Das Künstlerkollektiv Peng! soll auf Antrag des Berliner Landeskriminalamts (LKA) auf die bundesweite Terrorismus-Liste des „Gemeinsamen Extremismus- und Terror- Abwehrzentrums“ (GETZ) gesetzt werden. Dies wurde vergangene Woche bekannt. Bereits Mitte Juli waren Polizeikommandos angerückt, um die Büroräume und privaten Wohnungen von Mitgliedern des Kollektivs zu durchsuchen.
Begründet wurde diese Aktion mit einer Website, die das Kollektiv im vorigen Jahr in Zusammenarbeit mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland unter dem Titel „Tearthisdown“ („Reißt das ab“) erstellte. Darauf befand sich eine Deutschlandkarte mit Denkmälern, Namen von Straßen und Plätzen mit Bezug zu kolonialen Verbrechen. Verbunden war dies mit dem Aufruf an die Leser, „koloniale Spuren“ zu melden und diese „zu beseitigen“.
Einige der auf der Website verzeichneten Orte wurden inzwischen mit Farbe beschmiert. Obwohl keineswegs klar ist, wer das getan hat, warf das LKA Peng! daraufhin vor, es habe zur Sachbeschädigung der Denkmäler und damit zu Straftaten aufgerufen, und leitete Ermittlungen ein. Die Karte wurde inzwischen offenbar gelöscht.
Anfang dieser Woche haben zahlreiche Kultureinrichtungen und prominente Künstler in einem „Offenen Brief der Vielen an den Berliner Senat“ gegen die Gleichsetzung dieser Künstlerinitiative mit Terroristen protestiert. Sie wenden sich speziell an den Innensenator (Andreas Geisel, SPD), den Justizsenator (Dirk Behrendt, Bündnis 90/Die Grünen) und den Kultursenator (Klaus Lederer, Die Linke).
Unter dem Titel „Kunstfreiheit darf nicht auf die Terrorliste“ schreiben die Unterzeichner des Offenen Briefs – darunter u.a. das Berliner Ensemble, die Schaubühne Berlin, der Friedrichstadt-Palast, die Volksbühne sowie prominente Künstler aus Berlin und anderen Städten, wie der Satiriker Jan Böhmermann und die Autorin Sibylle Berg –, dies sei ein „beispielloser Vorgang, der die Freiheit der Kunst gefährdet“.
Die Aufnahme von Künstlerinnen und Künstler, „die sich für Zivilcourage stark machen, sich für die Bestärkung von marginalisierten Minderheiten in unserer Gesellschaft einsetzen, Demokratiedefizite anmahnen und 2018 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurden“, auf die Terrorliste sei nicht nachvollziehbar. Sie fassen dies als „ein politisches Signal an alle Künstler*innen in Berlin und deutschlandweit auf, die sich in künstlerischen Aktionen in einem politischen progressiven Sinne äußern“.
Theaterintendant Oliver Reese vom Berliner Ensemble, einer der Erstunterzeichner, erklärte dazu in den Medien, man könne „über die Mittel, mit denen Peng! da arbeitet“, diskutieren und auch Kritik daran haben, „aber bitte nicht mit dem LKA und bitte nicht mit einer Liste für Terrorfahndung und mit Wohnungsdurchsuchungen“. Die Gruppe auf eine Liste mit den rechtsextremen Terroristen des NSU zu setzen, sei „absurd und nicht akzeptabel“.
Peng! hält die Vorwürfe des LKA, die durch eine Kleine Anfrage eines Linken-Abgeordneten publik wurden, für konstruiert und für einen „Versuch der Einschüchterung auch antirassistischer Gruppen“.
Die 2013 gegründete Initiative versteht sich als Kollektiv für subversive Aktionskunst. Es geht ihr nach eigenem Bekunden „um alle, die für eine bessere Welt kämpfen wollen, trotz allem!“, um die „Seenotrettungsbewegung, um Antirassismus, um öko-soziale Gerechtigkeit“. Zu einer besseren Gesellschaft gehöre „die Aufhebung des Kapitalverhältnisses und zwar mit alldem, was es an Ausbeutung, Armut, Ungleichheit und Entfremdung mit sich bringt“.
Andere Aktionen richteten sich u. a. gegen Waffenexporte, Bundeswehrwerbung, die Agenda 2010 und Hartz IV, Energieriesen wie Shell oder Vattenfall, Abschiebungen sowie die Superausbeutung von Arbeitern in der Agrarbranche in südlichen Ländern. Die Aktionen sind in der Regel hintergründig, von beißender Satire und oft so gestaltet, dass Betroffene zunächst nicht begreifen, dass sie aufgespießt werden.
Zu den publikumswirksamen Aktionen gehörte der Tortenwurf 2016 gegen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Peng-Gründungsmitglied Jean Peters hatte sich damals als Clown verkleidet in eine AfD-Versammlung eingeschlichen, um zwei Sahnetortenstücke auf von Storch zu werfen. Auf der Website wurde die mitgeschnittene Aktion mit abgewandelten Sprüchen von Storchs untertitelt und als „tortaler Krieg“ bezeichnet. In einem Interview mit der Sendung Lesart des Senders Deutschlandfunk Kultur erklärte Peters sein Motto: „Wichtig ist es, nach oben und nicht nach unten zu treten.“
Am 10. Februar 2021 startete das Kollektiv eine Aktion „BioNTech Leaks“. Sie forderte die Mitarbeiter von Biontech auf, die Anleitung zur Produktion ihres Impfstoffes gegen das Sars CoV-2-Virus zu veröffentlichen, damit auch arme Länder ihn herstellen können.
Die Website „Tearthisdown“ verweise auf die Tatsache, dass „Deutschland ... Kolonialverbrecher an jeder Straßenecke“ verehrt, so einer der Peng!-Aktivisten gegenüber der Zeitung taz. „Das zeigt unsere Karte auf einen Blick.“ Er verwies auch auf den Neubau des Berliner Schlosses mit der Bemerkung, im Jahr 2021 werde koloniale Raubkunst nicht zurückgegeben, sondern in neu gebauten Protzbauten ausgestellt.
Unter den auf der Karte verzeichneten Orten befinden sich das Bismarck-Nationaldenkmal im Tiergarten; Straßenschilder im sogenannten Afrikanischen Viertel im Bezirk Wedding, in der Zehlendorfer Clayallee und der sogenannte „Hererostein“, auch „Afrikastein“ genannt, im Friedhof Columbiadamm in Berlin-Neukölln.
Letzterer verehrt die Gefallenen eines Freiwilligen-Regiments der preußischen Armee als Helden, die zwischen 1904 und 1907 an der grausamen Unterdrückung des Herero-Aufstands in der deutschen Kolonie Südwest-Afrika teilgenommen hatten. Auf dem Stein findet man auch die Embleme des Deutschen Afrika-Korps e. V. mit Eisernem Kreuz und dem Schriftzug „AFRIKA 1941-1943“ sowie des 1956 gegründeten Traditionsverbands ehemaliger Schutz- und Überseetruppen mit stilisiertem „Schutztruppenhut“ in den Farben der deutschen Reichsflagge.
Nach Protesten gibt es inzwischen dort eine „Namibia-Gedenkplatte“ für die Opfer – das einzige Gedenken an dieses deutsche Kolonialverbrechen, das an die Opfer erinnert und nicht an die Täter.
Der Staat geht nicht zum ersten Mal gegen kritische Aktionskunst vor. Auch andere Peng!-Aktionen waren bereits im Focus des Verfassungsschutzes. Da ging es z. B. um sogenanntes Adbusting, die Umgestaltung bekannter Werbeplakate, die mit einem kritischen Aufruf versehen wurden. Peng! ist auch nicht die einzige Künstlergruppe, die staatliche Sicherheitsorgane aufs Korn genommen hat.
Gegen die Gruppe „Zentrum für politische Schönheit“ wurde ebenfalls bereits ermittelt, sowie gegen die mecklenburgische Band „Feine Sahne Fischfilet“ und die sächsischen Punkbands „Dr. Ulrich Undeutsch“ und „Endstation Chaos“. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ging gegen das Tragen von Antinazi-Aufnähern mit durchgestrichenem Hakenkreuz vor.
Das Jenaer Koch-Kollektiv Black Kitchen wurde vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet, weil es einen Crêpes-Stand mit dem Banner „All Crêpes Are Beautiful“ lediglich geplant hatte. Die Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Zugleich werden bekanntermaßen rechtsradikale Rockkonzerte und rassistische Hetze als von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt geduldet.
Die nun bekanntgewordene Aktion gegen das Peng!-Kollektiv mitten im Bundestags- und Berliner Wahlkampf hat allerdings eine neue Dimension. Die Tatsache, dass das LKA die Gruppe auf die bundesweite Terroristenliste des GETZ setzen lassen will, macht dies deutlich.
Das GETZ ist eine Koordinierungsstelle von über 40 Geheimdiensten und der Polizei aus Bund und Ländern „zur Abwehr von Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Spionage“, die 2012 gegründet wurde. Das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei, das aufgrund der Erfahrung mit der Gestapo nach dem Krieg erlassen wurde, ist in dieser Behörde weitgehend aufgehoben.
Entgegen der Behauptung, das GETZ diene der besseren Aufklärung von Terroranschlägen, wie sie der rechtsradikale NSU beging, ist es ein Instrument gegen die wachsende Opposition der Bevölkerung gegen die Kriegspolitik, faschistische Umtriebe, kapitalistische Ausbeutung und soziale Ungleichheit. Bezeichnend ist die Einstufung der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), die sich auch in Berlin zur Wahl stellt, im Verfassungsschutzbericht als „linksextremistisch“, weil sie „Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem“ übe.
Die SGP schrieb zu ihrer Klage gegen den Verfassungsschutz: „Mit ihrem Angriff auf die SGP will diese kriminelle Behörde einen Präzedenzfall für eine neue Gesinnungsjustiz schaffen, mit der jeder verfolgt werden kann, der die reaktionäre soziale und politische Entwicklung kritisiert. Streikende Arbeiter werden dann ebenso verfolgt wie Buchhändler, die marxistische Literatur verkaufen, oder kritische Künstler, Journalisten und Intellektuelle.“
Dass die relativ harmlosen Kunst- und Satireaktionen von Peng! nun auf die Ebene von politischem „Extremismus“ gestellt werden, zeigt die große Nervosität der offiziellen Politik. Es ist dabei kein Zufall, dass sich dies an einer Aktion der Künstlergruppe entzündet, die an die schrecklichen Verbrechen der Kolonialzeit erinnert. Trommeln doch Regierung und Parteien in letzter Zeit immer aggressiver für militärische Aufrüstung und für ein eigenständiges Eingreifen des deutschen Imperialismus in den verarmten und zerrütteten Ländern Afrikas und des Nahen Ostens.
Das Berliner LKA steht unter der Fachaufsicht des SPD-geführten Berliner Innensenats, dessen Abteilung „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ personell an übergreifenden Arbeitsgruppen beispielsweise zur „politisch motivierten Kriminalität“ beteiligt ist. Die rot-rot-grüne Landesregierung aus SPD, Grünen und Linke, die sich im September zur Wahl stellt, trägt daher die volle Verantwortung für die Aktion gegen Peng!.