Gegen staatliche Unterdrückung landesweiter Proteste: Iranische Lehrer in zweitägigem Sitzstreik

In Teheran befinden sich Lehrerinnen und Lehrer mitten in einem zweitägigen Sitzstreik gegen die brutale staatliche Unterdrückung von Jugendlichen, die während der letzten sechs Wochen an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen haben. Die Proteste begannen nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini am 16. September in Polizeigewahrsam, die zuvor von der Sittenpolizei der islamischen Republik verhaftet worden war, weil sie ihren Hidschāb „unangemessen“ getragen hatte.

Die Proteste wurden durch eine katastrophale soziale und wirtschaftliche Krise angeheizt, deren Ursache vor allem die verheerenden Sanktionen der imperialistischen Mächte gegen Teheran sind. Sie begannen zwar in Landesteilen mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit – der ethnischen Gruppe, der Amini angehörte –, doch haben sich daran Menschen aller ethnischen und religiösen Gruppen des Landes beteiligt. Die Proteste wurden überwiegend von Jugendlichen angeführt und sind in ihrem sozialen Charakter nach wie vor heterogen. Zu Beginn konzentrierten sie sich auf Universitäten, doch in den letzten Wochen beteiligten sich auch Oberschüler im großen Stil daran. Der Lehrerstreik ist die bisher größte organisierte Intervention der Arbeiterklasse in die Protestbewegung. Anfang des Monats kam es bereits zu einem kurzen Streik der Ölarbeiter in einer Anlage im Südwesten des Landes.

Iraner demonstrieren am 20. September gegen den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die zuvor in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet worden war (AP Photo/Middle East Images, Archiv) [AP Photo/Middle East Images, File]

Das bürgerlich-klerikale iranische Regime ging mit brutaler Gewalt gegen die Proteste vor. Inoffizielle Quellen gehen von etwa 200 Toten aus. Nach Angaben von Amnesty International befinden sich darunter 23 Kinder. Der stellvertretende Oberbefehlshaber der iranischen Revolutionsgarden, Konteradmiral Ali Fadavi, erklärte: „Das Durchschnittsalter der meisten Verhafteten liegt bei 15 Jahren.“ Laut der iranischen Zeitung Asia sind 42 Prozent der inhaftierten Demonstranten jünger als 20 Jahre, 48 Prozent sind zwischen 20 und 35 Jahre alt, und zehn Prozent sind älter als 35 Jahre.

Der Koordinationsrat der Lehrersyndikate, eine von der regimenahen Shoora („Arbeiterräte“) unabhängige Gewerkschaft, nannte in seiner Ankündigung des Lehrerstreiks die brutale Behandlung von Kindern und Jugendlichen als Grund für den Arbeitskampf.

Der Koordinationsrat ging aus den wiederholten Streiks und Protesten hervor, die die Lehrer seit 2018 gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen geführt haben. In ihrer Erklärung hieß es: „Wir Lehrer werden in den Schulen anwesend sein, aber wir werden keinen Unterricht halten... Die Herrscher müssen wissen, dass... die Lehrer des Iran diese Gräueltaten und Tyrannei nicht dulden. Wir erklären, dass wir auf der Seite des Volks stehen, und dass diese Kugeln und Geschosse, die ihr auf das Volk schießt, auf unser Leben und unsere Seelen zielen.“

Weiter heißt es: „Wir werden unsere Proteste fortsetzen, bis das Recht der Bevölkerung auf Protest anerkannt wird, alle Schüler bedingungslos freigelassen werden und in die Schulen zurückkehren, bis das System keine Menschen und Kinder mehr umbringt und damit aufhört, auf die berechtigten Forderungen der Bevölkerung mit Schüssen zu antworten.“

Laut dem Rat beteiligten sich Lehrkräfte in mindestens 15 Städten an dem Streik, u.a. in Kermanshah, Sanandaj, Mahabad und Marivan; viele dieser Städte liegen in mehrheitlich kurdisch-sprachigen Gebieten. Lehrkräfte in Hamedan im Nordwesten des Landes, in Shiras im Südwesten, in Lahijan und Bandar Anzali in der Provinz Gilan am Kaspischen Meer und in Nayshapur im Nordosten beteiligten sich ebenfalls an dem Sitzstreik. Medien, die von der iranischen Regierung kontrolliert werden oder ihr nahestehen, erwähnen die Lehrerproteste offenbar mit keinem Wort.

Der Lehrerrat veröffentlichte in den sozialen Netzwerken Bilder von Lehrkräften mit selbstgeschriebenen Protestschildern. Zu den Slogans gehörten: „Macht aus den Schulen keine Garnisonen“, „Schüler gehören nicht ins Gefängnis“ und auf Kurdisch: „Frauen, Leben, Freiheit“. Er meldete außerdem die Verhaftung von mehreren Streikführern, darunter Pirouz Nami, ihr Generalsekretär in der Provinz Khuzestan.

Protestierende iranische Lehrkräfte. Auf dem Schild steht: „Landesweiter Sitzstreik der Lehrkräfte – 23.10.2022“ [Photo: Coordinating Council of Teachers Syndicates/Telegram]

Elemente innerhalb des Regimes sind zunehmend besorgt über das Ausmaß der Protestbewegung und ihre Langlebigkeit. Laut dem iranischen Abgeordneten Ahmad Alirezabeigi sehe die staatliche Hardliner-Miliz Basij, die eine führende Rolle bei der Unterdrückung der Proteste gespielt hat, das Land „in Gefahr“. Er gab zu, dass Minderjährige rekrutiert wurden, um an der Unterdrückung mitzuwirken. Einem Zeitungsbericht zufolge wurden im ersten Monat der Proteste 17 Mitglieder der Basij und sieben bewaffnete Beamte getötet. Allein in Teheran wurden laut der offiziellen iranischen Nachrichtenagentur IRNA mehr als 800 Mitglieder der Basij verwundet.

Weltweit fanden Solidaritätsproteste statt. Bei einer der größten Demonstrationen am letzten Wochenende zogen etwa 80.000 Menschen durch Berlin. Die Demonstration wurde politisch von kurdisch-nationalistischen Gruppen und Exil-Iranern dominiert, die ihre Solidaritätsappelle an das deutsche Außenministerium richteten.

Die imperialistischen Mächte versuchen ihrerseits, die Proteste zynisch für ihre eigenen räuberischen Ziele auszunutzen. Ihr Hauptziel besteht darin, das Regime in Teheran zu schwächen oder sogar zu stürzen und den Iran direkter unter die Vorherrschaft der westlichen imperialistischen Mächte zu bringen. Um den Druck auf Teheran zu erhöhen, haben die USA und die europäischen imperialistischen Mächte mit atemberaubender Heuchelei die Meldungen aufgegriffen, der Iran habe Drohnen und Militärpersonal zur Unterstützung der russischen Invasion der Ukraine entsandt.

Die UN-Botschafter Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens forderten in einem gemeinsamen Schreiben, dem sich Washington später anschloss, die UN zu einer Untersuchung der Vorwürfe auf, in der Ukraine seien Drohnen aus iranischer Produktion zum Einsatz gekommen, und auf der Krim seien iranische Militärausbilder aktiv. Weiter hieß es in dem Schreiben, die drei imperialistischen Mächte, die faktisch Kriegsparteien in der Ukraine sind, seien „bereit, das Sekretariat bei der Durchführung einer technischen und unparteiischen Untersuchung zu unterstützen“.

Wie können diese imperialistischen Kriegstreiber es wagen, irgendjemanden über die Lieferung von Waffen in einen aktiven militärischen Konflikt zu belehren? Ihre Regierungen haben nicht nur absichtlich die russische Invasion im Februar 2022 provoziert, sondern der Ukraine und Osteuropa auch Hochleistungs-Waffen im Wert von Dutzenden von Milliarden Dollar geschickt, um den Krieg zu verlängern und Russland eine vernichtende Niederlage beizubringen, damit das Land als Halbkolonie den imperialistischen Mächten unterworfen werden kann. Diese Waffenlieferungen haben entscheidend dazu beigetragen, dass es auf beiden Seiten zehntausende Tote gibt, und widerlegen damit die unaufhörlichen Proklamationen der imperialistischen Kriegstreiber, sie würden „das ukrainische Volk“ unterstützen.

Das Gerede von einer „unparteiischen“ Untersuchung ist ein Vorwand, mit dem die Bedingungen geschaffen werden sollen, unter denen die imperialistischen Mächte das iranische Regime zwingen können, Zugeständnisse in Bezug auf ihre räuberischen Ambitionen zu machen. Die Untersuchung würde von Regierungen beaufsichtigt werden, die für die Zerstörung der iranischen Wirtschaft verantwortlich sind und einen Großteil der sozialen und wirtschaftlichen Verwüstungen verursacht haben, die die Protestbewegung antreibt. Washington, Berlin, Paris und London versuchen möglicherweise, damit aus der Sackgasse zu kommen, in denen sich die Gespräche über die Wiederbelebung des Atomabkommens („Joint Comprehensive Plan of Action“) mit dem Iran befinden, von dem US-Präsident Donald Trump 2018 einseitig zurückgetreten war. Doch eine angeblich „diplomatische“ Lösung des Konflikts ist nicht die einzige Möglichkeit.

Sollten sich die Berichte über eine iranische Beteiligung zur Unterstützung von Russlands reaktionärem Krieg in der Ukraine als wahr herausstellen, würde dies eine weitere Front eröffnen, an der der Nato-Krieg gegen Russland zu einem globalen Flächenbrand eskalieren könnte. Die Vorbereitungen für einen aggressiven Angriff auf den Iran unter Führung der USA sind bereits weit fortgeschritten. Das zeigte sich bei der Reise von US-Präsident Biden durch den Nahen Osten im Juli, auf der er eine schillernde Koalition bestehend aus der saudi-arabischen Autokratie, den Golf-Scheichtümern und Israel versammelte, um Teherans wirtschaftlicher, politischer und militärischer Präsenz in der Region entgegenzutreten.

Das iranische Regime ist von Fraktionskonflikten zerrissen und durch die anhaltenden Proteste und das Anwachsen der Streiks zunehmend in die Enge getrieben. Es hat dem imperialistischen Angriff nichts entgegenzusetzen. Eine „Reformer“-Fraktion, die von 2013 bis 2021 den Präsidenten stellte, setzt sich für einen Modus Vivendi mit den amerikanischen und europäischen Imperialisten ein, um die Einbindung des Irans in den Weltmarkt zu erleichtern. Das Schicksal des Atomabkommens hat dieser Perspektive jedoch einen vernichtenden Schlag versetzt. Vor allem haben sich ihre Hoffnungen, die europäischen Imperialisten würden Teheran angesichts von Washingtons Rücktritt vom Abkommen wirtschaftlich und finanziell unterstützen, als katastrophale Fehleinschätzung erwiesen.

Die andere Fraktion, die auch Präsident Raisi vertritt, setzt sich für engere Wirtschafts- und Sicherheitsbeziehungen mit den bankrotten kapitalistischen Regimes in Russland und China ein. Das war der Grund für die jüngste Entscheidung des Iran, dem Sicherheitsbündnis der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit als Vollmitglied beizutreten. Ein solcher Kurs wäre für iranische Arbeiter und Landarbeiter nicht weniger verheerend. Da die USA und ihre europäischen Verbündeten entschlossen sind, Russland aufzuteilen und die Kontrolle über seine Rohstoffe zu erlangen, und sich außerdem offen auf einen katastrophalen Krieg gegen China um Taiwan vorbereiten, würde der Iran unweigerlich in einen dritten, mit Atomwaffen geführten Weltkrieg hineingezogen.

Für iranische Lehrer, andere Arbeiter und Jugendliche, die den Kampf gegen das weithin verhasste bürgerlich-klerikale Regime aufnehmen, ist die dringlichste Aufgabe der Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von allen Fraktionen der herrschenden Elite. Der Kampf gegen die rücksichtslose staatliche Unterdrückung der Proteste, die durch Aminis Tod ausgelöst wurden, ist zum Scheitern verurteilt, wenn man Appellen an die imperialistischen Mächte und ihre Institutionen Vertrauen schenkt, sie sollen „Demokratie“ und „Menschenrechte“ schützen. Das Schicksal zahlreicher Gesellschaften, die in den letzten drei Jahrzehnten unter genau solchen Vorwänden Opfer räuberischer imperialistischer Kriege wurden, belegt dies.

Vor allem ist es notwendig, dass Arbeiter ihren Kampf auf der Grundlage der Perspektive der permanenten Revolution führen, die von Leo Trotzki entwickelt und von der russischen Arbeiterklasse unter Führung der Bolschewiki im Oktober 1917 umgesetzt wurde. Wie Trotzki betonte, ist die Bourgeoisie in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung nicht in der Lage, demokratische Grundrechte zu sichern. Freiheit von imperialistischer Unterdrückung, die Trennung von Kirche und Staat, die gleiche Bürgerrechte und die radikale Umgestaltung der Verhältnisse in der Landwirtschaft zu Gunsten der Masse der Landbevölkerung können und werden nur durch den Kampf für Arbeitermacht und Sozialismus gegen alle Fraktionen der nationalen Bourgeoisie verwirklicht werden.

Für iranische Arbeiterinnen und Arbeiter ergibt sich daraus die Notwendigkeit, ihre Kämpfe mit den wachsenden Arbeitskämpfen und Protesten gegen die zunehmende soziale Krise und die Preiserhöhungen im gesamten Nahen Osten und der Welt zu verbinden und ihren Platz im globalen Kampf einzunehmen, eine Bewegung der Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg aufzubauen.

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