Mit drei weiteren erfolgreichen Versammlungen haben die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in den letzten Tagen ihre Antikriegs-Veranstaltungsreihe in München, Bochum und Frankfurt am Main fortgesetzt. Unter dem Titel „Wie der Ukrainekrieg gestoppt werden kann“ beleuchtete die Jugend- und Studierendenbewegung der Vierten Internationale die historischen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen des Kriegs und stellte eine internationale sozialistische Strategie zu seiner Beendigung vor.
Weltweit hatten schon in den Vereinigten Staaten, in Australien und Neuseeland, Sri Lanka, Kanada, Brasilien und dem Vereinigten Königreich Antikriegsversammlungen stattgefunden, und an mehreren Versammlungen hatten sich Sprecher aus Russland und der Ukraine mit einem gemeinsamen Statement beteiligt. In Deutschland hatte die Reihe am 27. April in Berlin begonnen. Sie wird am 17. Mai in Stuttgart und am 26. Mai in Leipzig fortgesetzt.
Im Vorfeld der Versammlungen verteilten IYSSE-Mitglieder an Hochschulen und in den Innenstädten tausende Flyer, hängten Plakate auf und sprachen vor zahlreichen Vorlesungen zu hunderten Studierenden über die aktuelle Kriegsgefahr. Sie charakterisierten den Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine als reaktionäre Antwort des nationalistischen Putin-Regimes auf die jahrzehntelangen imperialistischen Provokationen der Nato-Staaten.
Wie das Putin-Regime vertrete auch die Selenskyj-Regierung nicht die Interessen der Arbeiterklasse, sondern der nationalen post-sowjetischen Oligarchie. Sie führe auf Geheiß der imperialistischen Nato-Mächte einen katastrophalen Krieg, der bereits hunderttausende Menschenleben gekostet habe und das Überleben der menschlichen Zivilisation in Frage stelle.
Mit ihrer imperialistischen Kriegspolitik, so die IYSSE, verfolgen die Vereinigten Staaten, Deutschland und die anderen Nato-Mächte lang gehegte Ziele und Großmachtpläne. „Die Welt steht näher an einem umfassenden Konflikt zwischen Atommächten als jemals zuvor seit den 1960er Jahren“, warnten die IYSSE in Vorlesungen und auf Flugblättern.
An allen drei Versammlungen sorgten die ergriffenen Maßnahmen dafür, dass sie Corona-sicher durchgeführt werden konnten. Dazu wurden Far-UV-Lichter und Luftfilter aufgestellt und kostenlose FFP2-Masken an alle Teilnehmer ausgegeben.
Trotz erheblicher Versuche, öffentliche Diskussionen über den Krieg zu unterbinden, waren alle Veranstaltungen ein voller Erfolg. An der Ruhruniversität Bochum hatten Unbekannte die IYSSE-Plakate systematisch zerstört und mit Slogans wie „russische Propaganda“ überklebt. In Frankfurt hatten die Inhaber des Veranstaltungsraumes wenige Tage zuvor sogar gedroht, die Versammlung rechtswidrig abzusagen.
Die IYSSE reagierten mit einer politischen Gegenoffensive, sodass an allen drei Veranstaltungen jeweils mehrere dutzend Personen teilnahmen. Besonders die beiden Versammlungen an der Ruhr-Uni-Bochum und der Goethe-Universität Frankfurt, die direkt auf dem Universitätsgelände stattfanden, stießen auf große Resonanz unter Jugendlichen und Studierenden.
Auf den Veranstaltungen beleuchteten die Referenten den Krieg anhand von sechs zentralen Aspekten, die für ein Verständnis des Krieges unerlässlich sind:
1. Der Konflikt kann nur im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion verstanden werden.
2. Der Krieg ist die Fortsetzung eines drei Jahrzehnte andauernden und sich ausweitenden Kriegs der imperialistischen Mächte.
3. Der russische Einmarsch in die Ukraine war die reaktionäre Antwort der russischen Oligarchie auf die jahrzehntelange imperialistische Einkreisung.
4. Die Propaganda über einen Kampf für „Freiheit“ und „Demokratie“ wird durch das Erstarken rechtsextremer und faschistischer Kräfte in der Ukraine widerlegt.
5. Die herrschende Klasse in Deutschland, die bereits in zwei Weltkriegen versucht hat, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland zu unterjochen, nutzt den Konflikt, um lang gehegte Militarisierungspläne in die Tat umzusetzen.
6. Der Krieg kann nicht losgelöst von der sich verschärfenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise der großen kapitalistischen Mächte verstanden werden.
Bochum
In Bochum nahmen rund 30 Studierende und Arbeiter teil, von denen sich viele für den Vortrag bedankten und an der Diskussion beteiligten. Ein Student warf die Frage auf, ob zwischen der Kriegsaufrüstung der westlichen Länder und der Kürzung der Löhne und Sozialausgaben wirklich ein direkter Zusammenhang bestehe. IYSSE-Mitglieder antworteten, dass alle kapitalistischen Großmächte auf einen dritten Weltkrieg zusteuern und dabei versuchen, die inneren gesellschaftlichen Widersprüche durch Krieg nach außen abzulenken. Die internationale Arbeiterklasse, die kein Interesse an einem Weltkrieg habe, solle nach dem Willen der herrschenden Klassen in jedem Land dafür bezahlen.
Daran schloss ein weiterer Teilnehmer die Frage an, ob Krieg und Faschismus aufgrund der menschlichen Natur unvermeidlich seien. Darauf wurde erwidert, dass frühe Formen des Krieges historisch mit dem Aufkommen von sozialer Ungleichheit verbunden waren. In den 1930er Jahren habe sich Hitler zwar auf eine große Anhängerschaft im Kleinbürgertum stützen können, wurde inmitten einer Krise seiner Partei jedoch letztlich von einer Verschwörung innerhalb der deutschen Eliten an die Macht befördert.
Wie der Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei Christoph Vandreier erläuterte, wies die KPD unter dem Einfluss Stalins einen gemeinsamen Kampf von KPD- und SPD-Arbeitern zurück, während die SPD selbst inmitten des faschistischen Terrors den bürgerlichen Staat und die „Legalität“ verteidigte. Trotzki, so Vandreier, habe gegen Hitler für die Taktik einer Einheitsfront beider Arbeiterparteien gekämpft, die auch im Jahr 1933 noch eine gemeinsame Mehrheit gegenüber der NSDAP hatten.
Da unter den Diskussionsteilnehmern auch ein Mitarbeiter der Hausverwaltung war, konnte die Veranstaltung länger als von den IYSSE ursprünglich veranschlagt stattfinden und die lebhafte Diskussion musste nicht vorzeitig beendet werden.
München
Die Münchener Versammlung am 4. Mai im „EineWeltHaus München“ wurde von IYSSE-Mitglied Clemens geleitet, der die internationalistischen Prinzipien der Jugendorganisation betonte und auf die Massenkämpfe der Arbeiterklasse in Frankreich, Sri Lanka, dem Vereinigten Königreich und den USA verwies: „Dieselben Triebkräfte, die die kapitalistische Klasse zum Krieg nach außen und massiver staatlicher Aufrüstung, Repression, Sozialabbau und Austerität nach innen treiben, führen auch zu einem internationalen Wiederaufleben des Klassenkampfs. In diese Kämpfe greifen wir mit unserem sozialistischen Programm ein.“
Referent Peter Schwarz, Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und internationales Redaktionsmitglied der World Socialist Web Site, begann seinen Vortrag mit einem Zitat aus dem berüchtigten Aufruf „An die Kulturwelt!“ von Oktober 1914, in der führende deutsche Akademiker die Kriegskampagne des Kaiserreichs rechtfertigten und beschönigten.
Die damalige Propaganda über „Deutschlands reine Sache“ und „von russischen Horden hingeschlachtete Frauen und Kinder“ ähnele heutigen Narrativen und zeige, „dass das erste Opfer eines jeden Kriegs die Wahrheit ist“. Schwarz fuhr fort: „Es gibt kein anderes Ereignis, das Gesellschaft so aufrührt, den Menschen solche Opfer abverlangt wie ein Krieg. Deshalb sind Propaganda und Lügen für die Kriegführenden unverzichtbare Waffen.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Nichts – von beiden Seiten – kann für bare Münze genommen werden“, schlussfolgerte Schwarz. Fakt sei, dass die Nato mit Waffenlieferungen über dutzende Milliarden Euro alles in ihrer Macht Stehende unternehme, um Öl ins Feuer dieses Krieges zu gießen. Darüber hinaus boykottiere sie jegliche diplomatische Lösung und stelle in den eigenen Ländern die Gesellschaft auf Kriegswirtschaft um.
Eine Teilnehmerin der Diskussion warf angesichts der allgegenwärtigen Kriegshetze die Frage auf, inwiefern frühere kapitalistische Politiker wie Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) „vernünftiger“ gewesen seien als heutige Generationen von Politikern. Darauf antwortete Peter Schwarz, dass die Phase der relativ stabilen Nachkriegszeit des kapitalistischen Systems endgültig vorbei sei. Die mangelnde „Vernunft“ der Regierungspolitiker sei ein Ausdruck des historischen Bankrotts des Kapitalismus, der die Arbeiterklasse erneut vor die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ stelle.
Unter Verweis auf die reaktionäre Rolle der Gewerkschaftsbürokratie in den Tarifauseinandersetzungen bei der Post und im öffentlichen Dienst erklärte Schwarz, dass die wichtigste Aufgabe darin bestehe, in der Arbeiterklasse eine neue, revolutionäre und internationale Führung aufzubauen, die für ein sozialistisches Programm kämpft.
Frankfurt
In Frankfurt am Main konnte die Versammlung wie geplant im großen Saal der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) auf dem Campus Westend stattfinden, nachdem die IYSSE eine öffentliche Kampagne gegen den Versuch geführt hatten, ihre Veranstaltung zu zensieren. Versammlungsleiter Tamino zog einen Vergleich zwischen dem mörderischen Krieg in der Ukraine und dem Massensterben in der anhaltenden Covid-19-Pandemie. In beiden Fällen zeige die herrschende Klasse ihre Unfähigkeit zu internationaler Kooperation und ihre Entschlossenheit, für die Profitinteressen der Oligarchen über Leichen zu gehen.
An der Diskussion nahmen auch mehrere ukrainische Nationalisten, Vertreter von stalinistischen Studierendengruppen und Anhänger der Frankfurter Schule teil, auf deren Positionen deutlich geantwortet wurde. Wie der Referent Christoph Vandreier erläuterte, kämpfen Sozialisten für die Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse und lehnen die Verteidigung von Nationalstaaten ab.
Dies gelte sowohl für den ukrainischen Staat der Kiewer Regierung als auch für die ostukrainischen „Volksrepubliken“ der von Russland unterstützten Separatisten. Notwendig sei eine Verbrüderung zwischen ukrainischen und russischen Arbeitern, die ihre Waffen nicht gegeneinander, sondern in Richtung ihrer Generäle und der kapitalistischen Eliten in ihren jeweiligen Ländern richten müssten.
Dieses Prinzip, wonach „der Hauptfeind im eigenen Land steht“, leite auch die Arbeit von Internationalisten in Europa und den USA, erklärte Vandreier. Eine solche Orientierung auf die Arbeiterklasse sei nicht nur „realistisch“, sondern die einzige Möglichkeit, den Konflikt dauerhaft zu beenden, indem seine Wurzeln in der kapitalistischen Konkurrenz der Nationalstaaten beseitigt werden.
Die Diskussionen wurden in allen Städten an den Büchertischen noch lange fortgesetzt. Viele Studierende nahmen mit den IYSSE Kontakt auf, um am Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung teilzunehmen.
Die internationale Veranstaltungsreihe der IYSSE wird in Deutschland mit öffentlichen Versammlungen in Stuttgart (17. Mai, 18 Uhr) und Leipzig (26. Mai, 18 Uhr) fortgesetzt.