Perspektive

Von der globalen Pandemie zum globalen Klassenkampf

Mehr als ein Jahr, nachdem Covid-19 zur globalen Pandemie erklärt wurde, steigen die Infektionen erneut auf der ganzen Welt rasant an. Fast 9.000 Menschen sterben jeden Tag. Angetrieben durch die ansteckenderen Mutationen nähert sich der Sieben-Tage-Durchschnitt der neuen Fälle einer halben Million, 40 Prozent mehr als im letzten Monat. Die Zahl der Neuinfektionen erhöhte sich letzte Woche um acht Prozent. Bereits fünf Wochen in Folge wird ein Anstieg verzeichnet.

In Brasilien, dem gegenwärtigen Epizentrum der Katastrophe, verlieren täglich über 2.000 Menschen ihr Leben. Alle Krankenhäuser sind belegt. Die Leichenhallen sind überfüllt, weil die Toten nicht rechtzeitig beerdigt werden können.

Mitarbeiter des öffentlichen Bestattungsdienstes helfen, den Leichnam von Jose Bernardino Ferreira (77) abzuholen, der in seinem Haus in Manaus an Covid-19 gestorben ist. Immer mehr Menschen versterben zuhause, weil zu wenig Krankenhausbetten und Sauerstoff verfügbar sind, 22. Januar 2021 (AP Photo/Edmar Barros)

In Indien, wo die meisten Ansteckungen und Opfer in den riesigen Slums nicht gemeldet werden, zeigen sogar die offiziellen Zahlen eine Verdreifachung der täglichen Neuinfektionen im letzten Monat.

In Europa infizieren sich jeden Tag durchschnittlich fast 200.000 Menschen mit dem Virus, Tendenz steigend. Deutschland, Frankreich, Italien und Polen befinden sich inmitten einer neuen Welle, Ungarn verzeichnet den größten Anstieg an Krankenhauseinweisungen und Todesfällen seit Beginn der Pandemie.

In den Vereinigten Staaten, wo bereits mehr als 558.000 Menschen gestorben sind, verschärft sich die Corona-Situation in 24 Bundesstaaten, insbesondere im Mittleren Westen und Nordosten. In Michigan, einem Zentrum der amerikanischen Industrie, haben sich die Fälle im letzten Monat fast verdreifacht.

Obwohl hochwirksame Impfstoffe entwickelt wurden, gibt es keinen ernsthaften Plan, um den größten Teil der Weltbevölkerung zu impfen. Selbst in den großen kapitalistischen Ländern Europas sind weniger als fünf Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, während in den meisten Regionen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas kaum jemand eine Impfung erhalten hat.

Aus dieser nicht enden wollenden Katastrophe ergeben sich mit Notwendigkeit zwei verschiedene Entwicklungsrichtungen, die die gegensätzlichen Interessen der Klassen zum Ausdruck bringen. Die globale Pandemie verwandelt sich immer offener in einen globalen Klassenkampf.

Trotz des Wiederauflebens der Pandemie versuchen die Regierungen, vorneweg die Vereinigten Staaten, alle Maßnahmen zur Virusbekämpfung aufzuheben – abgesehen von der chaotischen und unkoordinierten Verteilung des Impfstoffs. Die Biden-Administration führt die Kampagne zur Wiedereöffnung der Schulen an, indem sie wissenschaftliche Erkenntnisse manipuliert und verfälscht.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro bringt die ganze Verachtung für das menschliche Leben auf den Punkt, die von der gesamten herrschenden Klasse geteilt wird. In einem seiner faschistischen Wutausbrüche gegen die von der Pandemie geplagte Bevölkerung sagte er: „Genug Getue und Gejammer. Wie lange soll das Gejammer noch weitergehen?“

Bolsonaro forderte ein Ende aller Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und rügte die brasilianische Bevölkerung. „Wie lange wollt ihr noch zu Hause bleiben und alles schließen?“, tobte er. „Niemand kann es mehr aushalten.“

Wie bereits in der gesamten Pandemie wird auch jetzt die öffentliche Gesundheit dem privaten Profit und der endlosen Bereicherung der Oligarchie untergeordnet. Im vergangenen Jahr haben die herrschenden Eliten in aller Welt den Finanzmärkten Billionen Dollar, Euro und Yen zur Verfügung gestellt und damit die Aktienwerte auf Rekordhöhe getrieben. Als unmittelbare Folge sind die Vermögen der Milliardäre in den USA um 1,3 Billionen Dollar gewachsen. Ähnliche Gewinne scheffelten die herrschenden Eliten auf der ganzen Welt.

Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr gestorben. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass der Rückgang der Arbeitsstunden weltweit einem Verlust von 255 Millionen Vollzeitstellen entspricht. Hunderte Millionen leiden unter den verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie. Aber für die Reichen war das Jahr nicht nur gut, sondern großartig.

Wie alle anderen Bereiche werden auch die Produktion und der Vertrieb der Impfstoffe den Profitinteressen der herrschenden Eliten und den geopolitischen Interessen der konkurrierenden kapitalistischen Nationalstaaten untergeordnet. Die Vereinigten Staaten, die selbst Impfstoff horten, haben den Pharmakonzernen Milliarden in den Rachen geworfen, ihnen die Patentrechte an öffentlich finanzierter Forschung gegeben und ihnen erlaubt, Entwicklungsländern extrem überhöhte Preise abzuverlangen. Gesundheitsexperten befürchten, dass es deshalb Jahre dauern könnte, bis ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in Lateinamerika und Afrika geimpft ist.

Die amerikanische herrschende Klasse nutzt den Impfstoffmangel, um die Nachbarstaaten zu schikanieren und zu bedrohen. Besonders übel ist das Impfstoffangebot der USA an Mexiko. Sie verlangen als Bedingung für die Ausfuhr der lebensrettenden Impfdosen, dass Mexiko Flüchtlinge misshandelt und terrorisiert, die versuchen, in die Vereinigten Staaten zu gelangen.

Anstatt die notwendigen Ressourcen für die Bekämpfung der Pandemie bereitzustellen, rüsten die imperialistischen Länder massiv auf. In diesem Monat kündigte Großbritannien eine Aufstockung seines Atomwaffenarsenals um 40 Prozent an. Die USA planen eine Verdoppelung ihrer Militärausgaben in der indopazifischen Region, um China zu bedrohen.

Alle Schrecken der Pandemie werden mit der Eskalation des Militarismus und einem drohenden Einsatz von Atomwaffen noch verstärkt. Diese Barbarei, die von nationalistischer und chauvinistischer Propaganda begleitet wird, entspringt derselben kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Millionen zum Tod durch eine Pandemie verdammt hat, die von vornherein hätte verhindert und eingedämmt werden können.

Dies ist der Weg der herrschenden Klasse. Der Weg der Arbeiterklasse ist der Klassenkampf, der sie vor die Notwendigkeit stellt, die politische Macht zu erobern, die Reichen zu enteignen und die großen Konzerne und Banken in demokratisch kontrollierte, vergesellschaftete Versorgungsunternehmen umzuwandeln.

Die Pandemie hat Millionen Arbeiter wachgerüttelt und den sozialen Widerstand verschärft. In den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt kämpfen Lehrer und andere Beschäftigte im Bildungsbereich gegen die unsichere Rückkehr zum Präsenzunterricht. In Marokko ging die Polizei diese Woche gewaltsam gegen Tausende Lehrer vor, die gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen protestierten. In Frankreich und Großbritannien sind Proteste gegen Polizeigewalt ausgebrochen. In Brasilien haben Ölarbeiter die Arbeit niedergelegt und die Raffinerien zum Stillstand gebracht, um sich gegen unsichere Arbeitsbedingungen und die unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie zu wehren.

Überall auf der Welt stehen die Arbeiter einem gemeinsamen Feind gegenüber, den sie nur gemeinsam konfrontieren können. Auch wenn die kapitalistischen Regierungen ein Desaster verursacht haben, kann und muss die Corona-Pandemie eingedämmt werden. Das erfordert die Schließung der nicht lebensnotwendigen Betriebe, eine massive Ausweitung der Kontaktverfolgung, Tests und Quarantäne sowie eine sofortige und gerechte globale Verteilung der Impfstoffe.

Die Pandemie ist global und kann nicht auf nationaler Ebene gestoppt werden. Es ist notwendig, das wissenschaftliche Know-how und die medizinische Expertise international zu koordinieren und zu bündeln. Diese Zusammenarbeit wird durch den Kapitalismus und den mit ihm einhergehenden Nationalismus an jeder Stelle blockiert. Nur die Arbeiterklasse kann den internationalen Kampf gegen Covid-19 anführen, indem sie ihren Widerstand vereint und gegen den Kapitalismus richtet.

Die Umsetzung dieses Programms erfordert einen politischen Kampf gegen die gesamte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Um das Virus und all seine Folgen auszurotten, muss der Kapitalismus beseitigt werden.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine nationalen Sektionen, die Sozialistischen Gleichheitsparteien, sind die politische Führung dieser Bewegung. Ihre Perspektive basiert auf der Notwendigkeit, eine internationale und revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu entwickeln und zu organisieren. Der Aufbau der Vierten Internationale ist jetzt von brennender Aktualität.

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