Perspektive

Bidens Besuch in Kiew bedeutet Drohung mit offenem Krieg der USA gegen Russland

Am Montag traf US-Präsident Joe Biden in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein und erklärte, die Vereinigten Staaten würden sich im Krieg mit Russland engagieren, „so lange es nötig ist“. Mit dem Besuch des „Oberbefehlshabers“ an der Front wird der Charakter des Konflikts festgeschrieben: als Krieg der USA und als vorrangiger Fokus der Regierung Biden.

Wenige Tage vor dem Jahrestag des Kriegs und am Vorabend einer größeren Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin soll Bidens Besuch die Botschaft vermitteln: Die Vereinigten Staaten gehen aufs Ganze.

US-Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor der St.-Michaels-Kathedrale in Kiew am Montag, 20. Februar 2023

Bidens Besuch im Kriegsgebiet war, so die Worte der Kommunikationsdirektorin des Weißen Hauses Kate Bedingfield, „riskant“ und „beispiellos“, aber „ein Risiko, das Joe Biden eingehen wollte“.

Bidens Besuch mag „riskant“ gewesen sein, aber er war nicht beispiellos. Im Juli 1944 versammelte US-Präsident Franklin Roosevelt seine führenden Befehlshaber im Pazifikraum in Pearl Harbor auf Hawaii, um die endgültige Eroberung Japans zu besprechen. 13 Monate später warfen die Vereinigten Staaten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ab, die bis zu einer Viertelmillion Menschen töteten.

Ende 1966 besuchte Präsident Lyndon B. Johnson Südvietnam und leitete damit eine erhebliche Steigerung des Truppeneinsatzes in Vietnam ein. Im Laufe des nächsten Jahres sollten mehr als 11.000 US-Soldaten ihr Leben verlieren, gegenüber 6.000 im Jahr zuvor.

Der Besuch Bidens in Kiew ist ein Versuch, das US-Nato-Engagement für die Eskalation des Kriegs in der Ukraine unumkehrbar zu machen.

In der Bevölkerung wächst der Widerstand gegen den Krieg, und Bidens ständige Beschwörungen der „Einheit“ lassen darauf schließen, dass er durchaus nicht sicher ist, inwieweit seine Nato-Verbündeten zu einem direkten Krieg gegen Russland bereit sind.

In einem Kommentar vom Montag schrieb der Kolumnist der Financial Times Gideon Rachman: „In vielen Kriegen kommt ein Punkt, an dem sich die Krieg führenden Seiten fragen, worauf sie sich eingelassen haben.“ Russland habe dieses Stadium bereits im September erreicht, gehe aber jetzt in die Offensive. „Der erste Jahrestag des russischen Einmarsches jährt sich in dieser Woche, und das westliche Bündnis, das die Ukraine unterstützt, muss schwierige politische Debatten führen.“

Bidens Besuch in Kiew fand vor dem Hintergrund statt, dass die amerikanischen Stellvertreterkräfte in der Ukraine, die für mehr als 100 Milliarden Dollar bewaffnet und ausgerüstet wurden, schwere Rückschläge erlitten haben. Rachman bemerkt:„Die ukrainische Wirtschaft steckt in großen Schwierigkeiten und ist von westlicher Hilfe abhängig. Aus diesem Grund argumentieren einflussreiche westliche Analysten, dass die Zeit nicht der Ukraine in die Hände spielt – und dass Kiew, wenn es gewinnen soll, dies schnell tun muss.“

Neben den öffentlichen optimistischen Äußerungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende warnten Nato-Vertreter im Hintergrund, dass die Lage der ukrainischen Streitkräfte katastrophal ist. „Wir befinden uns im dringenden Kriegsmodus“, sagte Josep Borrell, der Chefdiplomat der Europäischen Union. „Der Munitionsmangel muss schnell behoben werden, es ist eine Frage von Wochen“, so Borrell, andernfalls drohe der Ukraine eine militärische Niederlage.

Diese Aussagen zeugen von der Erkenntnis, dass die ukrainische Armee massive Verluste erleidet und ohne baldige Verstärkung vor dem Zusammenbruch steht.

Der Krieg hat eine eigene Logik, die ab einem bestimmten Punkt zu einem Eskalationsfaktor wird. Seit die USA und die Nato-Mächte vor einem Jahr die reaktionäre russische Invasion in der Ukraine provoziert haben, wurde immer mehr Geld und militärisches Gerät geschickt.

Jedes Nachlassen zum jetzigen Zeitpunkt würde eine verheerende Niederlage für die Nato und einen Zusammenbruch des amerikanischen Einflusses in Europa bedeuten. Die Glaubwürdigkeit der Nato und vor allem des amerikanischen Imperialismus steht auf dem Spiel. Dies macht den Krieg bis zum vollständigen Sieg zu einer existenziellen Frage für den US-Imperialismus.

Bidens Besuch in Kiew widerlegt auch jede Behauptung, dass die USA und die Nato nicht Kriegspartei seien. Wenn es sich allerdings um einen Nato-Krieg handelt, müssen auch Nato-Truppen geschickt werden.

Dem Besuch Bidens ging eine koordinierte Aktion von US-Regierungsvertretern, ukrainischen Beamten und den US-Medien voraus, um den Umfang des US-Engagements vor den Augen der Öffentlichkeit auszuweiten und den Gedanken an eine militärische Präsenz vor Ort einzuführen.

Am Freitag befürwortete die US-Staatssekretärin für politische Angelegenheiten, Victoria Nuland, zum ersten Mal offen ukrainische Angriffe auf der Krim. „Das sind legitime Ziele“, sagte Nuland. „Die Ukraine greift sie an. Das unterstützen wir.“

Am Wochenende erklärte ein früheres Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, Alexander Vindman, in einem Interview mit Associated Press, dass die USA ihre Zurückhaltung bei der Intervention in der Ukraine aufgeben werden. „Ich bin zunehmend zuversichtlich, dass [das Weiße Haus] alles, was die Ukrainer brauchen, zur Verfügung stellen wird“, sagte er. „Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Am Wochenende brachten die US-Medien die Entsendung von Bodentruppen ins Spiel. Am Samstag forderte die Washington Post die Nato auf, „ein überzeugendes Aufgebot an militärischen Kräften am Boden“ einzusetzen. Chuck Todd, der Moderator von „Meet the Press“, der führenden politischen Talkshow der USA, fragte: „Werden die USA und ihre Verbündeten in der Lage sein, Putin zu besiegen, ohne Nato- oder US-Stiefel auf den Boden zu stellen?“

Unterdessen sprechen Regierungsvertreter der Ukraine die Ziele ihrer Zahlmeister in Washington immer deutlicher aus. Am Sonntag erklärte Olekskij Danilow, der Sekretär des ukrainischen Nationalen Sicherheitsrats, gegenüber der Sun: „Unsere Panzer werden auf dem Roten Platz stehen und das wird Gerechtigkeit bedeuten.“

Am Montag, dem Tag, an dem Biden in Kiew eintraf, veröffentlichte die New York Times einen Kommentar, in dem sie die Zerstörung Russlands als Nationalstaat propagierte: „Russland wird so lange keine Demokratie sein, bis es auseinanderbricht.“

Die US stoßen bei der Ausweitung ihrer Kriegsziele jedoch auf die offiziell erklärte Politik Russlands, zur Verteidigung seines Territoriums, einschließlich der Krim, Atomwaffen einzusetzen.

Vertreter der US-Regierung haben klargestellt, dass sie die Aussicht auf einen Atomkrieg uneingeschränkt akzeptieren. Eliot Cohen vom Center for Strategic and International Studies erklärte kürzlich in einem Interview, wenn sich US-Beamte aufgrund die Androhung russischer nuklearer Vergeltungsmaßnahmen einschränken würden, dann würde dies bedeuten, dass „wir uns selbst abgeschreckt haben“.

Die USA bräuchten eine „echte Mobilisierung der Verteidigungsindustrie“, so Cohen. Dies müsse einhergehen mit „einer konzertierten Aktion, um dem amerikanischen Volk zu erklären, warum dieser Krieg wirklich von zentraler Bedeutung für unsere Interessen ist“.

Wie genau will die herrschende Klasse der amerikanischen Bevölkerung „erklären“, dass es in ihrem Interesse ist, wegen der Ukraine einen Atomkrieg zu riskieren? Es lohnt sich, an die Aussagen von Zbigniew Brzezinski zu erinnern, der in den Jahren vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schrieb, „das Streben nach Macht [d.h. nach der Weltherrschaft der USA] wird kein Volk zu Begeisterungsstürmen hinreißen, außer in Situationen, in denen nach allgemeinem Empfinden das nationale Wohlergehen bedroht oder gefährdet ist.“

Die Öffentlichkeit hat nicht einen Bruchteil dessen erfahren, was Biden nach seiner 20-stündigen Zugfahrt in Kiew sowohl mit Washingtons Marionetten als auch mit den CIA- und US-Militärs, die bereits vor Ort sind, besprochen hat.

Bidens Besuch macht deutlich, dass die Vereinigten Staaten auf eine massive Eskalation des Kriegs setzen, mit unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung der Ukraine, Russlands und der ganzen Welt.

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