Frankreich beschönigt Ermordung kurdischer Nationalisten am 23. Dezember in Paris

Am 23. Dezember um kurz vor 11 Uhr vormittags wurden bei einem bewaffneten Anschlag in der Rue d'Enghien in der Pariser Innenstadt drei Kurden getötet und fünf weitere verwundet. Der Täter, der von der Polizei nur William M. genannt wird, eröffnete das Feuer vor dem kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya und ging anschließend in einen Friseursalon und ein nahegelegenes Restaurant.

Sanitäter der Feuerwehr mit einem verwundeten Demonstranten während einer Protestveranstaltung am 24. Dezember 2022 gegen die jüngste Schießerei vor dem kurdischen Kulturzentrum in Paris. (AP Photo/Lewis Joly) [AP Photo/Lewis Joly]

Die drei bei dem Anschlag getöteten Personen waren die bekannten kurdischen Aktivisten Emine Kara, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl. Die 48-jährige Kara war ein langjähriges Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der kurdischen Frauenbewegung in Frankreich. Sie kämpfte von 2014 bis 2018 in Nordsyrien, wurde in der Schlacht von Raqqa verwundet und musste für einen medizinischen Eingriff nach Europa ziehen.

Perwer (29) war ein kurdischer Sänger aus Ostanatolien, der 2015 in der Türkei verhaftet worden war und mehrere Jahre im Gefängnis verbrachte. 2021 floh er aus der Türkei, kurz bevor er wegen seiner PKK-Mitgliedschaft zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Kızıl war Rentner und laut dem Kurdischen Demokratischen Zentrum Frankreichs „sein Leben lang Aktivist für die kurdische Sache“.

Der bewaffneten Anschlag fand fast genau zehn Jahre nach der Ermordung von drei weiteren PKK-Aktivisten in Paris im Januar 2013 statt. Damals befand sich unter den Toten die Mitbegründerin der PKK Sakine Cansız.

Stunden nach dem Anschlag am Freitag bestritt Innenminister Gérald Darmanin, dass der Täter gezielt Kurden angegriffen hat, und erklärte, es sei „nicht sicher, dass es der Schütze speziell auf die kurdische Gemeinschaft abgesehen hatte, [sondern eher] auf Ausländer im Allgemeinen“. Die französische Polizei hat jede Verbindung zwischen dem Täter und französischen oder internationalen rechtsextremen Bewegungen bestritten. Laut offiziellen Darstellungen war er ein isolierter, rassistischer Verrückter mit unerklärlichem Hass auf Ausländer, der der Polizei immer wieder entkommen sei.

Allerdings reichen die Gedankengänge eines einzelnen rassistischen Mörders nicht aus, um die politischen Ursachen eines solchen Massenmordes zu bestimmen. Die kurdisch-nationalistische PKK befindet sich nicht nur in einem ständigen Konflikt mit dem türkischen Staat, sondern arbeitet auch mit den USA und den anderen imperialistischen Nato-Mächten im Stellvertreterkrieg in Syrien zusammen. Diese Kriege und das unablässige Schüren von Fremdenfeindlichkeit und anti-muslimischer Stimmung durch das französische politische Establishment haben die Voraussetzungen für den Anschlag geschaffen.

Der Täter William M. war der Polizei gut bekannt und erst vor kurzem aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem er vor nur einem Jahr einen Anschlag auf Flüchtlinge verübt hatte, bei dem er letztlich scheiterte. Am 8. Dezember 2021 war er mit einem Schwert in ein Camp von Flüchtlingen im Pariser Bercy-Park eingedrungen und hatte „Tod den Migranten“ gerufen. Bevor ihn vier erwachsene Flüchtlinge überwältigen konnten, stach er auf einen Minderjährigen und einen Erwachsenen ein, die beide überlebten. Der Erwachsene ist jedoch aufgrund seiner Verletzungen seither arbeitsunfähig.

Obwohl der Angriff im Jahr 2021 eindeutig rassistisch motiviert war, wurde William M. keiner terroristischen Straftat angeklagt, sondern nur wegen Gewalt mit einer Waffe, was mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann. Am 12. Dezember wurde er freigelassen, ohne vor Gericht gestellt worden zu sein.

In den elf Tagen zwischen seiner Freilassung und dem Anschlag wurde William M. nicht daran gehindert, sich die Waffe zu kaufen, mit der er den Anschlag verübte. Die französische Polizei hat bisher keine Angaben dazu gemacht, wie und wo er die Schusswaffe erworben hat, obwohl der Verkauf von Waffen in Frankreich streng geregelt ist.

Die französischen Behörden sind scheinbar entschlossen, die Einzelheiten darüber, wie William M. diese Morde begangen hat, für immer vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. In einer vorläufigen Anhörung am 27. Dezember wurde William M. wegen seines labilen psychischen Zustands ein Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit angeboten, was seine Anwälte akzeptiert haben.

Laut der französischen Staatsanwaltschaft hat William M. nach seiner Festnahme erklärt, er habe einen „völlig pathologischen“ Hass auf Ausländer und wolle so viele „Nicht-Europäer“ wie möglich töten.

Daraus ergibt sich jedoch die Frage, welche Kräfte eine politische Atmosphäre geschaffen haben, in der pathologischer Hass auf Ausländer und Menschen aus dem Nahen Osten gedeihen konnten. Tatsächlich verurteilte der französische Präsident Emmanuel Macron den „abscheulichen Anschlag auf das Herz von Paris“, doch seine eigene Regierung hat Stimmungen gegen Muslime angefacht und das diskriminierende Gesetz gegen Separatismus verabschiedet, das rechtsextreme Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie geschürt hat.

Macrons Bilanz ist allgemein bekannt. Seine Regierung, die zwei Wahlen gewonnen hat, indem sie sich als „republikanische“ Alternative zur rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen inszenierte, hat 2021 mit ihrer Unterstützung ein Gesetz gegen Separatismus verabschiedet, das die Diskriminierung der acht Millionen Muslime in Frankreich gesetzlich festschreibt. Macron hat zudem kontinuierlich mit der EU zusammengearbeitet, um eine üble migrantenfeindliche Politik durchzusetzen, die dazu geführt hat, dass seit 2014 über 25.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind.

Nach dem Anschlag in Paris entlud sich die Wut über das ständige Schüren von Fremdenfeindlichkeit durch das französische politische Establishment in großen Demonstrationen von Kurden und anderen Einwanderergruppen in der Pariser Innenstadt, die der Regierung vorwarfen, sie nicht vor rechtsextremen Anschlägen zu schützen. Am abend des 23. Dezember wurden die Demonstranten von der französischen Bereitschaftspolizei mit Tränengas und Schlagstöcken brutal angegriffen. Die Polizei versuchte, die Demonstranten daran zu hindern, zum kurdischen Kulturzentrum zu ziehen, wo der Anschlag stattfand.

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Demonstranten warfen der türkischen Regierung vor, eine aktive Rolle bei den Anschlägen gespielt zu haben. Kara und Perwer waren bekannte PKK-Aktivisten und wurden aktiv von der türkischen Regierung gesucht. Kurdische Nationalisten haben der Türkei schon seit langem vorgeworfen, an der Ermordung der PKK-Aktivisten in Paris im Jahr 2013 beteiligt gewesen zu sein.

Der Vorsitzender der Partei Unbeugsames Frankreich Jean-Luc Mélenchon hat offenbar am 24. Dezember diese Vorwürfe unterstützt: „Wir glauben, dass das kein Zufall ist und dass es sich bei dem Vorfall um einen Terroranschlag gegen politische Aktivisten handelt.“ Mélenchon stellte jedoch nicht die offensichtliche Frage, die sich daraus ergibt: Warum sollte die französische Polizei eine zentrale Rolle bei der gezielten Ermordung von Personen spielen, die von der Türkei gesucht werden?

Die türkische Regierung hat nicht zugegeben, eine direkte Rolle bei den Morden gespielt zu haben. Doch Ankara machte durch seine Reaktion deutlich, dass es über das Massaker in Paris auch nicht verärgert war. Statt die Macron-Regierung dafür zu kritisieren, dass sie die Opfer des Anschlags nicht geschützt und stattdessen die Demonstranten angegriffen hat, berief Ankara am Montag den französischen Botschafter ein, um sich über die PKK-Flaggen bei den Protesten nach dem Anschlag zu beschweren.

Die kurdisch-nationalistischen Politiker, die von den imperialistischen Mächten unterstützt werden, reagierten im Grunde ähnlich. Sie unterstützten die französische Polizei und kritisierten die Proteste, während sie die Rolle von Macrons Polizei bei dem Anschlag sowie Macrons Politik des imperialistischen Kriegs in Syrien und die anti-muslimische Hysterie in Frankreich selbst ignorierten.

Der Präsident der Region Kurdistan, Nechirvan Barzani, bedankte sich in einem Interview mit der kurdisch-nationalistischen Website Rudaw bei Macron für seine Reaktion auf den Anschlag und rief die kurdischen Demonstranten auf, „Zurückhaltung zu üben.“ Er erklärte absurderweise: „Ich vertraue darauf, dass unsere französischen Partner nichts unversucht lassen, um die kurdischen Gemeinden zu schützen.“

Andere kurdische Nationalisten benutzten den Anschlag zynisch, um eine engere Zusammenarbeit mit dem französischen und Nato-Imperialismus zu fordern. Mazloum Abdi, der Generalkommandeur der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), erklärte gegenüber Rudaw, der Anschlag zeige, „dass die Unterstützung für uns im Kampf gegen den Terror ausgeweitet werden sollte“.

Diese Kommentare entlarven die Heuchelei der bürgerlichen Nationalisten, die das Wohl der kurdischen Diaspora in Frankreich und der Kurden im Nahen Osten beiseite schieben, um die finanzielle und militärische Unterstützung der imperialistischen Mächte in den Kriegen zu erhalten, die im Moment den Nahen Osten verwüsten.

Der tödliche Anschlag auf die kurdische Gemeinde in Paris zeigt einmal mehr die massiven Spannungen in der französischen Gesellschaft und die weltweit wachsende Gefahr rechtsextremer Anschläge. Die Unterwerfung der kurdisch-nationalistischen Kräfte, die Opfer der Anschläge wurden, unter den Imperialismus unterstreicht einen politisch zentralen Punkt: Widerstand gegen imperialistische Kriege im Nahen Osten und Polizeistaatsherrschaft in den imperialistischen Ländern wie Frankreich kann nur unabhängig von den kapitalistischen Parteien und Regierungen auf der Grundlage einer internationalen Mobilisierung der Arbeiter im Kampf gegen imperialistischen Krieg und Polizeistaatsunterdrückung geleistet werden.

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