Perspektive

Die Proteste in China und die Aufhebung der Zero-Covid-Politik

Am Wochenende fanden in mehreren chinesischen Städten Proteste statt, überwiegend von Studierenden an Universitäten. Den Bildern zufolge, die in den sozialen Medien gepostet wurden, scheinen diese Demonstrationen nicht außerordentlich groß zu sein. Angesichts des autoritären Charakters des Regimes von Xi Jinping sind die Proteste jedoch ein bedeutendes politisches Ereignis, das mit Sicherheit das Bild von sozialer Stabilität und allgemeiner Zufriedenheit untergräbt, das Xi auf dem kürzlich abgeschlossenen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zu vermitteln versuchte.

Das tatsächliche Ausmaß und die Ziele der Proteste werden durch die Reaktion der westlichen Medien verschleiert, die sie als Anlass für Propaganda gegen Chinas Zero-Covid-Politik nutzen. Die westlichen Medien fordern seit zwei Jahren, dass China seine Zero-Covid-Politik aufhebt, unabhängig davon, wie viele Millionen Menschen das Virus dadurch töten oder schädigen würde. Glaubt man der Propaganda, so bettelt ganz China mittlerweile darum, mit Covid-19 infiziert zu werden.

Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten während einer Demonstration in Peking, 27. November 2022 [AP Photo/Andy Wong]

Es steht außer Frage, dass in China eine ernste soziale und politische Krise herrscht, verschärft nach dem Erlass der „Zwanzig Artikel“ der KPCh am 11. November, mit denen eine Lockerung der Zero-Covid-Politik eingeleitet wurde. Chinas Nationale Gesundheitskommission (NHC) meldete am Montag 40.347 neue Covid-19-Fälle und damit den fünften Tag in Folge einen neuen Infektionsrekord bei dem bisher geografisch am weitesten verbreiteten Ausbruch des Landes.

Auf die sich verschärfende Gesundheitskrise haben die örtlichen Behörden in einigen der am schwersten betroffenen Bezirke in Peking, Guangzhou, Chongqing und anderen Städten mit begrenzten Lockdowns und Massentests reagiert – ohne die Lockdowns jedoch jeweils über der ganzen Stadt zu verhängen, was sich als notwendig erwiesen hat, um die Übertragung des Virus vollständig zu unterbinden.

Auslöser der Proteste am Wochenende war ein tragischer Brand in einem Hochhaus in Urumqi in der Provinz Xinjiang am vergangenen Donnerstag, bei dem zehn Menschen getötet und neun verletzt wurden.

Westliche Medien und verschiedene Kommentatoren in Chinas sozialen Medien behaupten, dass Barrikaden, die aufgrund von Lockdowns errichtet wurden, die Feuerwehr daran hinderten, das Gebäude rechtzeitig zu erreichen. Diese Behauptung wird jedoch durch die Tatsache widerlegt, dass die versperrenden Poller – vertikale Pfosten, die als Zufahrtssperren dienen – bereits Jahre vor der Pandemie errichtet wurden. Die Behauptung, dass die Bewohner nicht evakuiert werden durften, wird auch durch Videos widerlegt, auf denen Bewohner zu sehen sind, die aus dem Gebäude fliehen. Zudem war das Viertel, in dem das Feuer ausbrach, zu diesem Zeitpunkt nicht strikt abgeriegelt.

Der tragische Brand in Urumqi war eindeutig das Ergebnis eines unzureichenden Brandschutzes im Gebäude und einer schlechten Stadtplanung, die das Anrücken der Feuerwehr verhinderte – Probleme, die es in jeder größeren Stadt weltweit gibt.

Was die Demonstranten vom Wochenende vor allem antrieb, war ihre Wut über die Nachlässigkeit der städtischen Behörden und ihr Mitgefühl für die Opfer des Brandes in Urumqi. Es ist durchaus möglich, dass ein Teil der Demonstranten – darunter vor allem jene, die Zugang zu westlichen Medien haben – tatsächlich glaubt, dass die Zero-Covid-Politik eine Rolle bei der Katastrophe gespielt hat.

Die Restauration des Kapitalismus hat eine wohlhabende Schicht in der Mittelklasse geschaffen, die eine wichtige Basis der KPCh-Bürokratie darstellt. Diese gesellschaftliche Schicht ist eher in der Lage, virtuelle private Netzwerke oder andere Methoden zu nutzen, um Chinas große Firewall zu umgehen und Zugang zu westlichen Medien und Social-Media-Plattformen zu erhalten. Auf diese Weise wurden sie im letzten Jahr mit der unerbittlichen Propaganda bombardiert, wonach Omikron „mild“ sei, Covid „jetzt wie eine Grippe ist, wenn man geimpft ist“ – und vor allem mit der Lüge des US-Präsidenten Joe Biden, wonach die Pandemie „vorbei“ sei.

Es wäre jedoch falsch, die mediale Darstellung der Proteste zu akzeptieren, wonach sie politisch reaktionär seien und sämtlich die Abschaffung aller Pandemiemaßnahmen fordern. Bezeichnenderweise wurde mehrfach berichtet, dass Studierende die „Internationale“ sangen – die sozialistische Hymne der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse.

Doch auch in den weniger wohlhabenden Teilen der Mittelschicht und der Arbeiterklasse herrscht große Wut über die wirtschaftlichen Auswirkungen der von der KPCh verhängten Zero-Covid-Politik. Die Regierung hat Arbeitern während der Lockdowns so gut wie keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen und hat vor kurzem damit begonnen, der Bevölkerung die Kosten der Tests in Rechnung zu stellen.

Am vergangenen Dienstag protestierten tausende Arbeiter des Foxconn-Ausbeuterbetriebs in Zhengzhou gegen ihre horrenden Arbeitsbedingungen und mangelnde Bezahlung. Das Werk, in dem bis zu 350.000 Arbeiter rund die Hälfte der weltweiten Apple-iPhones herstellen, wurde seit einem Covid-19-Ausbruch im Oktober in ein geschlossenes System überführt. Um die Produktion aufrechtzuerhalten, wurden die Arbeiter unter gefängnisähnlichen Bedingungen in der Fabrik eingesperrt, anstatt nach Hause geschickt zu werden.

Zusammenstoß zwischen Arbeitern und Sicherheitskräften vor der iPhone-Fabrik in Zhengzhou (China) [Photo: @AnonymeCitoyen]

Entgegen der Darstellung in den westlichen Medien richteten sich die Proteste bei Foxconn jedoch nicht „gegen Lockdowns“ oder gegen Zero-Covid. Die Arbeiter, die alle Masken trugen, um eine Übertragung des Virus zu verhindern, forderten im Gegenteil nicht nur volle Lohnzahlung, sondern auch regelmäßigere Covid-19-Tests und sicherere Isolations- und Quarantäneprotokolle.

Die Proteste in China werden von Frustration angetrieben, der die Tatsache zugrunde liegt, dass jede ausschließlich auf ein Land angewandte Zero-Covid-Politik auf unüberwindbare Probleme stößt. Es gibt keine nationale Lösung für die Pandemie, die ihrem Wesen nach ein weltweites Problem ist, das eine global koordinierte Reaktion erfordert. Sollte eine solche einheitliche weltweite Bewegung ausbleiben, wird sich die gesundheitliche und soziale Krise in China in den kommenden Wochen und Monaten noch verschärfen.

Der größten Gefahr steht derzeit Chinas ältere Bevölkerung gegenüber, die nach wie vor die Altersgruppe mit dem unzureichendsten Impfstatus ist, was vor allem auf falsche Vorstellungen über die Impfstoffe und traditionelle chinesische Medizin zurückzuführen ist. Nach den jüngsten Daten des NHC sind 21 Millionen Chinesen über 60 Jahren völlig ungeimpft, und 21,5 Millionen Menschen über 80 Jahren haben keine notwendige Auffrischungsimpfung erhalten.

Eine im Mai veröffentlichte Studie schätzte, dass die vollständige Aufhebung von Zero Covid in China innerhalb von nur sechs Monaten mehr als 1,6 Millionen Menschen töten würde. Seitdem sind die Impfraten ins Stocken geraten, und die Immunität hat bei einem Großteil der chinesischen Bevölkerung nachgelassen, was die Gefahren weiter erhöht.

Zusätzlich zu den immensen Risiken, denen ältere Menschen ausgesetzt sind, ist die gesamte chinesische Bevölkerung von Long Covid bedroht, das nahezu alle Organe des Körpers befallen kann. Weltweit wurden bereits dutzende Millionen Menschen durch Covid-19 geschädigt und versehrt, darunter auch vollständig geimpfte Personen. Studien haben gezeigt, dass das Risiko, an Long Covid zu erkranken, durch eine Impfung nur geringfügig verringert wird und dass Reinfektionen mit neuen Varianten das Risiko für Tod und Long Covid erhöhen – unabhängig vom Impfstatus.

Es ist unerlässlich, dass die Arbeiterklasse in China und weltweit einen gemeinsamen Kampf entwickelt, um die Aufhebung der Zero-Covid-Politik in China zu stoppen und diese Grundsätze der öffentlichen Gesundheit international anzuwenden.

Nur durch einen weltweit koordinierten Einsatz von Massentestungen, Kontaktnachverfolgung, die Erneuerung der Infrastruktur, die Verwendung hochwertiger Masken, bezahlte Lockdowns, die Entwicklung fortschrittlicherer Impfstoffe und alle anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Virusübertragung kann die Pandemie ein für alle Mal gestoppt werden.

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