Schlichterspruch im Öffentlichen Dienst bedeutet massive Reallohnsenkung

Baut Aktionskomitees auf, um einen Vollstreik dagegen zu organisieren

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Schlichtungsempfehlung, die am Samstag vorgestellt wurde, bestätigt auf ganzer Linie unsere Einschätzung: Verdi und die öffentlichen Arbeitgeber wollen bei uns in Zeiten hoher Inflation massive Reallohnsenkungen durchsetzen. Das Schlichtungsverfahren diente einzig und allein dazu, einen Streik dagegen zu verhindern.

Der Schlichterspruch sieht bei den tabellenwirksamen Erhöhungen eine Nullrunde bis einschließlich Februar 2024 vor. Bis dahin sollen wir in monatlichen Raten die 3.000 Euro Inflationsausgleich erhalten, im Juni 1.240 Euro für das erste Halbjahr 2023, dann von Juli bis Februar 2024 jeweils 220 Euro. Auszubildende sollen jeweils die Hälfte davon bekommen.

Der Zweck dieser Raten ist, das schlechte tabellenwirksame Ergebnis zu verschleiern, das die Schlichtungsempfehlung bedeutet. Wir sollen erst ab März 2024 lediglich 200 Euro plus 5,5 Prozent mehr, mindestens 340 Euro im Monat erhalten. Dies würde für die untersten Lohngruppen gelten. Für die meisten von uns wäre es aber nur unwesentlich mehr. Bauzeichner, Müllwagenfahrer, Krankenpfleger, Straßenbauer, Verwaltungsfachangestellte in der Sachbearbeitung usw., die in Entgeltgruppe 5 eingestellt sind, erhielten in der Erfahrungsstufe 3 (mindestens drei Jahre Erfahrung) dann nicht mehr 2.875,93 Euro, sondern 3.245,11 Euro brutto monatlich. Das wären 369,18 Euro oder 12,84 Prozent mehr – nach 14 Monaten Nullrunde und einer Laufzeit von 24 Monate bis Ende 2024.

Von den geforderten 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro, bei einer Laufzeit von 12 Monaten, die schon nicht die Inflation ausgeglichen hätten, sind wir demnach weit entfernt. Nicht 500 Euro, sondern auf zwei Jahre verteilt 170 Euro Mindestbetrag sollen wir schlucken.

Angesichts einer anhaltenden Preissteigerung von aktuell 20 Prozent bei Lebensmitteln, Energie und Mieten, für die wir den Großteil unserer Löhne und Gehälter ausgeben, sind das massive Reallohnsenkungen von 40 bis 50 Prozent in den kommenden zwei Jahren.

[Photo: Statistisches Bundesamt]

Dazu kommen die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen. Eine junge Kollegin an der Charité in Berlin berichtet beispielsweise, dass auf der Intensivstation des Herzzentrums „allein im letzten Monat 20 Leute gekündigt“ haben. Das steht stellvertretend für viele Bereiche. Viele, gerade ältere Kolleginnen und Kollegen, sind am Limit und darüber hinaus.

Wir sind es auch, die die Folgen verwüsteter Kommunen unmittelbar erleben. Die kaputtgesparte Infrastruktur, verfallende Verwaltungsgebäude, schlecht funktionierende IT-Systeme usw. müssen wir ausbaden. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Sozialämtern, Jobcentern und Ausländerbehörden bekommen die Folgen der Verarmung und der Kriege zu spüren.

Mit der Annahme der jetzigen Schlichtungsempfehlung würde sich die Abwärtsspirale von schlechten Arbeitsbedingungen und Personalmangel weiter beschleunigen. Die Leidtragenden wären nicht nur wir, sondern alle, die auf die öffentliche Gesundheitsversorgung, den öffentlichen Nahverkehr und andere Teile der Daseinsvorsorge angewiesen sind.

In den letzten drei Jahren der Corona-Pandemie waren wir es, die den Laden am Laufen hielten; die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, die 2,5 Millionen Landesbeschäftigten, die Millionen Beschäftigten in privaten und kirchlichen Kranken- und Altenpflegeeinrichtungen, die über eine halbe Million Beschäftigten bei Post- und Logistikunternehmen usw. Nun sollen wir auch noch für die Milliarden-Geschenke an die Konzerne, die Aufrüstung der Bundeswehr und die Kosten des Nato-Kriegs in der Ukraine zahlen. Jeder Cent, den sie bei uns kürzen, fließt letztlich in die Taschen der Reichen oder der Armee.

Verdi unterstützt das alles ausdrücklich. Die Gewerkschaftsspitzen sind über tausend Fäden mit Staat (den öffentlichen Arbeitgebern) und Konzernen verknüpft. Die abgaben- und steuerfreien Inflationsausgleichszahlungen sind im letzten Jahr ausdrücklich für diesen Zweck von der Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsvertretern und den Gewerkschaftsspitzen – darunter Verdi-Chef Frank Werneke – in der Konzertierten Aktion abgesprochen worden.

Wenn am kommenden Samstag die Tarifrunde weitergeführt wird, sitzen drei langjährige führende Sozialdemokraten als Verhandlungsführer am Tisch: Verdi-Chef Frank Werneke, Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (Kommunen) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (Bund). Sie alle teilen die Politik von Kanzler Scholz und der Ampelkoalition.

Das von ihnen verabredete Schlichtungsverfahren diente einzig und allein dem Zweck, einen Streik zu verhindern, den wir schon lange führen wollen. Deshalb konnte die Schlichtungskommission bereits eine knappe Woche vor Ablauf der Frist eine Empfehlung veröffentlichen. Wenn es nach dem Willen Verdis geht, ist deren Annahme reine Formsache. Alle zwölf Verdi-Vertreterinnen und Vertreter in der Schlichtungskommission unter Leitung von Christine Behle, stellvertretende Verdi-Vorsitzende, und Oliver Bandosz, Leiter des Verdi-Bereichs Tarifpolitik öffentlicher Dienst, haben der Einigungsempfehlung zugestimmt.

Nur zwei der zwölf Mitglieder der Arbeitgeber haben den Vorschlag abgelehnt, der von den beiden Schlichtern vorgelegt wurde, dem ehemaligen Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr (SPD) für Verdi und dem ehemaligen sächsischen Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) für die öffentlichen Arbeitgeber.

Verdi hat bereits angekündigt, über die Tarifempfehlung, die Verdi und die Arbeitgeber am kommenden Wochenende auf der Grundlage der Schlichtungsempfehlung vorlegen werden, eine Urabstimmung durchzuführen.

Wir rufen alle Kolleginnen und Kollegen von Verdi dazu auf, das Angebot abzulehnen. Zweitens rufen wir Euch alle auf, sich schon jetzt darauf vorzubereiten, den Streik selbst in die Hand zu nehmen. Genauso wie bei der Post wird Verdi alle Register ziehen, um die Reallohnsenkungen gegen uns durchzusetzen. Bei der Post hat Verdi die erste Abstimmung, in der sich 86 % der Mitglieder für einen Streik ausgesprochen hatten, einfach ignoriert, neue Verhandlungen geführt und das nahezu identische Ergebnis erneut vorgelegt.

Um den gleichen drohenden Ausverkauf zu verhindern, müssen wir die Kontrolle von Verdi durchbrechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen.

Denn Verdi steht genauso wie die anderen Gewerkschaften auf der Seite von Regierung und Unternehmen. Sie alle eint die Furcht vor einer europäischen Streikbewegung. In Frankreich gehen gerade Millionen gegen Macrons Rentenkürzungen auf die Straße, in Großbritannien streikten Hunderttausende gegen Lohnsenkungen und die Einschränkung des Streikrechts und in Spanien, Portugal, Belgien und vielen anderen Ländern entwickeln sich massive Streiks. Verdi will um jeden Preis verhindern, dass diese Bewegung auch in Deutschland um sich greift und die Regierung mit ihrer Kürzungs- und Kriegspolitik herausfordert.

Doch genau das ist notwendig: Wir müssen uns als Teil dieser europaweiten Bewegung gegen Sozialkürzungen, Lohnraub und Krieg verstehen. Wenn wir unsere Löhne verteidigen und die unerträglichen Arbeitsbedingungen verbessern wollen, müssen wir uns in unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen, die Verdi das Misstrauen aussprechen und den Streik in die eigene Hand nehmen. Als erstes sollten wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen bei der Post kurzschließen und vereinen.

Strategisch müssen sich unsere Aktionskomitees international in der Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) zusammenschließen und den Kampf gegen die Kürzungspolitik mit dem Kampf gegen Krieg und Aufrüstung verbinden. Kontaktiert uns und schickt eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +491633378340 oder registriert Euch weiter unten, um Euch daran zu beteiligen.

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