Perspektive

Mit der ukrainischen Gegenoffensive rückt direkte Intervention der Nato näher

Der Nato-Gipfel in Madrid (Jonatha Ernst/Archivbild via AP) [AP Photo/Jonathan Ernst]

In dieser Woche hat die Ukraine ihre seit langem geplante Offensive gegen die von Russland besetzten Gebiete gestartet und Panzerkolonnen, darunter auch von der Nato gelieferte Kampfpanzer, gegen verschanzte russische Stellungen geworfen.

Nach Angaben russischer Regierungsvertreter, denen die ukrainische Regierung nicht widersprochen hat, hat die erste Offensive zu einer Reihe von militärischen Desastern für die ukrainischen Streitkräfte geführt.

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte Aufnahmen von ukrainischen Panzerkolonnen, die offenbar ohne Luftschutz auf offenem Feld vorrückten – mit katastrophalen Folgen. Die Aufnahmen zeigen nach Angaben der russischen Regierung auch die Zerstörung eines deutschen Kampfpanzers Leopard 2.

Am Donnerstag erklärte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die ukrainischen Streitkräfte hätten versucht, einen Angriff in der Nähe von Saporischja zu starten, seien aber zurückgeschlagen worden und hätten dabei 30 Panzer, elf gepanzerte Kampffahrzeuge und 350 Soldaten verloren. Er sagte, die Ukraine habe innerhalb von 24 Stunden über 1.000 Soldaten verloren.

Später am Tag schrieb die New York Times, dass US-Beamte „bestätigten, dass die vorrückenden ukrainischen Truppen in den ersten Kämpfen Verluste erlitten hatten“, womit sie einräumten, dass die russischen Erklärungen zutreffen.

Monatelang war die bevorstehende Offensive in den US-Medien als Wendepunkt des Krieges gefeiert worden. Bret Stephens von der Times hatte gehofft auf eine „vernichtende und unmissverständliche Niederlage“ für Russland, während David Ignatius in der Washington Post davon sprach, dass sich das Blatt im Krieg wenden würde, und verkündete: „D-Day dämmert für die Ukraine.“

Die USA und die anderen Nato-Mächte gingen davon aus, dass die Offensive der russischen Regierung eine empfindliche Niederlage zufügen würde. Dieses Szenario sollte dazu dienen, die Voraussetzungen für den bevorstehenden Nato-Gipfel vom 11. bis 12. Juli in Vilnius (Litauen) zu schaffen.

Das Treffen in Vilnius war als Gipfeltreffen der Sieger konzipiert, bei dem die Erfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld als Grundlage für eine ganze Reihe von Ultimaten an Russland dienen sollten, darunter ein vollständiger Rückzug nicht nur aus den während der Invasion 2022 eroberten Teilen der Ukraine, sondern auch von der Halbinsel Krim.

Diese Forderungen, die von den mobilisierten Nato-Streitkräften erhoben wurden, die mit vorbereiteten Waffen entlang einer massiv ausgeweiteten Grenze zu Russland ausgestattet waren, wären mit der Androhung von Gewalt aus einer Position der Stärke heraus untermauert worden, mit dem Ziel, einen Siegfrieden durchzusetzen.

Sollte das Gipfeltreffen in Vilnius jedoch unter den Bedingungen größerer Rückschläge oder gar eines Abbruchs der Offensive stattfinden, was derzeit wahrscheinlicher erscheint, wird es zum Anlass für eine weitere massive Eskalation des US-Nato-Engagements in diesem Krieg werden.

Was als Gipfeltreffen der Sieger gedacht war, könnte sich als Gipfeltreffen verzweifelter Regierungen erweisen, die bereit sind, die rücksichtslosesten Maßnahmen zu ergreifen, um das Ergebnis des Krieges umzukehren.

Im Falle eines militärischen Debakels für die Ukraine werden die Nato-Mächte mit der Erklärung reagieren, dass sie eine Flugverbotszone über der Ukraine einrichten werden, in der Nato-Kampfflugzeuge russische Flugzeuge angreifen und abschießen und Bodentruppen aus Nato-Mitgliedstaaten in der Ukraine stationiert werden.

In diesem Zusammenhang erklärte der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Rasmussen in dieser Woche, dass die Nato-Mitglieder die Entsendung eigener Bodentruppen ankündigen würden, falls auf dem bevorstehenden Gipfel nicht eine Art formelles Militärbündnis mit der Ukraine geschlossen würde.

Wenn sich die NATO nicht auf einen klaren Weg für die Ukraine einigen kann, besteht durchaus die Möglichkeit, dass einige Länder einzeln Maßnahmen ergreifen. Wir wissen, dass Polen sehr engagiert ist, der Ukraine konkrete Hilfe zu leisten. Und ich würde nicht ausschließen, dass sich Polen in diesem Zusammenhang auf nationaler Ebene noch stärker engagiert und die baltischen Staaten folgen werden, vielleicht auch mit Truppen vor Ort.

Er fuhr fort:

Ich denke, die Polen würden ernsthaft in Erwägung ziehen, eine Koalition der Willigen zu bilden, wenn die Ukraine in Vilnius nichts erreicht.

Die Regierung Biden hatte solche Maßnahmen zuvor ausgeschlossen und erklärt, dass sie zu einem „Dritten Weltkrieg“ führen und das Potenzial für ein nukleares „Armageddon“ schaffen würden.

Aber für die Nato, nicht weniger als für Russland, nimmt der Krieg einen existenziellen Charakter an. Er ist ein zentrales Element der globalen Strategie der Regierung Biden, in der die militärische Niederlage Russlands als Voraussetzung für den Kampf gegen China gilt.

Im Verlauf des Krieges haben die Nato-Mitgliedsstaaten wiederholt alle „roten Linien“ überschritten, die sie für sich selbst festgelegt hatten. Ein kürzlich erschienener Artikel im Economist – dessen neueste Ausgabe ganz der aktuellen Offensive der Ukraine gewidmet ist – erläutert die Überlegungen, die die immer stärkere Beteiligung der USA und der Nato an diesem Krieg begründen. Sie schreibt:

Amerikas Generäle halten es zunehmend für möglich, Russland eine „strategische Niederlage“ zuzufügen. Mit der Zeit haben sie die Angst vor einer nuklearen Eskalation verloren. Die Strategie des „gekochten Frosches“, die konventionelle Militärhilfe schrittweise zu erhöhen, hat zum Teil dazu beigetragen, das Risiko zu mindern. Und indem die Ukraine Russland selbst durch Angriffe auf die Grenzregion Belgorod oder Angriffe mit kleinen Drohnen auf den Kreml provoziert, versucht sie auch, die Leere der russischen Drohungen aufzudecken....

Dieses Ziel ist für Amerikas militärische Planer besonders verlockend, denn sie fürchten sich seit langem vor der Aussicht, zwei Kriege gleichzeitig führen zu müssen: mit Russland in Europa und mit China in Asien. Wenn die Bedrohung durch Russland zumindest für einige Jahre erheblich reduziert würde, könnten mehr Ressourcen für die Abschreckung Chinas eingesetzt werden, das zu Amerikas dringendstem militärischen Anliegen geworden ist.

Die Vereinigten Staaten setzen sich mehr und mehr für eine militärische Niederlage Russlands ein und unternehmen immer rücksichtslosere Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen.

Bislang hat die russische Regierung nicht auf die zunehmend rücksichtslosen Provokationen der Nato reagiert, weil sie eine friedliche Lösung des Konflikts anstrebt.

Aber jede der von der Nato überschrittenen „roten Linien“ dient dazu, den Druck innerhalb des russischen politischen Establishments auf die Putin-Regierung weiter zu verstärken, damit diese den Konflikt selbst weiter eskaliert.

Die Nato-Mächte gehen mit großer Rücksichtslosigkeit vor und führen eine Reihe von Aktionen durch, die nicht nur zu einer massiven konventionellen Eskalation, sondern zu einem Atomkrieg führen können. Unabhängig davon, ob sie auf dem Schlachtfeld Erfolg haben oder verlieren, haben sie sich zu einem Vorgehen verpflichtet, das katastrophale Folgen für die gesamte Menschheit hat.

Im Grunde handelt es sich um einen Zweifrontenkrieg, nicht nur gegen den größten Teil der ehemaligen Sowjetunion, den die Nato-Mächte beherrschen und militärisch unterwerfen wollen, sondern auch gegen die Arbeiterklasse im eigenen Land. Es ist notwendig, die Arbeiter in jedem Land im Kampf gegen den imperialistischen Krieg zu vereinen, als ein entscheidendes Element des Kampfes für den Sozialismus.

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