Amira Mohamed Ali tritt vom Fraktionsvorsitz der Linken zurück

Mit dem Rücktritt von Amira Mohamed Ali vom Fraktionsvorsitz im Bundestag rücken eine mögliche Spaltung der Linken und die Gründung einer neuen Partei unter der Führung von Sahra Wagenknecht deutlich näher. Mohamed Ali gehört zur Führungsspitze der Linken, die aus je zwei Partei- und Fraktionsvorsitzenden besteht.

Amira Mohamed Ali [Photo by Martin Heinlein / Die Linke / CC BY 2.0]

Anfang letzter Woche gab Mohamed Ali bekannt, dass sie bei der Neuwahl der Fraktionsvorsitzenden am 4. September nicht mehr antreten werde. Als Grund nannte sie unüberbrückbare politische Differenzen. Es sei ihr „mittlerweile unmöglich geworden, … den Kurs der Partei, allen voran der Parteiführung, in der Öffentlichkeit zu stützen und zu vertreten“. Den letzten Ausschlag habe die einstimmige Aufforderung des Parteivorstands vom 10. Juni gegeben, Sahra Wagenknecht solle ihr Abgeordnetenmandat niederlegen, sie habe in der Linken keine Zukunft mehr.

Der Konflikt zwischen Wagenknecht und der Parteiführung schwelt seit langem. Seit Monaten ist von der Gründung einer neuen Partei die Rede. Wagenknecht hat sich aber bisher noch nicht festgelegt. Ein Grund dürfte sein, dass die Linken-Fraktion beim Austritt von drei oder mehr Abgeordneten ihren Fraktionsstatus verliert, was zum Verlust von hohen finanziellen Zuwendungen und bis zu 70 Mitarbeitern führt.

Spätestens bis Ende des Jahres will sich Wagenknecht aber entscheiden. Die neue Partei wäre dann in der Lage, 2024 an der Europawahl und den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg teilzunehmen, wo Wagenknecht über hohe Zustimmungswerte verfügt. Mohamed Alis offener Angriff auf die Parteiführung ist ein Signal, dass es bald zur Spaltung kommen wird.

Zwei rechte Flügel

Die Auseinandersetzung zwischen dem Parteivorstand und dem Wagenknecht-Lager ist ein Kampf zwischen zwei Flügeln, die auf die wachenden Klassenspannungen reagieren, indem sie sich in schnellem Tempo nach rechts bewegen.

Der Parteivorstand stützt sich zum einen auf Regierungspolitiker, die auf Länder- und Kommunalebene Verantwortung tragen und sich – wie der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow – nicht von entsprechenden SPD-, Grünen oder CDU-Politikern unterscheiden. Sie organisieren den Sozialabbau, rüsten die Polizei auf, schieben Flüchtlinge ab, unterstützen die Kriegspolitik der Bundesregierung und werben für Waffenlieferungen an die Ukraine.

Eine weitere Stütze des Parteivorstands sind pseudolinke Politiker, die sich – wie die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan – auf Gender- und Identitätspolitik konzentrieren und die wohlhabende Klientel der Grünen umwerben. Sie unterstützen ebenfalls den Kriegskurs der Bundesregierung und die Waffenlieferungen an die Ukraine.

Als Folge dieser rechten, arbeiterfeindlichen Politik laufen die Wähler und Mitglieder der Linken in Scharen davon. Hatte sie bei der Bundestagswahl 2009 noch knapp 12 Prozent der Stimmen erhalten, verfehlte sie 2021 die Fünf-Prozent-Hürde und kehrte nur dank drei Direktmandaten in den Bundestag zurück. Inzwischen erreicht sie in den Umfragen nur noch 4 Prozent. In ihren ostdeutschen Hochburgen, wo Die Linke zeitweise stärkste Partei war, belegt inzwischen die rechtsextreme AfD den Spitzenplatz. Die Linke liegt nur noch an vierter oder fünfter Stelle.

Die Mitgliederzahl sank zwischen 2009 und 2022 von 78.000 auf 54.000. Inzwischen dürften es noch weniger sein. Dem Hamburger Linken-Funktionär Andreas Grünwald zufolge sind seit der Bundestagswahl 10.000 Mitglieder ausgetreten.

Der Wagenknecht-Flügel reagiert auf diesen Aderlass, indem er immer offener die Politik der AfD übernimmt.

Die promovierte Ökonomin Wagenknecht, die in den 1990er Jahren noch Sprecherin der Kommunistischen – besser: Stalinistischen – Plattform in der Linken-Vorgängerin PDS war, hat die Werke von Karl Marx vor zwei Jahrzehnten entsorgt und durch die Schriften der ordoliberalen Ökonomen der Adenauer-Ära ersetzt. Die Begriffe „Sozialismus“ und „Kommunismus“ kommen in ihrem Wortschatz nicht mehr vor.

Ihre kapitalistische Wirtschaftsideologie versetzt Wagenknecht mit einer großen Dosis nationalistischem Gift. 2021 veröffentlichte sie „Die Selbstgerechten“, eine völkisch-nationalistische Tirade gegen Kosmopolitismus und Weltoffenheit, für Protektionismus und einen starken Staat. Migranten und Flüchtlinge denunziert sie darin als Lohndrücker, Streikbrecher und kulturfremde Elemente.

Wagenknecht versucht sich dabei als Anwältin der kleinen Leute gegen die wohlhabenden städtischen Mittelschichten, gegen „Linksliberale“ und „Lifestyle-Linke“, darzustellen. Auch Mohamed Ali wirft dem Parteivorstand in ihrem Rücktrittsschreiben vor, er formuliere „kein grundsätzliches Nein zum falschen Kurs der Ampelkoalition, … der nichts tut gegen Kinderarmut, gegen Löhne, die zum Leben nicht reichen, gegen Armutsrenten“. Doch das ist hohle soziale Demagogie.

Wagenknecht und ihre Anhänger haben die arbeiterfeindliche Politik der Linken immer mitgetragen und unterstützt. Als Mohamed Ali erstmals eine öffentliche Funktion für die Linkspartei übernahm, hatte sich diese seit 17 Jahren an Landesregierungen beteiligt und einen strikten Sparkurs verfolgt. In Berlin war der SPD-Linken-Senat sogar aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgetreten, um die Gehälter im öffentlichen Dienst deutlich senken und Zehntausende entlassen zu können.

Mohamed Ali selbst hatte nach ihrer Wahl zur Fraktionschefin vor vier Jahren noch erklärt, sie könne sich eine Koalition mit SPD und Grünen im Bund vorstellen. „Es geht darum, spürbare Verbesserungen im Leben der großen Mehrheit der Bevölkerung zu bewirken. Wenn das mit SPD und Grünen möglich ist, bin ich selbstverständlich dafür,“ sagte sie damals der Freien Presse.

Auch die massive Aufrüstung der Bundeswehr und den aggressiven Kriegskurs der Nato gegen Russland, eine weitere Meinungsverschiedenheit mit der Parteiführung, lehnen Wagenknecht und Mohamed Ali nicht grundsätzlich ab.

Wagenknechts Kritik am Ukrainekrieg richtet sich nicht gegen den deutschen Militarismus, sondern gegen dessen Abhängigkeit von den USA. Rüstet Deutschland für seine eigenen Interessen, ist sie dafür.

Ihr Mentor und Ehemann Oskar Lafontaine fordert in seinem letzten Buch „die Befreiung Europas von der militärischen Vormundschaft der USA durch eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ und „ein gemeinsames Verteidigungsbündnis zwischen Deutschland und Frankreich“. Auf der Berliner „Friedensdemonstration“ vom 25. Februar 2023, die Wagenknecht gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer organisierte, trat als prominenter Redner Brigadegeneral a.D. Erich Vad auf, ein glühender Militarist.

Mohamed Ali begründete ihre Ablehnung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland nach ihrem Rücktritt im Deutschlandfunk damit, dass diese in erster Linie Deutschland schadeten. „Wenn es so wäre, dass diese Energiesanktionen dazu geführt hätten, dass Russland Schwierigkeiten hat, diesen Krieg weiter zu führen, hätte ich da eine andere Position.“

Das Wagenknecht-Lager ist alarmiert, dass die Linke nicht mehr in der Lage ist, die wachsende soziale Opposition aufzufangen und den Regierungen in Bund und Ländern als Feigenblatt und Blitzableiter zu dienen. Deshalb versucht es die Unzufriedenheit mit einer Mischung aus sozialer Demagogie und reaktionärem Nationalismus in eine Sackgasse zu lenken.

Wagenknecht und AfD

Wagenknechts Parteiprojekt genießt in der herrschenden Klasse große Unterstützung. Sie wird regelmäßig zu den wichtigsten Talkshows eingeladen. Ihre Bücher werden zu Bestsellern gehypt und machen sie zu einer der bestverdienenden Bundestagsabgeordneten; seit der Bundestagswahl vor zwei Jahren meldete sie Nebeneinkünfte von knapp 800.000 Euro. Große Medien wie der Spiegel oder auch The Pioneer widmen ihr regelmäßig ausführliche Cover Stories.

Den Gipfel des Zynismus erreicht diese Propaganda, wenn Wagenknechts rechtes Projekt als Versuch dargestellt wird, der AfD das Wasser abzugraben. Der Spiegel forderte Wagenknecht am 9. August in einem Leitartikel ausdrücklich auf, endlich eine neue Partei zu gründen: „Machen Sie es, Frau Wagenknecht!“ Zur Begründung heißt es: „Für die Linkspartei wäre eine Abspaltung unter Führung Wagenknechts ein schwerer Rückschlag. Für die Demokratie könnte es eine gute Nachricht sein.“

„Mit Wagenknechts neuer Partei könnte im Osten eine ‚Linke Alternative‘ erwachsen, die die Enttäuschten und Abgehängten einsammelt,“ fährt der Autor Severin Weiland fort. „Manche, die sich derzeit mit schlechtem Gewissen überlegen, die AfD zu wählen, würden womöglich mit gutem Gewissen für eine linke Verpackung mit zum Teil ähnlichen Inhalten stimmen. … Eine Schwächung der AfD gerade im Osten wäre ein Gewinn für die demokratische Stabilität der Republik.“

Ähnlich äußert sich die konservative F.A.Z.. Unter der Überschrift „Mögliche Wagenknecht-Partei: Gefahr auch für die AfD“ heißt es dort: „Eine Wagenknecht-Partei würde nicht nur in ostdeutschen Linken-Hochburgen wildern, sondern auch im Wählerreservoir der in großen Teilen rechtsextremen AfD. Programmatisch bietet die Populistin Wagenknecht eine für ideologisch ungebundene Protest- und Nichtwähler attraktive Mischung aus klassisch linker Sozialpolitik und einem national-restriktiven Kurs in der Migrations- und Flüchtlingsfrage.“

Auch Mohamed Ali argumentiert in diese Richtung, wenn sie der Parteiführung vorwirft, sie treibe „die Linke zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit“, weil es ihr nicht gelinge, „die Menschen zu erreichen, für die eine linke Partei vor allem Politik machen sollte“. Dazu zählten auch AfD-Wähler, „die noch zurückgewinnbar sind“.

In Wirklichkeit würde eine Wagenknecht-Partei, die rechte und nationalistische Standpunkte mit sozialer Demagogie verbindet, die reaktionärsten Kräfte stärken. Sie wäre sogar in der Lage, sich mit der AfD zu verbünden. Das hat Syriza, die griechische Schwesterpartei der Linken, bereits vorgeführt, als sie nach ihrem Wahlsieg vor acht Jahren eine Koalition mit den rechtsextremen „Unabhängigen Griechen“ bildete und das Diktat der internationalen Banken verwirklichte.

Das ist der Grund, weshalb viele Medien Wagenknechts Projekt begrüßen. Angesichts zunehmender internationaler Klassenkämpfe – den Rentenprotesten in Frankreich, der Streikwelle in den USA, den Tarifkämpfen bei der Deutschen Bahn, usw. – setzen die Herrschenden auf faschistische Kräfte, um den Widerstand einzuschüchtern und zu unterdrücken.

Deshalb rollen sie der faschistischen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Berlin, Brüssel und Washington den roten Teppich aus. In Deutschland hofieren sie AfD-Vertreter und wählen sie in hohe parlamentarische Ämter. Vor ihrer Aufnahme in die Regierung schrecken die etablierten Parteien nur deshalb (noch) zurück, weil sie einen öffentlichen Aufschrei fürchten. Hier soll der Umweg über eine Wagenknecht-Partei Abhilfe schaffen.

Es gibt nur einen Weg, die AfD und die faschistische Gefahr zu bekämpfen. Der Aufbau einer internationalen, sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse, die den Widerstand gegen Sozialabbau, Entlassungen und soziale Ungleichheit mit dem Kampf gegen Krieg, Faschismus und deren Ursache, den Kapitalismus verbindet. Dafür treten die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale ein.

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