Julian Assange erlitt im Oktober im Belmarsh-Gefängnis einen „Mini-Schlaganfall“, als er die Berufungsverhandlung vor dem High Court verfolgte. Das haben die Ärzte jetzt bestätigt, wie Assanges Verlobte, Stella Moris, am Wochenende mitteilte. Moris betonte, dass die Verschwörung der amerikanischen und der britischen Regierung, die Assanges Auslieferung betreiben, den WikiLeaks-Gründer ans Ende seiner Kräfte bringe.
Moris sprach am Samstag mit der Daily Mail. Am Tag davor hatte der britische High Court einer Berufung der US-Regierung stattgegeben, mit der ein früheres, auf gesundheitliche Gründe gestütztes Auslieferungsverbot aufgehoben wurde. Weil WikiLeaks die Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak aufgedeckt hatte, droht Assange die Auslieferung an die USA nach dem Espionage Act von 1917 und eine mögliche Gefängnisstrafe von 175 Jahren.
Am 26. Oktober, dem Eröffnungstag der Berufungsverhandlung vor dem High Court, erlitt Assange einen von den Ärzten als Transitorische Ischämische Attacke (TIA) bezeichneten Anfall, als er die Verhandlung per Videoübertragung aus dem Gefängnis verfolgte. In dem Daily Mail-Artikel heißt es: „[Assange] glaubt, dass der Mini-Stroke durch den Stress des laufenden US-Gerichtsverfahrens gegen ihn und eine allgemeine Verschlechterung seiner Gesundheit ausgelöst worden sei, da er zum dritten Mal Weihnachten hinter Gittern verbringen muss.“
Bei einem Mini-Stroke wird die Blutzufuhr zum Gehirn vorübergehend unterbrochen. Berichten zufolge hat ein Arzt Assange untersucht und dabei Anzeichen für eine Nervenschädigung festgestellt. Assange musste sich einer MRT-Untersuchung unterziehen und erhielt blutverdünnende Medikamente.
Moris äußerte sich in dem Interview voller Sorge über Assanges Leben: „Julian kämpft, und ich fürchte, dieser Mini-Schlaganfall könnte der Vorbote eines größeren Schlaganfalles sein. Es verstärkt noch einmal unsere Ängste hinsichtlich seiner Überlebenschancen. Die Befürchtungen werden umso größer, je länger dieser Rechtsstreit andauert.“
Sie fuhr fort: „Schauen Sie sich Tiere an, die im Zoo in einem Käfig eingesperrt sind. Das verkürzt ihr Leben. Das passiert auch mit Julian. Die unendlichen Gerichtsverhandlungen sind psychisch extrem belastend.“
Der World Socialist Web Site-Reporter Thomas Scripps berichtete am 26. und 27. Oktober über die Berufungsverhandlung vor dem High Court. Seinem Bericht zufolge wirkte Assange „sichtlich abgemagert, deprimiert und kaum in der Lage, sich wach zu halten oder aufrecht auf dem Stuhl zu sitzen“. Nun erinnerte sich Scripps daran, dass „es einen Moment dauerte, bis man Assange erkannte, als er zum ersten Mal ins Bild kam“, und er fügte hinzu: „Viele Journalisten äußerten sich im Videochat besorgt.“
Dem Bericht der Daily Mail vom Samstag zufolge hatte Assange „ein hängendes rechtes Augenlid, Gedächtnisprobleme und Anzeichen einer neurologischen Störung“.
Moris sagte der Zeitung: „Es muss für ihn schrecklich gewesen sein, ein Berufungsverfahren vor dem High Court mit anzuhören, an dem man nicht teilnehmen kann, in dem es um die eigene geistige Gesundheit und Suizidgefahr geht, und in dem die USA argumentieren, man habe sich das alles nur ausgedacht.“
Sie erinnerte sich: „Er musste sich das alles anhören, obwohl er längst auf freiem Fuß sein sollte. Er war in einem wirklich schrecklichen Zustand. Seine Augen waren nicht mehr synchron, er konnte sein rechtes Augenlid nicht schließen, und sein Gedächtnis funktionierte nur noch verschwommen.“
Während der zweitägigen Gerichtsverhandlung versuchten die USA, medizinische Experten zu diskreditieren, die ausgesagt hatten, dass Assange wahrscheinlich Suizid begehen werde, wenn er an die Vereinigten Staaten ausgeliefert würde. Die Anwälte der US-Regierung argumentierten dagegen, dass die Bedingungen in den US-Bundesgefängnissen gar nicht bedrückend seien. Die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser habe es einfach versäumt, Zusicherungen der USA einzuholen, dass Assange nicht misshandelt würde - Zusicherungen, die natürlich völlig wertlos sind.
Die Nachricht von Assanges Schlaganfall hat Proteste und dringende Warnungen von Ärzten und medizinischen Experten ausgelöst. Diese Nachricht wird die wachsende Abscheu von Millionen von Arbeitern und Jugendlichen weltweit über diesen Mord an Assange im Zeitlupentempo und mit Billigung des britischen Staats noch verstärken.
Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter für Folter, hatte im Mai 2019 zusammen mit einem Ärzteteam Assange im Belmarsh-Gefängnis untersucht. Am Samstagabend sagte Melzer: „Assanges Schlaganfall ist keine Überraschung. Wir haben schon damals, nach seiner Untersuchung, ausdrücklich gewarnt, dass seine Gesundheit in eine lebensbedrohliche Abwärtsspirale geraten werde, wenn man ihn nicht von dem ständigen Druck der Isolation, von Willkür und Verfolgung befreit. Großbritannien foltert ihn buchstäblich zu Tode.“
Melzer fügte hinzu: „Da Assange aus medizinischer Sicht eindeutig nicht in der Lage war, seinem eigenen Prozess per Videolink beizuwohnen, wie können sie dann überhaupt darüber diskutieren, ob er einem Schauprozess in den USA ausgesetzt werden könnte, einem Land, das sich weigert, seine Folterer und Kriegsverbrecher zu verfolgen, aber Whistleblower und Journalisten verfolgt?“
Die Organisation Doctors4Assange (D4A), die mehr als 250 Ärzte in 35 Ländern vertritt, warnte gestern in einer Erklärung vor einer „gefährlichen Verschlechterung von Herrn Assanges Gesundheitszustands“. In ihrer Erklärung heißt es: „Dieser jüngste medizinische Notfall verschlimmert Herrn Assanges Gesundheitszustand, der aufgrund seiner lang anhaltenden psychologischen Folter ohnehin schon schlecht ist. Dazu haben elf Jahre willkürliche Inhaftierung beigetragen, wie auch die medizinische Vernachlässigung, die Einzelhaft, die Verweigerung des Zugangs zu seinen Anwälten und eine Orwell‘sche juristische Verfolgung, die jede Rechtsstaatlichkeit verletzt.“
Unter Hinweis auf die Pläne der CIA, Assange zu entführen und zu ermorden, und auf die illegale Überwachung seiner Anwälte durch die CIA forderten die Ärzte, man müsse dem WikiLeaks-Herausgeber sofort seine „längst überfällige Freiheit“ zurückgeben.
Bill Hogan, ein Arzt aus den USA und Mitglied von D4A, sagte gestern gegenüber der WSWS: „Seit langem warnen der UN-Sonderberichterstatter für Folter und die Doctors for Assange, dass sich die physische Gesundheit von Herrn Assange verschlechtern werde, wenn die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich die psychologische Folter nicht beenden, und dass für ihn mit der Zeit ein wirklich hohes Todesrisiko besteht.“
Zu Assanges Schlaganfall sagte Dr. Hogan: „Fünfzigjährige Männer erleben selten solche Ereignisse, und es besteht eine direkte physiologische Abfolge von Ereignissen (…) Dieser Ausgang war völlig vorhersehbar und vermeidbar. Die Tatsache, dass die USA und Großbritannien unsere Warnungen ignoriert haben, macht sie direkt zu Verantwortlichen und verdeutlicht noch stärker, dass sie die Absicht haben, Herrn Assange umzubringen.“
Dr. Derek Summerfield, ehrenamtlicher klinischer Dozent am Institut für Psychiatrie, Psychologie und Neurowissenschaften am King's College und D4A-Mitglied, sagte der WSWS: „Die westliche Ordnung fordert ihr Opfer. Hier ist es der Journalist, der es wagt, ihre Geheimnisse und Lügen aufzudecken. Wir erleben schon seit einigen Jahren den Prozess, den Assange erleidet, und der dem Aufhängen, Strecken und Vierteilen bei mittelalterlichen Hinrichtungen ähnlich sieht.“
Das Urteil des High Courts vom 10. Dezember ist in Kenntnis von Assanges akuter gesundheitlicher Verfassung gefällt worden. Es bestätigt, dass es keine Grenze gibt, die der britische Staat, seine Justiz, die Medien und das Parlament nicht überschreiten würden, um den mutigen Journalisten zu vernichten. Er darf nicht in ihren Fängen bleiben! Die Arbeiterklasse muss den Kampf für Assanges Freiheit aufnehmen; das gilt insbesondere für die junge Generation, deren Zukunft davon abhängt, dass der Sozialismus über die autoritären Staaten und drohenden imperialistischen Kriege siegen wird.