Großbritannien kündigte am Freitag für nächsten Monat die Entsendung von 8.000 Soldaten zu mehreren Militärübungen in ganz Europa an. Es handelt sich um eine der größten Truppenentsendungen seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Da die British Army im April 2021 86.240 reguläre Soldaten umfasste, werden praktisch zehn Prozent der gesamten Streitkräfte für die Konfrontation mit Russland entsandt.
Die Truppenbewegung, die zwischen April und Juni Fahrt aufnehmen soll, ist die jüngste Eskalation durch Großbritannien im Rahmen des Kriegs, den die Nato faktisch gegen Russland führt. Nur wenige Stunden vor der Ankündigung hatte US-Präsident Joe Biden eine massive Waffenlieferung im Wert von 20 Milliarden Dollar bewilligt.
Der Befehlshaber der Field Army, Generalleutnant Ralph Woodisse, erklärte in einer Stellungnahme des britischen Verteidigungsministeriums (MoD): „Großbritannien leistet einen bedeutsamen Beitrag zur Verteidigung Europas und zur Abschreckung russischer Aggression. Die Manöverserie der British Army ist für beides von fundamentaler Bedeutung. Wir werden weiterhin Truppen in ganz Europa stationieren, vom Baltikum bis zur Ägäis, um für den Kampf an der Seite unserer Partner zu trainieren und um starke, fähige und einsatzbereite Truppen zur Unterstützung der Nato zu stellen.“
Die Truppen werden an vier separaten Nato-Militärübungen mit den Codenamen Arrow, Hedgehog, Defender und Swift Response teilnehmen.
Es existieren zwar keine genauen Zahlen darüber, wie viele Soldaten der beteiligten Länder an den Übungen teilnehmen, doch das Verteidigungsministerium schrieb: „An den Übungen werden sich Zehntausende von Soldaten der Nato, von Alliierten der Joint Expeditionary Force (JEF) und von Partnerstaaten beteiligen.“
Die von Großbritannien angeführte JEF besteht aus neun weiteren Staaten „im hohen Norden, dem Nordatlantik und dem Baltikum“: Dänemark, Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Norwegen und Schweden. Sie wurde im Jahr 2014 auf Initiative von Premierminister David Camerons Tory-Regierung, den USA und der Nato gegründet.
In einer Zusammenfassung des Verteidigungsministeriums heißt es: „Truppen des B Squadron der Queen's Royal Hussars wurden diese Woche nach Finnland geschickt, um an der Militärübung Arrow teilzunehmen. Sie werden in eine finnische Panzerbrigade eingebunden, an der auch weitere Partner wie die USA, Lettland und Estland beteiligt sind. Die Übung wird die Fähigkeit der britischen und finnischen Truppen zur Zusammenarbeit im Rahmen der JEF und bei der Abwehr russischer Aggression in Skandinavien und den baltischen Staaten verbessern.“
An der Nato-Übung Swift Response in Nordmazedonien, die letzte Woche begann, werden sich „Teile des 16th Air Assault Brigade Combat Team und des 1st Aviation Brigade Combat Team sowie französische, amerikanische, italienische und albanische Soldaten beteiligen. Von den 4.500 Soldaten, die an der Übung teilnehmen, sind 2.500 Briten. Die Übung umfasst Fallschirmabwürfe und Luftsturmangriffe unter Einsatz von Hubschraubern. Eine Kompanie französischer Fallschirmjäger wird in die 2nd Parachute Regiment Battlegroup eingegliedert werden und eine italienische Battlegroup wird innerhalb der britischen Befehlskette agieren.“
Bei der Übung Hedgehog, die im Mai stattfindet, werden „die Royal Welsh Battlegroup und das Royal Tank Regiment an der estnisch-lettischen Grenze zusammen mit 18.000 Nato-Soldaten teilnehmen, darunter französische und dänische Truppen, die Teil der britisch geführten Nato Enhanced Forward Presence sind. Hedgehog ist die größte Militärübung in Estland und findet alle vier Jahre statt.“
Neben Operation Hedgehog findet in Polen „bis Ende Mai die Übung Defender statt, an der 1.000 Soldaten der King's Royal Hussars Battlegroup und das C Squadron der Light Dragoons gemeinsam mit Truppen aus elf Partnerstaaten teilnehmen, darunter Polen, Dänemark und den USA. Diese Übung umfasst den Einsatz von Panzern des Typs Challenger 2 und anderer gepanzerter Fahrzeuge von der Nato Forward Holding Base im deutschen Sennelager. Der Einsatz wird unterstützt von der 104th Theatre Sustainment Brigade, die von Großbritannien und Stützpunkten in Europa aus operiert.“
Großbritannien beteiligt sich seit Jahren an den Nato-Operationen und hat sie teilweise angeführt und damit die Umzingelung Russlands unterstützt. Im Verlauf des letzten Jahrs wurden diese Bestrebungen intensiviert, u. a. durch die Entsendung der Nato-Kriegsflotte Carrier Strike Group 21 im Mai 2021, die von dem Flugzeugträger Queen Elizabeth angeführt wurde.
Anfang April wurden mehr als 3.000 Matrosen und Royal Marines in den Nördlichen Polarkreis verlegt, wo sie zu Land, zu Wasser und im norwegischen Luftraum ihren Beitrag zu der Übung Cold Response 2022 leisten. An dieser zweiwöchigen Übung waren insgesamt 30.000 Soldaten aus 27 Nato- und Partnerstaaten beteiligt, die mit scharfen Waffen einen Krieg an der russischen Nordflanke übten. Es handelte sich dabei um die größte Militärübung auf norwegischem Boden seit dem Ende des Kalten Kriegs. Auf der Website der Joint Forces hieß es: „Die Seestreitmacht wurde von Großbritanniens größtem Kriegsschiff, der HMS Prince of Wales, angeführt, die damit ihre Fähigkeit zum Einsatz als Nato-Kommandoschiff demonstrieren konnte. Diese Rolle wird sie für den Rest des Jahres 2022 ausüben. Es war außerdem das erste Mal, dass ein Flugzeugträger der Queen-Elizabeth-Klasse so weit im Norden aktiv war. ... Im Rahmen der Übung arbeitete das Schiff mit zahlreichen britischen und verbündeten Flugzeugen zusammen, von Tarnkappenjägern des Typs F-35B Lightning bis hin zu den einzigartigen MV22-Osprey-Flugzeugen und Sea-Stallion-Hubschraubern der USA.“
Norwegen verfügt über 200 Kilometer Landgrenze mit Russland. Das bedeutet, dass die Übungen mit 200 Flugzeugen und 50 Schiffen nur wenige hundert Kilometer von Russland entfernt abgehalten werden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dem britischen Militäraufmarsch ging am Montag eine Stellungnahme des Verteidigungsministers Ben Wallace zur Ukraine voraus. Er erklärte, Großbritannien habe der Ukraine bereits „mehr als 5.000 Panzerabwehrraketen, fünf Luftabwehrsysteme mit mehr als 100 Raketen, 1.360 Schuss Munition zur Zerstörung von Gebäuden und Bunkern und 4,5 Tonnen Plastiksprengstoff geliefert“. Nur wenige Wochen nach Beginn der Kämpfe intensivierte Großbritannien die Bewaffnung der Ukraine mit „Flugabwehrraketen hoher und niedriger Geschwindigkeit vom Typ Starstreak. Ich kann dem Unterhaus jetzt mitteilen, dass sie sich seit mehr als drei Wochen im Einsatzgebiet befinden und von den ukrainischen Streitkräften benutzt wurden, um sich und ihr Gebiet zu verteidigen.“
Weiter erklärte er, während sich das Parlament in der Osterpause befand, „hat mein Ministerteam... eine Delegation der ukrainischen Regierung auf dem Truppenübungsplatz Salisbury Plain empfangen, um über weitere Ausrüstungsmöglichkeiten zu diskutieren. Kurze Zeit später kündigte der Premierminister weitere Lieferungen von hochmodernem Militärgerät im Wert von 100 Millionen Pfund an, darunter 120 gepanzerte Fahrzeuge, zusätzliche Seezielflugkörper und Hightech-Munition für Präzisionsschläge.“
Großbritannien „bietet jetzt Polen die Lieferung von Challenger-2-Panzern an, um die Lücke zu überbrücken, bis Polen aus einem Drittland Ersatz für die der Ukraine zur Verfügung gestellten Panzer bekommt“.
Wallace erklärte stolz, Großbritannien habe nahezu das gesamte Spektrum seiner Streitkräfte von der Arktis bis hin zum Mittelmeer im Einsatz: „Wir haben die Zahl der Verteidigungstruppen in Estland kurzzeitig verdoppelt, Militärpersonal zur Unterstützung des litauischen Geheimdienstes und der Aufklärung geschickt, Hunderte von Royal Marines in Polen stationiert und Patrouillenschiffe und Zerstörer ins östliche Mittelmeer geschickt. Daneben haben wir auch unsere Präsenz über Südosteuropa durch vier zusätzliche Typhoon-Kampfflugzeuge in Rumänien erhöht. Das bedeutet, wir haben jetzt eine volle Staffel RAF-Kampfflugzeuge in Südeuropa, die bereit sind, die Nato zu unterstützen.“
In einem Artikel des Daily Telegraph hieß es: „Als weitere Botschaft an den Kreml haben atomar getriebene Angriffs-U-Boote aus Großbritannien, den USA und Frankreich auf dem britischen Marinestützpunkt Faslane am schottischen Clyde angelegt, wo die strategischen Abschreckungskräfte Großbritanniens stationiert sind.
Anfang der Woche wurde beobachtet, wie die HMS Audacious, ein Jagd-U-Boot der Astute-Klasse, im Marinestützpunkt in Gibraltar mit Tomahawk-Marschflugkörpern beladen wurde. Berichten zufolge werden diese U-Boote allesamt an Marineübungen im Nordatlantik teilnehmen, die in den kommenden Tagen beginnen sollen.“
Bereits letzten Sommer kam es im Schwarzen Meer fast zu einem bewaffneten Konflikt mit Russland, als ein britisches Kriegsschiff in die Gewässer nahe der Krim eindrang. Am Donnerstag erklärte Wallace, Großbritannien werde der Ukraine Seezielflugkörper vom Typ Brimstone liefern – mit dem ausdrücklichen Zweck, eine russische Blockade des Schwarzen Meers zu verhindern.
Wallace drohte, Russland dürfe nicht erlaubt werden, „das Schwarze Meer zu kontrollieren, weil es ihnen nicht mehr gehört“. Der Telegraph schrieb dazu: „Die jüngsten Geheimdiensteinschätzungen aus dem Verteidigungsministerium deuten darauf hin, dass sich im Schwarzen Meer 20 Schiffe und U-Boote der russischen Marine befinden.“