Perspektive

„Wir wollen, dass sie sich infizieren“: Wie es in den USA zu 300.000 Corona-Todesopfern kommen konnte

In den USA sind seit Beginn der Corona-Pandemie bereits mehr als 300.000 Menschen dem Virus erlegen. Gesundheitsexperten warnen, dass in den kommenden Monaten weitere Hunderttausende sterben könnten. Am Donnerstag gaben die zuständigen Behörden bekannt, dass in Südkalifornien nahezu alle Intensivbetten belegt sind. Das Coronavirus hat das Land nach wie vor fest im Griff und Ärzte befürchten, dass sie aufgrund der fehlenden Kapazitäten schon bald entscheiden müssen, welche Patienten noch eine lebensrettende Behandlung erhalten können.

Diese Katastrophe ist nicht einfach das Ergebnis von Fahrlässigkeit. Immer deutlicher zeigt sich, dass bewusste politische Entscheidungen getroffen wurden, um Menschenleben für das Profitinteresse von Großkonzernen zu opfern.

Am Mittwoch veröffentlichte die Wochenzeitung Politico eine Reihe von E-Mails, die einen Einblick in die Diskussionen der amerikanischen Regierung im vergangenen Sommer geben. Gemeinsam entschieden das Weiße Haus, die Gouverneure der Bundesstaaten und der Kongress, dass die Schulen und Betriebe landesweit wiedereröffnet werden – und missachteten damit sämtliche Warnungen von Gesundheitsexperten.

Präsident Donald Trump bei einer Rede über das Coronavirus im Rosengarten des Weißen Hauses am 15. April 2020 (Quelle: AP Photo/Alex Brandon)

Aus den jetzt bekannt gewordenen E-Mails geht hervor, dass die US-Regierung – entgegen offizieller Darstellungen – niemals die Absicht hatte, Menschenleben zu retten, sondern die Ausbreitung des Coronavirus an Schulen und in Betrieben vorsätzlich begünstigte.

Dies wird deutlich in der Korrespondenz zwischen Michael Caputo, Stellvertreter und Sprecher des amerikanischen Gesundheitsministers, und Paul Elias Alexander, ehemaliger wissenschaftlicher Berater im Ministerium. Aus ihren E-Mails geht hervor, dass die Regierung Betriebe und Schulen öffnen soll, um so viele Menschen wie möglich mit dem Virus zu infizieren.

„Säuglinge, Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Menschen mittleren Alters ohne Vorerkrankungen usw. unterliegen nahezu keinem Risiko … durch sie können wir eine Herdenimmunität erreichen … wir wollen, dass sie sich infizieren“, schrieb Alexander am 4. Juli.

Der Berater machte keinen Hehl aus seiner Ansicht, dass das Leben älterer und kranker Menschen weniger wert sei als das von jungen Menschen. „Die Zahlen zeigen, habe ich nun gehört, dass nur noch 3,5 Prozent der Todesfälle auf Personen unter 44 Jahren entfallen“, heißt es in der E-Mail, und weiter: „Gott bewahre“, dass sich das ändert.

Diese Aussagen unterstreichen die faschistische Weltsicht der amerikanischen Regierung unter Präsident Donald Trump. Die Bevölkerung wird bewusst einem tödlichen Virus ausgesetzt, und das Leben älterer Menschen wird als wertlos betrachtet.

In einer weiteren von Alexander verfassten E-Mail heißt es: „Wenn es jetzt also mehr Infektionsfälle gibt, stellt sich die Frage: Wen interessiert’s? Und auch wenn sich jetzt mehr junge Menschen infizieren: Wen interessiert’s? Wen interessiert es, wenn wir mehr Tests durchführen und mehr positive Ergebnisse erhalten?“

Die Tiraden Alexanders stehen sinnbildlich sowohl für das Weiße Haus als auch für große Teile der herrschenden Klasse in den USA. Gemeinsam mit seinem damaligen Chef Michael Caputo unterdrückte Alexander erfolgreich die Veröffentlichung der amtlich erfassten Infektions- und Sterberaten, und brachte Wissenschaftler dazu, die Bedrohung durch die Pandemie herunterzuspielen.

Auch die bürgerlichen Medien in den Vereinigten Staaten unterstützen und fördern die Politik der „Herdenimmunität“. Das Wall Street Journal, die Washington Post und die New York Times bewarben die wissenschaftlich nicht haltbare Theorie nach dem Vorbild Schwedens, wo weder Betriebe noch Schulen geschlossen wurden.

Am 22. März 2020 schrieb New York Times Kolumnist Thomas Friedman, dass das „Heilmittel“ nicht schlimmer sein dürfe als die Krankheit, und erklärte, die Regierung solle dafür sorgen, dass sich „möglichst viele mit dem Coronavirus infizieren, wieder gesund werden und zurück an die Arbeit gehen“. Im Mai erklärte die Washington Post in einem Leitartikel, dass „Schweden ein ansprechendes Modell für viele bietet, die der Einschränkungen durch die Pandemie müde sind oder nie von ihrer Notwendigkeit überzeugt waren“.

Seit dem Ausbruch der Pandemie zählt für die amerikanische Regierung und das gesamte politische Establishment in den USA nur eines: die Wahrung der Profitinteressen der Großkonzerne.

Im Weißen Haus wurde schon früh die Entscheidung getroffen, die Gefahr herunterzuspielen. Trump, sein Kabinett und der Kongress hielten im Januar und Februar Lagebesprechungen mit den US-Geheimdiensten ab, die die Pandemie „als größte nationale Sicherheitsbedrohung“ der Präsidentschaft Trumps bezeichneten. Doch anstatt die Bevölkerung zu warnen, versuchte der Präsident – wie er selbst zugegeben hat – die Lage „herzunterzuspielen“. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2020 gab es in den USA keine systematischen Tests auf das Coronavirus, sodass es sich ungehindert verbreiten konnte. Währenddessen wurde die Bevölkerung dazu ermutigt, weiterhin zu verreisen, einkaufen zu gehen und sich mit Familie und Freunden zu treffen.

Bereits im März hatte sich das Virus derart verbreitet, dass sich die Auswirkungen nicht mehr verbergen ließen. Mitte des Monats legten Mitarbeiter in den großen amerikanischen Autofabriken die Arbeit nieder, was bei GM, Ford und Chrysler die Produktion zum Erliegen brachte.

Die amerikanische herrschende Klasse nutzte die durch die Pandemie ausgelöste Krise, um die Vermögen der Superreichen durch eine massive Rettungsaktion zu sichern. Gemeinsam stellten die Zentralbank und das Finanzministerium den Großkonzernen und Finanzmärkten rund 6 Billionen Dollar zur Verfügung; abgesegnet durch den CARES Act, den Republikaner und Demokraten Ende März einvernehmlich verabschiedeten.

Das Vorgehen Schwedens, das zweifelsohne in enger Abstimmung mit den europäischen Regierungen und dem Weißen Haus erfolgte, diente als Modell für eine Politik, die sowohl in den USA als auch in Europa angestrebt wurde. (Monate später verzeichnet Schweden nun eine zehnmal höhere Sterblichkeitsrate pro Kopf als sein Nachbarland Dänemark, und die Krankenhäuser stehen kurz vor dem Kollaps.)

Diese politischen Entscheidungen beruhen auf Verachtung für die Wissenschaft sowie der bewussten Verbreitung von Fehlinformationen. Ohne jegliche Beweise erklärte Paul Elias Alexander in einer seiner E-Mails, Impfstoffe würden die Bevölkerung nicht schützen. Weiter schrieb er: „Nur mit Impfstoffen werden wir keine Herdenimmunität erreichen … es leuchtet also ein, dass wir Infizierte brauchen.“

Alexanders Tiraden entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage und sind schlicht falsch. Es werden bereits zahlreiche Impfstoffe produziert, deren positive Wirkung durch Tests bestätigt wurde.

Befürworter der Herdenimmunität, darunter Alexander und die New York Times, behaupten, dass das Virus für junge Menschen weitgehend harmlos sei.

Doch nur einen Tag, nachdem die E-Mails bekannt wurden, veröffentlichte die Times einen Kommentar der Wissenschaftler Jeremy Samuel Faust, Harlan Krumholz und Rochelle Walensky. Sie berichten darin über die neuesten Forschungsergebnisse und erklären, dass „von März bis Juli in der Altersgruppe zwischen 25 bis 44 Jahren fast 12.000 Menschen mehr gestorben sind, als es aufgrund historischer Daten anzunehmen war“.

Die Forscher fügen hinzu: „Es ist eine Tatsache, dass noch nie in der neueren Geschichte Amerikas in einem Juli so viele Menschen dieser Altersgruppe gestorben sind. Durchschnittlich starben in den letzten 20 Jahren im Monat Juli 11.000 junge Erwachsene. Dieses Jahr wuchs die Zahl auf über 16.000 an.“

Auch die Behauptung, man könne ältere Menschen gezielt vor der Lungenkrankheit Covid-19 schützen, während sich der Rest der Bevölkerung massenhaft mit dem Coronavirus infiziert, ist eine dreiste Lüge. Fast 40 Prozent der Todesfälle ereigneten sich in Pflegeheimen, die zu Todesfallen für ältere Menschen geworden sind.

In einem Artikel vom 14. März 2020 bezeichnete die World Socialist Web Site die Reaktion der herrschenden Klassen auf die Covid-19-Pandemie als „böswillige Untätigkeit“. In dem Artikel heißt es:

Oberflächlich betrachtet erscheint ihr Handeln chaotisch, unorganisiert und improvisiert. All das ist wahr. Aber aus diesem Chaos kommt eine bestimmte Politik zum Vorschein, die man als böswillige Untätigkeit bezeichnen kann. Das heißt, die Regierungen treffen bewusst die Entscheidung, nur minimale Maßnahmen umzusetzen und der Verbreitung des Virus mit Gleichgültigkeit zu begegnen.

Im September erklärte die World Socialist Web Site, dass „sich diese Politik in eine noch gefährlichere Richtung entwickelt, die man als ‚soziale Euthanasie‘ bezeichnen könnte.“ Weiter heißt es:

Der Arbeiter, der nicht mehr arbeiten kann, ist aus Sicht der herrschenden Klasse völlig nutzlos. Er produziert nicht nur keinen Gewinn, sondern beansprucht auch noch Ressourcen wie die Gesundheits- und Altersversorgung, die die Geldmittel schmälert, die sonst in den Finanzmarkt oder die Kriegsmaschinerie fließen könnten.

Sowohl in den USA als auch in Europa ist die vom Weißen Haus verfochtene Politik der Masseninfektion zur neuen Normalität geworden. Während Krankenhäuser überall in den Vereinigten Staaten an ihre Kapazitätsgrenzen kommen, wird nirgendwo im Land die Produktion nicht lebensnotwendiger Güter heruntergefahren.

Mit anderen Worten: Die geifernden E-Mails von Alexander steht sinnbildlich für die Politik, die die Regierung der Vereinigten Staaten verfolgt. Das „schwedische Modell“ ist zum „amerikanischen Modell“ geworden. Allein dadurch lässt sich erklären, dass jeden Tag mehr als 3.000 Menschen sterben.

Die Reaktion der amerikanischen herrschenden Klasse auf die Pandemie ist ein beispielloses Verbrechen an der Gesellschaft. Auf höchster Ebene wurden Entscheidungen getroffen, die wissentlich zum Tod Hunderttausender Menschen geführt haben. Alle Hintergründe dieser Katastrophe müssen so bald wie möglich aufgedeckt werden. Die Verantwortlichen müssen benannt und vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.

Ungeachtet der Lügen, die das Weiße Haus verbreitet, kann und muss die Pandemie eingedämmt werden. Dafür ist eine unabhängige Bewegung in der Arbeiterklasse nötig. Diese muss die Produktion nicht lebensnotwendiger Güter stoppen und dafür sorgen, dass jeder Arbeiter einen Ausgleich für entgangene Löhne erhält und dass die Existenz von Kleinunternehmen gesichert wird.

Die herrschende Klasse wird die mörderische Politik zur Sicherung ihrer Profite nicht freiwillig aufgeben. Es liegt in den Händen der Arbeiter, ihr eigenes Leben und das ihrer Familien zu retten! Die Sozialistische Gleichheitspartei fordert Arbeiter und junge Menschen, die für ein sozialistisches Programm kämpfen wollen, dazu auf, uns noch heute zu kontaktieren.

Loading