Der sechste nationale Parteitag der Socialist Equality Party (UK)

Die Socialist Equality Party (SEP) in Großbritannien hielt vom 22. bis 25. Oktober 2022 ihren sechsten nationalen Parteitag ab. Aufgrund der Coronapandemie wurde er online abgehalten. Parteimitglieder aus ganz Großbritannien und Irland nahmen daran teil, zusammen mit großen Delegationen der Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) in Europa, Amerika, Asien und Ozeanien.

Der Parteitag fand unter den Bedingungen einer außergewöhnlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise statt, die den britischen Kapitalismus erschüttert. Die Regierung der Konservativen Tory-Partei stand kurz vor dem Zusammenbruch. Premierministerin Liz Truss war nur Tage zuvor zurückgetreten, nachdem 300 Milliarden Pfund von den britischen Aktien- und Anleihemärkten abgezogen worden waren.

In seinem Eröffnungsbericht definierte der Nationale Sekretär Chris Marsden die Situation, die sich in Großbritannien abzeichnet, als revolutionäre Krise. Er verwies dabei auf die Auswirkungen, die der eskalierende Nato-Krieg gegen Russland auf Großbritannien hat, sowie auf das weltweite Wiederaufleben des Klassenkampfs, das sich in Großbritannien seit dem Sommer in einer Streikwelle ausdrückt.

Der Parteitag diskutierte fünf Resolutionen, die der scheidende SEP-Vorstand vorgelegt hatte:

  • „Der eskalierende Klassenkampf in Großbritannien und die Aufgaben der Socialist Equality Party“
  • „Mobilisiert die Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg!“
  • „Die Covid-19-Pandemie und der Kampf für den Sozialismus“
  • „Baut die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees in Großbritannien auf! Für eine globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse!“
  • und die Dringlichkeitsresolution: „Baut die Assange-Verteidigungskampagne in der Arbeiterklasse auf!“

Marsden sagte:

Die Resolutionen, die euch zur Diskussion vorliegen, benennen alle zusammen das Entstehen einer globalen revolutionären Krise des kapitalistischen Systems, deren wichtigste Merkmale die Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland und ein weltweiter Ausbruch des Klassenkampfs sind.

Genauer gesagt, treibt die Krise des Weltkapitalismus die Bourgeoisie unaufhaltsam auf einen Weltkrieg zu. Aber dieselben Widersprüche des Weltimperialismus – sowohl zwischen der global organisierten Produktion und der Aufteilung der Weltwirtschaft in antagonistische Nationalstaaten, als auch zwischen der gesellschaftlichen Massenproduktion und der privaten Akkumulation – sind auch die treibenden Kräfte für den Klassenkampf und für die sozialistische Weltrevolution.

In einer Schweigeminute gedachten die Delegierten Wije Dias, dem langjährigen Generalsekretär der Socialist Equality Party in Sri Lanka, der am 27. Juli 2022 verstorben war. Dias war 1968 ein Gründungsmitglied der srilankischen Sektion des IKVI gewesen, und sein Beitrag zum Kampf für den Trotzkismus erstreckte sich über sechs Jahrzehnte.

Marsden betonte, dass der jahrzehntelange Kampf der trotzkistischen Bewegung zur Verteidigung der Strategie der sozialistischen Weltrevolution gegen Stalinismus, Sozialdemokratie und Pablismus sich heute in wachsendem Maße mit den Kämpfen der internationalen Arbeiterklasse überschneide.

Wenn wir sagen, dass die Intervention unserer Bewegung immer wichtiger wird, darf dies nicht in erster Linie im organisatorischen Sinne verstanden werden. Die wirkliche Herausforderung bei der Entwicklung der Parteiarbeit in der Arbeiterklasse besteht darin, diese Arbeit in jedem Punkt fest in einer historischen Perspektive zu verankern.

Er zitierte die Perspektive, die David North, Redaktionsleiter der internationalen World Socialist Web Site, an diesem Tag publiziert hatte: „Leo Trotzki und die revolutionäre Strategie im 20. und 21. Jahrhundert“. Norths Artikel erschien 100 Jahre nach Trotzkis bemerkenswerter Rede vor den Mitgliedern der Moskauer Organisation der Kommunistischen Partei Russlands am Vorabend des Vierten Kongresses der Kommunistischen Internationale.

North hatte darin geschrieben, dass Trotzkis Rede

kaum gealtert [sei]. Es ist auch kaum nötig, ein Glossar zu Rate zu ziehen. Trotzki befasst sich mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Fragen, die in ganz und gar modernen Begriffen verständlich sind. Die wesentliche Bedeutung der revolutionären Führung, die Dynamik der kapitalistischen Weltkrise, die politische Bedeutung des Faschismus und das Verhältnis von objektiven und subjektiven Faktoren beim revolutionären Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus – all das behandelt Trotzki in seinem Bericht.

Und Trotzki macht sogar, was als bemerkenswerter Zufall erscheinen mag, auf die Auswirkungen des plötzlichen Sturzes des britischen Premierministers David Lloyd George am 19. Oktober 1922 aufmerksam – genau ein Jahrhundert vor dem jähen Zusammenbruch der Regierungszeit von Liz Truss. Natürlich kann man die sechsjährige Amtszeit von Lloyd George nicht mit der sechswöchigen Farce vergleichen, die Liz Truss zustande brachte. Aber es ist nicht schwer vorstellbar, dass Trotzki diese Farce als ein Symptom für den bevorstehenden Zusammenbruch der bürgerlichen Herrschaft in Großbritannien und die Entwicklung einer revolutionären Krise interpretiert hätte. Trotzki hätte in dieser Krise eine große Chance für die Marxisten gesehen, ihre Autorität in der Arbeiterklasse auszubauen und den Einfluss der reaktionären Labour Party und der Gewerkschaftsorganisationen zu überwinden.“

Der stellvertretende SEP-Nationalsekretär, Tom Scripps, stellte die Resolution „Mobilisiert die Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg!“ vor. Er betonte die antiimperialistischen, sozialistischen Grundlagen des Kampfs des IKVI gegen Krieg und seine prinzipielle Ablehnung aller Formen des Nationalismus. Als soziale Grundlage für eine Bewegung gegen Krieg bezeichnete er die steigende Flut des Klassenkampfs in der weltweiten Arbeiterklasse. Scripps betonte, dass dieser Kampf von einem Kampf der Arbeiter für das Programm des sozialistischen Internationalismus abhinge.

Am Abend des Eröffnungstags überbrachte David North die Grüße des IKVI und der US-amerikanischen SEP. Er sagte:

Man könnte diesen Parteitag zu keinem günstigeren Zeitpunkt abhalten ... Es ist offensichtlich, dass der Krieg nicht einfach das Ergebnis eines Streits zwischen Russland und der Ukraine ist, sondern das Ergebnis grundlegender internationaler Widersprüche des globalen Kapitalismus, die in tiefen historischen Problemen wurzeln.

North verwies auf die WSWS-Perspektive vom Vortag, die einen passenden Rahmen für die Diskussion auf dem Parteitag bot, und erklärte:

Es ist immer eine politisch belebende Erfahrung, Trotzkis Schriften zu lesen. Aber einmal mehr hat es auch die monumentale Bedeutung des Trotzkismus unterstrichen und gezeigt, warum der Trotzkismus tatsächlich der Marxismus des 21. Jahrhunderts ist.

Online-Grußbotschaften wurden von Vertretern der IKVI-Sektionen in Deutschland, Frankreich, Sri Lanka, Australien und Kanada und von der neuen türkischen IKVI-Sektion übermittelt. Führer von sympathisierenden Gruppen des IKVI in Brasilien und Neuseeland sprachen ebenfalls. Sie machten die gemeinsamen Aufgaben deutlich, vor denen die Weltpartei in ihrem Kampf um die Lösung der Krise der revolutionären Führung in der Arbeiterklasse steht.

WSWS-Redakteur Robert Stevens brachte die Resolution „Die Covid-19-Pandemie und der Kampf für den Sozialismus“ ein. Er klagte die britische herrschende Klasse an, die Speerspitze der mörderischen Durchseuchungsstrategie zu bilden, die weltweit zu mehr als 20 Millionen Todesfällen geführt hat. Er ließ die erstaunliche Bilanz des IKVI und der WSWS im Kampf gegen Corona Revue passieren: Den Kampf für die Ausrottung des Covid-19-Virus, die Verteidigung der Wissenschaft und den Kampf für die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen die Profit-dominierte Politik der kapitalistischen Regierungen.

WSWS-Autor Evan Blake und Dr. Benjamin Mateus, beide führend im Kampf des IKVI gegen die Pandemie, nahmen online aus den USA an dem Parteitag teil. Blake betonte die Bedeutung des Global Workers Inquest zur Coronapandemie, während Dr. Mateus über die anhaltende Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus berichtete und vor dem Auftreten impfstoffresistenter Varianten warnte. Deutlich zeige sich die anhaltende Bedrohung für das Leben auf dem gesamten Planeten.

Der Mack-Trucks-Arbeiter und Sozialist Will Lehman, der in den USA für das Amt des Präsidenten der United Autoworkers Union (UAW) kandidiert – die erste Direktwahl in der Geschichte dieser Gewerkschaft –, nahm an einer Sitzung des Parteitags teil, in der es um die Resolution „Baut die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees in Großbritannien auf! Für eine globale Gegenoffensive der Arbeiterklasse!“ ging.

Lehman erläuterte, wie er sich am Aufbau eines Aktionskomitees bei Mack Trucks beteiligte, nachdem er von Volvo-Arbeitern im Werk New River Valley (Virginia) inspiriert worden war. Diese hatten im selben Jahr ein solches Komitee gegründet. Er sprach über seine Entwicklung als Sozialist und sagte, dass er der SEP aufgrund ihrer politischen Ernsthaftigkeit und ihres hohen theoretischen Niveaus beigetreten sei. Er beschrieb die große Resonanz seiner Kampagne unter amerikanischen Autoarbeitern, und dass sie für die Ideen des Sozialismus und die internationale Einheit der Arbeiterklasse aufgeschlossen seien.

In einer Frage- und Antwortrunde hatten die Delegierten Gelegenheit, viele Erfahrungen aus dieser Kampagne ausführlich zu diskutieren. An der Diskussion beteiligten sich auch der nationale Sekretär der SEP (US), Joe Kishore, und die Vorstandsmitglieder der SEP (US), Eric London, Jerry White und Lawrence Porter.

Eine Dringlichkeitsresolution, die die Freilassung des WikiLeaks-Herausgebers Julian Assange fordert, wurde am letzten Kongresstag diskutiert. Assange droht die Auslieferung an die USA und eine lebenslange Haftstrafe, weil er imperialistische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat. Die Resolution bezeichnet dies als „Speerspitze eines weltweiten Angriffs auf demokratische Rechte“, angeführt von den Regierungen der USA und Großbritanniens. Der Parteitag bekräftigte, dass Assanges Freiheit von der Wiederbelebung einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich auf die Arbeiterklasse stützt, erkämpft werden muss.

Der neue Parteivorstand wählte Chris Marsden zum nationalen Sekretär, Tom Scripps zum stellvertretenden nationalen Sekretär und Robert Stevens zum nationalen Herausgeber der World Socialist Web Site. Eine Sammlung für den 100.000-Pfund-Parteientwicklungsfonds, eingeleitet von der langjährigen britischen Trotzkistin Barbara Slaughter, erbrachte mehr als 33.000 Pfund.

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