Berlin erlebte am Freitagnachmittag Szenen, die an die Zeiten des Nazi-Regimes erinnern. Hunderte von Polizisten terrorisierten einen Palästina-Kongress, der sich gegen den israelischen Genozid in Gaza richtete, um ihn nach zwei Stunden aufzulösen und zu verbieten.
Zu dem Kongress, der von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden im Nahen Osten angemeldet worden war und an dem sich mehrere pro-palästinensische Organisationen beteiligten, wurden prominente Redner erwartet, darunter der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der irische Abgeordnete Richard Boyd Barrett, der britisch-palästinensische Arzt und Rektor der Universität Glasgow Ghassan Abu-Sitteh, der 86-jährige Palästina-Experte Salman Abu Sitta, ein ehemaliges Mitglied des Palästinensischen Nationalrats, der jüdische Filmemacher Dror Dayan und die palästinensische Journalistin Hebh Jamal.
Medien und Politik hatten bereits im Vorfeld eine wütende Hetzkampagne gegen den Kongress entfesselt. Vom Boulevard-Blatt Bild bis zum „respektablen“ Tagesspiegel denunzierten sie die Teilnehmer pauschal als „Israelhasser“. Bild titelte am Freitagmorgen: „Israelhasser-Kongress. Diese Terror-Fans treten heute in Berlin auf.“
Ein überparteiliches „Bündnis gegen antisemitischen Terror“, dass sich über Politiker von Union bis hin zur Linkspartei erstreckt, erklärte, vom Kongress sei die „Verbreitung antisemitischen Hasses“ zu erwarten und Berlin dürfe sich nicht „zum Zentrum der Terrorverherrlichung“ entwickeln. Für die Linkspartei unterschrieben der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer sowie die ehemalige Berliner Arbeitssenatorin Elke Breitenbach den Aufruf.
Die Polizei agierte entsprechend. Ghassan Abu-Sitteh wurde am Berliner Flughafen die Einreise verweigert. Der Arzt, der nach Kriegsbeginn im Al-Shifa Krankenhaus in Gaza gearbeitet und noch am 6. Dezember dem Spiegel ein erschütterndes Interview über seine furchtbaren Erlebnisse dort gegeben hatte, sollte am Abend einen Vortrag auf dem Kongress halten. Stattdessen wurde ihm erklärt, dass er bis zum 14. April nicht nach Deutschland einreisen dürfe.
Als am Freitagvormittag der Tagungsort des Kongresses bekannt gegeben wurde (die Veranstalter hatten ihn aus Sicherheitsgründen geheim gehalten), wurde ein Großaufgebot von Polizei hin mobilisiert. Von den 2500 Polizisten, die für das gesamte Tagungswochenende eingeplant waren, umringten knapp 900 Einsatzkräfte die Kongresshalle in Tempelhof und stellten Absperrungen auf. Zu einer Gegendemonstration gegen den Kongress, die von der CDU und zionistischen Gruppierung organisiert worden war, erschienen rund 25 Personen.
Unter dem Vorwand von „Brandschutzvorschriften“ beschränkte die Polizei den Zutritt zur Kongresshalle. Obwohl der Saal für 1000 Personen ausgelegt ist, gewährte sie nur 250 Personen den Zutritt. Die Schlange von weiteren 250 Personen, die nicht hineingelassen wurden, wertete die Polizei kurzerhand als Versammlung, die bis 15 Uhr aufzulösen sei. Gleichzeitig nahm sie Personen fest, die in der Schlange warteten, darunter ein Mitglied der jüdischen Stimme, das ein Banner mit dem Text „Juden gegen Genozid“ hochhielt.
Während sie angemeldeten Teilnehmern den Zutritt zur Versammlung verwehrte, schmuggelte die Polizei durch einen Hintereingang mehrere Dutzend nicht akkreditierte Journalisten ins Gebäude, die überwiegend aus dem Umfeld der Springer-Presse stammten, die am übelsten gegen den Kongress hetzt.
Auch uniformierte und bewaffnete Polizisten hielten sich im Versammlungsraum auf, um die Teilnehmer einzuschüchtern. Aufgrund der Behinderungen durch die Polizei konnte der Kongress nur mit großer Verspätung starten. Als Vorwand für seine Auflösung diente dann ein Video-Vortrag von Salman Abu Sitta, dem die Einreise ebenfalls verweigert worden war.
Abu Sitta, der 1948 als Kind aus Palästina vertrieben wurde, hat sich Zeit seines Lebens um die Sache der Palästinenser bemüht und dabei öffentliche Debatten mit israelischen Friedensaktivisten, wie Uri Avnery and Rabbi Michael Lerner, geführt.
Zwei Minuten nach Beginn des Video-Vortrags stürmten gegen halb fünf 30 bis 40 Polizisten das Podium, um die Übertragung zu blockieren. Zur Begründung führten sie angeblich illegale Inhalte an. Im Anschluss brach die Polizei gewaltsam den Steuerungsraum auf und stellte Strom und Licht in der Kongresshalle ab, um auch den Livestream vom Kongress zu unterbrechen.
Knapp eine Stunde später, um 17:24 Uhr, löste die Polizei den Kongress auf und forderte die Teilnehmer auf, den Versammlungsraum zu verlassen. Vor Ort gab die Polizei keinen Grund dafür an. Später begründete sie ihre Willkür mit der Gefahr, dass Redner den Holocaust leugnen oder Gewalt verherrlichen könnten.
Kurze Zeit später wurde Udi Raz festgenommen, Vorstandsmitglied der Jüdischen Stimme und Mitorganisatorin des Palästina-Kongresses. In einem Interview mit der Jungen Welt berichtete sie, ihre Festnahmen sei damit begründet worden, dass sie einen Polizisten antisemitisch genannt habe und dies als Beleidigung aufgefasst worden sei.
Die Polizeieinsätze im Stil einer Diktatur wurden aufs engste mit der Berliner Landesregierung und der Bundesregierung koordiniert. Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) hatte in Bezug auf den Palästina-Kongress bereits im Innenausschuss angekündigt, „alles in unserer Macht Stehende zu unternehmen, Straftaten wie etwa Volksverhetzung und das Verwenden verbotener Symbole zu unterbinden“.
Der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU), bedankte sich am Freitagnachmittag bei der Polizei „für das entschlossene Einschreiten bei dieser Hass-Veranstaltung“. Es sei klar gemacht worden, „welche Regeln in Berlin gelten. Wir haben klargemacht, dass Israel-Hass in Berlin keinen Platz hat. Wer sich nicht daran hält, wird die Konsequenzen spüren.“
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erklärte: „Ich trage die Entscheidung der Polizei uneingeschränkt mit.“ Und das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) schrieb im Vorfeld des Kongresses auf Twitter: „Es ist gut, dass die Berliner Polizei ein hartes Durchgreifen beim sogenannten Palästina-Kongress in Berlin angekündigt hat. Wir behalten die islamistische Szene sehr eng im Visier.“
Auch die Jugendorganisationen von SPD, Union, FDP und Grünen stellten sich hinter den Polizeieinsatz. Sie hatten bereits im Vorfeld des Kongresses ein gemeinsames Statement „gegen den Antisemitismus und die Terrorverherrlichung“, die angeblich vom Kongress ausgingen, veröffentlicht.
Die autoritären Methoden, mit denen die Herrschenden gegen den Palästina-Kongress vorgehen, hängen untrennbar mit ihrer Rückkehr zum Militarismus zusammen. Man kann Deutschland nicht „kriegstüchtig“ (Verteidigungsminister Pistorius) machen, ohne die Meinungsfreiheit und die Demokratie abzuschaffen.
Deutschland ist nach den USA der größte Waffenlieferant Israels und Geldgeber der Ukraine. Die Regierung ist dabei, Milliardenbeträge aus dem Sozial- in den Militärhaushalt zu verschieben und die Wehrpflicht wieder einzuführen, um Kanonenfutter für weitere Kriege zu haben. Obwohl sich nicht mehr leugnen lässt, dass Israel einen Genozid an den Palästinensern begeht, unterstützt sie das Netanyahu-Regime bedingungslos und kriminalisiert jede Opposition dagegen.
Der Angriff auf den Kongress richtet sich gegen die wachsende Opposition gegen diese Kriegspolitik. Einer jüngsten Umfrage zufolge lehnen 69 Prozent in Deutschland das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen ab. Doch je größer die Opposition in der Bevölkerung ist, desto wilder schlägt die herrschende Klasse um sich. Mit diktatorischen Polizeimaßnahmen, soll jeder eingeschüchtert werden, der das militaristische Programm ablehnt.