Scholz besucht Argentinien, Chile und Brasilien

Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte Ende Januar in Begleitung einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation Argentinien, Chile und Brasilien. Die viertägige Reise stand ganz im Zeichen der Verschärfung des Nato-Kriegs gegen Russland und der Unterdrückung des weltweit eskalierenden Klassenkampfs.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der brasilianische Präsident Lula da Silva [Photo by Bundesregierung/Zahn]

Scholz verfolgte mit seiner Reise mehrere Ziele – die Eingliederung Südamerikas in die Nato-Kriegsfront gegen Russland; die Erschließung neuer Absatzmärkte, Energie- und Rohstoffquellen für die deutsche Wirtschaft, um die Folgen der Russlandsanktionen auszugleichen und den Einfluss Chinas zurückzudrängen; und die Unterstützung der südamerikanischen Regierungen gegen den massiven Widerstand der Arbeiterklasse.

In allen drei Ländern besuchte Scholz demonstrativ Gedenkstätten für die Opfer rechter Gewaltherrschaft – in Argentinien den Erinnerungspark für die Opfer der blutigen Militärdiktatur General Videlas, in Chile das Museum für die Opfer der Pinochet-Diktatur. In Chile vereinbarte er außerdem die Errichtung einer Gedenkstätte an die Colonia Dignidad, in der eine deutschstämmige Sekte Gegner Pinochets gefoltert hatte. In Brasilien trug der Präsidentenpalast, in dem sich Scholz mit Präsident Lula da Silva traf, noch die Spuren des jüngsten Putschversuchs der Anhänger seines faschistischen Vorgängers Jair Bolsonaro.

Scholz Verbeugung vor den Opfern von Militärdiktaturen, zu denen Deutschland die besten Beziehungen unterhielt, richtete sich nicht gegen die faschistische Gefahr. Zum einen wollte er damit den Charakter seiner eigenen Regierung kaschieren, die in der Innen- und Außenpolitik einen extrem rechten Kurs verfolgt. Und er wollte die nominell linken Regierungen in Südamerika, die mit ihren sozialen Angriffen den Rechten den Weg zurück an die Macht bahnen, in ihrer Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse stärken.

In Argentinien, wo in diesem Jahr Wahlen anstehen, traf sich Scholz mit Präsident Alberto Fernández, dessen peronistische Bewegung bereits bei den Zwischenwahlen Ende 2021 eine verheerende Niederlage erlitten hatte. Das Land mit seinen 47 Millionen Einwohnern steckt einer katastrophalen wirtschaftlichen Krise. Die Inflationsrate liegt bei 95 Prozent, 43 Prozent der Bevölkerung leben in Armut.

Während Fernández mit Hilfe der Gewerkschaften und pseudolinker Parteien den Klassenkampf unterdrückt und Sozialausgaben kürzt, um einen 45-Milliarden-IWF-Kredit zurückzuzahlen, wittert die extreme Rechte Morgenluft. So versuchte im September letzten Jahres ein Rechtsextremer Vizepräsidentin Cristina Kirchner zu ermorden. Am Tag darauf demonstrierte eine halbe Million vor dem Präsidentenpalast gegen den Anschlag.

Scholz und Fernández unterzeichneten Absichtserklärungen über eine engere Zusammenarbeit beim Ausbau erneuerbarer Energie und der Förderung von Startups. Deutschland will außerdem größere Mengen Frackinggas aus Argentinien beziehen. Scholz sprach sich für eine schnelle Verabschiedung des Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten aus, über das seit 20 Jahren verhandelt wird. Argentinien hat kürzlich den Beitritt zum BRICS-Bündnis beantragt, dem China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika angehören.

Auch der chilenische Präsident Gabriel Boric, mit dem sich Scholz auf der zweiten Etappe seiner Reise traf, ist mit heftigen Klassenkämpfen konfrontiert. Boric war Ende 2021 als Kandidat eines vorgeblich linken Wahlbündnisses gewählt worden. Seine eigene Partei Convergencia Social basiert auf dem Vorbild der spanischen Podemos.

Doch seither hat sich Boric in dem sozial polarisierten Land als verlässlicher Vertreter kapitalistischer Interessen gezeigt. Als Rechtsextreme im vergangenen Jahr mit Duldung der Polizei auf Journalisten und Teilnehmer einer Mai-Kundgebung schossen, stellte sich seine Regierung hinter die Polizei. Im Sommer traten 50.000 Bergarbeiter in den Streik, um gegen die Entscheidung von Boric zu protestieren, ein Kupferbergwerk stillzulegen. Im Oktober ließ Boric Gedenkveranstaltungen an die Massenproteste von 2019, denen er seinen Wahlsieg verdankte, brutal niederknüppeln.

Scholz und Boric vereinbarten eine enge Zusammenarbeit im Bereich Bergbau, Rohstoffe und erneuerbare Energien. Chile soll mit Wind- und Wasserkraft Wasserstoff produzieren, der dann nach Deutschland exportiert wird. Ein erstes gemeinsames Pilotprojekt, „Haru Oni“ in Patagonien, wurde vor einigen Wochen eingeweiht.

Chile ist außerdem der weltweit wichtigste Lieferant von Kupfer und verfügt über große Vorkommen von Lithium, das für die Produktion von Autobatterien benötigt wird. Derzeit ist es hinter Australien der zweitgrößte Produzent von Lithium und deckt zwei Drittel des EU-Bedarfs ab.

„Der Abbau von Kupfer und Lithium gilt als besonders schmutzig,“ schreibt dazu die F.A.Z.. „Deutschland versucht sich für die Modernisierung des Abbaus als Partner anzubieten und so ins Geschäft zu kommen.“ Im Kanzleramt sei man sich bewusst, dass man den Abbau zu lange den Chinesen überlassen habe. Deutschland wolle nun auch dadurch zum attraktiven Partner werden, indem es die Rohstoffe, anders als China, im Herkunftsland selbst verarbeiten lasse.

Die längste Zeit verbrachte Scholz in Brasilien, wo er sich mit dem neu gewählten Präsidenten Lula da Silva traf, den er zu Regierungskonsultationen nach Deutschland einlud. Der ehemalige Gewerkschaftsführer, Gründer der Arbeiterpartei (PT) und Präsident ist längst zum Favoriten des brasilianischen und internationalen Kapitals geworden. Er fürchtet die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse weit mehr als die Bedrohung durch Faschismus und Diktatur.

Um wieder an die Macht zu gelangen, hatte sich Lula mit rechten Elementen aus der Regierungskoalition seines Vorgängers Bolsonaro verbündet, die teilweise mit den Putschisten paktierten, die am 8. Januar das Regierungsviertel verwüsteten.

Auch mit Lula vereinbarte Scholz – neben dem Schutz des Amazonas-Regenwaldes – eine enge Zusammenarbeit beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Herstellung von grünem Wasserstoff. „Schon jetzt sind unsere Wirtschaftsbeziehungen sehr eng“, betonte der Kanzler. „Rund 1000 deutsch-brasilianische Unternehmen gibt es in Ihrem Land. Das ist schon eine beeindruckende Zahl, aber wir wollen sie in Zukunft noch weiter erhöhen.“

Während Scholz zahlreiche Wirtschaftsabkommen vereinbarte, zeigten ihm seine Gesprächspartner in der Kriegsfrage die kalte Schulter. Die Vertreter der lateinamerikanischen Bourgeoisie zeigen wenig Neigung, sich in völlige Abhängigkeit von den Nato-Mächten zu begeben. Sie versprechen sich mehr davon, zwischen Europa, den USA, China und Russland zu manövrieren. Sie verurteilten zwar alle Russland als Aggressor, waren aber nicht bereit, sich durch Waffenlieferungen oder anderweitig direkt am Krieg zu beteiligen.

Die Differenzen wurden auf der abschließenden Pressekonferenz von Scholz und Lula deutlich sichtbar. Lula erklärte unter der versteinerten Miene des Kanzlers, er wisse gar nicht genau, warum dieser Krieg überhaupt angefangen habe. Der Ukraine gab er eine Mitverantwortung. Er schlug die Gründung eines „Friedensclubs“ vor, in dem Brasilien die Rolle des Vermittlers übernehme und an dem auch China beteiligt sei. Mit der Begründung, Brasilien sei „ein Land, das dem Frieden verpflichtet ist“, lehnte Lula die Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine ab.

Scholz‘ Südamerikareise zeigt, worin die „Zeitenwende“ besteht, die der Kanzler zu Beginn des Ukrainekriegs angekündigt hat. Die Bundesregierung nutzt den Krieg mit Russland, den die Nato durch ihr aggressives Vordringen nach Osten selbst provoziert hat, nicht nur für die größte militärische Aufrüstung seit Hitler, um wieder zur führenden Militärmacht Europas zu werden. Sie will sich auch ihren Einfluss in Lateinamerika, Afrika und großen Teilen Asiens ausbauen.

Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Großmächten war die Ursache des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Nun bereiten Deutschland und die anderen imperialistischen Mächte eine noch viel umfassendere Katastrophe vor.

Den Preis zahlt die internationale Arbeiterklasse in Form von Inflation, Sozialabbau und Repression sowie als Kanonenfutter. Nur ihr unabhängiges politisches Eingreifen kann diesen Wahnsinn stoppen. Dabei fällt der Kampf gegen Krieg untrennbar mit dem Kampf gegen seine Ursache, den Kapitalismus zusammen.

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