Ein texanischer Bundesrichter hat am Dienstag ein Urteil erlassen, das eine vorherige Anti-Streik-Verfügung gegen 17.000 Schaffner und Ingenieure bei BNSF Railway (Burlington Northern Santa Fe) aufrechterhält. Die ursprüngliche Verfügung wurde letzten Monat erlassen, nachdem die Beschäftigten mit überwältigender Mehrheit für einen Streik gegen die neue Anwesenheitspolitik („Hi Viz“) des Unternehmens gestimmt hatten. Es handelt sich dabei um ein punktebasiertes System, das darauf abzielt, mehr Verfügbarkeit aus der gegenwärtigen Belegschaft herauszuquetschen und den Weg für Entlassungen und Kostensenkungen zu ebnen.
Fast unmittelbar danach zogen die Anwälte von BNSF vor Gericht, um einen Streik auf der Grundlage des reaktionären Railway Labor Act (RLA) von 1926 zu verhindern. In seinem Urteil vom Dienstag gab Richter Mark Pittman freimütig zu, dass der ausdrückliche Zweck dieses Gesetzes darin bestand, Streiks praktisch zu verbieten und „einen obligatorischen und ‚praktisch endlosen‘ Prozess von ‚Verhandlungen, Vermittlungen, freiwilliger Schlichtung und Beilegung‘ zu eröffnen“.
Die einstweilige Verfügung ist ein schwerer Angriff auf die demokratischen Rechte der Arbeiter. Sie läuft darauf hinaus, dass die BNSF-Beschäftigten mit vorgehaltener Waffe zur Arbeit gezwungen werden: „Mund zu! An die Arbeit!“ Sie verbietet nicht nur Streiks und Arbeitsniederlegungen, sondern auch „Versammlungen, Bummelstreiks, Krankmeldungen und sonstige Selbsttätigkeit“.
Das Urteil ist nicht nur für die Gewerkschaften bindend, sondern auch für einzelne Mitglieder und „alle Personen, die in Absprache oder unter Beteiligung einer dieser Personen handeln“. Die Gerichte könnten versuchen, diese Formulierung zu verwenden, um Aktivitäten ins Visier zu nehmen, die eindeutig durch den Ersten Verfassungszusatz geschützt sind, bis hin zu Gesprächen unter Arbeitern oder sogar der Lektüre von Informationen über ihren Kampf auf der World Socialist Web Site.
Angesichts des wiederauflebenden Klassenkampfes – befeuert durch die unkontrollierte Ausbreitung von Covid-19 an den Arbeitsplätzen, die galoppierende Inflation und unmögliche Arbeitszeiten – greift die herrschende Kapitalistenklasse auf alle antidemokratischen Methoden zurück, die sie in früheren Zeiten eingesetzt hat, um den Widerstand von Arbeitern zu unterdrücken.
Dazu gehören nicht nur Drohungen der Unternehmensleitung, sondern auch direkte staatliche Eingriffe. Krankenhäuser und Schulen wurden in diesem Winter durch den Streikbruch-Einsatz von Truppen der Nationalgarde und sogar der Polizei offen gehalten. Ein Richter in Wisconsin erließ in diesem Jahr im Namen des „öffentlichen Interesses“ eine einstweilige Verfügung gegen die Kündigung von Pflegern und anderen medizinischen Arbeitern.
Richter Pittman begründete seine ursprüngliche Entscheidung damit, dass im Namen der Versorgungsketten das Verbot eines Streiks ebenfalls im „öffentlichen Interesse“ liege. Mit anderen Worten: Die Rechte der Arbeiter – einschließlich ihres Streikrechts und ihres im ersten Verfassungszusatz verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung – werden dem vermeintlichen „Recht“ der Unternehmen, Gewinne zu erzielen, untergeordnet.
Das Bestreben von Berkshire Hathaway und den anderen Wall-Street-Eigentümern der Class-I-Bahnlinien, durch Stellenstreichungen und andere Maßnahmen jeden letzten Cent herauszuquetschen, hat die Lieferketten im Schienengüterverkehr in den Ruin getrieben, so dass es regelmäßig zu Entgleisungen und tödlichen Unfällen kommt und die Züge regelmäßig Stunden oder sogar Tage hinter dem Fahrplan liegen.
Der Hinweis auf den Schutz der „Lieferketten“ hat jedoch eine zusätzliche Bedeutung angesichts der fortgeschrittenen Pläne der Biden-Regierung für einen Krieg gegen Russland in der Ukraine. Mit dieser Kampagne soll versucht werden, die enormen sozialen Spannungen im eigenen Land und in Washington selbst durch eine Flut von patriotischer, kriegslüsterner Propaganda zu unterdrücken und eine „nationale Einheit“ zu erzwingen, indem die amerikanische Gesellschaft auf Kriegspfad gebracht wird.
Am unverblümtesten drückte dies Verkehrsminister Pete Buttigieg im vergangenen Jahr in einer Stellungnahme über die Aussicht auf einen Konflikt mit China aus, als er erklärte: „Die neue Herausforderung durch China bietet uns die Gelegenheit, über die politischen Spaltungen hinweg zusammenzukommen. Mindestens die Hälfte der Schlacht findet zu Hause statt.“
Es zeugt von atemberaubender Heuchelei, wenn Washington behauptet, dass es sich um die nationalen Rechte der Ukraine sorgt, während es die demokratischen Rechte der Arbeiter im eigenen Land brutal angreift.
Die korrupten, konzernfreundlichen Gewerkschaften sind für Bidens Strategie von entscheidender Bedeutung. Die Gewerkschaften BLET (Lokomotivführer, Eisenbahner und Eisenbahningenieure) und SMART-TD (Blech-, Metall-, Luftfahrt-, Eisenbahn- und Transportarbeiter) bei BNSF, die sich offensichtlich des tiefen Widerstands und der Frustration der Eisenbahner bewusst sind, gaben ein Schreiben heraus, in dem sie das Urteil kritisierten, die Beschäftigten jedoch aufforderten, den Prozess abzuwarten. Wie Richter Pittman jedoch selbst einräumte, ist der gesamte durch das RLA und andere Arbeitsgesetze festgelegte Prozess von Anfang bis Ende darauf ausgerichtet, die Unternehmen zu begünstigen.
Nicht einmal die vertraglichen Rechte der Arbeiter werden in diesem Rahmen respektiert. BNSF durfte seine Anwesenheitspolitik einseitig ändern, ohne auch nur den Anschein von Verhandlungen zu erwecken, und die BNSF-Anwälte wiesen vor Gericht arrogant darauf hin, dass in mehr als drei Jahrzehnten noch nie ein Richter zugunsten streikender Beschäftigter entschieden habe. Sie verglichen den Widerstand der Arbeiter gegen das „Hi Viz“-System mit Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft. Während die Gewerkschaften Arbeitern raten, Geduld und Vertrauen in diesen Prozess aufzubringen, sind die BNSF-Beschäftigten seit über zwei Jahren ohne Vertrag.
Die Gesetze kommen jedoch nicht nur den Unternehmen zugute, sondern schützen auch die Gewerkschaften vor dem Widerstand der Arbeiter. Trotz ihrer lauwarmen Kritik an dem Urteil besteht kein Zweifel daran, dass die Gewerkschaftsbürokraten das Urteil begrüßten, denn die einstweilige Verfügung gibt ihnen Munition gegen militante Arbeiter.
Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf Bidens Behauptung, der „gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der amerikanischen Geschichte“ zu sein. Biden will überall die gleiche Art von staatlich kontrollierter „Arbeiterbewegung“, wie sie seit Jahrzehnten in der Eisenbahnindustrie existiert.
Die bestehenden Gewerkschaften sind Geschöpfe des Staates, die in ihrer Existenz auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Diese Beziehung wurde vor vier Jahren von einem Gewerkschaftsanwalt deutlich gemacht. Vor dem Obersten Gerichtshof plädierte er für Gesetze, die von nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes verlangen, de facto Gewerkschaftsbeiträge zu zahlen. Er erklärte: „Die Absicherung der Gewerkschaften ist die Gegenleistung dafür, dass es keine Streiks gibt“, und warnte das Gericht, dass ohne die Dienste der Gewerkschaften „das Gespenst von beispiellosen Arbeitsunruhen im ganzen Land auftauchen kann“.
Die Arbeiter brauchen Mittel, mit denen sie ihre Strategie ohne jede Einschüchterung durch die Gewerkschaftsbürokratie formulieren können – unabhängig von dem gesamten korporatistischen Rahmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitern, in den die Gewerkschaften eingebettet sind.
Dies erfordert den Aufbau des Aktionskomitees der BNSF-Arbeiter, das letzte Woche seine Gründungserklärung abgegeben hat. Das Ziel des Komitees, so heißt es in der Erklärung, sei „die Schaffung eines alternativen Machtzentrums gegen die Unternehmensleitung, die gut betuchten Gewerkschaftsbürokraten und das ‚Verfügungs-Regime‘ zu schaffen“.
Vor allem aber zeigen die Angriffe der Regierung, wie notwendig es ist, eine sozialistische politische Bewegung innerhalb der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System aufzubauen. Die einstweilige Verfügung und andere ähnliche Maßnahmen zeigen den Arbeitern, dass sie nicht gegen das eine oder andere gierige Unternehmen kämpfen, sondern gegen das Profitsystem selbst und die kapitalistische Regierung, die es verteidigt.
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