Tunesische Arbeiter protestieren mit eintägigem Generalstreik gegen steigende Lebensmittelpreise

Am 16. Juni legten Arbeiter in ganz Tunesien die Arbeit nieder, um gegen den Plan von Präsident Kaïs Saïed zu protestieren, die Verfassung umzuschreiben und wichtige Subventionen zu streichen, durch die Weizen und Brot für Arbeiter noch bezahlbar sind. Die Weizen- und Getreidepreise auf den globalen Märkten sind einerseits aufgrund der massiven Spekulationen in die Höhe geschossen. Der zweite Grund ist der Krieg zwischen der Nato und Russland in der Ukraine, der sowohl Russland als auch die Ukraine daran hindert, ihren Weizen zu exportieren.

Eine Woche vor dem Streik hatte die tunesische Finanzministerin Sihem Boughdiri erklärt, die Kosten für die Weizensubventionen würden dieses Jahr um eine Milliarde Dinar auf 4,2 Milliarden Dinar (1,3 Milliarden Euro) steigen. Das entspricht laut Boughdiri 3,5 Prozent des tunesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und dem Jahresetat des Gesundheits- und Arbeitsministeriums. Ähnlich wie der Internationale Währungsfonds (IWF), der „strikte Begrenzungen der Lohnkosten“ und „gezieltere Subventionen“ fordert, rief auch Boughirdi zu einer „stufenweisen Überprüfung der Subventionen für Grundnahrungsmittel“ auf, „ohne sie jedoch ganz abzuschaffen“.

Im Januar 2021, zehn Jahre nach dem Sturz von Präsident Zine El Abedine Ben Ali durch einen revolutionären Aufstand der tunesischen Arbeiterklasse, gingen in Tunis und im Rest des Landes erneut Jugendliche auf die Straße, um für demokratische Rechte und gegen die bereits damals rasant steigenden Lebensmittelkosten zu protestieren.

Ein Jugendlicher in Tunis erklärte gegenüber der Presse: „Die Menschen haben Hunger. Sie wollen sich am Staat rächen. Ich bin ganz ehrlich, sie wollen eine neue Revolution.“ Sein Freund erklärte: „Die Polizei traut sich hier nicht her. Sogar die tunesischen Medien kommen nicht her. Niemand hört sich an, was wir zu sagen haben.“

Ein Händler, der Lebensmittel aus dem Umland nach Tunis bringt, erklärte: „Jeder, mit dem ich [in den Dörfern] gesprochen habe, war wütend. Das gilt für alle Altersgruppen. Sogar zehnjährige Kinder sind wütend. ... Ich sehe zehnköpfige Familien, die sich [die Lebensmittelpreise] nicht leisten können. Sie haben nicht mal 200 Millimes für ein Baguette.“

In diesem Jahr steigen die Inflation und vor allem die Lebensmittelpreise weltweit extrem an, was durch den Krieg zwischen der Nato und Russland noch weiter befeuert wird. Die Saïed-Regierung und der IWF wollen die tunesischen Arbeiter aushungern, indem sie die staatlichen Subventionen kürzen, die bisher verhindert haben, dass Brot durch Spekulationen auf den globalen Getreidemärkten unbezahlbar wird. Gleichzeitig erreichen die Wut und der Widerstand der Arbeiterklasse ein explosives Ausmaß.

Die Bürokratie der tunesischen Gewerkschaft UGTT, lange Zeit eine tragende Säule des Ben-Ali-Regimes, die jetzt eng mit Saïed und den internationalen Banken zusammenarbeitet, sah sich gezwungen, für den 16. Juni einen eintägigen Generalstreik auszurufen. Die Resonanz in der Arbeiterklasse war gewaltig. Flughäfen, öffentliche Verkehrsmittel, Postämter, Energiekonzerne, Häfen, Weizen-, Treibstoff- und Phosphatmonopole und andere Betriebe blieben am 16. Juni geschlossen. Ganze 96,2 Prozent der UGTT-Mitglieder nahmen an dem Streik teil.

Die UGTT-Funktionärin Naza Zuhein erklärte bei einer Demonstration von streikenden Arbeitern in Tunis gegenüber der Nachrichtenagentur AP: „Unsere Löhne sind niedrig und die Preise steigen... gleichzeitig ist [Kais Saïed] sehr starrköpfig. Er trifft Entscheidungen allein, ohne uns hinzuzuziehen.“ Sie betonte, das Leben in Tunesien sei „unmöglich geworden“.

Ein anderer Arbeiter neben Zuhein beschwerte sich: „Auf uns als Bürger, als Beschäftigte im öffentlichen Dienst, wird ein großer Teil der Staatsschulden abgeladen.“

Saïed wahrte ein ohrenbetäubendes Schweigen über den Streik und verzichtete auf eine öffentliche Äußerung. Allerdings hat seine Regierung eindeutig Angst vor der wachsenden Wut der Arbeiterklasse. Mazri Haddad, ein Partner Saïeds und enger Unterstützer von Ben Ali, bevor dessen Regime von den Arbeitern gestürzt wurde, verurteilte den Streik als Verrat: „Die Entscheidung der UGTT für einen Generalstreik ist eine anti-nationale Aktion, die den Charakter des Hochverrats trägt und eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellt.“

Trotz der zunehmenden Panik in der Saïed-Regierung betonen die US-amerikanischen und globalen Finanzinstitute, eine enge Zusammenarbeit mit der UGTT-Bürokratie sei die einzige Hoffnung, Hungerbedingungen durchzusetzen, ohne einen neuen Aufstand der Arbeiterklasse auszulösen. Die Ratingagentur Fitch schrieb: „Es wäre eine Herausforderung, politische und wirtschaftliche Reformen ohne die Unterstützung der UGTT zu verabschieden.“

In Wirklichkeit haben die letzten zehn Jahre unmissverständlich gezeigt, dass die tunesische Bourgeoisie und die UGTT politisch bankrott sind. Sie sind nicht in der Lage, ein demokratisches Regime an die Macht zu bringen und die Vorherrschaft des Imperialismus über Tunesien zu brechen. Gleichzeitig sind die Arbeiter und Jugendlichen weiterhin unzufrieden. Kais Saïed steht beispielhaft für diesen politischen Bankrott. Er wurde ursprünglich als Kämpfer gegen die Korruption dargestellt, hat letztes Jahr jedoch das Parlament suspendiert und versucht jetzt, eine absolute Herrschaft über Tunesien zu errichten.

Mehr noch als im Jahr 2011, als der Aufstand in Tunesien einen revolutionären Kampf in Ägypten auslöste und zum Sturz von Präsident Hosni Mubarak führte, ist die politische Krise in Tunesien jetzt unmittelbar mit den weltweiten Bedingungen und dem internationalen Klassenkampf verbunden. Nachdem die großen Zentralbanken zehn Jahre lang rücksichtslos Geld gedruckt haben, um die Banken und Superreichen zu retten, explodieren die Preise weltweit. Und der Krieg zwischen Russland und der Nato in der Ukraine schafft die Bedingungen für eine schreckliche Hungersnot in Nordafrika und weltweit.

Afrika bezieht insgesamt 44 Prozent seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Tunesien bezieht sogar mehr als 70 Prozent seines Weizens aus der Ukraine. Da Washington jedoch droht, die russischen Dollar-Bestände in internationalen Banken zu konfiszieren, und die ukrainischen Häfen vermint sind und von russischen Kriegsschiffen blockiert werden, ist es für Tunesien und die Länder in ganz Afrika unmöglich, dringend benötigte Lebensmittel und Getreide zu importieren.

Diese Bedingungen treiben die Arbeiter zu Streiks und Protesten für Lohnerhöhungen und für den Schutz vor steigenden Preisen – nicht nur in Tunesien, sondern weltweit. Für Montag sind in Marokko und Belgien eintägige landesweite Streiks im öffentlichen Dienst geplant; am letzten Freitag kam es bereits in Italien zu einem eintägigen Streik. Die spanischen Stahlarbeiter und Briefträger und die französischen Lastwagenfahrer streiken genauso wie das Flughafen- und Airline-Personal in ganz Europa.

Die bevorstehenden Kämpfe zwischen der Arbeiterklasse und dem Saïed-Regime sowie seinen Verbündeten in der UGTT-Bürokratie sind mit wichtigen Lehren für die Arbeiter in Tunesien und der ganzen Welt verbunden. Dass der Aufstand in Tunesien von 2011 seine Ziele nicht erreichen konnte, lag nicht daran, dass die Arbeiterklasse nicht gekämpft hätte. Sie kämpfte mit großer Kraft, aber sie hatte keine revolutionäre internationalistische Perspektive und Führung, die es ihr ermöglicht hätte, nach dem Sturz von Ben Ali die Macht in die eigenen Hände zu nehmen.

In Tunesien wird immer offener anerkannt, dass Saïeds Versuch, eine Ein-Mann-Diktatur zu errichten, mit wirtschaftlichen Problemen verbunden ist, die tief in der sozialen Ungleichheit verwurzelt sind.

Der Ökonom Professor Fadhel Kaboub von der Universität Denison erklärte gegenüber Arab News: „Dieser Streik ist der Höhepunkt des kollektiven Versagens von zehn aufeinanderfolgenden Regierungen, der UGTT, des IWF und der internationalen Partner Tunesiens. Der Übergang zur Demokratie ging nicht mit irgendeiner Änderung der wirtschaftlichen Struktur des Landes einher.“

Das bestätigt die Einschätzung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) zu Beginn der tunesischen Revolution im Jahr 2011. Das IKVI erklärte damals, dass die entscheidende Aufgabe in der Entwicklung des revolutionären Kampfs in Tunesien als Teil eines internationalen Kampfs der Arbeiterklasse für den Sozialismus und zum Sturz des kapitalistischen Systems bestehe. Dies erfordere zuallererst den Aufbau einer trotzkistischen revolutionären Führung in der Arbeiterklasse:

Weil sie schwach und abhängig und mit tausend Fäden mit dem Imperialismus und einheimischen feudalen Kräften verbunden ist, hat die Bourgeoisie von Ländern wie Tunesien viel mehr Angst vor der revolutionären Kraft der Arbeiterklasse, als vor dem Imperialismus. ... Ohne den Aufbau einer revolutionären Führung wird als Ersatz für Ben Ali zwangsläufig wieder ein autoritäres Regime installiert werden.

Die bevorstehenden Kämpfe der tunesischen und internationalen Arbeiterklasse gegen die Inflation und die Gefahr eines Weltkriegs verleihen dieser Erklärung neue politische Bedeutung.

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