Perspektive

Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen den Verfassungsschutz

Verwaltungsgericht Berlin erklärt Kritik am Kapitalismus für verfassungswidrig

Am 13. Dezember 2021 wies das Verwaltungsgericht Berlin die Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei vom Januar 2019 gegen ihre geheimdienstliche Überwachung und ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht ab. Das Urteil und seine schriftliche Begründung stellen einen fundamentalen Angriff auf demokratische Rechte dar. Sie zielen darauf ab, sozialistische Ideen und jede Kritik am Kapitalismus zu verbieten.

Das Urteil ist ausschließlich politisch motiviert. Es weist die Klage der SGP nicht ab, weil die Partei Demokratie und Freiheit bekämpft, sondern weil sie diese verteidigt und offen ausspricht, dass sie nicht mit einer Gesellschaftsordnung vereinbar sind, die Reichtum und wirtschaftliche Macht in den Händen einer winzigen Minderheit konzentriert. In der Tradition der Sozialistengesetze Bismarcks und der Gesinnungsjustiz der Nazis erklären die Kammer und ihr Vorsitzender Richter Wilfried Peters jede Forderung nach Demokratisierung der Wirtschaft und jeden Zweifel an den staatlichen Institutionen für verfassungsfeindlich.

Richter Wilfried Peters (links) vor Prozessbeginn (Foto: WSWS)

Das Gericht reagiert mit seinem Urteil auf die wachsende Opposition gegen die schreiende soziale Ungleichheit, die „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie und die horrende Aufrüstung. Wer diese Politik im Interesse der Reichen beim Namen nennt, soll mundtot gemacht werden. Knapp 90 Jahre nach der Machtübernahme der Nazis sollen sozialistische Ideen wieder kriminalisiert werden.

Das Urteil ergeht gegen die SGP, weil sie dieser Opposition eine Stimme und eine sozialistische Perspektive gibt, es richtet sich aber gegen jeden, der den Kapitalismus kritisiert und die rechte Politik der Regierung ablehnt. Auf der Grundlage dieses Urteils könnte jeder Buchautor, der sich positiv auf die marxistischen Klassiker bezieht, jeder Soziologe, der die Auswirkungen der sozialen Ungleichheit auf die Gesellschaft untersucht, jeder Journalist, der die rechten Terrornetzwerke in der Bundeswehr beleuchtet, und jeder streikende Arbeiter zum Verfassungsfeind erklärt werden.

Wir appellieren deshalb an alle, die demokratische Rechte verteidigen und der rechten Gefahr entgegentreten wollen, die Klage der SGP zu unterstützen. Wir werden das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht hinnehmen und haben bereits beim Oberverwaltungsgericht Berlin Berufung beantragt. Unterstützt uns dabei, unterzeichnet unsere Petition auf change.org, registriert Euch als aktiver Unterstützer und verbreitet diese Erklärung unter Euren Bekannten und Freunden.

Das Urteil im Einzelnen

Das Gericht rechtfertigt die Einstufung der SGP als „linksextremistisch“ und ihre geheimdienstliche Überwachung explizit damit, dass sie eine marxistische Perspektive vertritt. Weil die SGP „keine historischen Betrachtungen anstellt, sondern eine auf den Schriften von Marx, Engels, Trotzki und Lenin fußende politische Agenda verfolgt“, richte sie sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, so das Urteil.

Tatsächlich sind in diesem Land nahezu alle demokratischen Rechte durch die marxistische Arbeiterbewegung erkämpft worden. Selbst die beschränkte parlamentarische Ordnung konnte 1919 erst errichtet werden, nachdem die Arbeiter- und Soldatenräte den Kaiser gestürzt hatten. Schließlich waren es nur die Arbeiterparteien, die gegen Hitlers Ermächtigung stimmten. Insbesondere die Trotzkisten vertraten damals eine Perspektive der Einheitsfront, die in der Lage gewesen wäre, die Nazis zu stoppen.

Wenn das Gericht auf die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ Bezug nimmt, meint es nicht die von der marxistischen Arbeiterbewegung erkämpften demokratischen Grundrechte, sondern den Schutz des Kapitalismus vor der Mehrheit der Bevölkerung. Wie zuvor Bismarck und Hitler will es jede Partei verbieten, die sich auf Marx, Engels, Lenin oder Trotzki bezieht.

Das Gericht bestreitet nicht, dass die SGP ihr Ziel einer sozialistischen Gesellschaft mit demokratischen Mitteln erreichen und dafür die Mehrheit der Bevölkerung gewinnen will. So verweist es auf die Feststellung in der Grundsatzerklärung der SGP, dass „die Entscheidung über diese und andere demokratische Veränderungen die Massen selbst treffen“ und dass die Arbeiter im Kampf um die Macht „alle demokratischen Rechte energisch verteidigen“ müssen.

Es ist dieses Programm der demokratischen Kontrolle über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, einschließlich der Wirtschaft, durch die Massen selbst, welches das Gericht für verfassungsfeindlich erklärt. Jede Aussage, dass die schreiende soziale Ungleichheit nicht mit Demokratie vereinbar sei, dass die Macht der großen Banken und Konzerne einer wirklichen Volksherrschaft entgegenstehe oder dass die staatlichen Organe den Interessen der Reichen dienen, soll dem Gericht zufolge verboten werden. So heißt es in dem Urteil:

Dienen die nach dem Grundgesetz eingerichteten Organe lediglich einer Kapitalistenklasse zum Machterhalt, obwohl sie verfassungsmäßig über die Legitimation des gesamten Volkes verfügen, liegt es auf der Hand, dass die der Klägerin vorschwebenden ‚neuen Organe‘ über eine hiervon abweichende Legitimation verfügen müssen. Denn ließen sich auch die ‚neuen Organe‘ auf den Willen des gesamten Volkes zurückführen, würde sich an den von der Klägerin kritisierten Verhältnissen faktisch nichts ändern. Dies legt den Schluss nahe, dass der Klägerin bei den ‚neuen Organen‘ ein mit der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes nicht vereinbares Rätesystem vorschwebt.

Der Kern dieses Geschwurbels besteht darin, dass Zweifel an der demokratischen Legitimation der staatlichen Institutionen für verfassungsfeindlich erklärt werden. An anderer Stelle verbietet das Gericht die Auffassung der SGP, dass die staatlichen Organe die Interessen der Kapitalisten verträten und deshalb durch wirklich demokratische Organe ersetzt werden müssten. Denn: „Obwohl nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, behauptet die Klägerin, der Staat sei nicht vom gesamten Volk legitimiert.“

Wenn also eine Massenbewegung der großen Mehrheit der Bevölkerung den staatlichen Organen ihre Legitimität abspricht, die großen Banken und Konzerne enteignet und die Wirtschaft demokratisiert, richtet sich dies dem Gericht zufolge gegen einen mystifizierten „Willen des gesamten Volkes“, der seinen absoluten Ausdruck in den staatlichen Organen findet. Mit diesen Organen meint das Gericht insbesondere den staatlichen Repressionsapparat:

Dass die Klägerin ein von der Konzeption des Grundgesetzes abweichendes Demokratieverständnis besitzt, zeigt schließlich der Umstand, dass sie in Ziffer 24 der Grundsatzerklärung dem Grundgesetz entsprechend legitimierte Einrichtungen des Staates – namentlich den Verfassungsschutz und die Bundeswehr – als undemokratisch und gegen die Bevölkerung gerichtet verunglimpft.

Das ist die Sprache der Diktatur. Nicht der erklärte Wille der Mehrheit der Bevölkerung, sondern die staatlichen Institutionen werden zum Schutzgut erhoben. Diese Argumentation hat nichts mit dem Schutz einer „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ zu tun, sondern zielt darauf, die staatlichen Organe gegen eine demokratische Bewegung zu verteidigen.

Wie akut die Gefahr autoritärer Tendenzen im Staatsapparat ist, hat Trumps Putschversuch in den USA am 6. Januar 2021 gezeigt. In Deutschland sind Armee und Polizei von rechtsextremen Terrornetzwerken durchzogen, und der Verfassungsschutz ist eng mit der Neonazi-Szene verflochten.

Von derselben antidemokratischen Logik ist das ganze Urteil durchdrungen. So stellt das Gericht fest, dass „die Verwendung von Begriffen wie Sozialismus, Revolution und Kapitalismus“ nur dann zulässig sei, wenn damit eine „Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse“ gemeint sei. Werden dagegen die Auswirkungen der Wirtschaftsform auf die Politik thematisiert – also etwa mit dem Volksmund festgestellt, dass Geld die Welt regiert – ist das laut Gericht verfassungsfeindlich.

Der Marxismus sei insbesondere verfassungsfeindlich, weil sich „der Kapitalismus nach dem marxistischen Verständnis nie nur auf das Wirtschaftssystem beschränken lasse,“ erklärt das Gericht. „Vielmehr bildet danach die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt.“

Angesichts der Tatsache, dass das Diktat der Banken und Konzerne immer offensichtlicher wird, verbietet das Gericht jede Bezugnahme darauf. Entsprechend erklärt es die Umgestaltung der Gesellschaft nach sozialistischen Grundsätzen für verfassungswidrig, weil sie über eine bloße Veränderung der Wirtschaftspolitik hinausgehe.

In der mündlichen Urteilsbegründung hatte der Vorsitzende Richter Peters sogar die „marktwirtschaftliche Eigentumsordnung“ zum „Freiheitsgesetz“ erhoben und die Kritik der SGP daran sowie das Infragestellen des „Privateigentums an Produktionsmitteln“ für verfassungswidrig erklärt. Er erhob die Ausbeutung von Menschen so zum Supergrundrecht, das auch gegen den erklärten Willen der großen Mehrheit verteidigt werden müsse.

Das Gericht will auch jede Politik verbieten, die von den bestehenden Klassengegensätzen ausgeht. So heißt es im Urteil:

Unbenommen ist der Klägerin zwar, dass die Unterscheidung der Gesellschaft in Klassen ein ‚wissenschaftlich anerkanntes und verbreitetes Instrument zur Analyse von Gesellschaften darstellt‘. Die Klägerin betreibt jedoch keine soziologischen Gesellschaftsstudien, sondern auf der Einteilung der Gesellschaft in Klassen fußt ihr Parteiprogramm. Dieses ist eindeutig auf den Klassenkampf ausgerichtet.

Man darf dem Gericht zufolge die bestehenden Klassengegensätze also benennen, man darf daraus aber keine politischen Schlussfolgerungen ableiten. Tatsächlich kommt mit dieser absurden Formulierung jede Thematisierung der sozialen Ungleichheit auf den Index. Wenn etwa die britische Wohltätigkeitsorganisation Oxfam in ihrem diesjährigen Armutsbericht die größte Ungleichheit der Geschichte konstatiert und dazu aufruft, „soziale Ungleichheit und Armut endlich bei der Wurzel zu packen“, ist das dem Gericht zufolge verfassungsfeindlich.

Wie parteiisch das Urteil ist, geht auch aus der Festsetzung des Streitwerts hervor. Statt der in solchen Fällen üblichen 5000 Euro setze der Richter den Streitwert kurzerhand auf 20.000 Euro fest, womit die Gerichtskosten und auch die Kosten für eine Berufung enorm steigen. Als fadenscheinige Begründung diente dem Gericht der Umstand, dass die SGP nicht nur die Löschung aus dem Verfassungsschutzbericht 2017, sondern auch aus den folgenden Jahren beantragt hat, die allerdings nahezu gleich lauteten und somit keine Vervierfachung des Streitwerts rechtfertigen. Zudem ist das Gericht selbst dafür verantwortlich, dass die SGP die Folgeanträge stellen musste, denn es hat die Verhandlung fast drei Jahre hinausgezögert.

Der Gestank des Faschismus

Das Urteil des Verwaltungsgerichts muss als Bestandteil einer internationalen Entwicklung gesehen werden, der Hinwendung herrschender Kreise zu autoritären und faschistischen Methoden. In den USA steht die Republikanische Partei weiterhin hinter Donald Trump, der versucht hat, die Wahl seines Nachfolgers Joe Biden durch einen Staatsstreich zu verhindern und eine autoritäre Diktatur anstrebt. In Deutschland sitzt mit der AfD zum ersten Mal seit dem Fall der Nazis wieder eine rechtsextreme Partei im Parlament. Sie wird von den anderen Parteien in die parlamentarische Arbeit eingebunden und gibt in der Flüchtlingspolitik und vielen anderen Bereichen die Linie der Regierung vor. Rechtsextreme Terrornetzwerke werden vom staatlichen Sicherheitsapparat gefördert und geschützt.

Der Angriff auf die SGP ist ein zentraler Bestandteil dieses Rechtsrucks. Sie wurde im Jahr 2018 erstmals in den Bericht des Verfassungsschutzes aufgenommen, der damals vom Rechtsextremisten Hans-Georg Maaßen geleitet wurde.

Als sie dagegen Klage erhob, antwortete das Bundesinnenministerium mit einem 56-seitigen Schriftsatz, der kein juristisches Dokument, sondern eine wütende Hetzschrift gegen den Sozialismus ist. Das Ministerium erklärte, dass schon das „Streiten für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft“ und die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus‘ und ‚Militarismus‘“ verfassungsfeindlich seien. Sogar über das „Denken in Klassenkategorien“ und den „Glauben an die Existenz einander unversöhnlich gegenüberstehender konkurrierender Klassen“ wollte es ein Denkverbot verhängen.

Das Gericht hat sich nun hinter diese antidemokratische Auffassung gestellt und ist noch darüber hinaus gegangen. Seine Argumentation, dass auch eine Mehrheit des Volkes die staatlichen Organe nicht verändern dürfe, weil diese den „Willen des gesamten Volkes“ verkörperten, richtet sich nicht nur gegen eine sozialistische Massenbewegung, sondern gegen elementare demokratische Grundsätze.

Bereits die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 hatte das Recht des Volkes postuliert, die Regierungsform „zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen“, sobald sich diese für die unveräußerlichen Rechte der Menschen – Leben, Freiheit und Streben nach Glück – als schädlich erweise.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts stützt sich nicht auf diese demokratische Tradition, sondern auf das Obrigkeitsdenken des deutschen Kaiserreichs, das die staatliche Ordnung zum höchsten Gut erklärte und auf dieser Grundlage gegen die Sozialdemokratie vorging.

Der spätere Nazi-Jurist Carl Schmitt griff diese Denktradition in der Weimarer Republik auf, um die Niederschlagung der Revolution mit der Notwendigkeit einer „kommissarischen Diktatur“ zu begründen. Später rechtfertigte er die Präsidialdiktaturen von Papens und Schleichers damit, dass der Reichspräsident der „Hüter der Verfassung“ sei. Er müsse die „politische Einheit des ganzen deutschen Volkes“ vor dem Parlament schützen, das als „Spiegelbild der sozialen und wirtschaftlichen Interessensgegensätze“, also der Klassengegensätze, zur Desintegration des Staates beitrage.

Von da war es nur noch ein kleiner Schritt zur Glorifizierung des „Führers“. 1934 verteidigte Schmitt in seiner berüchtigten Schrift „Der Führer schützt das Recht“ die heimtückische Ermordung von 200 Rivalen Hitlers nach dem angeblichen Röhm-Putsch. Schmitts Schüler Ernst Rudolf Huber grenzte dann in seinem 1937 erschienen „Verfassungsrecht“ den objektiven Volkswillen strikt von den „subjektiven Volksüberzeugungen“ ab, die von sozialen Interessensgegensätzen bestimmt seien. „Der eigentliche Willensträger des Volkes aber bleibt der Führer“, erklärte er. „Auch wenn sich das abstimmende Volk gegen ihn wendet, ist er es, der die objektive Sendung des Volkes verkörpert.“

Es überrascht angesichts dieser Rechtstradition nicht, dass Richter Peters jede historische Bezugnahme ablehnt. Schon in der mündlichen Urteilsbegründung hatte er erklärt: „Heute haben wir viel Historisches gehört, über Bismarck-Gesetze, Argumente über Karl Marx, usw.“, doch all das sei hier „nicht relevant“.

Allein damit verlor er jede Legitimation. Man kann in Deutschland nicht über Demokratie sprechen, geschweige denn eine Partei als verfassungsfeindlich denunzieren, ohne die Lehren aus diesen historischen Erfahrungen zu ziehen. Hitler konnte in Deutschland auf „legalem“ und „demokratischem“ Weg an die Macht gelangen, der gesamte Justiz- und Beamtenapparat diente bis auf wenige ehrenwerte Ausnahmen seiner Diktatur und half ihm, den Vernichtungskrieg und den Holocaust zu organisieren.

Doch das ist für das Gericht „nicht relevant“. Stattdessen begründete es die Verfassungsfeindlichkeit der SGP unter anderem damit, dass Leo Trotzki 1938 zur „Bewaffnung des Proletariats im Kampf gegen den Faschismus“ aufgerufen hatte, was – wie die Vertreter der SGP vor Gericht erklärten – die einzige Möglichkeit gewesen wäre, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust zu verhindern.

Das Bundesinnenministerium hatte Trotzkis Aufruf in seinem Schriftsatz als Beweis angeführt, dass die trotzkistische SGP die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfe. Dem schloss sich das Gericht in seinem schriftlichen Urteil an. Der SGP sei nicht darin zu folgen, heißt es dort, dass Bezugnahmen etwa auf Leo Trotzki „in ihrem historischen Kontext zu bewerten seien“ – in diesem Fall im Kontext des Faschismus –, weil die Partei eine auf Trotzki „fußende politische Agenda“ verfolge.

Wenn sich eine politische Partei also auf den Standpunkt stellt, dass das Nazi-Regime 1938 durch einen bewaffneten Aufstand der Arbeiterklasse hätte gestürzt werden sollen, sei dies gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet! Klarer kann Richter Peters seinen Standpunkt, dass der Staatsapparat unter allen Umständen den „Willen des gesamten Volkes“ repräsentiere, gar nicht auf den Begriff bringen.

Das KPD-Verbot

In seiner antidemokratischen Ausrichtung verletzt das Gericht ganz offen geltendes Recht und höchstrichterliche Rechtssprechung. Das Bundesverfassungsschutzgesetz, auf das sich das Urteil offiziell stützt, gibt eine derartige Interpretation überhaupt nicht her. Das Gesetz, das selbst eine massive Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit darstellt, zählt Kapitalismus und Privateigentum ausdrücklich nicht zu den schützenswerten Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil gegen das Verbot der faschistischen NPD am 17. Januar 2017 ausdrücklich erklärt, dass nicht die Ablehnung staatlicher Organe, sondern nur der Angriff auf die „Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk“ als verfassungsfeindlich zu werten sei. Explizit heißt es im Urteil:

So vermag die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, den Vorwurf der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu begründen. Anders verhält es sich jedoch im Fall eines Verächtlichmachens des Parlaments mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren.

Dieses einschlägige Urteil wurde sowohl von Peer Stolle, dem Anwalt der SGP, in seinen Schriftsätzen angeführt, als auch von den Vertretern der SGP vor Gericht vorgetragen. Doch Peters hat die Hinweise auf die Rechtsprechung bewusst ignoriert. Er stützt sein schriftliches Urteil stattdessen nahezu vollständig auf das Urteil zum KPD-Verbot aus dem Jahre 1956.

Auch das unterstreicht, in welcher reaktionären und antidemokratischen Tradition das Vorgehen gegen die SGP steht. Das Urteil gegen die KPD aus der Zeit des Kalten Krieges ist seit langem diskreditiert. Die damalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach hatte schon 1996 erklärt, dass sie das Verbot nach geltenden rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abgelehnt hätte. Der Historiker Prof. Josef Foschepoth, der den KPD-Prozess unter Auswertung bisher unzugänglicher Staatsakten gründlich erforscht hat, gelangt in seinem 2017 veröffentlichten Buch „Verfassungswidrig!“ zum Schluss, dass das KPD-Urteil eklatant gegen die Verfassung verstoßen habe und politisch motiviert gewesen sei. „Es gab in diesem Verfahren keine getrennten Gewalten mehr, sondern nur noch einen Staat, der unter dem Druck der Bundesregierung darauf bestand, dass die KPD verboten wurde“, schreibt Foschepoth.

Die Adenauer-Regierung wurde dabei von den gleichen rechtsradikalen Kreisen vertreten, die bereits unter den Nationalsozialisten eine aktive Rolle bei der Kommunistenverfolgung gespielt hatten. Leiter der Prozessführungsstelle der Bundesregierung war Hans Ritter von Lex, der als Reichstagsmitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP) am 23. März 1933 die Zustimmung seiner Partei zum Ermächtigungsgesetz erklärt hatte. Nur wenige Tage zuvor hatte er Hitler in einem persönlichen Gespräch versichert, dass er dessen Ziel, „den Marxismus in Deutschland auszurotten“, teile. „Dass man das deutsche Volk auch unter Anwendung strengster Methoden von dieser Verseuchung befreie, sei gemeinsame Forderung aller vaterländisch gesinnten Kreise“, sagte er.

Peters nutzt dieses Urteil ehemaliger Nazi-Juristen, um sozialistische Ideen insgesamt zu verbieten. Ohne irgendeinen Beleg anzuführen, wirft er der trotzkistischen SGP mit den Worten des KPD-Urteils vor, für eine Ein-Parteien-Diktatur einzutreten, in der die „Staatsgewalt bei einer Staatspartei konzentriert“ sei – was die trotzkistische Bewegung in Hinblick auf die stalinisierte Sowjetunion und die DDR immer abgelehnt hat.

„Angesichts der Allmacht der Staatspartei und ihrer alleinigen Einsicht in die politischen Notwendigkeiten scheiden eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und erst recht die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition aus“, fabuliert Peters weiter. „In einem derartigen Gemeinwesen sind die Menschenrechte nicht gewährleistet.“

Mit dieser abstrusen Lüge, die Peters sich nicht einmal zu belegen bemüht, identifiziert er die trotzkistische Bewegung mit den stalinistischen Verbrechen, gegen die sie gegründet wurde. Peters übergeht dabei ganz bewusst die Ausführungen, die Stolle in seinen Schriftsätzen und die SGP-Vertreter vor Gericht gemacht haben. Sie wiesen die Identifikation von Stalinismus und Trotzkismus in der mündlichen Verhandlung explizit zurück und erklärten:

In Wirklichkeit verteidigten Trotzki und die Linke Opposition die marxistischen Prinzipien, die in der Oktoberrevolution zur Anwendung kamen, gegen die stalinistische Konterrevolution. Zu diesen Prinzipien gehörte von Anfang an die Demokratie in der Sowjetunion und die Orientierung auf die internationale sozialistische Revolution.

Die Kluft zwischen der stalinistischen Gewaltherrschaft und den wirklich sozialistischen Prinzipien wurde in den Massenmorden der 30er Jahre sichtbar, in denen hunderttausende Kommunisten unter der Anklage des Trotzkismus den Tod fanden. Auch in der DDR wurden Trotzkisten wie Oskar Hippe, der gegen die Stalinisten für Demokratie und Sozialismus kämpfte, zu langen Haftstrafen verurteilt.

Dass Peters diese Fragen einfach beiseite wischt, bestätigt, dass er ein politisches Urteil gesprochen hat, das darauf abzielt, den Marxismus und jede ernsthafte Opposition gegen die rechte Politik der Regierung zu kriminalisieren.

Die politische Bedeutung des Urteils

Das Bemühen des Gerichts, jeden Zweifel an der Legitimität staatlicher Institutionen, jede Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft und jedes Eintreten für eine sozialistische Umgestaltung zu kriminalisieren, ist Ausdruck der panischen Angst der herrschenden Klasse vor der wachsenden sozialen Opposition. Sie fürchtet, dass die weit verbreitete Ablehnung einer Politik, die die Profite der Reichen vor die Lebensinteressen der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung stellt und für Krieg rüstet, eine bewusste und organisierte Form annimmt.

Wie in einer Orwellschen Dystopie meint das Gericht verbieten zu können, dass das Offensichtliche ausgesprochen wird. So ist der Klassencharakter des Staates, den zu benennen das Gericht untersagen will, in der Pandemie besonders deutlich zutage getreten. Allein in Deutschland sind schon über 115.000 Menschen gestorben, weil die herrschende Klasse ihren Profiten Vorrang vor dem Leben der Menschen gibt. Die ganze Gesellschaft wird durchseucht, damit die Betriebe weiterlaufen, die Profite sprudeln und die Aktienkurse steigen.

Während die großen Unternehmen hunderte Milliarden an Steuergeldern bekamen, müssen sich Pfleger in kaputtgesparten Kliniken aufreiben und werden die Schulen nicht einmal mit rudimentären Luftfiltern ausgestattet. Allein im ersten Jahr der Pandemie vermehrten die Milliardäre dieser Welt ihre Vermögen um sagenhafte 60 Prozent auf 13 Billionen Dollar, während zur gleichen Zeit weitere 160 Millionen Menschen in absolute Armut stürzten und ums Überleben kämpfen.

Unter dem Vorwand der Umstrukturierung werden hunderttausende Arbeitsplätze abgebaut, Löhne gekürzt und Sozialleistungen geschliffen. Der einzige Etat, der massiv ausgebaut wird, ist die Rüstung. Seit 2014 wurde der Verteidigungshaushalt um über 30 Prozent erhöht. Die Ampelkoalition steigert ihn weiter und geht auf Konfrontationskurs zu den Atommächten Russland und China. Sie riskiert einen neuen Weltkrieg.

Diese Politik ist in der Bevölkerung verhasst. Die Auffassungen, die das Gericht verbieten will, werden von breiten Schichten geteilt: Die Regierung betreibt eine Politik im Interesse der Reichen; der Staat dient der Durchsetzung dieser Politik; die Gesellschaft muss nach sozialistischen Prinzipien umgestaltet werden.

Am 30. Januar 1933 gelangte die herrschende Klasse Deutschlands zum Schluss, dass sie ihre Kriegspläne und die Zerschlagung der Arbeiterbewegung nur mit einem Regime unter Führung der Nazis verwirklichen könne. Heute greift sie erneut zu autoritären Methoden, um der Opposition gegen ihre rechte Politik zu begegnen.

Die Aufnahme der SGP in den Verfassungsschutzbericht, ihre Diffamierung als linksextrem und ihre Beobachtung durch den Geheimdienst sind wesentliche Schritte in diese Richtung. Das Urteil bahnt juristisch den Weg für ein Verbot der Partei. Doch die antidemokratische Argumentation der Bundesregierung und des Gerichts sind gegen jeden gerichtet, der der rechten Gefahr entgegentritt und den Kapitalismus kritisiert.

Aber 2022 ist nicht 1933. Das Urteil wurde nicht nach massiven Niederlagen der Arbeiterklasse gesprochen, sondern unter Bedingungen einer wachsenden Radikalisierung. In Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt entwickelt sich eine neue Massenbewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen Durchseuchung, Krieg und Ungleichheit zur Wehr setzt.

Unter diesen Bedingungen kommt der Verteidigung der Sozialistischen Gleichheitspartei entscheidende Bedeutung zu. Wir rufen noch einmal alle Leserinnen und Leser der WSWS auf, noch heute unsere Petition auf Change.org zu unterzeichnen, eine möglichst großzügige Spende für unsere Prozesskosten zu machen und sich als aktiver Unterstützer zu registrieren. Verbreitet diesen Aufruf und diskutiert ihn in den sozialen Medien und mit Freunden und Kollegen.

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