Am Donnerstag und Freitag trafen sich die Staatsoberhäupter von 44 europäischen Staaten in der tschechischen Hauptstadt Prag zum ersten Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG). Beim Treffen der EPG, deren Gründung im Mai von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angeregt wurde, kamen die Staaten der Europäischen Union, Großbritannien und ein Dutzend Staaten westlich der russischen Staatsgrenze zusammen.
Der Gipfel in Prag war eine politisch unheilvolle Veranstaltung. Die Teilnehmer forderten die Bewaffnung der Ukraine gegen Russland, selbst nachdem US-Präsident Joe Biden Berichten zufolge gegenüber wichtigen Geldgebern erklärt hatte, der Nato-Krieg gegen Russland drohe zu einem nuklearen Armageddon zu führen. Und obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gerade erst Präventivschläge gegen Russland vorgeschlagen hatte, wurde auf dem Gipfel eine aggressive Videoansprache von ihm gezeigt, die großen Beifall erhielt.
Nach dem Gipfeltreffen gab Macron eine gemeinsame Pressekonferenz mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala und der moldauischen Präsidentin Maia Sandu. Sie betonten, dass sie zu einer militärischen Eskalation gegen Russland entschlossen sind, auch wenn dies die Energielieferungen nach Europa abzuschneiden droht und, laut dem US-Präsidenten selbst, die Zerstörung der menschlichen Zivilisation bedeuten könnte.
Macron lobte Selenskyjs Auftritt und betonte, der Gipfel habe alle Zweifel darüber ausgeräumt, ob die EU-Mächte eine aggressive militärische Haltung gegen Russland unterstützen würden: „Wir haben die Einigkeit von 44 europäischen Staaten deutlich gemacht, die allesamt die russische Aggression verurteilt und ihre Unterstützung für die Ukraine erklärt haben. Das ist von großem Wert, weil bisher gewisse Zweifel bestanden.“
Macron deutete kurz die vielen Konflikte zwischen den auf dem Prager Gipfel vertretenen Staaten an und unterstrich damit, dass die EPG selbst nicht lebensfähig ist. Armenien und Aserbaidschan haben in den letzten zwei Jahren zweimal Krieg gegeneinander geführt; zwischen Serbien und dem Kosovo bestehen ungelöste Grenzstreitigkeiten; Griechenland und die Türkei stehen am Rande eines Krieges um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer.
Auch Sandu unterstützte die Bewaffnung der Ukraine durch die USA und Europa mit dem Ziel, die von Russland annektierten russischsprachigen Gebiete zurückzuerobern, obwohl dies einen Atomkrieg auslösen könnte.
Sie erklärte: „Der erste Schritt zum Frieden besteht darin, der Ukraine zu helfen, ihre territoriale Integrität in den international anerkannten Grenzen wiederherzustellen. Wir sind uns einig in der Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine und der illegalen Annektierung ukrainischer Gebiete... Energiesicherheit war das zweite wichtige Thema, über das wir diskutiert haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Energiekrise unsere Demokratie untergräbt.“
Tatsächlich geht die zunehmende Gefahr, dass Nato-Militäroperationen gegen Russland zu einem offenen Atomkrieg führen, Hand in Hand mit den zunehmenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Abkopplung der Nato von russischen Energielieferungen. In Europa sind die Preise für Lebensmittel und Energie bereits in die Höhe geschnellt. Die Inflation liegt bei über zehn Prozent, und im Winter wird mit verheerender Energieknappheit für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft gerechnet. In Deutschland rechnet man mit dem Verlust von 400.000 Arbeitsplätzen und in Italien mit einer halben Million, da die Industrie von Stromabschaltungen bedroht ist.
Die führenden imperialistischen Mächte Europas reagieren darauf, indem sie die Offensive gegen Russland verstärken. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich in einer Presseerklärung lobend zum EPG-Gipfel: „Klar ist, das ist jetzt ein Treffen, das nicht losgelöst von dem russischen Angriff auf die Ukraine gedacht werden kann. Aber es ist eben auch gut zu sehen, dass wir alle gemeinsam auf sehr unterschiedliche Weise die Ukraine unterstützen: finanziell, mit humanitärer Hilfe und viele eben auch mit Waffenlieferungen, so wie Deutschland das tut.“
Gegenüber der Welt erklärte Scholz stolz: „Dazu gehören ausgesprochen effiziente Waffen, wie die Panzerhaubitze 2000, Mehrfachraketenwerfer und der Flugabwehrpanzer Gepard. Gerade diese Waffen haben sich während der Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte als besonders effektiv erwiesen.“ Deutschland und die EU würden „die Ukraine auch weiterhin unterstützen, solange es nötig ist.“
Scholz erklärte, auch Deutschland werde einen wichtigen Beitrag zur geplanten EU-Ausbildungsmission für die ukrainischen Streitkräfte leisten. Am Freitag sagte er nach einem informellen EU-Gipfel in Prag, die Mission werde einen großen Umfang haben, er rechne bereits nächste Woche mit Entscheidungen. Derzeitig plant die EU außerhalb der Ukraine etwa 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden, von denen 2.800 Spezialeinheiten angehören sollen.
Die EU weitet ihre Militärhilfe für die Ukraine im Krieg gegen Russland massiv aus. In Prag rief die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die EU-Staaten auf, der Ukraine moderne Panzer zu liefern. Gegenüber AFP erklärte sie, ideal wären beispielsweise deutsche Leopard-2-Panzer. Frankreich erwägt laut Macron die Lieferung von weiteren Caesar-Haubitzen an die Ukraine. Laut AFP wird die Lieferung von weiteren sechs bis zwölf Caesar diskutiert, die ursprünglich für Dänemark vorgesehen waren.
Um Russland zu besiegen und das rohstoffreiche Land zu unterwerfen, sind die europäischen Mächte bereit, den Dritten Weltkrieg zu riskieren und die Gefahr eines nuklearen Armageddon zu missachten. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, betonte, man nehme die Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin ernst, lasse sich davon aber nicht erpressen.
Die Kriegstreiber in den Medien verbreiten aggressiv die Lüge, die „Angst“ vor der Gefahr eines Atomkriegs sei schlimmer als der Atomkrieg selbst. Die Süddeutsche Zeitung beispielsweise schreibt: „US-Präsident Joe Biden warnt angesichts russischer Drohungen mit Atomwaffen vor einem Armageddon. Die Sorge ist natürlich berechtigt. Aber: Gefährlicher als die nukleare Erpressung ist nur die Kapitulation vor ihr.“
Der EPG-Gipfel und die Reaktion der europäischen Mächte und der bürgerlichen Medien zeigt eindeutig, vor welchen entscheidenden Fragen Arbeiter in Europa und der Welt stehen, wenn sie den Kampf gegen Inflation und Krieg aufnehmen. Innerhalb des offiziellen Rahmens der kapitalistischen Politik gibt es keine Möglichkeit, Widerstand gegen den eskalierenden imperialistischen Nato-Krieg gegen Russland zu leisten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Tatsächlich haben die EU-Mächte in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Kurswechsel in ihrer öffentlichen Haltung zum US-Krieg gegen Russland vollzogen. Nach dem Brexit und Donald Trumps Wahlsieg forderten Berlin und Paris eine unabhängige EU-Militärpolitik. Im Rahmen dieses Vorhabens kritisierten sie zeitweise Washingtons aggressives Vorgehen gegen Russland. Macron brachte dies im November 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, in einem Interview mit dem Economist zur Sprache.
Damals erklärte er die Nato für „hirntot“. Er sagte, ihre Politik, einen Krieg in Syrien zwischen Russland und der Türkei, einem Nato-Mitgliedstaat, zu schüren, sei ein „enormes Problem für die Nato“. Die Politik der USA gegenüber Russland bezeichnete er als völlig aus den Fugen geraten: „Wenn die USA sehr hart gegenüber Russland auftreten, ist das eine Form von staatlicher, politischer und historischer Hysterie.“
Macron rief dazu auf, „unsere Haltung gegenüber Russland [zu] überdenken“ und erklärte gegenüber The Economist, Frankreich könne „mit jedem reden und so Beziehungen aufbauen, um zu verhindern, dass die Welt in einem Flächenbrand untergeht“.
Heute treiben Scholz, Macron und andere europäische Regierungschefs rücksichtslos ihren Kriegskurs gegen Russland voran, obwohl sie und Biden wissen, dass die Welt in einem Flächenbrand untergehen könnte.
Offensichtlich hat, in Macrons eigenen Worten, eine Form von staatlicher, politischer und historischer Hysterie die herrschenden Klassen der imperialistischen Mächte ergriffen. Inmitten der Wirtschaftskrise, die durch die katastrophale offizielle Reaktion auf die Corona-Pandemie und die Rettungspakete für die Reichen ausgelöst wurde, verstärken sie ihre Plünderungsabsichten. Nachdem sie schon in der Corona-Pandemie im politischen Establishment auf keinen Widerstand gegen die Durchseuchungspolitik gestoßen sind, steuern sie jetzt auf einen atomaren dritten Weltkrieg zu.
Die Konflikte zwischen den auf dem EPG-Gipfel versammelten Staatsoberhäuptern erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Flächenbrands, anstatt ihn zu verringern. Neben den Konflikten zwischen Aserbaidschan und Armenien, Serbien und Kosovo sowie Griechenland und der Türkei kam es auch zum Streit zwischen Frankreich auf der einen und Deutschland und Spanien auf der anderen Seite über eine Gaspipeline, die von Spanien durch Frankreich nach Deutschland verläuft. Auch Deutschlands massives Energie-Entlastungspaket von 200 Milliarden Euro löste Ärger aus. All diese geopolitischen Konflikte sowie Konflikte um die Kontrolle über die Energiemärkte reißen den europäischen Kapitalismus auseinander und machen es noch unwahrscheinlicher, dass er einen dritten Weltkrieg vermeiden kann.
Die Kraft, die gegen die Kriegsagenda der herrschenden Eliten mobilisiert werden muss, ist die europäische und internationale Arbeiterklasse. In ganz Europa gibt es bereits eine Welle von Streiks und Protesten, u.a. von Hafen- und Transportarbeitern und Beschäftigten des Bildungswesens in Großbritannien, sowie von französischen Raffineriearbeitern. In Deutschland finden in mehreren Branchen Warnstreiks statt. Die entscheidende Aufgabe ist es, diese Kämpfe der Arbeiter und Jugendlichen zu einer bewussten, internationalen Bewegung gegen imperialistischen Krieg und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu entwickeln.