Profite über alles – Abbau von Schutzmaßnahmen trotz Rekordinfektionszahlen

Mit ihrer kriminellen „Profite vor Leben“-Politik hat die herrschende Klasse in Deutschland eine Situation heraufbeschworen, welche über die Katastrophe im vergangenen Winter hinausgeht, als Zehntausende starben. In den letzten drei Tagen wurden täglich neue Rekordinzidenzen vermeldet: 201 am Montag, 214 am Dienstag und 232 am Mittwoch. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen erreichte am Mittwoch mit 39.676 ein neues Allzeithoch. Am Donnerstag stieg sie sogar auf 50.196.

Auch die Todeszahlen steigen und nähern sich rapide der schockierenden Marke von 100.000 Corona-Opfern. Am gestrigen Mittwoch vermeldete das Robert-Koch-Institut 236 neue Tote und am Donnerstag weitere 235. Insgesamt sind laut RKI damit 97.198 Menschen an Covid-19 gestorben. Die tatsächliche Zahl dürfte wie in anderen Ländern noch weit höher liegen und sie könnte sich in den nächsten Monaten verdoppeln.

Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, warnte am Dienstag in der aktuellen Folge seines NDR-Podcasts vor einem erneuten Massensterben. Würden jetzt nicht härtere Maßnahmen ergriffen, sehe er vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Großbritannien mit einer ähnlich hohen Impfquote, aber deutlich mehr Infektionen und Toten, auch auf Deutschland bis zu 100.000 weitere Todesfälle zukommen. Und das sei „eine konservative Schätzung“.

Die Situation in den Krankenhäusern ist bereits jetzt am Limit. Am Dienstag wurden dem RKI zufolge 1.364 Hospitalisierungen mit Bezug auf COVID-19 übermittelt. Insgesamt befanden sich 2.687 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. In besonders betroffenen Bundesländern und Landkreisen gibt es schon jetzt so gut wie keine freien Intensivbetten mehr. Laut dem Divi-Intensivregister sind die Intensivstationen in 21 bayrischen Kommunen voll belegt. Ähnlich dramatisch ist die Lage in Teilen von Sachsen und Thüringen.

In den Schulen ist die Situation landesweit katastrophal. Seitdem die jeweiligen Landesregierungen mit Unterstützung der Gewerkschaft GEW die Schulen praktisch ohne jede Sicherheits- und Schutzmaßnahme geöffnet haben, infizieren sich massenhaft Schüler und Lehrer mit dem tödlichen Virus. Nach aktuellen Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) gab es zuletzt rund 23.000 bekannte Corona-Fälle bei Schülern und 1800 bei Lehrern. Allein in der vergangenen Woche befanden sich rund 54.000 Schüler und mehr als 1000 Lehrer in Quarantäne.

In weiten Teilen Europas ist die Situation ähnlich dramatisch. Trotzdem hält die herrschende Klasse an ihrem Plan fest, die sogenannte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ am 25. November auslaufen zu lassen und damit die rechtliche Grundlage für einheitliche landesweite Schutzmaßnahmen zu beseitigen. Seit März 2020 hatte der Bundestag die „epidemische Lage“ regelmäßig verlängert. Damit ist es nun vorbei.

Am heutigen Donnerstag stellt der amtierende Finanzminister und designierte nächste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen neuen Gesetzesentwurf der Ampel-Koalitionäre vor, der die bisherigen Bestimmungen ersetzen soll. Medienberichten zufolge beinhaltet er neben der möglichen Wiedereinführung kostenloser Schnelltests auch Pläne für eine 3G-Regel am Arbeitsplatz. Selbst wenn diese minimalen Maßnahmen umgesetzt würden, würden sie am explosiven Infektionsgeschehen nichts ändern.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, zweiter von rechts, die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock, zweite von links, und Robert Habeck, links, und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, rechts, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin (AP Photo/Markus Schreiber)

Auf Grund der geringen Impfquote von 67 Prozent sind etwa 27 Millionen Menschen, darunter alle Kinder unter 12 Jahren, dem Virus völlig schutzlos ausgeliefert. Erschwerend kommt die wachsende Gefahr von Impfdurchbrüchen hinzu. Laut dem letzten Wochenbericht des RKI vom 4. November wurden seit Februar 145.185 wahrscheinliche Impfdurchbrüche registriert. Trotzdem haben erst 2,2 Millionen Menschen eine dritte Booster-Impfung erhalten.

Das Hauptziel des Gesetzentwurfs besteht darin, die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie-Welle notwendig wären, zu verhindern. „Sehr einschneidende Maßnahmen – wie ein Lockdown, wie flächendeckende Schulschließungen, wie das Schließen von Restaurants, wie das Herunterfahren des Tourismus – sind aus unserer Sicht nicht mehr verhältnismäßig,“ erklärte Dirk Wiese, stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzender der SPD.

Damit fasste Wiese nicht nur die Position der Ampel-Koalitionäre zusammen, sondern die der gesamten herrschenden Klasse. Der Vorstoß, die „epidemische Lage“ zu beenden, kam ursprünglich vom konservativen Gesundheitsminister der Großen Koalition, Jens Spahn. Das Vorhaben wird von der rechtsextremen AfD genauso unterstützt wie von der Linkspartei, die überall dort, wo sie mit SPD und Grünen regiert – aktuell in Berlin, Bremen und Thüringen – die Durchseuchungspolitik aktiv vorantreibt.

„Ein neuer Lockdown muss nach unserer Auffassung ganz dringend verhindert werden,“ erklärte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Er könne nur hoffen, „dass mit der neuen Regierung ein anderes Agieren stattfindet. Einige der Maßnahmen, die im Gesetz festgeschrieben sind, sind auch unsererseits zu begrüßen, gerade auch, was die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betrifft.“

Wen will Bartsch für dumm verkaufen? Die Ampel vertritt die Interessen der Arbeiter genauso wenig wie die Linkspartei selbst. Besonders deutlich wird das gerade in der Pandemiepolitik. Mit ihrer ersten Amtshandlung, die „epidemische Lage“ offiziell zu beenden, signalisieren SPD, FDP und Grüne der herrschenden Klasse, dass sie die Interessen des Finanzkapitals noch rücksichtsloser durchsetzen werden als die bisherige Große Koalition.

Die Ampel-Koalitionäre machen keinen Hehl daraus, welche Interessen ihre Politik bestimmen. Der Schlachtruf der Herrschenden lautet: Profite über alles!

Bereits in ihrem Sondierungspapier legten sich SPD, FDP und Grüne darauf fest, an der Schuldenbremse festzuhalten, und setzten sich zum Ziel, die „Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland“ zu erhöhen. Die Ampel-Koalition macht sich damit zur Aufgabe, die enormen Summen, die im Zuge der Corona-Rettungspakete im vergangenen Jahr an die Großkonzerne und Banken geflossen sind, wieder bei den Arbeitern einzutreiben.

Außerdem geht es um geostrategische und wirtschaftliche Ziele. Man wolle „dafür Sorge tragen, dass Europa auf der Grundlage solider und nachhaltiger Staatsfinanzen gemeinsam wirtschaftlich stark aus der Pandemie herauskommt“, schreiben die Ampel-Koalitionäre in ihrem Papier. Dazu gehörten „zukünftige deutsche Auslandseinsätze“ genauso wie „eine verstärkte Zusammenarbeit der nationalen europäischen Armeen“.

Diese Agenda im Interesse des Finanzkapitals und der Weltmachtbestrebungen des deutschen Imperialismus lässt keinen Raum für die wissenschaftlich notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung oder gar Eliminierung des Virus: für umfassende Lockdowns – insbesondere für Schulen, Universitäten und nicht lebensnotwendige Betriebe – in Verbindung mit Impfungen, Massentests und der Isolierung aller infizierten Personen und ihrer Kontakte.

Die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale haben von Anfang an betont, dass der Kampf gegen die Pandemie nicht einfach eine medizinische, sondern eine politische Frage ist. Bereits im April 2020 warnte die Sozialistische Gleichheitspartei in einer Erklärung:

Das Ziel der herrschenden Klasse besteht darin, die Pandemie zum „Normalzustand“ zu machen, d. h. die Bevölkerung an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Sterben auf absehbare Zeit weitergeht. Die Arbeiter sollen dies als unvermeidlich hinnehmen. Deshalb rücken die Meldungen über die Zahl der Todesopfer in den Nachrichten auch immer mehr in den Hintergrund.

Hinter diesen Bestrebungen steht eine bösartige Klassenlogik. Die Arbeiter werden als eine Art Wegwerfprodukt behandelt. Ihr Tod gilt als normaler Begleitumstand der Erwirtschaftung von Profiten. Wer dem Virus erliegt, kann ersetzt werden.

Die Arbeiterklasse wird nicht zulassen, dass das massenhafte Sterben als gesellschaftlicher „Normalzustand“ akzeptiert wird. Weltweit wächst das Entsetzen und der Widerstand gegen eine herrschende Klasse, die für die Verteidigung des kapitalistischen Profitsystems über Leichenberge geht. Die Sozialistischen Gleichheitsparteien kämpfen weltweit dafür, die zunehmenden Streiks und Proteste in eine internationale Bewegung für den Sozialismus zu verwandeln – ausgestattet mit dem notwendigen wissenschaftlichen, historischen und politischen Wissen, um die Pandemie zu beenden.

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