Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten ist eine trotzkistische Jugendorganisation, die ihre politische Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale erklärt hat. Sie ist in Russland, der Ukraine und weiteren Ländern der ehemaligen Sowjetunion aktiv.
Am Abend des 29. Oktober versammelten sich mehr als tausend Demonstranten in der Nähe des Internationalen Flughafens von Machatschkala als Reaktion auf die Ankunft eines Flugs aus Israel. Machatschkala ist die Hauptstadt von Dagestan, einer extrem verarmten Region im russischen Nordkaukasus, deren Bevölkerung überwiegend muslimischen Glaubens ist.
Die Menge drang zunächst in das Terminal ein und strömte dann auf das Rollfeld, wo das Flugzeug stand. Die Demonstranten versuchten, die Ankunft von Passagieren aus Israel zu verhindern. Es herrschte eine eindeutig antisemitische Atmosphäre und es wurden offen antisemitische Parolen gerufen, u.a. wurden die Passagiere darin als „unrein“ bezeichnet. Berichten zufolge durchsuchte die Menge auch ein Hotel nach israelischen Staatsbürgern. Laut der russischen Nachrichtenagentur RBC beteiligten sich insgesamt 1.200 Menschen an den Ausschreitungen. Der Kreml mobilisierte die Polizei gegen die Proteste, ließ 60 Demonstranten verhaften und schloss den Flughafen für mehrere Tage.
Die Ausschreitungen können nur als reaktionäres Ergebnis des von den imperialistischen Mächten unterstützten völkermörderischen Angriffs Israels auf die Palästinenser angesehen werden. Er bestätigt die Warnung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aus seiner ersten Erklärung zum Angriff auf den Gazastreifen: „Die Gefahr eines erneuten Anwachsens des Antisemitismus ist sehr real. Aber sie geht nicht von den demokratischen Bestrebungen der Massen in Gaza und im besetzten Westjordanland aus, sondern von dem reaktionären nationalen Chauvinismus, der im Kapitalismus und Imperialismus geschürt wird.“
Es muss klar gesagt werden, dass die Hauptverantwortung für das, was am 29. Oktober in Machatschkala geschah, bei der israelischen Regierung liegt. Sie führt einen völkermörderischen Krieg gegen die Palästinenser und behauptet fälschlicherweise, das jüdische Volk sei identisch mit dem zionistischen Projekt und der israelischen Regierung. Auch der Imperialismus ist mitverantwortlich, da er jahrzehntelang das zionistische Regime in Israel gefördert hat und jetzt das Netanjahu-Regime aktiv unterstützt und mit Waffen für seinen Völkermord versorgt. Gleichzeitig bewaffnen und finanzieren die imperialistischen Mächte in der Ukraine antisemitische und neofaschistische Kräfte, die in der Tradition der ukrainischen Nazi-Kollaborateure stehen, die eine zentrale Rolle im Holocaust gespielt haben.
Es ist nicht ganz klar, welche Kräfte den Aufruhr angezettelt haben. Mehrere lokale Telegram-Kanäle haben mit eindeutig antisemitischen Worten zu Protesten aufgerufen. Die russischen Staatsmedien und Präsident Putin behaupten, die Proteste gingen ausschließlich auf westlichen Einfluss zurück. Tatsächlich lässt sich nicht ausschließen, dass westliche Geheimdienste daran beteiligt waren, die Krawalle anzuzetteln, um die Stabilität in Russland selbst zu untergraben. Das Schüren von ethnischen und nationalistischen Konflikten und Spannungen, vor allem unter dem großen muslimischen Bevölkerungsanteil des Landes ist seit langem Teil der imperialistischen Strategie zur Aufteilung Russlands. Laut der Financial Times war ein Sender, der früher mit Ilja Ponomarjow in Verbindung stand, an der Anstiftung zu den Ausschreitungen beteiligt. Ponomarjow ist eine führende Figur der Nato-freundlichen Opposition in der russischen Oligarchie, die Überfälle ukrainischer neofaschistischer Milizen auf russisches Territorium koordiniert hat.
Doch die politische Verantwortung für den Ausbruch von Antisemitismus liegt auch beim Kreml und der russischen Oligarchie insgesamt. Die herrschende Elite Russlands hat in der Vergangenheit immer wieder auf üble Weise Antisemitismus gefördert. Diese unheilvolle Geschichte umfasst die Judenpogrome im zaristischen Russland sowie die antisemitischen Kampagnen der stalinistischen Bürokratie, die ein zentraler Bestandteil der nationalistischen Reaktion des Stalinismus gegen das internationalistische Programm der Oktoberrevolution waren. Die russische Oligarchie, die aus der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die Sowjetbürokratie hervorgegangen ist, hat all diese Traditionen in der übelsten Form wiederbelebt. Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution im Jahr 2017 sponserte der Kreml die antisemitische Fernsehserie „Trotzki', die darauf abzielte, die Persönlichkeit von Lew Dawidowitsch Trotzki und die Oktoberrevolution zu diskreditieren. Seit dem 1. November dieses Jahres wiederholt der wichtigste staatliche Fernsehsender Channel One die Serie zum 106. Jahrestag der Oktoberrevolution. Damals wie heute besteht das wesentliche Motiv für die Förderung von Antisemitismus darin, die Arbeiterklasse zu spalten und ihr Klassenbewusstsein zu schwächen.
Die Arbeiterklasse in allen Ländern muss fest, klar und eindeutig auf dem marxistischen Standpunkt des Klassenkampfs und des unversöhnlichen Widerstands gegen alle Formen von Chauvinismus, Antisemitismus und Nationalismus stehen. Wir müssen das, was am 29. Oktober in Machatschkala geschehen ist, entschieden verurteilen. Diese Art von antisemitischer Gewalt kann nur dazu dienen, die Arbeiterklasse zu spalten und dem Kampf des palästinensischen Volkes gegen den Imperialismus zu schaden.
Diese prinzipienfeste Haltung ist in der aktuellen Lage umso wichtiger. Der Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen markiert ein neues Stadium in der sich entwickelnden imperialistischen Neuaufteilung der Welt, die mit dem von der Nato provozierten russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 begann. Jetzt wurde im Nahen Osten eine weitere Front in diesem Krieg eröffnet. In einer kürzlich gehaltenen Rede forderte US-Präsident Joe Biden 105 Milliarden Dollar zur Finanzierung der US-Kriege, von denen 61 Milliarden – also mehr als die Hälfte – an das Selenskyj-Regime und 14 Milliarden an das Netanjahu-Regime gehen sollen. Dies ist nicht nur eine Kriegserklärung an die amerikanische Arbeiterklasse, die für all diese Summen aufkommen muss, sondern auch an die russische und internationale Arbeiterklasse.
Zwar gab es bisher keine größeren Proteste in Russland, doch das Putin-Regime ist dennoch hochgradig instabil. Das zeigt sich in dem kürzlich gescheiterten Putschversuch des mittlerweile verstorbenen Ewgeni Prigoschin und der Unterdrückung und Beschneidung der demokratischen Rechte der Arbeiterklasse durch die herrschende Klasse, in deren Auftrag Putin spricht. Die anhaltende Krise der russischen Bourgeoisie, die sich durch den Ukraine-Krieg verschärft hat, wird sie nur dazu veranlassen, ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse noch weiter zu verstärken.
Schon jetzt setzt die russische Oligarchie, die direkt aus der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die Sowjetbürokratie hervorging, zunehmend auf die repressiven Methoden ihrer Vorgänger, um ihre Offensive gegen die Arbeiterklasse fortzusetzen. Das Putin-Regime rehabilitiert obendrein Stalin und schafft ein Klima, in dem die wenigen vorhandenen Denkmäler für die Opfer des Großen Terrors der 1930er, in dem Generationen von Sozialisten ermordet wurden, regelmäßig beschädigt und sogar zerstört werden.
Bisher hat die russische Oligarchie auf den israelischen Angriff auf den Gazastreifen reagiert, indem sie versuchte zu manövrieren. Während der Kreml den Überfall Israels verurteilt hat (ohne genau zu sagen, von wem die Invasion ausging), verurteilte er aber auch die Manifestationen von „Terror“ und „Völkermord“ auf „beiden Seiten“. Die Regierung betonte, dieser Konflikt könne nur durch die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates gelöst werden. Letzte Woche empfing der Kreml eine Delegation der Hamas. Einer der Gründe für diese Manöver sind Russlands umfangreiche Beziehungen zu Israel, wo 15 Prozent oder 1,3 Millionen Menschen leben, die russischsprachig sind. Im Ukraine-Krieg hat Israel eine ambivalente Haltung eingenommen. Im Gegensatz zu Washingtons anderen Verbündeten hat es nicht nur die russischen Invasion, sondern auch die Waffenlieferungen an die Ukraine verurteilt. Zudem ist sich der Kreml durchaus der Pläne des US-Imperialismus bewusst, diesen Konflikt durch eine weitere Einbeziehung des gesamten Nahen Ostens, vor allem des Iran, auszuweiten, was eine neue Front im Krieg gegen Russland eröffnen würde.
Die andere Front in diesem sich abzeichnenden globalen Konflikt, die Ukraine, ist bereits zum Massengrab für Hunderttausende von Ukrainern und Zehntausende von Russen geworden. Die Arbeiter in Israel, Palästina, Russland, der Ukraine und dem Rest der Welt müssen gewarnt werden: Eine Katastrophe von noch größerem Ausmaß bahnt sich an.
Die Eskalation der Kriege im Nahen Osten und dem Rest der Welt bestätigen die Analyse des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Im August hatte David North erklärt: „Im Jahr 1938 schrieb Trotzki in der Einleitung des Übergangsprogramms, dass die imperialistischen Mächte noch weniger in der Lage seien, den Zweiten Weltkrieg zu verhindern, als sie es am Vorabend des Ersten Weltkriegs waren. Die kapitalistischen Eliten Nordamerikas und Europas können den Dritten Weltkrieg ebenso wenig verhindern wie den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.“ Wie erleben jetzt mit eigenen Augen, wie sich diese Analyse bestätigt.
Die Arbeiterklasse hat die Macht, den neuen internationalen imperialistischen Krieg aufzuhalten, aber nur wenn sie sich international vereinigt. Leo Trotzki schrieb dazu bereits 1928 in seiner „Kritik am Programmentwurf der Komintern“:
In unserer Epoche, welche die Epoche des Imperialismus, d.h. der Weltwirtschaft und der Weltpolitik unter der Herrschaft des Finanzkapitals ist, vermag keine einzige Kommunistische Partei ihr Programm lediglich oder vorwiegend aus den Bedingungen und Entwicklungstendenzen ihres eigenen Landes abzuleiten. Dasselbe gilt in vollem Umfang auch für die Partei, welche innerhalb der UdSSR die Staatsmacht ausübt. Am 4. August 1914 hatte den nationalen Programmen unwiderruflich die letzte Stunde geschlagen. Die revolutionäre Partei des Proletariats kann sich nur auf ein internationales Programm stützen, welches dem Charakter der gegenwärtigen Epoche, der Epoche des Höhepunkts und Zusammenbruchs des Kapitalismus entspricht.
Ein internationales kommunistisches Programm ist auf keinen Fall eine Summe nationaler Programme oder eine Zusammenstellung deren gemeinsamer Züge. Ein internationales Programm muss unmittelbar aus der Analyse der Bedingungen und Tendenzen der Weltwirtschaft und des politischen Weltsystems als Ganzem hervorgehen, mit all ihren Verbindungen und Widersprüchen, d.h. mit der gegenseitigen antagonistischen Abhängigkeit ihrer einzelnen Teile. In der gegenwärtigen Epoche muss und kann die nationale Orientierung des Proletariats in noch viel größerem Maße als in der vergangenen nur aus der internationalen Orientierung hervorgehen und nicht umgekehrt. Darin besteht der grundlegende und ursächliche Unterschied zwischen der Kommunistischen Internationale und allen Abarten des nationalen Sozialismus.
Das gilt in noch größerem Umfang für das 21. Jahrhundert. Nur auf der Grundlage eines internationalen Programms und nur durch einen internationalen Kampf kann der Weltimperialismus zerstört werden. Doch die herrschenden Klassen werden dabei nicht untätig zusehen. Sie werden mit allen Mitteln versuchen, ihre Macht und ihren Reichtum zu erhalten, koste es, was es wolle. Deshalb schüren die Bourgeoisien aller Länder Antisemitismus. Deshalb hetzen sie die Arbeiter gegeneinander auf und versuchen, die internationale Einheit zu schwächen. Deshalb müssen wir alle Manifestationen von Nationalismus, Chauvinismus und Antisemitismus zurückweisen und für die internationale Einheit des Proletariats eintreten. Das erfordert, dass wir uns die Lehren aus dem Kampf der gesamten marxistischen Bewegung seit ihrer Gründung, und insbesondere die Lehren des Kampfs des Trotzkismus gegen den Stalinismus, aneignen.
Die Junge Garde der Bolschewiki-Leninisten ruft die Arbeiterklassen aller Länder auf, gegen den Imperialismus mobil zu machen und sich zu vereinigen – auf der Grundlage eines Kampfprogramms gegen das gesamte internationale kapitalistische System. Nur so können Kriege, Unterdrückung, Armut und Ungleichheit ein für allemal beseitigt werden. Das ist das Programm des revolutionären Marxismus.