Oxfam-Bericht „Ungleichheit tötet“: Milliardäre bereichern sich, Millionen sterben in der Pandemie

Kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums am 17. Januar hat die weltweit tätige Hilfsorganisation Oxfam am Montag ihren neuen Bericht veröffentlicht. Er trägt den Titel „Inequality Kills“ (Ungleichheit tötet).

Mit Fokus auf die Covid-19-Pandemie zeichnet das Dokument ein verheerendes Bild der kapitalistischen Weltordnung. Im Bericht heißt es, dass die beispiellose Anhäufung von Reichtum durch die internationale Milliardärselite „zum Tod von mindestens 21.000 Menschen pro Tag oder einer Person alle vier Sekunden“ beiträgt.

Kinder im rumänischen Bukarest, 18. Dezember 2021. (AP Photo/Vadim Ghirda)

Auch wenn Oxfam keine revolutionären Schlussfolgerungen aus der eigenen Analyse zieht, ist der Bericht eine vernichtende Anklage. Er warnt letztlich die globale Elite, dass die Pandemie „einen Anstieg der Ungleichheit innerhalb aller Länder auf der ganzen Welt ausgelöst hat“. Nötig sei ein klares Ende der Politik, „bei der die Reichen und Mächtigen mit selbstzerstörerischer Gier die private Vermarktung von Impfstoffen vorantreiben und auf diesem Wege zulassen, dass die Pandemie mutiert und zurückkommt, um uns alle zu verfolgen“.

Die Autoren stellen die Krise in existenziellen Begriffen dar und schreiben, dass die Regierungen eine Entscheidung treffen müssen für oder gegen „eine gewalttätige Ökonomie, in der der Reichtum der Milliardäre boomt, in der Millionen von Menschen getötet werden und Milliarden von Menschen aufgrund von Ungleichheit verarmen; in der wir den Planeten und unsere zukünftige menschliche Existenz auf dem Altar der Exzesse der Reichen verbrennen“.

In der Zusammenfassung des Oxfam-Papiers heißt es, dass „seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 alle 26 Stunden ein neuer Milliardär hinzugekommen ist'. Und weiter: „Die 10 reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen verdoppelt, während über 160 Millionen Menschen in die Armut gedrängt wurden. Inzwischen sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben - ein Ausmaß an Verlusten, das es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.“

Oxfam zieht aus diesen Statistiken weitere Schlüsse und erklärt, dass die Indikatoren, auf die verwiesen wird, Teil einer „Malaise“ sind: „Es ist die Ungleichheit, die unsere Gesellschaften zerreißt. Es geht darum, dass Gewalt in unsere Wirtschaftssysteme eingebaut ist. Es ist die Ungleichheit, die tötet.“ Dem Bericht zufolge hat die Ungleichheit dazu geführt, dass die Pandemie tödlicher ist, länger andauert und die Lebensgrundlagen stärker beeinträchtigt. „Die Einkommensungleichheit ist ein stärkerer Indikator dafür, ob man an Covid-19 stirbt als das Alter.“

Weitere wichtige Ergebnisse des Berichts sind:

  • Seit 1995 hat sich das oberste Prozent der Weltbevölkerung fast 20 Mal mehr vom globalen Reichtum gesichert als die unteren 50 Prozent der Menschheit.
  • Extreme wirtschaftliche Ungleichheit als eine Form von „ökonomischer Gewalt“ führt zu direktem Schaden für die Mehrheit der Weltbevölkerung.
  • Das derzeitige Vermögen der extrem Reichen und die Geschwindigkeit, mit der sie ihr Vermögen anhäufen, sind beispiellos in der Geschichte der Menschheit.
  • Die Pandemie nährt sich von der Ungleichheit, so dass arme und historisch benachteiligte Menschen häufiger sterben als reiche und privilegierte Menschen.
  • Jedes Jahr sterben schätzungsweise 5,6 Millionen Menschen, weil sie in armen Ländern keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.

Der Oxfam-Bericht ist natürlich ein Dokument, das die kapitalistische Weltordnung verteidigt. Es richtet sich an Teile der ökonomischen und politischen Elite und an die Befürworter des so genannten „Stakeholder-Kapitalismus“, der die Unternehmen dazu anhält, sich als bessere Teile der Gesellschaft zu verhalten, Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheit zu ergreifen und politische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels voranzutreiben, usw.

In diesem Sinne kritisiert Oxfam die „heute vorherrschende Form des Kapitalismus“, die von Milliardären wie Jeff Bezos und Elon Musk verkörpert wird. Das Dokument bezieht sich auf Bezos' Marie-Antoinette-Moment, als der reichste Mann der Welt mit seiner Luxusrakete in den Weltraum flog, während unter ihm Millionen von Menschen sinnlos starben, weil sie keinen Zugang zu Impfstoffen hatten oder sich keine Lebensmittel leisten konnten. Oxfam weist darauf hin, dass allein der Zuwachs des Vermögens von Bezos während der Pandemie die Kosten für die Impfung aller Menschen auf der Welt hätte decken können.

Was Musk betrifft, so schreibt Oxfam, dass er Milliarden von Dollar an staatlichen Subventionen erhalten hat, während er „Arbeitsgesetze verletzt und die Bemühungen der Fabrikarbeiter, sich zu organisieren, untergräbt“. Im Jahr 2018 zahlte Musk keine Einkommenssteuer und kritisierte eine für 2021 vorgeschlagene Milliardärssteuer mit dem abenteuerlichen Argument, sein „Plan ist es, das Geld zu verwenden, um die Menschheit zum Mars zu bringen und das Licht des Bewusstseins zu bewahren“. In der Anfangsphase der Pandemie öffnete er seine Tesla-Autofabrik in Kalifornien entgegen den Anordnungen der Gesundheitsbehörden wieder und setzte damit Tausende von Arbeitern dem Risiko aus, sich mit Covid-19 zu infizieren.

Die großbürgerliche Politik von Oxfam kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Organisation immer wieder identitätspolitische Aspekte in die Diskussion über das erschütternde Ausmaß der wirtschaftlichen Ungleichheit auf internationaler Ebene einbringt. In dem Bericht heißt es: „In diesem Papier wird auch anerkannt, dass eine Reihe von Randgruppen unverhältnismäßig stark betroffen sind, zum Beispiel Menschen mit Behinderungen oder LGBTQIA+-Personen sowie Ungleichheiten, die aufgrund von Religion, Alter, Kaste und anderen Faktoren auftreten.“

Der Einsatz von Identitätspolitik zielt darauf ab, eine vereinte und sozialistische Antwort der internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zu stören, wobei die Verfasser des Berichts das herrschende Establishment auch vor den Gefahren warnen, die durch die Zunahme des Klassenkampfes entstehen. Oxfam verweist auf eine Verdreifachung der Proteste und breit angelegten sozialen Bewegungen mit dem Ziel, Regierungen zu stürzen, in den letzten 15 Jahren.

Zu den Vorschlägen von Oxfam gehört die Forderung an die Regierungen, „den exponentiellen Anstieg des Reichtums der Milliardäre während Covid-19“ durch die Einführung einer „einmaligen Solidaritätsabgabe“ zu begrenzen. Ebenso verweisen sie auf den Vorschlag von US-Präsident Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs, eine 100-prozentige Steuer auf „überschüssige Einkommen“ zu erheben.

Am Ende „einigte man sich auf einen Spitzengrenzsteuersatz von 94 %, der im Zeitraum 1944-1981 durchschnittlich 81 % betrug“. Es ist klar, dass die amerikanische Finanzelite eine Rückkehr zu einer solchen Politik nicht zulassen wird. Inzwischen ist sie abhängig von massiven Geldspritzen für die Wirtschaft durch die US-Notenbank Federal Reserve und von einem Steuergesetz, das es den höchsten Einkommensklassen ermöglicht, keinerlei Steuern zu zahlen.

Der Oxfam-Bericht appelliert auch an Unternehmen und Regierungen in aller Welt, Gewerkschaften zu unterstützen und Tarifverhandlungen zuzulassen: „Die Regierungen müssen gesetzliche Normen festlegen, um das Recht der Beschäftigten auf gewerkschaftliche Organisierung und Streik zu schützen, und sie müssen Gesetze aufheben, die diese Rechte untergraben.“ Hier werden die Gewerkschaften als zentrales Bollwerk des Kapitalismus benannt, um eine internationale Vereinigung der Arbeiterklasse zu verhindern und sie den nationalen kapitalistischen Interessen unterzuordnen.

Der Oxfam-Bericht „Ungleichheit tötet“ bestätigt die Analyse der Covid-19-Pandemie, die die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale in den letzten zwei Jahren vorgelegt haben. Innerhalb weniger Wochen nach der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus identifizierte die WSWS die Pandemie als „Trigger Event“, als ein „auslösendes Ereignis“, das „in hochkonzentrierter Form den wirtschaftlichen, sozialen, politischen, kulturellen und sogar moralischen Bankrott einer auf dem Kapitalismus basierenden Gesellschaft offenbart“.

Vor und nach der Unterzeichnung des CARES-Gesetzes durch Donald Trump am 27. März 2020 wies die WSWS auf den massiven Vermögenstransfer der US-Regierung über die Wall Street auf die Konten der Superreichen hin und brachte dies in Zusammenhang mit der steigenden Zahl der Todesopfer von Covid-19. Am 25. März 2020 erschien ein WSWS-Bericht mit dem Titel „Coronavirus erfasst New York, Wall Street im Höhenflug“, indem es heißt: „Von den beiden Kurven, die nach oben schnellten – dem Dow Jones und den Coronavirus-Fällen und Toten – war letztere die steilste.“ Diese bösartige Tendenz setzt sich auch im dritten Jahr der Pandemie fort. Während die Aktienmärkte und die Vermögen der Milliardäre alle Rekorde brechen, brechen auch die Infektionszahlen alle Rekorde und die Zahl der Todesfälle steigt weiter an.

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