Griechische Bereitschaftspolizisten sind brutal gegen Studenten und Universitätsmitarbeiter vorgegangen, die gegen die Einführung einer neuen Campus-Polizei protestierten. Die sogenannten „Schutzteams für Universitätseinrichtungen“ (OPPI) wurden von der rechtskonservativen Regierung unter Nea Dimokratia (ND) eingeführt und sollen auf dem Universitätsgelände patrouillieren.
Tausende protestierten ab dem 17. September mehrere Tage lang in Athen und anderen Städten. Bei den Protesten in Athen kam es zu einem massiven Aufgebot der Bereitschaftspolizei, die gewaltsam gegen Studenten vor dem Hauptgebäude der Universität Athen vorging, wo eine Demonstration beginnen sollte. Der Journalist Savvas Karmaniolas twitterte ein Video von dem Angriff. Die Aufnahmen zeigen, wie die Polizei Studenten brutal zu Boden wirft und mit Schlagstöcken und Tränengas attackiert.
Auf einem zweiten Video, das auch von Karmaniolas veröffentlicht wurde, ist zu sehen, wie Wasserwerfer auf den Hauptstraßen eingesetzt wurden, um Studierende zu vertreiben.
Bei Aufnahmen von Ruptly sieht man verängstigte Jugendliche, die in eine U-Bahn-Station rennen, während sie mit Wasserwerfern besprüht werden.
In der zweitgrößten Stadt Griechenlands, Thessaloniki, marschierten am selben Tag Tausende durch das Stadtzentrum. Am Vortag, dem 16. September, griff die Bereitschaftspolizei Studenten an, die auf dem Campus der Aristoteles-Universität von Thessaloniki protestierten.
Bereits Anfang des Monats war es zu Demonstrationen gekommen. Am 8. September protestierten Tausende Studenten, Lehrkräfte und andere Universitätsmitarbeiter auf dem Syntagma-Platz in Athen gegen die OPPI. Auf einem großen Transparent der Athener Studentengewerkschaft an der Spitze des Marsches stand: „Universitätspolizei raus aus den Schulen! Kampf für Bildung – Arbeit – Leben“.
Das Gesetz, das den Einsatz der Polizei auf dem Campus erlaubt, wurde ursprünglich im Februar 2021 verabschiedet, aber nach Verzögerungen bei der Rekrutierung und Ausbildung sollen die OPPI erst jetzt eingeführt werden. Während die ND-Regierung der Bevölkerung weiter erdrückende Sparmaßnahmen aufzwingt, hat sie 50 Millionen Euro für die 1.000 Mann starke Universitätspolizei sowie für Kameras und Drehkreuze auf dem Campus zur Verfügung gestellt. Zunächst wird die OPPI auf drei Universitätsgeländen in Athen und auf dem Campus der Universität Thessaloniki eingesetzt. 260 der OPPI-Beamten in Athen wurden aus den Spezialeinheiten der regulären Polizei von Attika abgezogen.
Jahrelang galt in Griechenland ein Polizeiverbot auf den Universitätsgeländen. Nach dem 1982 von der sozialdemokratischen Pasok-Regierung verabschiedeten und inzwischen aufgehobenen Gesetz durfte die Polizei nur mit Erlaubnis der Universitätsleitung den Campus betreten. Das Gesetz war eine Reaktion auf die blutige Niederschlagung des Studentenaufstands von 1973 am Athener Polytechnikum (bekannt als Technische Universität Athen) durch die Militärjunta, die Griechenland von 1967 bis 1974 regierte. Damals wurden 40 Menschen getötet, davon 24 identifizierte und 16 unbekannte Opfer. Noch heute erinnern die von den Panzern zertrümmerten Eingangstore der Universität und ein Denkmal für die Opfer an das Ereignis.
Dass sich trotz des starken Regens so viele an der Demonstration in Thessaloniki beteiligten, war auch ein Ausdruck der Empörung über den Angriff der Bereitschaftspolizei am Vorabend. Polizisten hatten ohne Anlass 5.000 Besucher eines kostenlosen Konzerts des Musikers Thanassis Papakonstantinou auf dem Rasen vor der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Aristoteles-Universität angegriffen. Das Konzert war Teil des jährlichen Eleftheriako-Festivals, das von lokalen anarchistischen Gruppen organisiert wird.
Die Aktivistengruppe Menoume Energoi veröffentlichte auf ihrem YouTube-Kanal Filmmaterial von dem Moment, in dem Tränengas abgefeuert wurde und die chemische Wolke langsam auf die Menge niederging, während auf der Bühne noch eine Band spielte. Die Bereitschaftspolizei ging weiter auf die Menschen los, als sie versuchten, vor den Gaswolken zu fliehen, wie in einem Video des Reporters Chris Avramidis festgehalten wurde.
Zeugen zufolge war es reines Glück, dass der Angriff der Polizei keine Todesopfer forderte. Vassilis Maggos, ein Aktivist gegen Polizeigewalt, erklärte gegenüber der Presse: „Ich war bei dem Konzert. Alles war in Ordnung, die Leute genossen die Musik, bis die Polizei die Chemikalien einsetzte. Das war kriminell, nicht nur, weil sie es ohne Grund getan haben, sondern auch, weil das Gebiet mit nur drei schmalen Fluchtwegen gesperrt war. Einer davon wurde von ihnen geschlossen, nachdem sie das Tränengas geschossen hatten.
Der Tunnel durch die Theologische Fakultät blieb frei, von wo aus ich und viele andere Leute über den Zaun auf die Straße sprangen. Beim dritten Fluchtweg wurde mir später gesagt, dass sie auch dort mit Tränengasangriffen begannen. Es ist ein Glück, dass niemand zertrampelt wurde, als die Leute losrannten. Viele versuchten, die Lage zu beruhigen, indem sie die in Panik geratenen Menschen aufforderten, nicht zu rennen. Ich sah Menschen, die am Boden lagen und keine Luft mehr bekamen, andere, die vor lauter Verzweiflung am Ende waren, und wieder andere, die sich auf allen Vieren übergaben. Wir alle weinten. Keiner von uns hatte etwas, um seine Augen zu schützen.“
Vassilis’ Sohn Janis war vor zwei Jahren an den Folgen von Polizeigewalt gestorben. Nachdem er im Juni 2020 in der zentralgriechischen Stadt Volos von der Polizei zusammengeschlagen worden war, erlag er einen Monat später seinen Verletzungen.
Die Spannungen an der Universität von Thessaloniki verschärfen sich seit Ende letzten Jahres, als die Polizei den Studententreffpunkt der Biologie-Fakultät, das „Steki Tou Viologikou“, geräumt hatte, das seit 34 Jahren von einem anarchistischen Kollektiv betrieben wird. Als Vorwand diente den Universitätsbehörden die Absicht, dort eine wissenschaftliche Bibliothek einzurichten. Die Polizei war fast rund um die Uhr dort präsent, was zu häufigen Zusammenstößen zwischen Studenten und der Polizei führte.
Angesichts des zunehmenden Widerstands gegen das autoritäre Gesetz hat sich die Regierung dafür entschieden, die Polizeipräsenz an der Athener Universität zu verringern und die OPPI-Patrouillen auf die Bereiche außerhalb des Campus in der Stadt zu beschränken. Der konservativen Tageszeitung Kathimerini zufolge beabsichtigt sie jedoch nach wie vor, die Trupps auch innerhalb des Universitätsgeländes patrouillieren zu lassen. Die Zeitung fügte hinzu, dass die Voraussetzung dafür „die Umsetzung von Sicherheitsplänen zur Einrichtung von Drehkreuzen an den Gebäudeeingängen“ sei.
Alexis Tsipras, der Vorsitzende der pseudolinken Syriza, sagte bei seiner Rede auf der Internationalen Messe von Thessaloniki am Tag der Proteste, dass er die Universitätspolizei abschaffen würde, wenn er die Wahlen im Sommer 2023 gewinnt.
Solche Versprechen verpflichten seine Partei zu nichts, da es unwahrscheinlich ist, dass Syriza eine absolute Mehrheit erhält. Außerdem kennen Millionen Menschen Tsipras’ Bilanz an radikalen Versprechen, die er wieder fallen lässt, wenn er an der Macht ist. Anfang 2015 wurde Syriza wegen des Versprechens gewählt, die Sparmaßnahmen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds zu beenden. Innerhalb weniger Tage verlängerte die Partei das verhasste Memorandum mit der EU und dem IWF, und ein paar Monate später unterzeichnete Tsipras ein neues Rettungspaket, das noch brutalere Sparmaßnahmen als seine sozialdemokratischen und rechten Vorgänger vorsah.
Bei einer Pressekonferenz auf der Messe, zwei Tage nach seiner Rede, ließ Tsipras sogar die Möglichkeit offen, mit Nea Dimokratia zusammen zu regieren, wenn es einen „Ausnahmezustand“ gäbe. Berichten zufolge steht er in bestem Einvernehmen mit Nikos Papaioannou, dem ND-nahen Dekan der Universität Thessaloniki, der das harte Vorgehen gegen die Studierenden durchgesetzt hat. Trotz des Wortgefechts zwischen Mitgliedern seiner Partei und Papaioannou hat Tsipras in den letzten zwei Jahren bei seinen Besuchen der Thessaloniki-Messe immer wieder an der Universität vorbeigeschaut, um sich mit dem Dekan fotografieren zu lassen.
Dieses Jahr beschränkte er sich angesichts des brutalen Polizeiangriffs in der Nacht zuvor auf einen kurzen Händedruck. Doch wie die größte Tageszeitung Thessalonikis, Makedonia, berichtete, fand im vergangenen Jahr ein „herzliches Treffen“ zwischen den beiden in der Universität statt. Dabei sei deutlich geworden, dass sich „im Wesentlichen beide Hauptparteien mehr Ruhe und Ordnung in den Universitäten wünschen“, und dass dieser Konsens „den Prozess zur Vollendung der Einrichtung der Universitätspolizei“ erleichtere.
Während Tsipras damit beschäftigt ist, seine künftigen Regierungspartner zu umwerben, gibt sich seine Partei als Freund der Studenten aus, um den Widerstand gegen die Polizeimaßnahmen in sichere Bahnen zu lenken. Die Syriza-Fraktion in der Dozentengewerkschaft an der Universität Thessaloniki hat den Rücktritt von Papaioannou gefordert. Anfang dieses Jahres unterstützten die Jugendorganisation und die Dozentenfraktion von Syriza eine Klage von Studenten und universitären Gewerkschaftsgruppen gegen die OPPI vor dem Staatsrat, dem höchsten Verwaltungsgericht Griechenlands. Wie praktisch alle Anfechtungen, die vor den Staatsrat gebracht wurden, verlief auch diese erfolglos, nachdem das Gericht im Mai dieses Jahres entschieden hatte, dass die Einrichtung der Campus-Polizei verfassungsgemäß ist.