Kolumbien: Der neue Präsident Gustavo Petro lobt den Kapitalismus, das Militär und die politische Rechte

Am 7. August wurde Gustavo Petro als Präsident von Kolumbien vereidigt. Er ist der siegreiche Kandidat der pseudolinken Koalition Pacto Histórico (Historischer Pakt). Anders als in früheren Jahren verfolgten große Menschenmengen die Zeremonie in der Innenstadt, um den ersten „linken Präsidenten“ Kolumbiens zu feiern.

Senatspräsident Roy Barreras richtet Gustavo Petro die Präsidentenschärpe. Bogotá, 7. August 2022 (Foto: Nelson Cárdenas - Presidencia de Colombia)

An der Zeremonie nahmen als weitere Ehrengäste Politiker der kolumbianischen Rechten, wichtige Geschäftsleute und internationale bürgerliche Spitzenpolitiker teil. Unter ihnen waren der faschistische Kandidat Rodolfo Hernández (Petros unterlegener Gegenkandidat), König Felipe VI. von Spanien, sowie die „linken“ lateinamerikanischen Präsidenten Gabriel Boric (Chile), Luis Arce (Bolivien) und Alberto Fernandéz (Argentinien).

Petro tritt das Präsidentenamt von Kolumbien in einer Situation der ausufernden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise an. Er wird eins der sozial ungleichsten Länder der Welt regieren, in dem seit Jahrzehnten blutige staatliche Gewalt regiert. Die Klassenspannungen sind so scharf, dass der Fortbestand der bürgerlichen Herrschaft gefährdet ist.

Im Wahlkampf hatte Petro versucht, auf den massiven Widerstand gegen das korrupte politische System einzugehen, denn während der Amtszeit des rechten Präsidenten Iván Duque war es zu einer Welle von landesweiten Demonstrationen und Streiks gekommen.

Als der Pacto Histórico die Parole „Politik der Liebe“ prägte, sahen die Wähler darin ein Versprechen, die unerträgliche Gewalt und die Austeritätspolitik zu beenden. Sicherlich hatten sie den „Falsos-Positivos-Skandal“ nicht vergessen, bei dem während der Amtszeit von Álvaro Uribe mehr als 6.000 Bürger ermordet und fälschlicherweise als im Kampf gefallene „Guerillas“ dargestellt wurden. Auch die Duque-Regierung ließ Hunderte Menschen, die an regierungsfeindlichen Demonstrationen teilnahmen, vom Militär ermorden.

Aber Petros Wähler hatten wohl kaum erwartet, dass seine „Liebe“ tatsächlich den alten Reaktionären und dem Militär gilt, den verhassten Feinden der Arbeiterklasse. Seine Antrittsrede am Sonntag und die Vorbereitungen auf seinen Regierungsantritt verdeutlichen den grundlegend reaktionären Inhalt seines „Großen Nationalen Vertrags“.

In den Wochen seit seinem Wahlsieg am 19. Juni hat Petro der kolumbianischen herrschenden Elite durch seine Treffen mit Rodolfo Hernandéz und Uribe ein wichtiges Signal gesendet. Nach dem Treffen mit Uribe erklärte der pseudolinke Präsident auf Twitter: „Wir haben Differenzen und Gemeinsamkeiten gefunden.“ Und als er ein Foto postete, auf dem er Hernandéz die Hand schüttelt, kündigte er an: „Wir werden sicher eine nationale Einigung erzielen.“

Das neue Kabinett wurde nach den gleichen Prinzip zusammengestellt: Die rechten Parteien und Politiker, die von der kolumbianischen Bevölkerung massiv abgelehnt werden, haben das unbestreitbare Recht, an den Entscheidungen der gewählten Regierung mitzuwirken. Schlüsselpositionen, angefangen mit dem Finanzminister José Antonio Ocampo, wurden besetzt, weil sie die Konsenskandidaten der kolumbianischen Bourgeoisie waren.

In seiner Antrittsrede sah sich Petro gezwungen, auf zentrale Probleme der kolumbianischen Massen einzugehen, wie die soziale Ungleichheit, die staatliche Gewalt, die Umweltkrise und die Korruption des politischen Systems. Allerdings stellte er auch klar, dass die Lösung keine Gefahr für das kapitalistische System und seinen Staat darstellen dürfe.

Dass „zehn Prozent der kolumbianischen Bevölkerung 70 Prozent des Reichtums besitzen“, bezeichnete er als „unsinnig und unmoralisch“ und betonte: „Gleichheit ist möglich, wenn wir Reichtum für alle schaffen können.“ In seiner kapitalistischen Fiktion ist die „Verteilung des Reichtums“ einfach gleichbedeutend mit dem „solidarischen Beitrag, den ein Reicher an die Gesellschaft leistet, die sein Vermögen zulässt und sicherstellt“.

Petro hat es sich zur Aufgabe gemacht, „den Kapitalismus in Kolumbien zu entwickeln“. Seine „progressive“ Rhetorik gründet sich auf einen Mythos, der in der Geschichte immer wieder widerlegt worden ist: Die Akkumulation von Reichtum durch die Kapitalistenklasse würde die wirtschaftliche Lage der gesamten Gesellschaft verbessern.

Karl Marx schrieb vor 150 Jahren: „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“

Diese grundlegende Wahrheit über die kapitalistische Produktionsweise ist heute offensichtlicher als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der Geschichte. Die brutale soziale Ungleichheit ist keine kolumbianische „Anomalie“, wie Petro es behauptet. In einer Welt, in der die zehn reichsten Personen während einer tödlichen Pandemie ihr Vermögen verdoppeln können, während 160 Millionen Menschen in die Armut gestürzt werden, ist die kolumbianische Realität zunehmend die allgemeine Regel.

Petros Rede wurde von den Mainstreammedien eindeutig als Signal an das Großkapital verstanden. El Tiempo veröffentlichte am Sonntag einen Leitartikel, in dem das Blatt zwei zentrale Punkte hervorhob: das „Versprechen, keine konfiszierenden Steuern zu erheben, und seine Betonung, wie wichtig es sei, dass die Gesellschaft durch ,Arbeit und Produktion‘ Wohlstand schaffe“.

Anfang letzter Woche legte Petro die „Steuerreform“ vor, die Finanzminister Ocampo ausgearbeitet hat. Auch sie zeigt deutlich, dass sein Wahlversprechen, eine Steuererhöhung werde nur die 4.000 reichsten Kolumbianer betreffen, völlig falsch war. Die Erhöhung wird all diejenigen treffen, die mehr als zehn Millionen Pesos pro Monat verdienen (umgerechnet etwas mehr als 2.000 Dollar), d.h. auch Teile der Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht, sowie Konsumgüter wie Nahrungsmittel und Treibstoff betreffen.

Petros prokapitalistisches, auf die Grenzen des bürgerlichen Nationalstaats begrenztes Programm ist völlig bankrott. Das zeigt sich am offensten in der Art und Weise, wie er an die internationale Politik herangeht.

Er behauptet, Klimawandel sei eine „dringliche Realität“, auf die die Welt eine „wirtschaftlich, sozial und umweltpolitisch nachhaltige Antwort“ finden müsse. Dabei verweist er jedoch auf das internationale Finanzkapital als Werkzeug dieses Wandels: „Wenn der IWF dabei hilft, Schulden einzutauschen gegen konkrete Maßnahmen gegen die Klimakrise, dann werden wir eine florierende neue Wirtschaft und ein neues Leben für die Menschheit bekommen.“

Neben seinen Freunden beim IWF rief Petro auch lateinamerikanische Staatschefs, darunter faschistische Politiker wie den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien, dazu auf, „Blöcke, Gruppen und ideologische Differenzen hinter sich zu lassen und zusammenzuarbeiten“.

Petros Projekt, die Grundlagen der kapitalistischen Ausbeutung in Kolumbien zu erhalten, erfordert die vollständige Entwaffnung der Arbeiterklasse. Dies in einer Situation, in der ihr von Seiten ihrer Klassenfeinde enorme Gefahren drohen. In einer der übelsten Passagen seiner Antrittsrede wendet er sich an das Militär:

„Armee, Gesellschaft und Produktion können sich in einer neuen, unzerstörbaren sozialen Ethik vereinen. Hubschrauber, Flugzeuge und Fregatten können nicht nur schießen und Bomben abwerfen, sondern auch die erste präventive Gesundheitsinfrastruktur für die kolumbianische Bevölkerung schaffen.“

Diese kriminelle Selbstgefälligkeit eröffnet der herrschenden Klasse eindeutig den Weg für eine Offensive gegen die Arbeiterklasse. Wie zahlreiche Beispiele aus der Geschichte Lateinamerikas – vor allem der Putsch in Chile 1973 – zeigen, warten die Generäle trotz Petros immer tieferen Kotaus vor dem Militär auf den besten Moment, um eine aggressive Diktatur zu errichten und eine Welle der Gewalt gegen die Arbeiterklasse zu entfesseln.

Bereits Petros erste Tage als kolumbianischer Präsident bestätigen den grundsätzlich reaktionären Charakter der so genannten „linken“ Regierungen der „Rosa Welle“. Ihre Versprechen, einen „neuen Weg zum Sozialismus“ einzuschlagen, haben sich angesichts der Krise der Rohstoffpreise in Luft aufgelöst. In ihrer neuen Form haben diese Regierungen selbst den kleinsten Hauch von „Rosa“ verloren. Egal ob Boric in Chile oder Pedro Castillo in Peru, sie alle haben es sich zur Aufgabe gemacht, kapitalistische Angriffe umzusetzen und die Unterdrückung der Arbeiterklasse zu verschärfen. Dies stärkt gleichzeitig die faschistischen Kräfte, die sich anschicken, die Macht zu übernehmen.

Pseudolinke Organisationen wie die Democratic Socialists of America (DSA) unterstützen diese Regierungen und behaupten wie das Magazin Jacobin, in Kolumbien werde es unter Petro „gerechter und friedlicher zugehen“. Dies zeigt deutlich, wie wichtig es ist, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen und in Lateinamerika ihre revolutionäre Führung, das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI), aufzubauen.

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