Tarifverhandlung in US-Bahnsektor:

Präsident Biden greift direkt ein, um landesweiten Streik in letzter Minute zu verhindern

Wie das Weiße Haus am Dienstag in einer Pressekonferenz bestätigte, ist Präsident Biden „direkt“ in die Tarifverhandlungen der Eisenbahnbranche involviert. Einen Tag zuvor hatten die Mitglieder der größten Eisenbahnergewerkschaft SMART-TD eine vom Weißen Haus unterstützte Vereinbarung zurückgewiesen.

US-Präsident Joe Biden mit Arbeitsminister Marty Walsh (links) bei einer Pressekonferenz am 15. September 2022 im Rosengarten des Weißen Hauses. (AP Photo/Susan Walsh) [AP Photo/Susan Walsh]

Obwohl das Weiße Haus in jeden Schritt des Prozesses eingebunden war, zeigt die Tatsache, dass die Pressesprecherin Karine Jean-Pierre dies öffentlich bekannt gab, wie ernst die Regierung die Lage nimmt. Sie ist entschlossen, einen Eisenbahnerstreik zu verhindern, den Jean-Pierre als „inakzeptabel“ bezeichnete. Sie behauptete zynisch, die Kampagne der Regierung zur Durchsetzung eines Vertrags, der massive Angriffe auf die Bahnarbeiter beinhaltet, solle „amerikanische Familien“ vor den Folgen eines Streiks schützen.

Verkehrsminister Pete Buttigieg unterstrich dies am Dienstag in einer Stellungnahme gegenüber News Nation: „Wir müssen eine Lösung finden, die nicht die Gefahr birgt, dass die amerikanische Wirtschaft lahmgelegt wird. ... Wir haben nicht genug Lastwagen, Frachtkähne oder Schiffe in diesem Land, um das Schienennetz zu ersetzen.“

Buttigieg wollte sich nicht dazu äußern, ob Biden, der sich selbst als „gewerkschaftsfreundlichster Präsident der amerikanischen Geschichte“ bezeichnet, die Eisenbahner unterstützen würde, wenn sie streiken: „Ich möchte mich nicht auf ein Szenario einlassen, bei dem die Fronten nicht klar sind... Was ich aber sage, ist, dass wir ganz klar hinter dem System der Tarifverhandlungen stehen.“

Tatsächlich bestand Bidens Strategie darin, unter dem Deckmantel von „Tarifverhandlungen“ mit einem Gewerkschaftsapparat, der vollständig in das Management und den Staat eingebunden ist, einen Streik zu verhindern und einen Ausverkauf durchzusetzen. Gleichzeitig haben sich Biden und die Demokraten – zusammen mit den Republikanern – seit Monaten hinter den Kulissen darauf vorbereitet, notfalls mit Hilfe des Kongresses einen Streik zu verhindern und einseitig eine Vereinbarung durchzusetzen.

Doch die Eisenbahner haben der öffentlichen Wahrnehmung dieser Kampagne bereits einen schweren Schlag versetzt. Das Weiße Haus befindet sich heute in einer ähnlichen Situation wie vor zwei Monaten, als Biden bereits persönlich interveniert hatte, um vor dem ursprünglichen Streiktermin am 16. September eine Einigung zu erzielen. Das Weiße Haus hatte Unterhändler der Gewerkschaften und der Bahnunternehmen zu Marathonverhandlungen nach Washington einbestellt, die erst am Morgen des 15. September endeten. Danach kündigte Biden mit großem Trara im Rosengarten des Weißen Hauses eine Einigung an. Die Presse feierte ihn als Sieger, der erfolgreich einen landesweiten Streik abgewendet hat.

Die Arbeiter waren jedoch empört über den Deal, der mit den Empfehlungen des Presidential Emergency Board (PEB) vom August, die von den Arbeitern verbreitet abgelehnt wurden, beinahe identisch war. Die einzige Änderung bestand darin, dass drei unbezahlte Krankentage pro Jahr für Arzttermine hinzugefügt wurden – zuvor gab es keinen einzigen Krankentag. Allerdings müssen diese Tage zwischen Dienstag und Donnerstag liegen und mindestens einen Monat im Voraus angekündigt werden. Zwei Monate ständiger Verzögerungen und Einschüchterungstaktiken der Gewerkschaftsbürokratie, die die Abstimmung als falsche „Wahl“ zwischen Alternative 1, der Annahme des Deals, und Alternative 2, der Durchsetzung des Deals durch eine einstweilige Verfügung des Kongresses darstellte, konnten diese Wut nicht besänftigen.

Auf Nachfrage gaben weder Jean-Pierre noch Buttigieg am Dienstag eine Erklärung dazu ab, warum die Arbeiter einen Vertrag abgelehnt haben, der laut dem Weißen Haus ein großer Sieg für sie darstellte.

Die Arbeiter der anderen elf Eisenbahnergewerkschaften begrüßten die Ablehnung des Tarifvertrags. Einer erklärte: „Ich bin froh, dass sie nicht eingeknickt sind wie die anderen Gewerkschaften. Ich zähle auf sie!“ Ein pensionierter Eisenbahner sagte: „Kämpft weiter! Ich erinnere mich noch, wie uns die verräterischen Gewerkschaften ausverkauft haben. Bei Gewerkschaftsveranstaltungen war der berühmteste Spruch: ,Halt dich zurück, Bruder‘!“

Die Frau eines Lokführers erklärte: „Es war richtig, den Tarifvertrag und die vorgelegte Einigung abzulehnen. Ich habe die ganze Zeit gedacht, sie hätten von Anfang an streiken sollen. Sie müssen kämpfen und dafür sorgen, dass es weh tut. Sie müssen ihnen zeigen, dass sie es ernst meinen. Hier geht es um ihre Lebensgrundlage und ihre Zukunft.“

„[Im September] waren alle kurz davor zu streiken“, fährt sie fort, „und dann haben sie die vorläufige Vereinbarung herbeigezaubert. Aber davon haben wir wochenlang nichts erfahren. Sie haben gelogen oder uns bewusst getäuscht, um einen Streik kurz vor den Wahlen zu verhindern.“

Uneinigkeit über das weitere Vorgehen

Der derzeitige Stichtag für einen landesweiten Streik, den sich die Gewerkschaften selbst auferlegt haben, ist der 9. Dezember, in kaum mehr als zwei Wochen. An dem Streik würden sich möglicherweise die Mitglieder von SMART-TD beteiligen, die den Tarifvertrag am Montag abgelehnt haben, ebenso die Brotherhood of Railway Signalmen (BRS), die Brotherhood of Maintenance of Way Employes (BMWED) und die International Brotherhood of Boilermakers (IBB), die zusammen fast die Hälfte der landesweit 120.000 Arbeiter des Bahnsektors ausmachen. Allerdings hätte dies die gleiche Wirkung wie ein Streik aller Arbeiter, weil die Eisenbahner der anderen acht Gewerkschaften die Streikposten respektieren würden.

Ein Streik in der Vorweihnachtszeit hätte besonders starke Auswirkungen und würde etwa zwei Milliarden Dollar pro Tag kosten, da 40 Prozent der Güter auf der Schiene transportiert werden. Die Leitmedien malen das Schreckgespenst massiver Versorgungsengpässe an die Wand, um die öffentliche Meinung gegen die Eisenbahner aufzubringen. Ein Streik würde jedoch in der Arbeiterklasse breite Unterstützung genießen und andere Arbeiter ermutigen, ihre eigenen Forderungen in anderen Branchen durchzusetzen.

Die Gewerkschaften, das Weiße Haus und die Bahnbetreiber sind allesamt entschlossen, einen Streik zu verhindern und die Einigung mit allen Mitteln durchzusetzen, notfalls auch mit einer einstweiligen Verfügung des Kongresses. Allerdings scheint es Unstimmigkeiten darüber zu geben, wie man am besten vorgehen sollte.

Das Weiße Haus bereitet sich zwar darauf vor, Maßnahmen des Kongresses zu unterstützen, hat aber deutlich gemacht, dass es die Verabschiedung einer Vereinbarung durch die Gewerkschaften bevorzugt. Dies liegt auf einer Linie mit der bevorzugten Strategie der Biden-Regierung, die Gewerkschaftsbürokratie zu benutzen, um die Arbeiter zur Ordnung zu rufen. Auf diese Weise hat die Regierung dieses Jahr bereits Streiks in den Ölraffinerien und den Docks an der Westküste verhindert.

Dies hängt jedoch zum Teil davon ab, ob die Bahnunternehmen dazu bereit sind, einen neuen Deal auszuhandeln. Dabei geht es nicht darum, den Arbeitern umfassendere Zugeständnisse zu machen, sondern darum, den gleichen Tarifvertrag mit gerade so vielen wertlosen Feigenblättern auszuschmücken, dass die Gewerkschaft diese als „Gewinne“ darstellen kann. Diese Strategie wurde diesen Monat bei den Bahn-Mechanikern benutzt, um einen Vertrag durchzusetzen, den diese zuvor im September abgelehnt hatten.

Doch die Eisenbahnunternehmen haben es Berichten zufolge in den letzten Verhandlungsrunden abgelehnt, auch nur einen Zentimeter nachzugeben. Die Gewerkschaft BMWED veröffentlichte am Montag eine Erklärung, in der sie den Unternehmen Kollektivbestrafung vorwarf: „Wir glauben, dass das Management der Eisenbahnunternehmen einfach versucht, die Beschäftigten dafür zu bestrafen, dass sie ihr demokratisches Recht wahrnehmen, eine vorläufige Vereinbarung abzulehnen und sich an Arbeitskämpfen für bezahlte Krankentage zu beteiligen. Sie wollen nicht, dass diese Kampagne erfolgreich ist, weil es zeigen würde, dass Solidarität funktioniert.“

Dies ist jedoch auch eine vernichtende Anklage gegen die BMWED und die anderen Gewerkschaften, deren bewusste Sabotage des Kampfs der Eisenbahner die Unternehmen nur ermutigt hat. Anfang des Monats verschob die BMWED den Streikbeginn plötzlich vom 19. November auf den 9. Dezember. Hierzu hatte sie sich in einem geheimen Deal mit den Eisenbahnunternehmen im Vorfeld der Urabstimmung verpflichtet, falls die Arbeiter den Deal ablehnen. Gleichzeitig stellte sie die falsche Behauptung auf, die Arbeiter dürften nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis des Kongresses streiken.

Letzten Monat attackierte BMWED-Präsident Anthony Cardwell das Aktionskomitee der Eisenbahner (Railroad Workers Rank-and-File Committee), das die Verlängerung der Frist als Verstoß gegen den erklärten Willen der Mitglieder bezeichnet hat. Cardwell drohte damit, die Arbeiter sich selbst zu überlassen, wenn sie sich an „nicht genehmigten“ Streiks beteiligen.

Der Präsident der Gewerkschaft SMART-TD, Jeremy Ferguson, erklärte am Montagabend gegenüber Politico, die Intervention des Kongresses sei das wahrscheinlichste Ergebnis und fügte hinzu, ein neues Abkommen sei „nicht wirklich zu erwarten“. Doch um die Arbeiter dazu zu bringen, ein Abkommen zu akzeptieren, stellte Ferguson die Intervention der Regierung so dar, als sei sie eine seit Monatenvollendete Tatsache, und setzte die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung sogar wahrheitswidrig mit einem verfassungsmäßigen Streikverbot gleich.

Trotz der Bürgerkriegsatmosphäre in Washington und obwohl keine Partei bei den letzten Kongresswahlen eine Mandat der Bevölkerung erringen konnte, ist es so gut wie sicher, dass Republikaner und Demokraten im Kongress schnell zusammenfinden werden, um eine Verfügung zu erlassen. Beim letzten landesweiten Eisenbahnerstreik 1991 taten sie genau das, um den Streik innerhalb von Stunden zu beenden.

Dies wäre jedoch mit ernsthaften politischen Gefahren verbunden, vor allem mit der Bedrohung durch die potenzielle Reaktion der Arbeiterklasse auf jeden Versuch, das demokratische Recht der Eisenbahner auf Streik ganz offen auszuhebeln. Im Gegensatz zu 1991 befeuert heute die massive aufgestaute Wut und Opposition der Arbeiterklasse im ganzen Land und der Welt eine Welle von Streiks. Tatsächlich ist längst nicht sicher, dass eine einstweilige Verfügung nach dem Beginn des Streiks die Eisenbahner zur Rückkehr an die Arbeit bewegen könnte.

Wie die Auseinandersetzung ausgeht, wird letztlich im Kampf entschieden. Dies erfordert zwei Dinge. Zum einen müssen die Eisenbahner sich unabhängig organisieren, um Widerstand gegen die Sabotage der Gewerkschaftsbürokratie leisten und Entscheidungen widerrufen zu können, die gegen ihren Willen verstoßen. Zweitens muss die gesamte Arbeiterklasse mobilisiert werden, um die Eisenbahner zu verteidigen, damit der Kongress zurückrudern muss.

Eisenbahner: Nehmt den Kampf um die Kontrolle über den Streik auf! Tretet dem Railroad Workers Rank-and-File Committee bei, per E-Mail an railwrfc@gmail.com, SMS +1 (314) 529-1064, oder füllt das Formular aus.

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