Nachdem Australien plötzlich von einem Vertrag über den Kauf von französischen U-Booten im Wert von 56 Milliarden Dollar zurückgetreten ist und mit Großbritannien und den USA das AUKUS-Bündnis gegen China geschlossen hat, verstärkt der französische Präsident Emmanuel Macron seine Forderungen nach einer unabhängigen Militärpolitik der Europäischen Union.
Als Macron am 5. Oktober auf dem EU-Gipfel im Schloss Brdo nahe der slowenischen Hauptstadt Lubljana eintraf, wies er auf die Unterzeichnung des AUKUS-Vertrags und den demütigenden Abzug der USA aus Afghanistan im August hin. Er forderte von Washington „Klärung und erneutes Engagement“ für die Nato und fügte hinzu: „Aber wir müssen uns klar sein, was wir für uns selbst wollen, für unsere Grenzen, unsere Sicherheit und unsere Unabhängigkeit in den Bereichen Energie, Industrie, Technologie und Militär.“
Macron machte deutlich, dass die Unterzeichnung des AUKUS-Vertrags die Beziehungen zwischen der EU und den USA dauerhaft geschädigt hat: „Wir müssen realistisch sein, was die Entscheidungen unserer Verbündeten angeht. Es wurden Entscheidungen getroffen, die nicht gerade von Respekt [für] Frankreich oder Europa zeugen.“ Weiter erklärte er, das Ziel der EU beim Gipfel in Lubljana sollte sein, „weiterhin vertrauensvoll mit ihren historischen Partnern und Verbündeten zusammenzuarbeiten, aber auch ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu stärken“.
Obwohl die EU-Staaten behaupten, sie hätten kein Geld für wichtige öffentliche Gesundheitsmaßnahmen zur Ausrottung des Coronavirus und zur Beendigung der Pandemie, versprechen die führenden EU-Mächte massive Erhöhungen der Militärausgaben, um ihre geopolitischen Ambitionen voranzubringen. Berlin und Paris, die ab Anfang 2022 für sechs Monate abwechselnd die EU-Präsidentschaft innehaben, haben sich beide energisch für die militärische Aufrüstung der EU eingesetzt.
Der Gipfel in Lubljana hat gezeigt, dass die Drohungen der USA gegen China auch die Spannungen zwischen den USA und der EU sowie das aggressive Vorgehen der europäischen imperialistischen Mächte auf dem Balkan und im Mittelmeer verschärfen.
Kurz vor seiner Ankunft auf dem Gipfeltreffen hatte Macron in Paris noch US-Außenminister Antony Blinken empfangen, um mit ihm über eine Verbesserung der amerikanisch-französischen Beziehungen zu diskutieren.
Vor Blinkens Ankunft hatte Macron deutlich gemacht, dass dessen Besuch allein die Krise wegen AUKUS nicht lösen wird: „Wir sind verpflichtet anzuerkennen, dass sich die USA seit etwas mehr als zehn Jahren mehr auf sich selbst und auf die Neuausrichtung ihrer strategischen Interessen in China und dem Pazifik konzentriert haben. Das ist ihr gutes Recht und es ist ihre eigene Souveränität, die ich respektiere. Aber andererseits wären wir naiv oder würden einen schrecklichen Fehler machen, wenn wir nicht unsere eigenen Schlüsse daraus ziehen würden.“
Ein anonymer französischer Regierungsvertreter erklärte gegenüber Le Monde: „Diese Krise wird andauern, und wir können sie nur durch konkrete Maßnahmen überwinden.“
Blinken traf sich auch mit seinem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian, allerdings fand keine gemeinsame Pressekonferenz statt. Zu dieser ungewöhnliche Entscheidung erklärte ein französischer Regierungsvertreter kurz angebunden: „Die beiden Minister werden sich äußern, wenn sie etwas zu sagen haben.“
Macron hat für Mitte des Monats ein Telefonat mit Biden anberaumt, bevor sie sich am 30. und 31. Oktober beim G20-Gipfel in Rom persönlich treffen werden.
Das Debakel der jahrzehntelangen US-geführten Angriffskriege im Irak, Afghanistan und dem ganzen Nahen Osten sowie in Zentralasien hat die internationalen Konflikte und die Kriegsgefahr nicht gelöst, sondern verschärft. Dreißig Jahre nachdem die Nato-Mächte infolge der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie ihren gemeinsamen Feind verloren haben, verschärfen sich die tiefen Spannungen zwischen den USA und der EU immer weiter. Der Rückzug der USA aus Afghanistan hat in Zentralasien zu einem Machtvakuum geführt und verschärft die Großmachtrivalitäten in ganz Eurasien und die Gefahr eines neuen Kriegs der USA.
Nachdem Washington und die EU bereits in den Jahren 2014 und 2015 wegen der Versuche der USA zusammengestoßen waren, rechtsextreme ukrainische Milizen für den Krieg gegen Russland zu bewaffnen, wächst jedoch in den herrschenden Kreise der EU der Widerstand gegen die US-Kriegsdrohungen gegen China. Die Denkfabrik Carnegie Foundation for International Peace weist in einer Erklärung mit dem Titel „Frankreichs ,dritter Weg‘ im Indopazifik“ auf Differenzen zwischen Washington und den EU-Mächten hin, die der AUKUS-Vertrag offengelegt hat.
Sie schrieb: „Trotz der Erklärungen, gleichgesinnte demokratische Regierungen hinter sich zu vereinen, hat die Biden-Regierung Frankreichs Reaktion nicht vorausgesehen. Das wird langfristig negative Folgen für das Image und die transatlantischen Beziehungen der USA haben, die bereits durch Donald Trumps Präsidentschaft beschädigt wurden… es herrscht zunehmend, auch in Frankreichs Nachbarstaat Deutschland, das Gefühl, dass Washingtons neue Konzentration auf den Pazifik nicht den Interessen der EU entspricht.“
Die französische Denkfabrik Institut français des relations internationales (IFRI) kritisierte, der anti-chinesische AUKUS-Vertrag habe die Gefahr eines Kriegs oder sogar Atomkriegs erhöht.
Das IFRI warnte, die Unterzeichnung von „AUKUS kann ein (atomares) Wettrüsten auslösen und er verschärft die Spannungen in Ostasien in gefährlichem Maß“. Es nannte Indonesien, Malaysia, Singapur, Thailand, Laos und Kambodscha als Regionalmächte, die über AUKUS verärgert seien. Es zitierte Erklärungen der indonesischen Regierung, laut denen diese „sehr besorgt über das anhaltende Wettrüsten und die Machtprojektion in der Region“ sei und rief Australien auf, „sein Eintreten für Frieden, Stabilität und Sicherheit in der Region zu beizubehalten“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das IFRI wies auf die Stellung hin, die Frankreich durch seine Inseln wie Réunion oder Neukaledonien im Indo-Pazifik innehat, und erklärte: „Frankreich ist nicht das einzige Land im Indo-Pazifik, das den USA nicht blind und bedingungslos auf seinem riskanten Weg gegen China folgen will.“
Der Kurs auf Krieg und Großmachtkonflikte ist jedoch nicht nur das Ergebnis einer aggressiven US-Außenpolitik, sondern grundlegend des gesamten kapitalistischen Nationalstaatensystems. Die geopolitischen Methoden der imperialistischen EU-Mächte unterscheiden sich nicht fundamental von der unverhohlen aggressiven Politik Washingtons.
Mit ihren kleineren, aber dennoch beträchtlichen Streitkräften haben sie eine Politik zur Konsolidierung ihres strategischen Einflusses an der südlichen und östlichen Peripherie Europas entwickelt. Dazu gehört die Integration der ehemaligen jugoslawischen Staaten, die von Washington und den EU-Mächten 1999 im Nato-Krieg gegen Jugoslawien bombardiert wurden, die Bewaffnung Griechenlands gegen die Türkei und die Eskalation von Frankreichs neokolonialem Krieg im afrikanischen Mali.
Das Gipfeltreffen in Lubljana rief dazu auf, die EU zu erweitern und die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens aufzunehmen. In der Erklärung hieß es: „Die EU bekräftigt ihre unmissverständliche Unterstützung für die europäische Perspektive des Westbalkans.“
Nach dem Gipfeltreffen deutete der serbische Präsident Aleksandar Vucic an, Serbien werde der EU wohl nicht beitreten können, ohne vorher die abgespaltene Republik Kosovo anzuerkennen, die mit Unterstützung der Nato 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. Vucic erklärte: „Ohne eine Lösung der Frage von Pristina [der kosovarischen Hauptstadt] wird Serbien der EU nicht beitreten können.“
Dennoch verschärften die EU-Mächte ihre Forderung nach einer aggressiven Intervention. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte, die Aufnahme der ehemaligen jugoslawischen Republiken sei von großer geopolitischer Bedeutung: „Wenn wir als Europäische Union keine ernsthafte Perspektive für diese Region bieten, dann müssen wir uns bewusst sein, dass andere Supermächte wie China, Russland oder auch die Türkei dort eine immer stärkere Rolle spielen. Die Region gehört geografisch zu Europa, und sie braucht eine europäische Perspektive.“
Frankreich kündigte außerdem den Verkauf von drei Fregatten im Wert von drei Milliarden Euro an Griechenland an, das sich weiterhin in einem Konflikt mit der Türkei um die Ägäis und das östliche Mittelmeer befindet. Die Türkei kritisierte diesen Verkauf, der am Donnerstag vom griechischen Parlament bewilligt wurde, als Bedrohung für den „Frieden und die Stabilität in der Region“. Berichten zufolge verpflichtet der Deal die griechischen Streitkräfte auch dazu, Truppen für den französischen Krieg in Mali und der Sahelzone zu stellen.