Acht Wochen Pflegestreik in NRW

Seit nunmehr acht Wochen streiken schon die Pflegekräfte an den Unikliniken Nordrhein-Westfalens. Sie kämpfen gegen chronisch unterbesetzte Krankenstationen und ein kaputtgespartes Gesundheitssystem. Sie fordern verbindliche Regeln für eine echte Entlastung für alle, deutlich mehr Personal und bessere Ausbildungsbedingungen.

Seit Dienstag wird in Köln verhandelt, und Streikende campieren Tag und Nacht in Zelten vor dem Verhandlungsort, dem Kölner Uniklinikum.

Ihr Pflegestreik hat den Pflegenotstand in den Fokus gestellt, der schon vor der Corona-Pandemie durch jahrzehntelange Spar- und Deregulierungsorgien unerträglich geworden war. Während der Pandemie hat die Profite-vor-Leben-Strategie der Regierungen die Missstände drastisch verschlimmert. Und seit dem Ukrainekrieg mauern die Verantwortlichen erst recht. Die Ampel in Berlin hat die „Zeitenwende“ verkündet und alle etablierten Parteien sind entschlossen, die Kosten der Militarisierung auf die Arbeiter abzuwälzen.

Pflegekräfte der nordrhein-westfälischen Unikliniken demonstrieren in Düsseldorf, 12. Mai 2022 (Foto: WSWS)

In den Krankenhäusern fehlen allein in NRW rund 20.000 Fachkräfte, und weitere 14.000 Stellen sind in der Altenpflege unbesetzt. Dadurch lastet auf den Pflegekräften ein unerträglicher Druck. Doch die prekäre Situation ist gewollt. An jeder unterbesetzten Schicht machen die Krankenhausbetreiber Gewinn. Wie das Aktionskomitee Pflege schreibt, lässt „jeder psychische und physische Zusammenbruch von Kolleginnen und Kollegen wegen Überarbeitung und jeder unterversorgte Patient die Kasse der Unternehmen klingeln“.

Der von der Gewerkschaft Verdi geforderte Entlastungstarifvertrag (TV-E) wird an dieser Misere nichts ändern, sondern dient nur dazu, die Beschäftigten mit einigen kosmetischen Korrekturen ruhig zu stellen und die Dauerüberlastung zu legitimieren. Doch die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), der Arbeitgeberverband des Landes Nordrhein-Westfalen (AdL NRW), die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Vorstände der sechs landeseigenen Unikliniken sind nicht einmal bereit, den Beschäftigten diese Krümel zu überlassen.

Während die Bundesregierung 100 Milliarden in Aufrüstung und Krieg investiert, sollen die Gesundheitsarbeiter, die seit zweieinhalb Jahren in der Pandemie Übermenschliches leisten, leer ausgehen.

Noch im Wahlkampf vor der Landtagswahl am 15. Mai hatten NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und sein Gesundheitsminister, Karl-Josef Laumann (CDU) die Einführung eines Tarifvertrags Entlastung (TV-E) in der Pflege ausdrücklich angekündigt. Ihre Wahlkampfversprechen sind seither verpufft wie heiße Luft.

Am 7. Juni versuchten die Universitätskliniken, den Streik mit einem „Angebot“ zu beenden, das eher eine Beleidigung für die Beschäftigten war. Es sah fünf zusätzliche Freischichten vor – allerdings nur für die unmittelbare Pflege am Bett, und ohne die Mittel für notwendige zusätzliche Fachkräfte bereitzustellen, wo doch die Pflegekräfte schon bisher sehr oft aus dem Frei zur Arbeit gerufen werden. Zudem wäre bei diesem „Angebot“ das Personal der Notaufnahme, der Anästhesie, von Radiologie und Labor, der Kitas, der Fahrdienste, der Physiotherapie, der Servicebereiche, etc. leer ausgegangen.

Mehrere hundert Streikende haben am letzten Dienstag dagegen protestiert und in Münster einen weiteren zentralen Streiktag abgehalten. „Wir brauchen mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen für alle“, sagte dort eine Anästhesieschwester den Westfälischen Nachrichten, „denn Krankenhaus ist Teamarbeit (…) Wir lassen uns nicht spalten.“

Am 13. Juni versuchte die Leitung der Uniklinik in Bonn, den Streik über eine einstweilige Verfügung zu stoppen. Daraufhin versammelten sich in Essen rund 100 Streikende und zogen in die Vorstandsetage. Das Management rief die Polizei, um die Streikenden aus dem Gebäude zu drängen, und die Arbeitgeberseite sagte einen für diesen Tag angesetzten Verhandlungstermin kurzfristig ab. Trotz eines Beschlusses des Arbeitsgerichts, dass der Streik rechtmäßig und verhältnismäßig sei, geht die Unkiklinik Bonn jetzt in die Berufung und versucht weiter, den Arbeitskampf verbieten zu lassen.

Die wirkliche Haltung der Politiker zum Pflegenotstand zeigte sich am 20. Juni in der Kölner Ratssitzung. Dort wurde ein Antrag zur Unterstützung des Pflegestreiks mit den Stimmen von CDU, FDP, den Grünen und von Volt abgelehnt. Besonders beschämend waren die Ausführungen des Grünen Stadtrats Dr. Ralf Unna, eines Tierarztes. Unna begründete seine Ablehnung nicht nur mit der „Nicht-Einmischung in die Tarifautonomie“, wie das auch CDU, FDP und die rechtsextreme AfD taten. Er verwies auf einen möglichen Dominoeffekt, den ein Streikerfolg der Pflegekräfte auf die Klinik der Stadt Köln und andere Krankenhäuser hätte. „Das Ganze könnte so richtig nach hinten losgehen“, sagte der Grüne Ratsherr, der sich offenbar nichts Schlimmeres vorstellen kann als bessere Arbeitsbedingungen an den städtischen Krankenhäusern.

Was die SPD betrifft, so ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gerade dabei, die kostenlosen Corona-Bürgertests abschaffen, um Geld zu sparen. Auch andere notwendige Maßnahmen für den Kampf gegen die Pandemie lehnt er vehement ab. Und dies obwohl sich gerade eine neue Subvariante des Corona-Virus stark ausbreitet. Damit kommen auf die Pflegekräfte im Herbst und Winter noch mehr Stress und erneut überfüllte Kliniken zu.

Dies alles zeigt, dass die Pflegekräfte ihren Kampf noch deutlich ausweiten und sich mit einer klaren Strategie und Perspektive bewaffnen müssen. Was effektiv nötig ist, das hat das Aktionskomitee Pflege in seinem Gründungsaufruf klar formuliert: „Nötig ist ein milliardenschweres Investitionsprogramm und die Umstrukturierung der Krankenhäuser entlang den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Patienten“. Das Aktionskomitee hat folgende Mindestforderungen aufgestellt:

  • Für jede unterbesetzte Schicht müssen Beschäftigte einen Ausgleich in Höhe des Lohns der ausgefallenen Kraft plus 50 Prozent Stress-Zulage erhalten! Wer für zwei arbeitet, muss auch für zwei entlohnt werden! Nur so kann das perfide System beendet werden, in dem sich die Unternehmen an der Unterbesetzung auf Kosten unserer Gesundheit bereichern!
  • Sofortige Verdoppelung des Personals! Jeder von uns weiß, dass eine angemessene Pflege nur mit einer massiven Aufstockung und einer Rücknahme aller Personalkürzungen möglich ist!
  • Das ist nur möglich, wenn Pflegerinnen und Pfleger endlich angemessen entlohnt werden. Angesichts der Inflation von 20 bis 50 Prozent bei Lebensmitteln bedeutet die derzeitige Nullrunde einen nicht hinnehmbaren Lohnverlust. Um diesen und die vorherigen Reallohnsenkungen auszugleichen, müssen die Löhne um mindestens 30 Prozent erhöht und gleitend an die Inflation angepasst werden!
  • 100 Milliarden für Gesundheit statt für Aufrüstung! Jahrelang wurden die Kliniken mit dem Argument kaputtgespart, es sei kein Geld da. Nun werden horrende Ressourcen aufgewandt, um Deutschland zur größten Militärmacht Europas hochzurüsten. Das Geld muss stattdessen in die Pandemiebekämpfung und den massiven Ausbau des Gesundheitssystems investiert werden!

Um diese Minimalforderungen durchzusetzen, müssen die Streikenden der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi das Mandat entziehen. So wie Verdi 30 Jahre lang Privatisierung und Deregulierung mitgetragen und gegen die Beschäftigten durchgesetzt hat, steht die Gewerkschaft auch jetzt auf der Seite von Regierung und Unternehmen. Ihr geht es nicht darum, die unerträgliche Situation der Beschäftigten zu verbessern, sondern sie zu legitimieren.

Die Bedingungen für den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees reifen schnell heran. Der Pflegestreik ist Teil eines wachsenden Konflikts zwischen der ganzen Arbeiterklasse und den Herrschenden. Allein in diesem Monat finden nach den Ärztestreiks vom Mai nun Warnstreiks von Pflegekräften in Niedersachsen bei Helios und in Hessen an den Unikliniken Gießen und Frankfurt statt. In ganz Europa streiken Ärzte, Piloten und Eisenbahner gegen den ständig wachsenden Druck und die gefährlichen Arbeitsbedingungen.

Die World Socialist Web Site unterstützt den Aufbau von Aktionskomitees in jeder Klinik und an jedem Arbeitsplatz! Nehmt mit dem Aktionskomitee Pflege Kontakt auf über die WhatAapp Nummer: +49 1520 3521345 und beteiligt euch daran, die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) aufzubauen!

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