmte auch die Politik der spanischen Kommunistischen Partei, die in der Arbeiterklasse nur schwach verankert war. Ihr Einfluss beruhte auf den gewaltigen Mitteln des stalinistischen Apparats, auf dessen Waffenlieferungen das republikanische Lager angewiesen war. Agenten der stalinistischen Geheimpolizei GPU setzten hinter den Fronten des Bürgerkriegs die mörderischen stalinistischen Säuberungen fort. Militante Arbeiter, linke Gegner der Volksfront und vor allem Trotzkisten wurden gefangen, gefoltert und ermordet. Unter den zahlreichen Opfern befanden sich – um nur drei Namen zu nennen – der Führer der POUM Andrés Nin, Trotzkis Sekretär Erwin Wolf und der österreichische Trotzkist Kurt Landau. Stalin fürchtete nicht nur die Rückwirkung einer siegreichen spanischen Revolution auf die sowjetische Arbeiterklasse, er musste den verbündeten britischen und französischen Imperialisten auch beweisen, dass von Moskau keine revolutionäre Gefahr ausging. Dazu gingen die Stalinisten rücksichtslos gegen jeden vor, der die Volksfront und die bürgerliche Herrschaft in Frage stellte.
Die Sozialisten und Stalinisten hätten der spanischen Revolution nicht das Grab schaufeln können, wären sie im entscheidenden Moment nicht von den Anarcho-Syndikalisten und der zentristischen POUM unterstützt worden. Spanien ist das einzige Land, in dem die Anarchisten jemals über Masseneinfluss in der Arbeiterklasse verfügten. Sie konnten ihre Doktrin in der Praxis austesten – und erlitten kläglichen Schiffbruch. Sie unterstützten die Volksfront, traten im entscheidenden Moment der Regierung bei und halfen mit, die revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse zu erdrosseln.
Ebenso verhielt sich die zentristische Arbeiterpartei der marxistischen Einheit (POUM). Sie stand weit links von Sozialisten und Stalinisten und gewann die Unterstützung der militantesten Arbeiterschichten. Trotzdem bildete sie den linken Flügel der Volksfront, die sie von Anfang an unterstützte. Auf dem Höhepunkt der revolutionären Krise trat sie in Barcelona in die Regierung ein. »Trotz ihrer Absichten war die POUM letzten Endes das Haupthindernis auf dem Wege zur Schaffung einer revolutionären Partei«, folgerte Leo Trotzki. Er fasste die Lehren aus der Rolle der POUM in den Worten zusammen:
Das Problem der Revolution heißt es bis zu Ende, bis in die letzten konkreten Schlussfolgerungen hinein durchdenken. Es heißt die Politik auf die Grundgesetze der Revolution, d. h. auf die Bewegung der einander bekämpfenden Klassen einstellen, und nicht auf die Vorurteile und Ängste der oberflächlichen kleinbürgerlichen Gruppen, die sich »Volks«- und wer weiß was noch für welche Front betiteln. Die Linie des geringsten Widerstandes ist in der Revolution die Linie des größten Zusammenbruchs. Die Furcht vor »Isolierung« von der Bourgeoisie bedeutet Isolierung von den Massen. Anpassung an die konservativen Vorurteile der Arbeiteraristokratie bedeutet Verrat an den Arbeitern und an der Revolution. Übermäßige »Vorsicht« ist unheilvollste Unvorsichtigkeit. Das sind die Hauptlehren aus dem Zusammenbruch der ehrlichsten politischen Organisation in Spanien, will sagen der zentristischen POUM. [1]
Leo Trotzki und die internationale Bewegung für die Vierte Internationale, die er anführte, kämpften als Einzige gegen den Verrat an der spanischen Arbeiterklasse, der unter dem trügerischen Banner der Volksfront begangen wurde, und zeigten in jedem Moment der Entwicklung den Weg vorwärts. Und es waren Trotzki und die 1938 gegründete Vierte Internationale, die für die ganze internationale Arbeiterklasse die bitteren Lehren aus der Niederlage in Spanien zogen.
Trotzki selbst saß im norwegischen Exil, als der Spanische Bürgerkrieg 1936 ausbrach. Die sozialdemokratische Regierung hatte ihn unter Hausarrest gestellt und weitgehend von der Außenwelt isoliert. Erst ab Januar 1937, als er im neuen Exil in Mexiko ankam, konnte er wieder einigermaßen ungehindert arbeiten. Trotz dieser widrigen Umstände verfasste er zwischen 1930 und 1940 knapp hundert Erklärungen und Artikel, die sich mit den spanischen Ereignissen auseinandersetzen, ihre Hintergründe analysieren, die Lehren daraus ziehen und eine Perspektive für die Arbeiterklasse entwickeln. Wir haben einen dieser Aufsätze, »Die Spanische Lehre – eine letzte Warnung«, aus dem auch das oben angeführte Zitat stammt, an den Anfang dieses Bands gestellt. Trotzki veröffentlichte ihn im Dezember 1937. Er fasst in knapper, aber präziser Weise die Klassendynamik der Ereignisse, die Rolle der verschiedenen politischen Lager und die Lehren daraus zusammen.
Felix Morrow, der Autor dieses Buches, war zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs führendes Mitglied der Socialist Workers Party, der trotzkistischen Partei in den USA, und Redaktionsmitglied ihrer Wochenzeitung »Socialist Appeal«. Morrow brach später mit der trotzkistischen Bewegung und dem Marxismus, aber sein Buch stellt bis heute eine der besten Darstellungen der Ereignisse und der Lehren aus dem Spanischen Bürgerkrieg dar. Er schrieb es unter dem direkten Einfluss von Leo Trotzki.
»Der Bürgerkrieg in Spanien – Hin zum Sozialismus oder Faschismus« entstand 1936, wurde nur zwei Monate nach Francos Putsch fertiggestellt und im selben Jahr als Broschüre veröffentlicht. Es stellt die politische Geschichte der spanischen Republik von ihrer Geburt im Jahre 1931 bis zum faschistischen Putsch im Juli 1936 dar.
»Revolution und Konterrevolution in Spanien« wurde im November 1937 – also noch während des Bürgerkriegs – abgeschlossen und zeichnet dessen Entwicklung bis zur Entrechtung und Unterdrückung der linken Parteien im Mai in Barcelona nach. Nach der Zerschlagung der Linken durch die Volksfront von Stalinisten, Sozialisten und bürgerlichen Parteien gewann Franco im Bürgerkrieg schnell die Oberhand. Als Morrow im Mai 1938 einen Nachtrag zu seinem Buch verfasste, konnte es über den Ausgang des Bürgerkriegs, der am 29. März 1939 mit dem Sieg Francos endete, kaum noch Zweifel geben.
Die Lehren aus dem Spanischen Bürgerkrieg sind heute wieder von brennender Aktualität. Auf der ganzen Welt reagiert die Bourgeoisie auf die Zuspitzung der kapitalistischen Krise und die Linksentwicklung breiter Schichten der Arbeiterklasse mit der Hinwendung zu autoritären und faschistischen Herrschaftsformen. Im mächtigsten imperialistischen Land der Welt, den USA, baut die herrschende Klasse unter Führung von Donald Trump eine faschistische Bewegung auf. In Deutschland sitzt mit der AfD wieder eine rechtsextreme Partei mit einem starken faschistischen Flügel im Bundestag.
Wie in den 1930er Jahren ist die Behauptung, dass es in der herrschenden Klasse einen »demokratischen« Flügel gebe, ein »bewusster Schwindel« (Trotzki). In Frankreich lobt der nominell liberale Präsident Emmanuel Macron den Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain, hetzt gegen Muslime und unterdrückt mit brutaler Polizeigewalt den wachsenden sozialen Widerstand. Auch in Deutschland haben die etablierten bürgerlichen Parteien die AfD nicht nur ins politische System integriert, sondern das Programm der Faschisten weitgehend übernommen. Und in den USA steht auch die Demokratische Partei um Joe Biden für soziale Angriffe, Militarismus und Krieg.
Von einer »Volksfront« in der klassischen Form kann heute keine Rede mehr sein. Anders als in den 1930er Jahren verfügen die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien über keine Massenbasis in der Arbeiterklasse. Sie sind rechte bürgerliche Organisationen, die die Interessen der Finanzoligarchie mit allen Mitteln durchsetzen. Geblieben ist aber der Klassenmechanismus, auf dem die Volksfront beruht. Je mehr die bürgerliche Demokratie verfault, je offener die gesamte herrschende Klasse auf Autoritarismus und Diktatur setzt, desto vehementer fordern pseudolinke Organisationen, die Arbeiterklasse müsse im »Kampf gegen rechts« die angeblich demokratischen Vertreter der Bourgeoisie unterstützen. Wie in den 1930er Jahren ignoriert diese »Politik des kleineren Übels« die Klassengrundlage des Faschismus und führt geradezu in die Katastrophe. Trotzki schrieb in »Die Spanische Lehre – eine letzte Warnung«:
Dass der Faschismus nicht feudale, sondern bürgerliche Reaktion ist, dass die bürgerliche Reaktion erfolgreich nur mit den Kräften und Methoden der proletarischen Revolution zu bekämpfen ist, dafür hat der Menschewismus, selbst ein Zweig des bürgerlichen Denkens, kein Verständnis und kann es auch nicht haben.
Der bolschewistische Standpunkt, dem nur die junge Sektion der Vierten Internationale vollendeten Ausdruck verlieh, ging von der Theorie der permanenten Revolution aus, nämlich: Selbst rein demokratische Aufgaben wie die Liquidierung des halbfeudalen Grundbesitzes sind ohne Machteroberung durch das Proletariat nicht zu lösen, dies aber stellt seinerseits die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung. [2]
Auch heute gibt es nur eine Möglichkeit, die Gefahr von Faschismus und Krieg zu bannen: die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Notwendig ist der Sturz des Kapitalismus und die Bildung von Arbeiterregierungen, die den Reichtum radikal umverteilen, die großen Unternehmen und Banken unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung stellen und eine Planwirtschaft einführen, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht dem privaten Profit dient.
Die spanische Erfahrung beinhaltet eine weitere zentrale Lehre. Die Krise des Kapitalismus radikalisiert die Arbeiterklasse und schafft objektiv die Bedingungen für die sozialistische Revolution. Aber für ihren Sieg ist eine revolutionäre Partei erforderlich, die sich auf ein klares politisches Programm und eine korrekte Strategie und Taktik stützt. Der Leser sollte das vorliegende Buch als Ansporn verstehen, sich der trotzkistischen Weltbewegung anzuschließen und das Internationale Komitee der Vierten Internationale als neue revolutionäre Führung der Arbeiterklasse aufzubauen.
Peter Schwarz
Berlin, 9. November 2020
[1] Leo Trotzki, »Die Spanische Lehre – eine letzte Warnung«, in diesem Band, S. 36–37.
[2] Ebd., S. 15–16.
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