Frankreich: Neofaschistin Le Pen und Innenminister diskutieren über islamfeindlichen Kurs

Am Donnerstagabend führten der französische Innenminister Gerald Darmanin und die Neofaschistin Marine Le Pen im Fernsehsender France2 eine einstündige Debatte. Das Ergebnis war ein übles, entwürdigendes Spektakel, das sich auf faschistische Maßnahmen gegen Muslime und Immigranten konzentrierte. Sogar die Moderatoren selbst hatten erklärtermaßen Schwierigkeiten, einen Unterschied zwischen Le Pen und Darmanin auszumachen.

Vor dieser sorgfältig inszenierten Veranstaltung hatte die Presse zahlreiche Umfragen zu potenziellen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr veröffentlicht. Laut einer Umfrage von IFOP rechnen 67 Prozent der Bevölkerung damit, dass Le Pen und Präsident Emmanuel Macron in die Stichwahl kommen, wie schon in der Wahl von 2017. Gleichzeitig wären 70 Prozent der Bevölkerung unzufrieden mit einer solchen Wahl. Laut einer Umfrage von Harris Interactive würde sich Macron nur sehr knapp gegen Le Pen durchsetzen, die 48 Prozent der Stimmen erhalten würde.

Daher wirkte die Debatte wie ein Versuch des französischen politischen Establishments, die Rahmenbedingungen für die Wahl 2022 zu schaffen, wobei Darmanin als Stellvertreter Macrons auftrat – sofern dieser trotz seiner enormen Unbeliebtheit tatsächlich erneut antritt. Dass eine Debatte zwischen der bekanntesten Neofaschistin Frankreichs und dem obersten Polizisten den Auftakt zur kommenden Wahl bildet, verdeutlicht den zunehmend faschistischen Kurs der herrschenden Klasse.

Obwohl 3,4 Millionen der 32 Millionen Covid-19-Fälle und 81.000 der Dreiviertelmillion Todesfälle in Europa auf Frankreich entfallen, wurde die Pandemie mit keinem Wort erwähnt. Le Pen hatte vor Kurzem in einem Interview mit Jean-Jacques Bourdin von BFM-TV erklärt, sie lehne Lockdowns ab. Ebenso wenig wurden Frankreichs blutiger Krieg in Mali oder das groteske Ausmaß an sozialer Ungleichheit erwähnt, die die Austeritätspolitik des „Präsidenten der Reichen“, Macron, verursacht hat. Über diesen faschistischen Kurs herrscht in der herrschenden Elite Einstimmigkeit.

Stattdessen setzten die Moderatoren Léa Salamé, Thomas Sotto und Nathalie Saint-Cricq Le Pen mit der Frage unter Druck, ob sie das ultra-repressive „Separatismusgesetz“ unterstützt, das es dem Staat erlaubt, Treueeide einzufordern und Vereinigungen oder Parteien aufzulösen. Dieser Gesetzesentwurf wurde unter Darmanins Aufsicht im Innenministerium entworfen und als Maßnahme dargestellt, die sich gegen Muslime richtet; mittlerweile wird der Entwurf in der Nationalversammlung diskutiert.

Le Pen tat sich schwer, dieses faschistische Gesetz zu kritisieren. Sie erklärte, sie sei „enttäuscht“ und klagte, der Islam werde nicht offen als ausdrückliches Ziel genannt. Daneben erwähnte sie auch indirekt, dass das Gesetz nicht nur für muslimische Vereinigungen eine Gefahr darstellt, sondern für die ganze Bevölkerung: „Wir brauchen ein großes, kämpferisches Gesetz, kein administratives. Sie beschränken die Freiheiten aller, aber Sie kämpfen nicht gegen islamistische Ideologie.“

Daraufhin kritisierte Darmanin Le Pen von rechts als „zu nachsichtig“ gegenüber dem Islam: „Sie handeln mit Nachsicht, Frau Le Pen. Sie sind so weit gegangen, zu behaupten, der Islam sei kein Problem.“ Diese Äußerung ist erstaunlich und bedrohlich, wenn man bedenkt, dass es in Frankreich schätzungsweise 3,5 Millionen Muslime gibt. Später fügte er hinzu: „Le Pen versucht, ihre Partei salonfähig zu machen und agiert daher mit Nachsicht. Sie sollten Vitamine nehmen, ich finde, Sie sind nicht hart genug!“

Es entstand eine Debatte darüber, ob die Macron-Regierung die Zuwanderung erfolgreich eingedämmt hat. Die Moderatoren spekulierten auch darüber, ob Le Pen „reif“ oder „präsidial“ genug für das Amt der Präsidentin sei. Darmanin behauptete wiederholt, Le Pen sei schlecht vorbereitet.

Le Pen äußerte sich auch positiv über Darmanins vor Kurzem veröffentlichtes Buch Islamistischer Separatismus: Ein Manifest für Säkularismus: „Dieses Buch hätte von mir sein können. Sie definieren Islamismus sehr eindeutig... Aber was davon findet sich in dem Gesetz? Sehr wenig.“ Sie forderte ein Verbot des öffentlichen Tragens von islamischen Kopftüchern, was die Ausübung des Islam praktisch illegal machen würde.

Darmanin brachte das faschistische Argument vor, die französische Justiz könne Burkas oder Kopftücher verbieten, allerdings würden nur ihre Prinzipien sie daran hindern, offen zuzugeben, dass dies gegen eine Religion gerichtet ist: „Säkularismus bedeutet genau, keine Religion anzuerkennen.“ Mit Blick auf das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat von 1905 erklärte er: „Jeder weiß, dass es sich gegen die katholische Kirche gerichtet hat, aber deshalb heißt es trotzdem nicht ,Gesetz gegen die katholische Kirche‘, sondern Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat.“

Diese Aussage ist eine Verhöhnung des französischen Rechts. Das Prinzip des Säkularismus schreibt vor, dass der Staat in religiösen Fragen neutral ist, damit er keine Religion zur Institution machen oder bevorzugen kann. Darmanins Behauptung, das Gesetz von 1905 sei ein Angriff auf den Katholizismus, der in Frankreich auch ein Jahrhundert nach der Verabschiedung des Gesetzes noch beträchtlichen Einfluss ausübt, ist ein Ausdruck seiner eigenen rechtsextremen Ansichten.

Letzte Woche wurde bestätigt, dass Darmanin früher mit der Gruppe Action française sympathisiert und Schriften für sie verfasst hat. Diese faschistische und monarchistische Gruppe hatte gegen das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat von 1905 gekämpft und das Vichy-Kollaborationsregime unterstützt. Nach ihrer Neugründung 1955 nahm sie 2010 wieder ihren ursprünglichen Namen an. Die Tatsache, dass das französische Gesetz über Religionsfragen unter der Ägide eines Action-française-Sympathisanten umgeschrieben wird, muss als weitere Warnung vor dem extremen Rechtsruck der offiziellen Politik verstanden werden.

Als sich in der Wahl 2017 eine Stichwahl zwischen Macron und Le Pen abzeichnete, rief die Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, zu einem aktiven Boykott auf und warnte, Macron sei keine Alternative zu einem Neofaschisten. Diese Warnung hatte jedoch nichts mit einem Aufruf zur Enthaltung zu tun. Sie erklärte, der einzige Weg vorwärts sei der Aufbau einer politisch unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Wahlsieger, egal welcher der beiden reaktionären Kandidaten es sein werde.

Fast vier Jahre später wurde diese Einschätzung vollständig bestätigt. Macron, der im Jahr 2018 vor dem Hintergrund von Massenstreiks und der „Gelbwesten“-Bewegung den Nazi-Kollaborateur und Diktator Philippe Pétain als „großen Soldaten“ bezeichnet hatte, verfolgt einen faschistischen Kurs. Er hat Arbeitsrechtsreformen, die Privatisierung der Eisenbahn und Rentenkürzungen gegen den Widerstand der Masse der Bevölkerung durchgesetzt; er stützt sich als soziale Basis mittlerweile ausschließlich auf die Polizei.

Die mörderische Politik der „Herdenimmunität“, mit der die herrschende Elite auf die Pandemie reagiert, hat den weltweiten Kurs auf Faschismus deutlich verschärft. Am 6. Januar stachelte US-Präsident Donald Trump zu einem Putschversuch auf das Kapitol in Washington an, um seine Niederlage in der Präsidentschaftswahl 2020 zu revidieren. In Frankreich versucht Macron, neben dem „Separatismusgesetz“ ein „globales Sicherheitsgesetz“ durchzusetzen, das den Einsatz von Drohnen gegen Demonstranten erlaubt und Videoaufnahmen von der Polizei verbietet.

Die pseudolinken Parteien des begüterten Kleinbürgertums, die Macron im Jahr 2017 offen oder stillschweigend unterstützt haben, sind mitschuldig daran. Sie alle haben dabei geholfen, Macrons Politik der „Herdenimmunität“ durchzusetzen und waren verantwortlich für die Rückkehr von Arbeitern in die Betriebe und von Schülern in die Schulen und damit für ein Wiederaufleben des Virus, das alleine in Frankreich Zehntausende von Menschenleben gekostet hat. Die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) und Jean-Luc Mélenchons La France insoumise (LFI) haben letzte Woche ihre politische Komplizenschaft deutlich gemacht, indem sie für das „Separatismusgesetz“ und seine reaktionären Inhalte stimmten oder sich enthielten.

Die ehemalige Grünen-Chefin, Cécile Duflot, warnte in Le Monde als nahezu einzige aus diesem Milieu vor Macrons faschistischer Politik: „Historisch gesehen waren die Machthaber an großen Wendepunkten immer am blindesten. So war es im Ersten Weltkrieg, als die Nazis an die Macht kamen oder in Italien vor Mussolinis Machtübernahme.“

Sie fügte hinzu: „Demokraten scheinen nicht zu erkennen, dass sich Frankreich leicht in eine Quasi-Diktatur verwandeln kann. ... Das Separatismusgesetz legt der Zivilgesellschaft sehr gefährliche Beschränkungen auf. Wenn man noch die Gesetze für den Ausnahmezustand und die allgemeinen Gesetze hinzu nimmt, können Sie sich vorstellen, welche Katastrophe sich dann wenige Tage nach [Le Pens] Machtübernahme entwickeln kann.“

In Wirklichkeit hat sich Frankreich bereits unter Macron in eine Quasi-Diktatur verwandelt. Selbst wenn sich das durchaus plausible Szenario eines neofaschistischen Wahlsiegs im Jahr 2022 abwenden lässt, könnte auch Macron oder einer seiner Verbündeten ein faschistisches Regime errichten.

Die Verteidigung des Lebens und der demokratischen Rechte der Arbeiter gegen Macrons faschistische Gesetze und Maßnahmen erfordert die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse. Nur die Vorbereitung auf einen europaweiten Generalstreik zur Durchsetzung einer wissenschaftlich geleiteten Eindämmungspolitik – unabhängig von den Gewerkschaften, die die „Herdenimmunitätspolitik“ unterstützen – kann die Pandemie aufhalten. Die Aufgabe einer solchen Bewegung ist es, eine sozialistische Massenbewegung mit dem Ziel aufzubauen, die Staatsmacht an die Arbeiterklasse zu übertragen.

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