Diese Rede hielt Christoph Vandreier, der Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei (Deutschland), auf dem diesjährigen International May Day, der am 30. April stattfand. Alle Reden der Kundgebung können hier angesehen werden: wsws.org/mayday.
Ich freue mich sehr, auf dem heutigen May Day sprechen zu können, und überbringe die revolutionären Grüße der Sozialistischen Gleichheitspartei.
Dieser May Day ist von größter politischer Bedeutung. Während die Nato auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ihren Stellvertreterkrieg gegen Russland immer weiter eskaliert, die USA und ihre Verbündeten einen Krieg gegen China vorbereiten und die imperialistischen Mächte auch gegeneinander die Messer wetzen, verkörpern wir die Perspektive der Einheit der internationalen Arbeiterklasse gegen diesen Wahnsinn, die Perspektive des internationalen Sozialismus.
Das ist gerade hier in Deutschland bedeutsam, in diesem Land, in dem die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden und von dem aus jetzt wieder Panzer gegen Russland rollen. Im März beschloss die Regierung hinter dem Rücken der Bevölkerung, die deutsche Militärhilfe für die Ukraine zu verfünffachen! Zuvor hatte sie bereits die Lieferung von über 100 Kampfpanzern zugesagt.
Diese Waffen werden das Leid der Menschen in der Ukraine weiter vergrößern und das Land tiefer in ein Inferno stürzen. Das Gerede von Frieden und Freiheit, die in der Ukraine verteidigt würden, ist reine Heuchelei. Wie schon in den brutalen Kriegen gegen Irak, Syrien, Libyen und Afghanistan geht es um blanke Geopolitik und um imperialistische Interessen. Einmal mehr will sich Deutschland die russischen und ukrainischen Bodenschätze einverleiben und diese Länder unterwerfen.
Die herrschende Klasse ist bereit, dafür den Kontinent wieder in Schutt und Asche zu legen. Selbst vor der nuklearen Vernichtung schreckt sie nicht zurück. Mit der Verdreifachung des Wehretats und dem erklärten Ziel, die schlagkräftigste Armee des Kontinents aufzubauen, knüpft sie wieder an den Größenwahn Hitlers an.
Die Kosten dafür soll die Arbeiterklasse tragen. Nachdem die Regierung bereits die Kürzung des Gesundheitsetats um zwei Drittel und weitere massive Einschnitte beschlossen hat, verlangt Finanzminister Christian Lindner nun weitere Kürzungen von 20 Milliarden Euro im Sozialhaushalt. Die horrenden Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln dezimieren die Einkommen der Arbeiter. In der Industrie werden hunderttausende auf die Straße gesetzt.
Diese Politik wird von sämtlichen Bundestagsparteien unterstützt.
Die SPD ist zur führenden Partei des deutschen Militarismus geworden und treibt die Aufrüstung mit technokratischer Kaltblütigkeit voran.
Die Grünen, die als Pazifisten begannen, haben sich in schlimmste Kriegshetzer verwandelt! Baerbock hat offen erklärt, dass Deutschland Krieg gegen Russland führe, und wirbt jetzt für einen Krieg gegen China.
Auch die Linkspartei ist Teil der Kriegsverschwörung! Ihr Spitzenkandidat bei der Berlin-Wahl, Klaus Lederer, unterstützt ausdrücklich die Waffenlieferungen in die Ukraine. Deren Gegner beschuldigt er der „offenen Komplizenschaft mit Putin“.
Das ist der alte Vorwurf der Militaristen gegen Kriegsgegner. Auch Karl Liebknecht wurde beschuldigt, er mache gemeinsame Sache mit dem russischen Zaren, den es im Namen des europäischen Fortschritts zu bekämpfen gelte.
Wie Liebknecht damals entgegnen wir heute: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie!“
Der Krieg kann nur gestoppt werden, wenn Arbeiter auf er ganzen Welt gemeinsam gegen die Kriegstreiber in ihrem eigenen Land kämpfen.
Eine solche internationale Bewegung entwickelt sich objektiv, das zeigt dieser May Day sehr eindrücklich. Auch in Deutschland wächst die Wut. Im Öffentlichen Dienst, bei der Bahn und bei der Post wollen Millionen Arbeiter gegen Lohnkürzungen streiken. In der europäischen und internationalen Arbeiterklasse wächst eine Bewegung, die – wie in Frankreich – in Konflikt mit der Regierung, dem Staat und dem kapitalistischen System gerät.
Der Kapitalismus hat den Arbeitern nichts mehr zu bieten außer Krieg, Krankheit und Verarmung. Deshalb reagiert die herrschende Klasse überall äußerst aggressiv auf jedes Zeichen von Widerstand. Niemand sollte unterschätzen, wozu sie fähig ist. Gerade hier in Deutschland.
Vor 90 Jahren brachte die herrschende Klasse Hitler an die Macht, damit er die Arbeiterorganisationen zerschlägt und einen neuen Weltkrieg vorbereitet. Vernichtungskrieg und Holocaust waren nicht einfach das Ergebnis von Hitlers persönlichem Größenwahn, sondern Hitler verkörperte das Streben der deutschen Eliten nach Weltmacht.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Nazis erhielten bei der letzten freien Wahl nur 33 Prozent der Stimmen. Doch einflussreiche Kreise der Armee, des Kapitals und der Medien machten Hitler zum Reichskanzler. Acht Wochen später stimmten sämtliche bürgerliche Parteien dem Ermächtigungsgesetz zu und versahen ihn mit diktatorischen Vollmachten.
Die Arbeiterklasse lehnte die Nazis hingegen nahezu geschlossen ab. Selbst als sich die Terrorherrschaft schon voll entfaltet hatte und die ersten Konzentrationslager errichtet wurden, erhielten die Nazis bei den Betriebsratswahlen im April 1933 nur zwölf Prozent der Mandate und mussten die Wahlen abbrechen.
Doch die Arbeiter wurden von ihren eigenen Führern daran gehindert, den Kampf gegen Hitler aufzunehmen. Die stalinisierte KPD verweigerte die Einheitsfront gegen die Faschisten und betäubte die Arbeiter mit der Parole „Nach Hitler kommen wir“.
Die SPD forderte ihre Mitglieder selbst nach der Machtübernahme Hitlers auf, „auf dem Boden der Legalität“ zu bleiben. Der sozialdemokratische Gewerkschaftsbund versicherte Hitler, dass er sich in den NS-Staat einfügen werde. Die Gewerkschaften seien „im Verlaufe ihrer Geschichte aus natürlichen Gründen mehr und mehr mit dem Staate selbst verwachsen“, hieß es in einer Erklärung des ADGB vom März 1933.
Am 1. Mai – vor genau 90 Jahren – riefen die Gewerkschaftsführer die Arbeiter dann auf, zusammen mit den Nazis unter der Hakenkreuzfahne zu marschieren. Am Tag darauf wurden die Gewerkschaftshäuser besetzt und ihre Führer in Konzentrationslager gesperrt. Sozialdemokratie und Gewerkschaften suchten den Schulterschluss mit dem bürgerlichen Staat bis zur völligen Selbstaufgabe.
Nur die trotzkistische Bewegung kämpfte für die Perspektive der Einheitsfront der Arbeiterklasse, die einzig in der Lage gewesen wäre, die Nazis zu stoppen und die Katastrophe zu verhindern.
Jetzt spitzen sich die Fragen unter veränderten Bedingungen erneut zu. Die SPD ist heute eine rein bürgerliche Partei, die an der Spitze der Kriegs- und Kürzungspolitik steht. Auch die Gewerkschaften sind keine Arbeiterorganisationen mehr, sondern Polizeikräfte zur Verhinderung von Streiks, die eher mit der Deutschen Arbeitsfront vergleichbar sind.
Die Bourgeoisie verfügt heute über keine faschistische Massenbewegung, aber sie legt dieselbe Rücksichtslosigkeit an den Tag wie in den 1930er Jahren.
Deshalb bleibt die zentrale Aufgabe die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Diese Perspektive verkörpert das Internationale Komitee der Vierten Internationale. Arbeiter müssen aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften ausbrechen und sich international in der IWA-RFC zusammenschließen. Sie müssen dem Kriegswahnsinn und dem Kapitalismus die Einheit der internationalen Arbeiterklasse entgegenstellen und das IKVI als Weltpartei der sozialistischen Revolution aufbauen.