Florenz: Zehntausende protestieren gegen faschistische Prügelattacke

An einer Demonstration und Kundgebung in Florenz beteiligten sich am vergangenen Samstag mehrere zehntausende Jugendliche, Lehrkräfte und Arbeiter. Die Angaben variieren von 20.000 (Polizei) bis 50.000 (Gewerkschaftsverband CGIL) Teilnehmer, die durch Florenz marschierten, um ein Zeichen gegen Faschismus zu setzen.

Demonstration gegen Faschismus in Florenz, Auftaktkundgebung an der Piazza Santissima Annunziata, 4. März 2023

Anlass war eine faschistische Prügelattacke an einem Gymnasium in Florenz. Am 18. Februar hatten Mitglieder der rechtsextremen „Azione studentesca“ vor dem klassischen Liceo Michelangiolo Schüler angegriffen, weil diese sich geweigert hatten, ihre Flyer anzunehmen. Zwei Schüler, die sich über den Inhalt der Flugblätter empört und dies auch klar geäußert hatten, wurden brutal attackiert.

Ein Video zeigt, wie der eine Schüler, noch am Boden liegend, rücksichtslos getreten und geschlagen wird, bis eine Lehrerin auftaucht. Seither sollen gegen sechs Angreifer Ermittlungen laufen, die von der DIGOS, einem auf Terror- und Extremismus-Bekämpfung spezialisierten Zweig der Staatspolizei, übernommen wurden.

Während die Schulleitung des Liceo Michelangiolo eine prinzipienlose, feige Erklärung abgab, in der sie beide Seiten und „Gewalt“ im Allgemeinen verurteilte, reagierte Annalisa Salvino, Schulleiterin des benachbarten Liceo Leonardo Da Vinci, ganz anders. Sie wandte sich in einem Brief an die Schülerinnen und Schüler und warnte mit Bezug auf den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci vor einer gleichgültigen Haltung dem Faschismus gegenüber. In Salvinos Brief heißt es:

Der Faschismus ist in Italien nicht auf großen Kundgebungen von Tausenden von Menschen entstanden. Er begann am Rande eines gewöhnlichen Bürgersteigs, wo das Opfer eines politisch motivierten Prügelangriffs von gleichgültigen Passanten sich selbst überlassen wurde. „Ich hasse die Gleichgültigen“, sagte Antonio Gramsci, ein großer Italiener, den die Faschisten bis zu seinem Tod in ein Gefängnis sperrten, weil die Kraft seiner Ideen sie erschreckte wie die Karnickel.

Sie fuhr fort mit dem Hinweis, dass gerade in Zeiten wie der heutigen Totalitarismen Fuß fassen könnten, „um die Zukunft ganzer Generationen zu ruinieren“, und schloss mit folgender Warnung:

Wer den Wert der Grenzen preist, das Blut der eigenen Vorfahren im Gegensatz zu den „Anderen“ verehrt, wer immer noch Mauern errichtet, muss isoliert, bei seinem Namen genannt und bekämpft werden, mit Kultur und mit der Macht der Ideen. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass dieses ekelhafte Wiederaufbrechen von alleine verschwinden werde. Viele anständige Italiener haben das vor 100 Jahren auch geglaubt, aber so ist es nicht gekommen.

Der Brief erregte die Wut des Bildungsministers Giuseppe Valditara (Lega), und er drohte damit, die Schulleiterin zu maßregeln. In einem TV-Interview bezeichnete er am 23. Februar die Prügelattacke als „lächerliches Gerangel zwischen Schülern“ und erklärte, es sei „nicht die Aufgabe einer Schulleiterin, in offizieller Funktion solche Botschaften“ zu verbreiten. Im Übrigen habe der Inhalt von Savinos Brief „nichts mit der Realität zu tun. In Italien gibt es weder eine faschistische Bedrohung noch ein Abdriften in Richtung Gewalt oder Autoritarismus“, behauptete der Minister.

Valditara, der ursprünglich aus der faschistischen Partei Alleanza Nazionale stammt, nahm selbst einen rechtsextremen Standpunkt ein. Er behauptete: „Die Verteidigung der Grenzen und die Erinnerung an die Identität eines Volkes hat nichts mit Faschismus oder – noch schlimmer – mit Nazismus zu tun.“ Schließlich drohte er der Schulleiterin: „Sollte sich diese Haltung in einer Herangehensweise niederschlagen, die über die schulischen Grenzen hinausgeht, werden wir sehen, ob es notwendig ist, Maßnahmen zu ergreifen.“

Was die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, Vorsitzende der faschistischen Fratelli d’Italia (FdI), betrifft, so hat sie bisher zu dem Vorfall geschwiegen. Sie hatte selbst vor Jahren den Vorsitz der „Azione studentesca“ geführt. Die faschistische Jugendorganisation und ihre Vorläufer gehen auf das MSI zurück, die Sammlungsbewegung der Mussolini-Anhänger nach dem Zweiten Weltkrieg. In Florenz hat die „Azione studentesca“ ihren Sitz im selben Gebäude wie Melonis Regierungspartei FdI.

Die Reaktion des Ministers löste einen allgemeinen Aufschrei aus. Spontan organisierten Florentiner Schülerinnen und Schüler eine Protestdemonstration durch die Stadt, und im Netz breitete sich große Wut über Valditara aus. Schließlich sah sich der größte Gewerkschaftsverband CGIL gezwungen, zur „Verteidigung der Schule und der Verfassung“ für Samstag, den 4. März, zu einer nationalen Demonstration in Florenz aufzurufen.

Schon an der Auftaktkundgebung am Samstagmittag versammelten sich tausende Schüler, Studierende und Lehrkräfte sowie Arbeiter aus Florenz. Aus Solidarität mit der Schulleiterin Savino waren hunderte Lehrer und Schulleiter aus der ganzen Region angereist. Auf Transparenten wurde betont, dass Florenz „antifaschistisch“ sei, und ein Plakat, das den Rücktritt von Valditara forderte, zog mit einem Mussolini-Konterfei den passenden Vergleich.

Demonstration gegen Faschismus in Florenz, Abschlusskundgebung auf der Piazza Santa Croce, 4. März 2023

Zur Schlusskundgebung auf der Piazza Santa Croce traten neben dem Florentiner Oberbürgermeister Dario Nardella auch Elly Schlein, die jüngst gewählte PD-Vorsitzende, und der CGIL-Sekretär Maurizio Landini auf, sowie Giuseppe Conte, Chef des Movimente 5 Stelle (M5S).

Die Medien konzentrierten sich stark auf das Zusammentreffen von Schlein mit Conte. Um der Mobilisierung die Brisanz zu nehmen, wurde die Tatsache aufgebauscht, dass Schlein zur „Zusammenarbeit“ in den „grundsätzlichen Auseinandersetzungen“ aufgerufen hatte. Alles deute darauf hin, dass die zerstrittenen Oppositionsparteien nun wieder gemeinsam gegen die Regierung aus Fratelli d’Italia, Lega und Berlusconis Forza Italia auftreten würden.

Als ob dies auch nur im Geringsten ein Fortschritt wäre. Tatsächlich war es gerade die rechte, arbeiterfeindliche Politik des angeblichen „Mitte-Links“-Lagers, die den Meloni den Weg an die Macht geebnet hatte. Vor den letzten Wahlen hatten die PD und M5S im Rahmen ihrer „Zusammenarbeit“ sogar mit der Lega koaliert.

Am Samstag haben viele Teilnehmer die Gelegenheit genutzt, um weitergehende Forderungen zu erheben, zum Beispiel für den Mindestlohn, für eine neue Einwanderungspolitik, für Investitionen in das Gesundheits- und Bildungswesen (anstatt ins Militär), sowie für die Freiheit für Lehrkräfte, an den Schulen antifaschistische Themen zu behandeln. Sie können nicht mit einer PD- oder M5S-Regierung verwirklicht werden, wie die vergangenen Jahre gezeigt haben.

In jedem Fall hat die Mobilisierung ein grelles Licht auf die Krise der Regierung Giorgia Meloni geworfen. In ganz Italien wachsen Unruhe und Widerstand. Dazu trägt nicht nur die brutale Flüchtlingspolitik, welche die mörderischen Schiffshavarien auf dem Mittelmeer begünstigt, und die tiefe sozialen Krise bei, sondern immer stärker auch der Militarismus der Regierung und Melonis Waffenlieferungen an die Ukraine gegen Russland.

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