Maroder Wohnheimkomplex in München wirft Schlaglicht auf dramatische Situation von Studierenden

Die Zahl der Studierenden, die vor dem finanziellen Abgrund stehen, wächst immer weiter. Ein Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands vom Mai dieses Jahres verdeutlicht, dass Studierende seit Jahren von der Politik mit Almosen abgespeist werden.

Studentenstadt München

Laut der aufschlussreichen Studie waren 2019 etwa 30 Prozent der Studierenden von Armut betroffen. Die Zahl der BAföG-Bezieher ist von 18,4 Prozent im Jahr 2010 auf 11,3 Prozent 2020 gesunken, da die staatliche Unterstützung den Lebensbedingungen von Studenten völlig unzureichend angepasst wurde.

Die Armutsquote unter Studierenden liegt damit fast doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung mit 16,8 Prozent.

In der Studie noch nicht berücksichtigt sind die drastischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Viele studentische Nebenjobs sind seit Beginn der Pandemie weggebrochen, was die finanzielle Not weiter verschärft hat. Die Folge sind immer häufigere Studienabbrüche und eine höhere Verschuldung.

Die ohnehin bereits brisante Situation spitzt sich auch für Studierende durch den Stellvertreterkrieg der USA und der Nato in der Ukraine immer weiter zu.

Die Inflation lag im August bei knapp acht Prozent, und die Energiekrise nimmt immer schärfere Formen an. Gleichzeitig steigen die Mieten unaufhörlich und Wohnheimplätze werden wissentlich verknappt, wie ein Streit um die Sanierung der Studentenstadt in München zeigt.

Die Mieten für Studentenwohnungen sind in mehr als 75 Prozent der deutschen Städte innerhalb der letzten zwölf Monate stark gestiegen. Den größten Anstieg verzeichnen mit 16 Prozent Potsdam, Bremen und Gießen.

Nach Angaben des Immobilienportals immowelt sind Mieten für Studentenwohnungen in München mit Abstand am teuersten. Für eine Wohnung mit 40 Quadratmetern muss ein Student mit 840 Euro tief in die Tasche greifen. Vor einem Jahr waren es bereits 760 Euro.

Das Studentenwerk München geht „aufgrund der drastisch gestiegenen Energiekosten“ von einer Steigerung der Nebenkosten von 30 bis 40 Prozent für das Abrechnungsjahr 2021/2022 aus. Im nächsten Abrechnungsjahr steht den Studierenden eine weitere Erhöhung der Nebenkosten von 40 bis 50 Prozent bevor. Für viele ist das schlicht unbezahlbar.

In anderen Universitätsstädten ist die Lage ähnlich katastrophal. Laut dem Studierendenwerk Darmstadt sind die Nebenkosten seit Juli um 17 Prozent gestiegen, das Studentenwerk Gießen spricht von 16 Prozent. Das Studierendenwerk Berlin erhöht ab dem 1. Januar 2023 die Mieten um 60 Euro pro Monat auf durchschnittlich 329 Euro – eine Mietsteigerung von knapp einem Viertel.

Aber das ist noch nicht alles: Laut der Energiewirtschaftsstelle des Landes Berlin kommt auf die insgesamt 9.189 Wohnplätze in Berlin ab dem nächsten Jahr eine Explosion der Energiepreise von etwa 200 Prozent hinzu. Allein im Vergleich zum August 2021 sind die Energiepreise um 35,6 Prozent gestiegen.

Im Juli wurde der maximale Fördersatz für Studierende durch die BAföG-Reform gerade einmal um 5,75 Prozent auf 427 Euro angehoben. Der Mietzuschuss wurde um lächerliche 35 auf 360 Euro erhöht. Gemessen an der Inflation steht Studierenden also noch weniger Geld zur Verfügung als vorher.

Weder der einmalige Zuschuss in Höhe von 230 Euro für BAföG-Empfänger, noch die im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung festgelegte Einmalzahlung für Studierende in Höhe von 200 Euro werden die desaströse Situation entschärfen. Besonders das Entlastungspaket ist nur Beiwerk zu der extremen Umverteilung von unten nach oben, die Regierung und Unternehmen gerade organisieren.

Verschärft wird die Situation in den Universitätsstädten durch fehlende Studentenwohnheime. Laut dem Jahresbericht des Studentenwerks München für 2021 bewarben sich 14.000 Studierende für einen Wohnheimplatz. Aber nur etwas mehr als 4.000 unterschrieben einen Mietvertrag. Im Dezember 2021 standen über 13.000 Studierende auf der Warteliste, womit die Wartezeit bis zu fünf Semester beträgt.

Insgesamt könnte das Studentenwerk München 11.242 Zimmer und Apartments in München und der näheren Umgebung zur Verfügung stellen. Doch die verfügbaren Wohnheimplätze sind aufgrund von Leerständen für 2019 und 2020 auf 9.905 gesunken.

Ein Schlaglicht auf die dramatische Situation wirft ein Streit um die Sanierung der Studentenstadt, dem größten Wohnheimkomplex Deutschlands im Norden Münchens. Er steht stellvertretend für das Versagen der bayerischen Staatsregierung und des Studentenwerks München.

Derzeit stehen erhebliche Teile der Studentenstadt leer. Eigentlich könnten dort knapp 2.500 Studierende leben, aktuell sind es jedoch gerade einmal 1.000. Drei von vier Hochhäusern sind derart marode, dass sie nicht mehr bewohnbar sind.

Das Studentenwerk München übernahm den Gebäudekomplex erst 2015 vom Verein Studentenstadt München e.V. Die ältesten Gebäude sind bereits über 50 Jahre alt. Bisher wurden zwischen 2016 und 2019 lediglich drei von insgesamt 14 Atriumhäusern vollständig saniert.

Wie dramatisch der Zustand der Studentenstadt tatsächlich ist, offenbarte ein schrecklicher Brand im „Roten Haus“ im Februar 2021. Eine 23-jährige Studentin starb an einer schweren Rauchvergiftung, ein 28-Jähriger wurde schwer verletzt. Beide hatten fatalerweise versucht, sich über das stark verqualmte Treppenhaus des sechs Stockwerke hohen Gebäudes zu retten.

Als Brandursache gilt laut den Brandfahndern des Polizeipräsidiums München und des Landeskriminalamts ein technischer Defekt in der sich im Keller befindlichen Sauna des Wohnheims, die damals aufgrund der Pandemie-Maßnahmen gesperrt war. Die Ermittlungen dauern derzeit noch an, die kommissarische Geschäftsführerin des Studentenwerks, Ursula Wurzer-Faßnacht, hüllt sich dazu in Schweigen.

Weitere Gutachten offenbarten umfassende Brandschutzdefizite in der Studentenstadt, woraufhin im Verlauf des vergangenen Jahres zwei weitere Wohnkomplexe leergezogen werden mussten.

Laut der Süddeutschen Zeitung (SZ) hatte ein Experte das Studentenwerk bereits Monate vor dem Brand auf „gravierende Mängel“ beim Brandschutz hingewiesen. Das Studentenwerk wusste also um den Zustand der Anlage. Die Mängel wurden anschließend notdürftig beseitigt, um das Haus – ungeachtet der nach wie vor bestehenden Lebensgefahr für die Bewohner – noch auf Jahre ohne die nötigen Investitionen weiter nutzen zu können.

Teile der Studentenstadt entgingen Anfang 2021 einer Zwangsräumung, da in den Treppenhäusern Rettungswege vorhanden waren und deshalb keine „erhebliche Gefahr“ festgestellt werden konnte. Auch ein privater Sachverständiger hielt die weitere Nutzung des „Roten Hauses“ für vertretbar. Auch im „Orangen Haus“ gab es gravierende Mängel beim Brandschutz, es blieb jedoch auch nach dem Brand noch weitere acht Monate bewohnt.

Ein Sprecher des Studentenwerks betonte gegenüber der SZ skrupellos, „das Wohl“ der Bewohner stehe „jederzeit an erster Stelle“. In der Vergangenheit sei es zu keinen Fehlern oder Versäumnissen gekommen, da der Brandschutz „laufend“ untersucht worden sei. Die zusätzlichen Maßnahmen, die nach dem Brand beispielsweise in Form einer Brandwache ergriffen wurden, zeugten von einer „unbedingten Priorität“ für Sicherheit. Die Aussagen des Sprechers sind an Zynismus kaum zu übertreffen.

Einer weiteren Wohnanlage des Studentenwerks wurde laut dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG ein „sehr schlechter“ Brandschutz bescheinigt. Dies bedeutet, dass weitere Apartments nicht an Studierende vermietet werden können.

Die bayerische Staatsregierung und das Studentenwerk München schieben sich derweil gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zu – ein Lehrstück politischer Skrupellosigkeit, ausgetragen auf dem Rücken unzähliger Studierender.

Auf der einen Seite steht das Studentenwerk, das laut eigener Aussage nicht über das nötige Eigenkapital verfügt, um die Sanierung der Studentenstadt zu stemmen. Es fordert eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 24,5 Millionen Euro von der bayerischen Regierung.

Die CSU auf der anderen Seite sieht das Studentenwerk in der Verantwortung für den vermeintlich „unnötigen“ Leerstand in der Studentenstadt. Im vergangenen März ging der Ausschussvorsitzende für Wissenschaft, Robert Brannekämper (CSU), sogar soweit, gegenüber der SZ von einer vorschnellen Räumung der Hochhäuser im Münchner Norden zu sprechen.

Vor rund zwei Wochen schlug der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) zudem vor, die Mieten für Studentenwohnheime zu erhöhen. Studenten sollen also selbst für die Sanierung der Studentenstadt und weiterer Wohnheimkomplexe aufkommen.

Die Ignoranz um die Sanierung der Studentenstadt erinnert stark an den Juni 2017, als in London 72 Menschen bei dem katastrophalen Hochhausbrand des Grenfell Towers ums Leben kamen – doch für die Bourgeoisie spielt ein Menschenleben mehr oder weniger keine Rolle.

Während für Bildung und Wohnen angeblich kein Geld vorhanden ist, beschloss die Bundesregierung im Februar, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auszustatten. Zum Vergleich: Die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung wurden von 20,82 Milliarden Euro (2021) auf aktuell 20,39 Milliarden Euro gesenkt. Für nächstes Jahr ist eine lächerliche Erhöhung von 186.000 Euro geplant.

Zusätzlich werden schwere Waffen und Panzer in Milliardenhöhe an die Ukraine geliefert und damit ein dritter Weltkrieg riskiert, der das Ende der Menschheit bedeuten könnte.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) kündigte im Juli ein Förderprogramm für „Junges Wohnen“ an. Ab nächstes Jahr bis 2026 soll der Bau von neuen Wohnungen für Studenten und Auszubildende gefördert werden. Was das finanzielle Volumen des Förderprogramms betrifft, frohlockte Geywitz, es werde „sich um dreistellige Millionenbeträge handeln“.

Solche Versprechungen sind weder das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind, noch werden sie die dramatische Situation für Studierende und junge Menschen entschärfen.

Viele Studierende werden sich bereits jetzt unweigerlich fragen: Habe ich lieber ein Dach über den Kopf oder etwas zu essen? Auch Arbeiter, Familien und Rentner können die explodierenden Preise für Energie, Lebensmittel und Mieten kaum noch stemmen. Gleichzeitig lebt eine kleine Elite in Saus und Braus.

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