Musks Angriff auf Twitter-Arbeiter bringt Unternehmen an Rand des Zusammenbruchs

In Medienberichten wurde am Freitag über den möglichen Zusammenbruch der Social-Media-Plattform Twitter spekuliert, nachdem am Vortag weitere 1.200 Beschäftigte auf das jüngste Ultimatum von Elon Musk mit ihrer Kündigung reagiert hatten.

Die New York Times veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Elon Musks Twitter nach weiteren 1.200 Kündigungen nahe am Abgrund“. Der Artikel berichtet, der milliardenschwere Besitzer habe den verbleibenden Mitarbeitern am Freitag eine Reihe von eindringlichen „Alle antreten“-Mails geschickt.

Elon Musk bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik Berlin-Brandenburg in Grünheide, 22. März 2022 [AP Photo/Patrick Pleul]

In einer der Mails hieß es: „Jeder, der tatsächlich Software schreibt, soll sich bitte heute um 14 Uhr im zehnten Stock melden.“ Eine halbe Stunde später schrieb er in einer weiteren Mail, er müsse mehr über Twitters „Tech Stack“ erfahren, d.h. die grundlegende Software-Infrastruktur des Social-Media-Unternehmens.

Das Wall Street Journal berichtete, Musk habe seinen Angestellten mitgeteilt, er wolle „selbst bis Mitternacht in der Twitter-Zentrale bleiben und dann am Samstagmorgen wiederkommen. Angestellten aus anderen Landesteilen legte er nahe, nach San Francisco zu fliegen.“

Twitter-Angestellte, die das Unternehmen verlassen haben, erklärten, Musk habe sie dazu gedrängt, über 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Sie empfanden jedoch nicht, dass es eine Vision gebe, die dies rechtfertige. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagte dem Journal: „Lange Arbeitszeiten bei guter Arbeit sind großartig, aber nicht mit einer Pistole am Kopf.“

Der Softwareentwickler Peter Clowes postete eine lange Erklärung für seine Entscheidung, Twitter zu verlassen, in der es u.a. hieß: „Wenn ich geblieben wäre, hätte ich für unbestimmte Zeit und mit wenig Unterstützung ständig Bereitschaftsdienst für mehrere zusätzliche komplexe Systeme gehabt, mit denen ich keine Erfahrung hatte. Für die richtige Vision hätte ich mich reingekniet und eine Zeitlang nervtötende Arbeit machen können. Aber das ist genau die Sache...

Es gab keine Vision, die er mit uns geteilt hätte. Kein Fünfjahresplan wie bei Tesla. Nichts anderes als das, was jeder auf Twitter sehen kann. Angeblich wird es so etwas für diejenigen geben, die geblieben sind, aber die Entscheidung musste in blindem Vertrauen getroffen werden. Man musste auf die Abfindung verzichten, bevor man sie gesehen hat. Ein reiner Loyalitätstest.“

Die Massenkündigung bei Twitter war eine Reaktion auf das Ultimatum, das Musk den Beschäftigten am Mittwochmorgen in einer E-Mail mit dem Betreff „Eine Weggabelung“ gestellt hatte. Darin schrieb er seinen Angestellten: „Um ein bahnbrechendes Twitter 2.0 aufzubauen und in einer zunehmend wettbewerbsorientierten Welt erfolgreich zu sein, müssen wir extrem hardcore sein.“

Für Musk bedeutet „hardcore sein“, „lange Stunden bei hoher Intensität zu arbeiten“. In der E-Mail heißt es weiter: „Wenn Sie sich sicher sind, dass Sie Teil des neuen Twitter sein wollen, klicken Sie bitte in dem Link unten auf ,Ja‘.“ Sie endete mit dem Ultimatum: „Wer es nicht bis Donnerstag 17 Uhr Ostküstenzeit getan hat, erhält eine Abfindung von drei Monatsgehältern.“

Dass mehr als 1.000 Angestellte Musks Provokation zurückgewiesen haben, verdeutlicht den Hass auf den reichsten Milliardär der Welt und seine Managementtaktiken. Das Wall Street Journal äußerte sich erstaunt über die Reaktion der Twitter-Mitarbeiter auf Musks „Management-Drehbuch“ – angesichts der Tatsache, dass er zuvor bei seinen anderen beiden Unternehmen Tesla und SpaceX mit ähnlich faschistoiden Methoden durchgekommen war.

So berichtete das Journal im Jahr 2012, dass Musk den Tesla-Arbeitern in einer E-Mail mit dem Betreff „Ultra Hardcore“ gedroht hatte, sie müssten „sich auf Arbeit von einer größeren Intensität vorbereiten als alles, was die meisten von Ihnen bisher erlebt haben... Eine Industriebranche zu revolutionieren, ist nichts für schwache Nerven.“ Wie das Journal schrieb: „Damit hatte er nicht Unrecht.“

Die derzeitige ernste Lage bei Twitter – einem Social-Media-Unternehmen mit weltweit 400 Millionen aktiven Nutzern, die sich mittlerweile auf die Plattform stützen, um wichtige Diskussionen zu führen und Nachrichten-Updates zu erhalten – ist die jüngste Erschütterung im Zusammenhang mit der privaten Übernahme des Unternehmens durch Elon Musk für 44 Milliarden Dollar am 27. Oktober.

Nachdem er das Unternehmen von der Börse genommen hatte, entließ Musk die Führungsspitze von Twitter, setzte den Vorstand ab und entließ nach einem katastrophalen Rückgang der Werbeeinnahmen 3.700 Mitarbeiter, die Hälfte der Belegschaft. Der Weggang von 1.200 weiteren Angestellten, die Musks „Weggabelung“ ablehnten, ist eindeutig ein Schlag für das Unternehmen, der sich durchaus als fatal erweisen könnte.

Der ehemalige Chef von Twitters „Trust and Safety“-Rat Yoel Roth veröffentlichte am Freitag einen ausführlichen Kommentar in der New York Times, in dem er erklärte, er habe sich entschlossen, seinen Posten bei „Elon Musks Twitter“ zu verlassen. Weiter erklärte er, aufgrund der Welle von Kündigungen der Belegschaft habe „am Donnerstag der Hashtag #RIPTwitter auf der Seite getrendet – nicht zum ersten Mal. Zudem kamen Fragen auf, ob eine verbleibende Minimalbesetzung den 16 Jahre alten Dienst am Leben erhalten könnte.“

Als Antwort auf die Frage „Warum glauben alle, Twitter sei verloren?“ twitterte ein Nutzer namens Mosquito Capital, der sich selbst als Site Reliability Engineer mit mehr als zehn Jahren Branchenerfahrung zu erkennen gab, eine umfangreiche Liste von Szenarien, die „eine echte Bedrohungen für die Integrität der Seite in den kommenden Wochen“ sind.

Ein Bericht im Guardian untersuchte am Freitag das Potenzial für einen katastrophalen Systemausfall bei Twitter und erklärte: „Es gibt jetzt Bedenken, dass die Seite anfällig für technische Schäden und Fehler sein wird. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen dafür, dass das komplexe System, das die Grundlage von Twitter bildet, bereits Brüche zeigt. Die Zwei-Faktor-Authentifizierung war bereits betroffen und es gab Probleme mit Retweets.“

Der Guardian erklärt weiter, Musk selbst habe Anfang des Monats nach dem Weggang von Spitzenkräften des Unternehmens und vor seinem Ultimatum gewarnt: „Ohne beträchtliche Einnahmen aus Abos besteht durchaus die Möglichkeit, dass Twitter den bevorstehenden wirtschaftlichen Abschwung nicht überleben wird. Etwa die Hälfte unserer Einnahmen müssen aus Abos kommen.“

Während der gesamten Krise hat Elon Musk seinen anmaßenden Zynismus und seine Verachtung für Kritiker auf seinem Twitter-Account beibehalten und verstärkt. Nach den Kündigungen am Donnerstagnachmittag antwortete Musk auf die Tweets von anderen: „Ich will das Schicksal nicht herausfordern, aber es besteht die Chance, dass wir Twitter am Leben erhalten können...“, und weiter: „Die Besten bleiben, also bin ich nicht super besorgt.“ Später am Abend twitterte Musk: „Und... wir haben gerade einen neuen Rekordwert bei der Twitter-Nutzung erreicht, lol.“

Das sind die Äußerungen eines gestörten milliardenschweren Oligarchen, der eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen zerstört hat, die aus der Verschränkung von Internet und des World Wide Web mit drahtloser Breitband- und Smartphone-Technologie während der ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts hervorgegangen ist. Social-Media-Plattformen sind aufgrund ihres Charakters als globale, von Milliarden Menschen genutzte Kommunikationsplattformen unvereinbar mit der Kontrolle durch einen einzelnen Diktator, der reicher ist als jeder sonst auf dem Planeten.

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